EGV-SZ 1997

[Entscheide Nr. 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43]

 

II. Zivil- und Strafgerichte

30

Zivilrecht

– Abschluss eines Kaufvertrages durch Telefax.

Aus den Erwägungen:

a) Für den vorliegenden Kauf eines Autos macht das Gesetz die Gültigkeit des Kaufvertrages nicht von der Schriftform abhängig (Art. 11ff. OR), weshalb die mündliche Vereinbarung für das Zustandekommen des Vertrages genügt. Die Behauptung des Appellanten, der Kaufvertrag sei, weil er nur via Fax zustande gekommen sei, ungültig, ist mithin verfehlt. Auch aus dem Umstand, dass die Frage, ob die per Telefax übermittelte Unterschrift den Formerfordernissen von Art. 13f. OR genügt, umstritten ist (vgl. dazu Gauch/Schluep, OR AT, Zürich 1995, Rz 516ff. mit Hinweisen), kann bezüglich der Gültigkeit des Kaufvertrages vorliegend nichts geschlossen werden, da vom Gesetz keine Schriftlichkeit verlangt wird.

b) Die Ansicht des Appellanten, dass der via Fax unterzeichnete Kaufvertrag als Beweismittel für das Zustandekommen des Vertrages unzulässig sei, ist falsch. Zwar können gemäss konstanter Praxis des Kantonsgerichts und des Bundesgerichts mit gefaxten Eingaben Rechtsmittelfristen nicht gewahrt werden, da Eingaben ans Gericht gemäss § 86 Abs. 1 GO eigenhändig zu unterzeichnen sind, wie es Art. 14 OR für die nach Gesetz der schriftlichen Form bedürftigen, rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen ausdrücklich sagt. Das bedeutet, dass die Unterschrift vom Aussteller persönlich hergestellt werden muss (vgl. EGV-SZ 1990, Nr. 36 mit Hinweisen). Aus dieser Rechtsprechung kann jedoch in bezug auf den Beweiswert eines Telefaxes für das Zustandekommen eines formlosen Rechtsgeschäftes nichts abgeleitet werden. Im Gegenteil: dürfte dem Fax überhaupt kein Beweiswert zugemessen werden, wäre nicht nur der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 124 ZPO) durchbrochen, sondern auch das Recht auf Beweis der Gegenpartei dermassen eingeschränkt, dass ihr der Nachweis des Zustandekommens des Kaufvertrages faktisch verunmöglicht würde (vgl. dazu Kofmel, Das Recht auf Beweis im Zivilverfahren, Bern 1992, S. 99).

c) Abgesehen davon bestreitet der Appellant die Unterzeichnung bzw. das Zustandekommen des Kaufvertrages auch im Berufungsverfahren effektiv nicht. Die Beurteilung durch das Bezirksgericht, dass der Kaufvertrag rechtlich gültig zustande gekommen bzw. durch den in den Akten liegenden Fax vom Kaufvertrag nachgewiesen ist, ist nicht zu beanstanden.

(Urteil vom 14.10.1997; KG 382/95 ZK).

 

31

Zivilrecht

– Fristwahrung nach § 60 Abs. 2 EGzZGB.

Aus den Erwägungen:

Die Beklagten bestreiten, dass der Kläger gestützt auf § 60 Abs. 1 EGzZGB die Entfernung der Bäume verlangen könne, da gemäss Abs. 2 derselben Bestimmung der Entfernungsanspruch untergegangen sei. Sie bringen vor, der Kläger habe bereits seit mehr als zwei Jahren vor Klageerhebung Kenntnis von den Abstandsverletzungen gehabt bzw. haben müssen, zumal die Bäume im Jahre 1986 gepflanzt bzw. diese seit 1986, spätestens aber 1988 vorhanden gewesen seien. Sie machen insoweit namentlich willkürliche Beweiswürdigung sowie formelle Rechtsverweigerung wegen Nichtabnahme von erheblichen Beweisen geltend. Es ist deshalb zunächst der Anspruch des Klägers und die allfällige Verwirkung desselben zu prüfen.

Im Rahmen des Nachbarrechts ist jedermann verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums sich aller übermässigen Einwirkungen auf das Eigentum des Nachbarn zu enthalten (Art. 684 Abs. 1 ZGB). Dazu gehört auch die Einhaltung von gewissen Mindestabständen bei Anpflanzungen zum Nachbargrundstück. Die Bestimmung von Grenzabständen bei Anpflanzungen ist den Kantonen vorbehalten (Art. 688 ZGB; vgl. BGE vom 25. März 1996 in Pra 86/1997, Nr. 7, S. 37, E 2.). Für das schwyzerische Recht finden sich solche Vorschriften in § 59f. EGzZGB.

Nach § 59 EGzZGB beträgt der Grenzabstand bei hochstämmigen Bäumen, die nicht zu den Obstbäumen gehören sowie bei Nuss- und Kastanienbäumen 5 Meter (Abs. 1 lit. a). Der Nachbar hat einen Anspruch auf Beseitigung von Pflanzungen, die den obgenannten Mindestabstand nicht einhalten (§ 60 Abs. 1 EGzZGB). Dieser Beseitigungsanspruch geht innert zwei Jahren seit Kenntnisnahme des Nachbarn von der Abstandsverletzung, spätestens jedoch innert zehn Jahren seit Eintritt der Verletzung, unter (§ 60 Abs. 2 EGzZGB).

Im Berufungsverfahren ist unbestritten, dass die auf dem Grundstück der Beklagten gepflanzten Bäume, die in Dispositiv-Ziffer 1 des angefochtenen Urteils aufgelistet sind, den Mindestgrenzabstand von 5 Metern zum Nachbargrundstück des Klägers nicht einhalten (§ 59 Abs. 1 lit. a EGzZGB). Unstreitig ist ebenfalls, dass vorliegend die zweijährige Frist in Frage steht, da die Zehnjahresfrist ohnehin eingehalten wäre.

Die zweijährige Frist gemäss § 60 Abs. 2 EGzZGB wird ausgelöst durch die Kenntnis der Abstandsverletzung. Zu prüfen ist deshalb, welcher Zeitpunkt oder welche Handlung für die Kenntnisnahme massgebend ist (§ 60 Abs. 2 EGzZGB), und damit, ab welchem Zeitpunkt der Berechtigte seinen Beseitigungsanspruch im Sinne von § 60 Abs. 1 EGzZGB geltend machen muss, um ihn nicht zu verlieren.

§ 60 Abs. 2 EGzZGB beinhaltet eine Verwirkungsfrist. Verwirkungsfristen bezwecken die Herbeiführung von Rechtssicherheit, um eine durch Gesetz oder Vertrag angeordnete Rechtsfolge nach unbenütztem Ablauf der Verwirkungsfrist unumstösslich werden zu lassen, unabhängig vom wirklichen Tatbestand und ohne Möglichkeit eines Gegenbeweises (Guhl/Merz/Koller, Das Schweizerische Obligationenrecht, 8. Aufl. 1991, S. 289). Demnach führt der Ablauf der Verwirkungsfrist zum Untergang des betreffenden Rechts und nicht bloss zum Verlust der Durchsetzbarkeit, wie dies für die Verjährung zutrifft (Gauch/Schluep, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Band II, 6. Aufl., S. 278ff., Rz 3506ff.). Der kantonale Gesetzgeber spricht denn auch in § 60 Abs. 2 EGzZGB ausdrücklich vom Untergang des Rechts.

Es muss von Fall zu Fall untersucht werden, welche Bedeutung dem Fristenlauf zukommt und wie dem Ablauf entgegengewirkt werden kann (BGE 86 I, 64 E. 5). Zu laufen beginnt die Frist in der Regel und vermutungsweise, sobald die geforderte Handlung möglich, erlaubt und sinnvoll ist (Spiro, Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, Band 2, 1975, S. 1023).

Der kantonale Gesetzgeber erwähnt in § 60 Abs. 1 EGzZGB, dass der Nachbar die Entfernung von Pflanzen verlangen kann, welche den Mindestabstand von der Grenze nicht einhalten.

Der Wortlaut von § 60 Abs. 1 EGzZGB erwähnt nicht explizit die Anhängigmachung einer Klage, damit der Geltendmachung des Beseitigungsanspruchs Genüge getan ist. Dies im Gegensatz zu anderen kantonalen Gesetzen, worin ausdrücklich vom Einspruchsrecht die Rede ist oder die Klageerhebung verlangt wird (vgl. bspw. § 103 EGzZGB-ZG, BGS 211.1).

Im übrigen kantonalen Recht, insbesondere im EGzZGB, finden sich keine weiteren Bestimmungen, die definieren, welche Rechtshandlung ausgeübt werden muss, damit das subjektive Recht nicht untergeht. Wo indessen der Bundeszivilrechtsgeber Verwirkungsfristen vorsieht, beschreibt er in der Regel die innert Frist auszuübende unerlässliche Rechtshandlung, um des subjektiven Rechts nicht verlustig zu gehen. Oftmals verlangt der Gesetzgeber die Anfechtung beim Richter bzw. Klageerhebung (Art. 75 ZGB, Art. 519 ZGB in Verbindung mit Art. 521 ZGB, Art. 706 OR). In anderen Fällen stellt der Gesetzgeber auf andere Rechtshandlungen ab. Nach Art. 21 Abs. 1 OR genügt es beispielsweise, wenn der Verletzte erklärt, dass er den Vertrag nicht halte. Damit ist die einseitige, an den übervorteilenden Vertragspartner gerichtete Anfechtungserklärung gemeint (Kramer, Berner Kommentar, 1991, Rz 54 zu Art. 21 OR; Schwenzer, in Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht I, 2. Aufl., 1996, Rz 2 zu Art. 21). Laut Art. 31 Abs. 1 OR muss derjenige, der sich auf die Unverbindlichkeit des Vertrages beruft, dem anderen eröffnen, dass er den Vertrag nicht halte, oder eine schon erfolgte Leistung zurückfordern. Die Anfechtungserklärung ist formfrei und kann sowohl ausdrücklich oder auch konkludent erfolgen. Eine Anfechtungsklage ist deshalb nicht vorausgesetzt (Kramer, a.a.O., Rz. 567 zu Art. 31 OR; Schwenzer, a.a.O., Rz 3f. zu Art. 31). Ferner ist die Anfechtung einer Kündigung des Mietverhältnisses bei der Schlichtungsbehörde einzureichen (Art. 273 Abs. 1 OR). Schliesslich verlangt Art. 28i ZGB, dass der Betroffene den Text der Gegendarstellung innert Frist an das Medienunternehmen absenden muss.

§ 60 Abs. 2 EGzZGB bezweckt Rechtssicherheit und Rechtsfrieden: Der Berechtigte soll vom Nachbar, der Anpflanzungen vornimmt und dabei den gesetzlichen Mindestabstand zur Grenze verletzt, nicht mehr die Entfernung der Anpflanzungen verlangen dürfen, wenn er (der Berechtigte) während mindestens zweier Jahre im Wissen um die Abstandsverletzung dieselbe toleriert hat. Verlangt hingegen der Berechtigte innert Zweijahresfrist seit Kenntnisnahme vom Schädiger (in mündlicher oder schriftlicher Form), die den Grenzabstand nichteinhaltenden Anpflanzungen zu beseitigen, so gibt er damit ausdrücklich zu verstehen, den gegenwärtigen gesetzwidrigen Zustand nicht zu dulden. Rechtssicherheit, mithin die Sicherheit darüber, dass die Anpflanzungen nicht zu beseitigen sind, kann beim Nachbar deshalb nicht mehr entstehen. Die Klageanhebung vor Gericht ist somit zur Fristwahrung nicht erforderlich. Vielmehr muss genügen, dass der Berechtigte innert Zweijahresfrist seit Kenntnisnahme beim Schädiger vorstellig wird. Da es sich um eine nachbarrechtliche Angelegenheit handelt, ist es sachdienlich und zweckmässig, wenn der Betroffene vor einer allfälligen Klageanhebung eine aussergerichtliche Einigung anstrebt. Im übrigen kann auch aus Art. 135 Abs. 2 OR, wonach nur bestimmte Handlungen die Verjährung zu unterbrechen vermögen, nicht abgeleitet werden, lediglich dieselben Gründe seien tauglich zur Geltendmachung des Entfernungsanspruchs gemäss § 60 EGzZGB. Vorliegend steht nämlich eine Verwirkungsfrist zur Diskussion, und bekanntlich können solche Fristen weder gehemmt noch unterbrochen werden, weshalb Art. 135 OR nicht zur Anwendung kommt, auch nicht analog (Gauch/Schluep, a.a.O., Rz 3509, S. 279).

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Auslegung von § 60 EGzZGB ergibt, dass der Anspruch auf Entfernung der Pflanzen gewahrt ist, wenn der Berechtigte innert zwei Jahren seit Kenntnisnahme beim Nachbarn die Beseitigung der Pflanzungen verlangt. Klageerhebung ist zur Fristwahrung indessen nicht erforderlich.

(Urteil vom 4.2.1997; KG 31/95 ZK).

 

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Zivilrecht

– Persönlichkeitsverletzung im Internet; örtliche Zuständigkeit.

Aus den Erwägungen:

1. Der Kläger behauptet eine Verletzung in seiner Persönlichkeit durch die Veröffentlichung einer gegen ihn gerichteten Klageschrift im Internet. Streitig ist, ob der Richter am Wohnsitz des Klägers für solche Ansprüche zuständig ist.

a) Der Kläger beruft sich auf Art. 28ff. ZGB. Er behauptet eine Persönlichkeitsverletzung und beansprucht Schadenersatz und Genugtuung gestützt auf Art. 28b ZGB sowie den Erlass vorsorglicher Massnahmen gemäss Art. 28c ZGB.

b) Für die Zuständigkeit bei Persönlichkeitsverletzungen ist zu unterscheiden zwischen der Zuständigkeitsregelung für internationale Verhältnisse und jener für innerschweizerische Verhältnisse. Letztere ist in Art. 28b ZGB geregelt, erstere in Art. 129 IPRG (vgl. Vischer, in IPRG-Kommentar, Zürich 1993, N 9 zu Art. 33 IPRG). Vorliegend handelt es sich um eine Streitsache mit Auslandberührung. Die Zuständigkeit bestimmt sich daher nach den Regeln des IPRG.

c) Für alle Ansprüche aus Persönlichkeitsverletzung gelten bei internationalen Verhältnissen die Bestimmungen über die unerlaubte Handlung (Art. 33 Abs. 2 IPRG; Vischer, a.a.O., lit. B vor Art. 33–42 IPRG; Jametti/Greiner, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Internationales Privatrecht, Basel 1996, N 14ff. zu Art. 33 IPRG). Unter den Begriff der Persönlichkeitsverletzung gemäss Art. 33 Abs. 2 IPRG fallen alle Ansprüche, die im schweizerischen Recht aus Art. 28ff. ZGB abgeleitet werden (Vischer, a.a.O., N 4 zu Art. 33 IPRG).

Für Klagen aus unerlaubter Handlung sind nach Art. 129 Abs. 1 IPRG die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz des Beklagten oder, wenn ein solcher fehlt, diejenigen an seinem gewöhnlichen Aufenthalt oder am Ort seiner Niederlassung zuständig. Subsidiär stehen die schweizerischen Gerichtsstände am Handlungs- oder Erfolgsort zur Verfügung (Art. 129 Abs. 2 IPRG). Die Wahl des subsidiären Gerichtsstandes steht dem Verletzten zu (Robert P. Umbricht, in Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Internationales Privatrecht, Basel 1996, N 14f. zu Art. 129 IPRG). Ein in der Schweiz domizilierter Kläger kann somit gegen den im Ausland wohnenden Beklagten seine Klage beim schweizerischen Richter am Handlungs- oder Erfolgsort anbringen.

Erfolgsort ist derjenige Ort, an welchem das betroffene Rechtsgut sich im Zeitpunkt der Verletzung befindet bzw. die Verletzung sich auswirkt (Robert P. Umbricht, a.a.O., N 17 zu Art. 129 IPRG; David Lucas, Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, Band I/2, S. 50). Bei Persönlichkeitsverletzungen tritt der Erfolg in der Regel am Wohnsitz des Verletzten ein (Vischer, a.a.O., N 10f. zu Art. 33 IPRG). Dabei soll zur Begründung der Zuständigkeit am schweizerischen Erfolgsort bereits genügen, wenn der Erfolg nur teilweise in der Schweiz und teilweise im Ausland eintritt (Robert P. Umbricht, a.a.O., N 14 zu Art. 129 IPRG).

Nicht anders verhält es sich, wenn eine (allenfalls) diffamierende Mitteilung über Internet verbreitet wird. In der Tat ist nicht einzusehen, warum in diesem Fall nur ein Gerichtsstand am Wohnsitz des Schädigers/Beklagten sowie allenfalls am Sitz des Heraufladens der Daten («Uploading») oder am Sitz des Providers, der den Zugang zum Netz herstellt (vgl. zu den Begriffen Ivan Cherpillod, Wildwuchs im Internet – Urheberrecht im Clinch, MediaLex 1995, S. 65f.) gegeben sein soll. Gerade bei universellen Medien, wie dies das Internet ist, bedarf es häufig des Schutzes dort, wo das Rechtsgut verletzt wird bzw. wo eine Verletzung in das Persönlichkeitsrecht stattgefunden hat (vgl. Lucas David, a.a.O., S. 49f.). Dies führt bei Verletzungsklagen mit Auslandbezug dazu, dass der Richter am Ort zuständig ist, wo sich eine Persönlichkeitsverletzung auswirkt. Grundgedanke ist, dass der Geschädigte bzw. Betroffene in der Regel als schwächere Partei eines besonderen Schutzes bedarf und daher an seinem Wohnsitz bzw. dem Ort der Verletzung soll klagen können (Pierre Tercier, Les mesures provisionnelles en droit des médias, in MediaLex 1995, S. 28ff., S. 30). Gleiches gilt übrigens auch für den Bereich des Datenschutzgesetzes (Art. 15 Abs. 1 DSG, SR 235.1; Pedrazzini, Der Rechtsschutz der betroffenen Personen gegenüber privaten Bearbeitern [Klagen, vorsorgliche Massnahmen, Gerichtsstand], in Das neue Datenschutzgesetz des Bundes, Hrsg. von R.J. Schweizer, Zürich 1993, S. 81ff., S. 87). Da vorliegend der Erfolg der behaupteten Verletzung am Wohnsitz des Klägers eingetreten sein soll, kann dahingestellt bleiben, ob allenfalls eine gewisse Beziehung des Betroffenen zum Staat, in welchem er Klage erhebt, zu fordern ist, etwa einen gewissen Bekanntheitsgrad des Betroffenen in diesem Staat, oder dass der Schädiger mit dem Eintritt des Erfolgs in diesen Staaten rechnen musste (vgl. auch Andreas Meili, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Schweizerisches Zivilgesetzbuch I, N 12 zu Art. 28 ZGB).

Der Kläger, der es vorzieht, an seinem Wohnsitz oder dem Erfolgsort statt am Wohnsitz des Beklagten Klage zu erheben, muss allerdings durch das Vollstreckungsverfahren im Land des Beklagten allfällig entstehende Nachteile in Kauf nehmen und tragen (vgl. Bucher, Natürliche Personen und Persönlichkeitsschutz, 2. Aufl. 1995, S. 190, Rz 612; Pierre Tercier, a.a.O., S. 30, Anm. 23).

2. Der Kläger stellt das Begehren um den Erlass superprovisorischer Massnahmen. Er verlangt, dem Beklagten unter Strafandrohung gemäss Art. 292 StGB vorsorglich zu verbieten, auf dem ganzen Internet sowie in allen Medien, welcher Art auch immer, ihre angebliche Klageschrift zu veröffentlichen bzw. zugänglich zu machen.

a) Vorsorgliche Massnahmen, welche die vorläufige Vollstreckung eines strittigen Anspruches bezwecken, sind am Ort des für die Hauptklage zuständigen Richters zu beantragen. Im IPRG sieht der Gesetzgeber eine Erleichterung vor, indem die schweizerischen Gerichte oder Behörden auch vorsorgliche Massnahmen treffen können, wenn sie für die Entscheidung in der Sache selbst nicht zuständig sind (Art. 10 IPRG; Lucas David, a.a.O., S. 51).

(Beschluss vom 13.3.1997; KG 521/96 RK 1).

 

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Zivilrecht

– Art. 429a ZGB; Zuständigkeit zur Beurteilung von Haftungsansprüchen.

Aus dem Sachverhalt:

A. Am ... wurde gestützt auf die Bestimmungen über die fürsorgerische Freiheitsentziehung die Einlieferung der drogenabhängigen A. in die psychiatrische Klinik Oberwil angeordnet. Auf dem Transport von ... nach Oberwil, der noch am gleichen Tag durchgeführt wurde, verübte A. im Gefangenenbus einen Suizidversuch; sie erhängte sich im Bus mit den Schnürsenkeln ihrer Stiefel. An den Folgen verstarb sie noch am gleichen Tag.

B. Am ... reichten die Eltern der Verstorbenen beim Bezirksgericht Klage ein mit dem Begehren, es sei festzustellen, dass die Einweisung ihrer Tochter in die Klinik Oberwil widerrechtlich gewesen sei. Im übrigen verlangten sie, den Kanton Schwyz zu verpflichten, ihnen Fr. 50000.– nebst Zins, eventuell Schadenersatz und Genugtuung nach richterlichem Ermessen, zu bezahlen. Zur Begründung führten sie an, die Anordnung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung sei widerrechtlich gewesen. Namentlich sei die Anstaltseinweisung nicht von der zuständigen Behörde angeordnet worden. Des weiteren habe die Einweisungsbehörde trotz der voraussehbaren Suizidgefährdung nicht die nötigen Massnahmen zur Verhinderung des Selbstmordes getroffen. Damit habe sie ihre Garantenstellung verletzt.

Der Kanton Schwyz erstattete eine uneinlässliche Klageantwort und erhob die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit des Bezirksgerichtes. Im wesentlichen argumentierte er, Gegenstand des Prozesses seien öffentlich-rechtliche Entschädigungsansprüche gegenüber einem Gemeinwesen. Solche Klagen würden gemäss dem kantonalen Gesetz über die Haftung des Gemeinwesens und die Verantwortlichkeit seiner Funktionäre vom 20. Februar 1970 (Haftungsgesetz; nGS 102) und gemäss § 67 Abs. 1 lit. c der Verordnung über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Schwyz vom 6. Juni 1974 (VRP; nGS 225) allein in die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts fallen. Die Kläger widersprachen dem mit dem Hinweis, es würden zivilrechtliche Ansprüche zur Debatte stehen.

C. Mit Beschluss vom 16. Oktober 1996 wies das Bezirksgericht die Unzuständigkeitseinrede des Beklagten ab. Das Gericht begründete seinen Entscheid im wesentlichen damit, der Anspruch aus Art. 429a ZGB sei rein privatrechtlicher Natur. Deshalb finde das Haftungsgesetz und § 67 VRP keine Anwendung. Die Zuständigkeit des angerufenen Bezirksgerichtes ergebe sich aus dem (kantonalen) Einführungsgesetz zum schweizerischen Zivilgesetzbuch vom 14. September 1978 (EGzZGB; nGS 175) und der Gerichtsordnung.

D. Gegen diesen Beschluss reichte der Kanton Schwyz am 18. November 1996 Rekurs beim Kantonsgericht ein. Er beantragte, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die erstinstanzlich vorgetragene Unzuständigkeitseinrede gutzuheissen. Die Rekursgegner sowie die Vorinstanz trugen an, den Rekurs abzuweisen.

In der Folge führte die 1. Rekurskammer des Kantonsgerichts mit dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz einen Meinungsaustausch im Sinne von § 5 GO durch.

Aus dem Erwägungen:

1. Die Rekursgegner haben einen Haftpflichtprozess gegen den Kanton Schwyz angestrengt. Vorgetragene Rechtsgrundlage des Anspruchs bildet Art. 429a ZGB und Art. 5 Ziff. 5 EMRK. Die Parteien sind sich nicht einig, ob zur Behandlung solcher Ansprüche das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz oder, wie die Vorinstanz annimmt, das Bezirksgericht zuständige Gerichtsinstanz ist.

Nachfolgend ist die Zuständigkeitsregelung bezüglich des Haftungsanspruchs aus ZGB (Ziff. 2) und aus EMRK (Ziff. 3) gesondert zu prüfen.

2.1. Mit der im Jahre 1981 in Art. 397a–397f und Art. 429a ZGB in Kraft gesetzten Gesetzesnovelle sind nicht nur die Voraussetzungen für die Anordnung einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung, sondern auch diejenigen für die entsprechende Staatshaftung bundesrechtlich abschliessend geregelt worden (BGE 121 III 207f. mit Verweisen). Nach Art. 429a ZGB hat, wer durch eine widerrechtliche Freiheitsentziehung verletzt wird, Anspruch auf Schadenersatz und, wo die Schwere der Verletzung es rechtfertigt, auf Genugtuung (Abs. 1). Haftbar ist der Kanton unter Vorbehalt des Rückgriffs gegen die Personen, welche die Verletzung absichtlich oder grobfahrlässig verursacht haben (Abs. 2). Es handelt sich hierbei um eine ausschliessliche und kausale Staatshaftung (BGE 121 III 208). Im Zusammenhang mit dieser Haftung blieb den Kantonen lediglich vorbehalten zu normieren, nach welchem Verfahren und in welcher Zuständigkeit Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche geltend gemacht und entschieden werden müssen (BGE 118 II 256).

Ob der kantonale Gesetzgeber dabei an Art. 430 ZGB gebunden war, und deshalb Ansprüche aus Art. 429a ZGB zwingend, ohne Vorprüfung seitens der Verwaltung, durch den Richter zu entscheiden sind, kann in casu dahingestellt bleiben. Grundgedanke von Art. 430 ZGB ist, dass die Haftungsansprüche durch ein verwaltungsunabhängiges Gericht beurteilt werden (vgl. hierzu Spirig, Zürcher Kommentar, Bd. II/3a, 1995, Vorbem. zu Art. 397 a–f, N 38; Mattmann, Die Verantwortlichkeit bei der fürsorgerischen Freiheitsentziehung, 1988, S. 217f.). Diese Voraussetzung erfüllen sowohl das Bezirksgericht als auch das Verwaltungsgericht.

2.2. Nach kantonalem Recht (§ 2 EGzZGB) beurteilen sich Zuständigkeit und Verfahren in Angelegenheiten, wo das Zivilgesetzbuch dem Richter eine Entscheidung zuweist oder wo eine solche notwendig wird, subsidiär nach den Vorschriften der Gerichtsordnung und der Zivilprozessordnung. Soweit das EGzZGB oder andere Erlasse eine besondere Regelung vorsehen, gehen diese Vorschriften der Gerichts- und Zivilprozessordnung vor.

a) Da das EGzZGB keine ausdrückliche Vorschrift bezüglich der Frage enthält, welcher Richter über Ansprüche aus Art. 429a ZGB zu entscheiden hat, ist nachfolgend zu prüfen, ob sich ein anderer Erlass hierzu äussert. Erst wenn dies verneint werden muss, sind subsidiär die allgemeinen Vorschriften der Gerichts- und Zivilprozessordnung heranzuziehen.

b) Der Rekurrent führte vor erster Instanz aus, in casu sei das Haftungsgesetz anzuwenden. Mit der Vorinstanz kann diesem Standpunkt nicht gefolgt werden. Wie schon erwähnt worden ist, regelt das Bundesrecht die Staatshaftung wegen widerrechtlicher Freiheitsentziehung abschliessend. Damit bleibt im Zusammenhang mit Schadenersatz- oder Genugtuungsklagen aus Art. 429a ZGB kein Raum für die Anwendung zusätzlicher kantonaler Staatshaftungsbestimmungen (BGE 121 III 204). Das ergibt sich auch aus § 2 Haftungsgesetz. Da im vorliegenden Zusammenhang demnach kein Anspruch aus dem Haftungsgesetz streitig ist, kann dessen § 14 Abs. 1 die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts nicht begründen.

c) Nach § 67 VRP beurteilt das Verwaltungsgericht als einzige Instanz u.a. Streitigkeiten über öffentlich-rechtliche Entschädigungsansprüche gegenüber Gemeinwesen, sofern eine Entschädigung durch einen Rechtssatz vorgeschrieben ist (lit. c). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall offensichtlich erfüllt. Es bleibt lediglich zu untersuchen, ob «öffentlich-rechtliche Entschädigungsansprüche» im Sinne des kantonalen Rechts zur Diskussion stehen.

aa) Die Rekursgegner und die Vorinstanz vertreten die Ansicht, die Ansprüche aus Art. 429a ZGB seien rein privatrechtlicher Natur. Sie weisen insbesondere darauf hin, dass dies gemäss BGE 121 III 206 auch der Standpunkt des Bundesgerichts sei.

Richtig ist, dass das Bundesgericht im erwähnten Entscheid festgehalten hat, beim Haftungsanspruch aus Art. 429a ZGB handle es sich «um einen zivilrechtlichen Anspruch» (BGE 121 III 206). Die Vorinstanz und die Rekursgegner verkennen aber die Tragweite dieses Entscheides. Beim Verfahren, das zu diesem Urteil geführt hat, handelt es sich um einen Direktprozess vor Bundesgericht. Das höchste Gericht hatte lediglich zu prüfen, ob es sich bei der konkreten Klage um eine zivilrechtliche Streitigkeit im Sinne von Art. 42 OG handle. Was aber in Direktprozessen vor Bundesgericht unter den erweiterten historischen Begriff der zivilrechtlichen Streitigkeit fällt (vgl. Guldener, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S. 37), lässt sich nicht auf das kantonale Recht übertragen.

bb) Das Recht der fürsorgerischen Freiheitsentziehung ist alles andere als ein traditionelles Institut des Privatrechts. Es ist der Natur der Sache nach viel eher (wenn nicht nur) im öffentlichen Recht als im materiellen Privatrecht beheimatet. Das ZGB verleiht dem Gemeinwesen in den Bestimmungen von Art. 397aff. ZGB die Kompetenz, unter bestimmten Voraussetzungen das verfassungsmässige Recht auf persönliche Freiheit einzuschränken. Es handelt sich bei diesem staatlichen Handeln um klassische Massnahmen der Eingriffsverwaltung. Zivilrecht liegt hier nur im formellen Sinn vor, indem die Materie im ZGB geregelt ist (so auch B. Schnyder, Formelles Zivilrecht – am Beispiel der fürsorgerischen Freiheitsentziehung, in: Mélanges Piotet, 1990, S. 119ff.).

Die Haftung des Kantons für eine widerrechtliche fürsorgerische Freiheitsentziehung gemäss Art. 429a ZGB knüpft an die hoheitliche Tätigkeit an. Dem Gemeinwesen steht die Einwirkungsmöglichkeit zu, und damit wird es auch zur Prävention verpflichtet. Haftbar wird, wem die Autorität zukommt. Deshalb ist der Staat für fehlerhaft ausgeübte hoheitliche und öffentliche Aufgaben verantwortlich. Auch wenn die Haftung formell im ZGB geregelt ist, stellt Art. 429a ZGB materiell öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeit dar (gl.M. Mattmann, a.a.O., S. 59ff., insb. S. 62; vgl. auch Gross, Schweizerisches Staatshaftungsrecht, 1995, S. 116ff.). Auch Egger betont in diesem Sinn in seiner Kommentierung zum Vormundschaftsrecht, «Beamtenverantwortlichkeit und Staatshaftung gehören dem öffentlichen Recht an» (Egger, Zürcher Kommentar, II/3, 1948, Art. 427 N 3 und Art. 430 ZGB N 1).

Nach kantonalem Recht stellt diese materielle Sicht massgebendes Zuordnungskriterium dar. Deshalb verkörpert der Haftungsanspruch von Art. 429a ZGB einen öffentlich-rechtlichen Entschädigungsanspruch im Sinne von § 67 Abs. 1 lit. c VRP. Zur Behandlung solcher Streitigkeiten ist nicht das angerufene Bezirksgericht, sondern allein das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz zuständig (§ 67 Abs. 1 VRP). Diesem Ergebnis stimmt auch das Verwaltungsgericht, das im Sinne eines Meinungsaustauschs vorgängig dieses Entscheides angehört wurde, zu.

Da somit eine besondere Regelung in einem «anderen Erlass» im Sinne von § 2 EGzZGB vorliegt, finden entgegen der vorinstanzlichen Auffassung die allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften der Gerichts- und Zivilprozessordnung keine Anwendung (§ 2 EGzZGB).

2.3. Der Rekurrent weist zu Recht darauf hin, dass man auch aufgrund einer historischen und systematischen Betrachtung zum gleichen Ergebnis gelange. Der Gesetzgeber des Kantons Schwyz sah ursprünglich im Haftungsgesetz vor, dass Haftungsansprüche gegen das Gemeinwesen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung durch den Zivilrichter zu beurteilen sind (§ 14 Abs. 1 Haftungsgesetz in der ursprünglichen Fassung, in: Gesetzsammlung des Kantons Schwyz, Neue Folge, 15. Band 1977, S. 735). Diese Zuständigkeit wurde mit der Einführung des Verwaltungsgerichts geändert. Neu war ab 1975 für solche Streitigkeiten generell das neu geschaffene Gericht zuständig (vgl. § 14 Abs. 1 Haftungsgesetz und § 67

Abs. 1 lit. c VRP). Mit dieser Ordnung sollte eine einheitliche Rechtsprechung auf dem Gebiet der Staatshaftung für das ganze Kantonsgebiet gewährleistet werden. Es wäre nun systemwidrig und würde dem Willen des Gesetzgebers widersprechen, wenn die Ansprüche nach Art. 429a ZGB, die ebenfalls auf «hoheitliche Verrichtungen» im Sinne von § 3 Haftungsgesetz zurückzuführen sind, als Sonderfall durch den Zivilrichter zu beurteilen wären.

2.4. Das Verwaltungsgericht wies im Rahmen des durchgeführten Meinungsaustauschs darauf hin, dass diese Zuständigkeitsregelung bei der vormundschaftlichen Organhaftung (Art. 426ff.) allenfalls zu Schwierigkeiten führen könne. Wenn man nämlich den beschriebenen Weg konsequent weiterverfolge, so sei, wenn der Geschädigte gemäss Art. 426 ZGB gegen ein vormundschaftliches Organ klage, der Zivilrichter zuständig, da kein Anspruch gegenüber Gemeinwesen, andern Körperschaften und Anstalten im Sinne von § 67 Abs. 1 lit. c VRP vorliege. Dagegen sei aber die verwaltungsgerichtliche Klage nach der genannten Bestimmung zulässig, wenn im gleichen Zusammenhang auf Ausfallhaftung des Staates (Art. 427 ZGB) geklagt werde. Diese Aufsplittung der Zuständigkeit sei sachlich nicht ohne weiteres begründbar.

Wie es sich bezüglich der Zuständigkeitregelung bei der Haftung der vormundschaftlichen Organe im Sinne von Art. 426ff. ZGB verhält, und ob diese Ordnung allenfalls de lege ferenda geändert oder präzisiert werden sollte, kann im vorliegenden Fall offen bleiben. Massgebend ist allein, dass für die fürsorgerische Freiheitsentziehung die Sonderregelung von Art. 429a ZGB gilt und zur Behandlung solcher Klagen das Verwaltungsgericht zuständig ist. Die klare Regelung von § 67 Abs. 1 lit. c VRP lässt kein anderes Vorgehen zu.

3. Das Bundesgericht hat offengelassen, ob zwischen Art. 429a ZGB und Art. 5 Ziff. 5 EMRK Anspruchskonkurrenz besteht (BGE 118 II 259). In der Literatur wird argumentiert, der Anspruchsinhalt von Art. 5 EMRK gehe weiter als Art. 429a ZGB. Deshalb müsse eine Anspruchskonkurrenz bejaht werden (Gross, a.a.O., S. 45 mit Hinweisen).

Ob Anspruchskonkurrenz besteht, kann bei der Frage der Zuständigkeit dahingestellt bleiben. Auch wenn dies bejaht werden müsste, wäre das Verwaltungsgericht zuständige Instanz, da auch hier ein öffentlich-rechtlicher Entschädigungsanspruch im Sinne von § 67 Abs. 1 lit. c VRP vorliegen würde. Es kann auf das Gesagte verwiesen werden. Entgegen der vorinstanzlichen Ansicht liegt bei dieser Zuständigkeitsordnung auch keine unzulässige Gabelung des Rechtsweges vor.

4. Die Rekurrenten stellen neben den Haftungsansprüchen das eigenständige Begehren, es sei die Widerrechtlichkeit der fürsorgerischen Freiheitsentziehung festzustellen. Auch zur Behandlung dieses Punktes ist das Bezirksgericht sachlich nicht zuständig.

Diese Frage steht mit der übrigen Streitsache in engem Zusammenhang. Bei der Beurteilung der Haftungsansprüche ist vorfrageweise über die Widerrechtlichkeit der fürsorgerischen Freiheitsentziehung zu befinden. Unter diesen Umständen ist aber auch das Verwaltungsgericht zur Prüfung des Feststellungsbegehrens zuständig. Ein anderes Vorgehen würde zu einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Gabelung des Rechtsweges führen.

5. Zusammenfassend ergibt sich, dass das Bezirksgericht nicht zuständig ist, die vorliegende Klage an die Hand zu nehmen. Der Rekurs ist deshalb gutzuheissen, die angefochtene Verfügung aufzuheben und auf die Klage nicht einzutreten. Die Angelegenheit ist, wie die Rekursgegner beantragen, dem Verwaltungsgericht zu überweisen.

6. Im Regelfall sind gemäss § 59 Abs. 2 ZPO die Gerichtskosten der unterliegenden Partei aufzuerlegen. Hiervon ist indessen im vorliegenden Fall aufgrund der besonderen Umstände abzusehen. Da keine Gerichtspraxis bezüglich der zuständigen Gerichtsbehörde bei Klagen gemäss Art. 429a ZGB besteht und es dem Rekurrenten nach eigenen Angaben in erster Linie darum ging, die Frage der sachlichen Zuständigkeit durch die obere kantonale Zivilgerichtsinstanz klären zu lassen, um ein für den ganzen Kanton massgebliches Präjudiz zu erhalten, rechtfertigt es sich, entgegen dem Ausgang des Verfahrens auf eine Kostenauflage vor erster und zweiter Instanz zu verzichten (§ 59 Abs. 3 ZPO). Die Parteientschädigung ist bei dieser Kostenverlegung für beide Verfahren wettzuschlagen (§ 62 Abs. 1 ZPO). Auf eine Parteientschädigung zu Lasten der Gerichtskasse besteht, da eine entsprechende gesetzliche Grundlage fehlt und kein «offensichtlicher Fehlentscheid» im Sinne von § 145 Abs. 2 GO vorliegt, kein Anspruch (vgl. EGV 1991, S. 123f.).

(Beschluss vom 13.2.1997; KG 445/96 RK 1).

 

34

Zivilrecht

– Unvollständiges Scheidungsurteil eines ausländischen Gerichtes.

Aus den Erwägungen:

1. c) Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass die Ehe der Parteien mit rechtskräftigem Urteil des High Court of Justice in England aufgelöst worden ist.

2. Ist die Ehe durch Scheidung aufgelöst, werden Eheschutzmassnahmen nach Art. 172ff. ZGB (wie auch vorsorgliche Massnahmen nach Art. 145 ZGB) von Gesetzes wegen hinfällig. Entgegen diesem Grundsatz hat die Vorinstanz festgestellt, dass die vom schweizerischen Richter ausgefällten Eheschutzmassnahmen trotz des rechtskräftigen, anerkannten Scheidungsurteils weitergelten würden. Begründet wurde diese Auffassung unter Verweis auf BGE 111 II 308ff. damit, dass das britische Urteil die Nebenfolgen der Scheidung nicht regle und nach schweizerischer Auffassung deshalb unvollständig sei.

a) Im erwähnten Entscheid hat sich das Bundesgericht zur Frage geäussert, ob von Bundesrechts wegen vorsorgliche Massnahmen bei Teilrechtskraft des Urteils im Scheidungspunkt ergehen können. Das Bundesgericht hat entschieden, dass die Verweigerung der definitiven Rechtsöffnung für Beiträge, die unter dem Titel Eheschutz- oder vorsorgliche Massnahmen ergangen waren, nach Eintritt der Teilrechtskraft des Scheidungsurteil

Art. 4 BV nicht verletzt. Allerdings dürfen solche vorläufigen Massnahmen nach Eintritt der Teilrechtskraft im Scheidungspunkt nicht grundsätzlich und zum vornherein ausgeschlossen werden (Spühler Frei-Maurer, Berner Kommentar, N 62f. zu Art. 145 ZGB). Im Nachgang zu diesem Bundesgerichtsentscheid hat die Zivilkammer des Kantonsgerichtes festgestellt, dass bei Teilrechtskraft des Urteils im Scheidungspunkt vorsorgliche Massnahmen zwar angeordnet werden können, jedoch ein Gesuch der ansprechenden Partei bedingen würde. Die Weitergeltung von Eheschutzmassnahmen, die ihre materiellrechtliche Grundlage in der Unterhaltspflicht der Ehegatten finden, wurde dagegen ausdrücklich verworfen (KG 1987/87 ZK, Beschluss vom 9.2.1988 i.S. E.B. c. G.B.). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten: Ist die Ehe einmal definitiv aufgelöst, so können auf das Eherecht gestützte Unterhaltsleistungen nicht weiterdauern (siehe auch SJZ 1968, S. 104ff).

b) Der Grundsatz, dass mit Auflösung des Statusverhältnisses «Ehe» vorsorgliche Massnahmen, die für die Dauer der Ehe oder das Scheidungsverfahren angeordnet worden waren, von Gesetzes wegen entfallen, gilt um so mehr, da ein Scheidungsurteil nicht nur im Scheidungspunkt, sondern als Endurteil in Rechtskraft erwachsen ist. Das Statusverhältnis «Ehe» ist aufgelöst, auch wenn das Urteil lückenhaft geblieben ist, weil Fragen offen blieben, die bei der Scheidung notwendigerweise geregelt werden müssen. In diesem Fall kommt von Bundesrechts wegen das Nachverfahren zur Ergänzung der Lücken im Scheidungsurteil zur Anwendung. Die Lücke kann dabei die von der Offizialmaxime beherrschte Ordnung der Elternrechte betreffen. Sie kann sich aber auch auf Ansprüche beziehen, die der Parteidisposition unterstehen. Für die Ergänzung eines lückenhaften (schweizerischen) Urteils ist der Richter, der die Scheidung ausgesprochen hat, zuständig (Bühler/Spühler, Berner Kommentar, Vorb. zu Art. 149–157 ZGB, N 19 zu Art. 156 ZGB; Spühler/Frei-Maurer, am gleichen Ort; Hinderling/Steck, Das Schweizerische Ehescheidungsrecht, S. 583, alle mit zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung). In einem derartigen Nachverfahren können analog Art. 145 ZGB durch den zuständigen Richter vorsorgliche Massnahmen für die Dauer des Prozesses erlassen werden (BGE 116 II, S. 97).

c) Das Institut des Nachverfahrens zur Ergänzung einer oder mehrerer Lücken im Scheidungsurteil steht den Parteien auch bei ausländischen Urteilen zur Verfügung. Zuständig hierfür ist grundsätzlich das Gericht, das die Scheidung ausgesprochen hat. Klagen auf Ergänzung von ausländischen Scheidungsurteilen können unter bestimmten Voraussetzungen jedoch in der Schweiz erhoben werden, wenn etwa der Beklagte Wohnsitz in der Schweiz hat oder wenn der Kläger Wohnsitz in der Schweiz hat und sich mindestens ein Jahr in der Schweiz aufhält (Art. 64 i.V.m. Art. 59 IPRG). Wurde demnach in einem ausländischen Scheidungsurteil über Nebenfolgen der Scheidung – etwa infolge Säumnis einer Partei – nicht entschieden, so kann in diesen Fällen der schweizerische Richter angerufen werden (siehe etwa Kommentar Honsell/Vogt/Schnyder, Internationales Privatrecht, N 3 zu Art. 64). Daraus aber ergibt sich, dass dem schweizerischen Ordre public ein ausländisches Scheidungsurteil, bei dem nach schweizerischer Auffassung notwendigerweise zu regelnde Fragen offen blieben, nicht entgegenstehen kann. Selbst ein schweizerisches Urteil, das an einem solchen Mangel leidet, ist nicht absolut nichtig, sondern bedarf der Ergänzung in der beschriebenen Art. Nach einem Entscheid des Bundesgerichts gehört denn auch das dem schweizerischen Scheidungsrecht entspringende Prinzip der Einheit des Scheidungsurteils nicht zum schweizerischen Ordre public (BGE 109 Ib 232ff. = Praxis 1984, Nr. 15; Spühler/Frei-Maurer, a.a.O., Einleitung N 202b). In jenem Fall wurde in einem deutschen Urteil über den Unterhaltsanspruch der Ehefrau (wie auch über die Frage der Schuld am Scheitern der Ehe) nicht entschieden. Diese Lücken wurden ausdrücklich nicht als ordre-public-widrig taxiert. Ein Verstoss gegen fundamentale Grundsätze der schweizerischen Rechtsordnung steht nach Inkrafttreten des IPRG noch weniger zur Diskussion, nachdem dieses Gesetz die Ergänzungsklage zu ausländischen Urteilen vor einem schweizerischen Gericht erleichtert hat (siehe zur früheren Praxis: Bühler/Spühler, a.a.O., N 99 zu Art. 149 – 157 ZGB).

(Beschluss vom 3.2.1997; KG 406/96 RK 2).

 

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Zivilrecht

– Beistandspflicht unter Ehegatten betrifft auch die Finanzierung von Prozessen.

Aus den Erwägungen:

2. a) Mittellosigkeit als Voraussetzung der Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung heisst, dass der Gesuchsteller sämtliche eigenen Hilfsmittel zur Finanzierung des Prozesses erschöpft hat (Sträuli/Messmer, Kommentar zur Zürcherischen Zivilprozessordnung, Zürich 1982, N 3 zu § 84 ZPO). Bedürftig ist ein Gesuchsteller, der die Mittel angreift, deren er zur Deckung des Grundbedarfs für sich und seine Familie bedarf (BGE 119 Ia 11 E. 3a mit Hinweisen). Massgebend ist die gesamte wirtschaftliche Situation zurzeit der Gesuchstellung, das heisst, es ist einerseits sämtlichen finanziellen Verpflichtungen des Gesuchstellers Rechnung zu tragen, und es sind andererseits nicht nur die Einkünfte, sondern auch die Vermögenssituation des Gesuchstellers beachtlich (BGE 120 Ia 181).

b) Die Beistandspflicht bestimmt, ob ein Ehegatte – Ehefrau oder Ehemann – dem andern bei der Wahrung seiner Verteidigungsrechte, insbesondere auch bei der Finanzierung von Prozessen, beizustehen hat (Bräm, Zürcher Kommentar zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch, Das Familienrecht, Teilband II 1c: Die Wirkungen der Ehe im allgemeinen, Zürich 1993, N 130 zu Art. 159 ZGB mit weiteren Verweisen). Die Beistandsleistung muss zumutbar sein. Mit anderen Worten heisst dies, dem ansprechenden Ehegatten müssen die Mittel fehlen und der angesprochene Ehegatte muss dagegen in der Lage sein, den Vorschuss zu bezahlen. In der Regel wird der Prozesskostenvorschuss nicht aus den laufenden Einnahmen bestimmt werden können, sondern muss dem Vermögen entnommen werden. Es sind grundsätzlich Ehemann und Ehefrau zur Leistung eines Prozesskostenvorschusses verpflichtet (Bräm, a.a.O., Art. 159 ZGB N 135). Das Unterhaltsrecht bestimmt, ob solche Auslagen im Einzelfall Unterhalt darstellen (Bräm, a.a.O., N 130 zu Art. 159 ZGB). Nach Art. 163 ZGB gehört zum ehelichen Unterhalt, was aufgrund der Beistandspflicht geschuldet ist und üblicherweise aus dem Einkommen ausgerichtet wird (Hausheer/Reusser/Geiser, Kommentar zum Eherecht, Bern 1988, N 31 zu Art. 159 ZGB). Insoweit das Verfahren, für das die Prozesskostenvorschüsse zu leisten sind, den gemeinsamen ehelichen Bereich beschlägt, gehören die Prozesskostenvorschüsse auch unter den gebührenden Unterhalt (Hasenböhler, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Schweizerisches Zivilgesetzbuch I, Basel und Frankfurt a/Main 1996, N 14 zu Art. 163).

c) Der Hauptprozess betreffend Aufhebung der Unterhaltsrente dient auch der Entlastung der Ehefrau und betrifft den gemeinsamen Bereich. Die Prozesskosten sind demzufolge zum gebührenden Unterhalt zu zählen.

3. Seit Inkrafttreten des neuen ehelichen Unterhaltsrechts fehlt eine gesetzliche Fixierung der Rollenverpflichtung. Frau und Mann sind gleichberechtigt und -verpflichtet. In casu haben der Rekurrent und seine jetzige Ehefrau vereinbart, dass die Ehefrau die Erwerbstätigkeit übernehme und der Rekurrent als Hausmann den Haushalt besorge sowie sich um das gemeinsame Kind kümmere. Demzufolge ist das Einkommen der Ehefrau für den Unterhalt der Familie und deren Bedürfnisse bestimmt.

Es ist nun zu prüfen, ob das Einkommen der Ehefrau für den Unterhalt ausreicht und ob allenfalls das Vermögen der Ehefrau beizuziehen ist.

(Beschluss vom 29.10.1997; KG 162/97 RK 1).

 

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Zivilprozessrecht

– Scheidungsverfahren: Unzulässigkeit neuer Anträge in der Berufungsduplik.

Aus dem Sachverhalt:

Anlässlich der Berufungsverhandlung im Scheidungsverfahren einigten sich die Parteien bezüglich der Regelung des Besuchsrechts. Nach der Befragung der Parteien hielt der Appellant in der Replik an seinen Rechtsbegehren fest. In der Duplik stellte der Rechtsvertreter der Appellatin dagegen verschiedene neue Anträge bezüglich Unterhaltsansprüche der Ehefrau und BVG-Vorsorgeeinrichtung.

Zur Begründung ihrer für dieses Verfahrensstadium «ungewöhnlich» erscheinenden Anträgen, welche eine Klageänderung darstellten, stützt sich die Appellatin auf § 199 ZPO ab. Darauf und auf die weiteren Vorbringen der Parteien wird, soweit dies zur Beurteilung der Berufung erforderlich ist, in den nachfolgenden Erwägungen eingegangen.

Aus den Erwägungen:

2. Vorab ist auf die prozessuale Frage einzugehen, ob die neuen auf § 199 ZPO bzw. das Novenrecht abgestützten Anträge der Appellatin in der Duplik zulässig sind.

a) Gemäss § 199 ZPO sind im Prozess über Scheidung, Trennung oder Ungültigkeit der Ehe Klageänderung und Widerklage auch im Berufungsverfahren zulässig. Der Wortlaut der Bestimmung lässt zunächst die Frage offen, ob die Klageänderung und Widerklage im Berufungsverfahren nur im Scheidungspunkt oder auch bezüglich der Nebenfolgen möglich sind. Der Anwendungsbereich von § 199 ZPO ist einerseits vom Wortlaut her enger als derjenige des von Sträuli/Messmer kommentierten, allgemein für Prozesse über den Personenstand und für familienrechtliche Prozesse anwendbaren § 200 ZPO-ZH, wonach Klageänderung und Widerklage unter den Voraussetzungen des Novenrechts auch für Unterhaltsansprüche unter den Ehegatten nach Art. 151/152 ZGB geltend gemacht werden können (Sträuli/Messmer, Kommentar zur Zürcherischen Zivilprozessordnung, Zürich 1982, S. 347ff., insbes. Rz 29). Andererseits hat das Kantonsgericht schon früher in einem Rekursverfahren festgehalten, dass die Möglichkeit zweitinstanzlicher Klageänderung entsprechend dem bundesrechtlichen Grundsatz, dass die Nebenfolgen, die von Amtes wegen zu ordnen sind, in § 199 ZPO für das Berufungsverfahren des Scheidungs- und Trennungsprozesses ausdrücklich normiert sei und gestützt auf § 210 ZPO auch für das Eheschutzverfahren gelte (KG 134/79 RK 1 vom 8. April 1980 = EGV-SZ 1980, S. 66; vgl. auch Guldener, Schweizerisches Zivilprozessrecht, Zürich 1979, S. 566).

b) Gemäss Art. 158 ZGB werden das Scheidungs- und das Trennungsverfahren und gemäss Art. 136 ZGB auch das Verfahren betreffend die Ungültigkeit einer Ehe durch das kantonale Prozessrecht geordnet unter dem Vorbehalt von fünf Vorschriften. Art. 158 ZGB enthält in Ziff. 1, 3 und 5 die in drei Sätzen niedergelegten Minimalanforderungen, mit denen der Bundesgesetzgeber im Eheungültigkeits-, Ehescheidungs- und Ehetrennungsprozess die Kantone zur «eingeschränkten Offizialmaxime» verpflichtet (Walder, Zivilprozessrecht, Zürich 1996, 4. A., § 18 Rz 3ff.). Art. 158 Ziff. 1 und 3 ZGB beziehen sich nur auf den Scheidungspunkt (Bühler/Spühler, Berner Kommentar, Bern 1980, Art. 158 Rz 39f.). Die die Nebenfolgen der Scheidung betreffende Ziffer 5 von Art. 158 ZGB ist nicht ein spezifisch verfahrensrechtlicher Satz, sondern besagt, dass die Genehmigung des Richters für eine Vereinbarung über die Nebenfolgen Gültigkeitserfordernis ist (Walder, a.a.O., § 18 Rz 7; Hinderling/Steck, Das schweiz. Ehescheidungsrecht, Zürich 1995, S. 515f.), hat aber keinen Einfluss auf die anwendbaren Verfahrensmaximen, wenn im Scheidungsverfahren ohne Konvention über die Nebenfolgen entschieden werden muss. Die Unterhaltsansprüche nach Art. 152 ZGB unterliegen damit nicht der eingeschränkten Offizialmaxime von Art. 158 ZGB, sondern es gilt grundsätzlich die Dispositionsmaxime und die Verhandlungsmaxime (Hausheer/Kocher, Handbuch des Unterhaltsrechts, Bern 1997, Rz 11.64; Bühler/Maurer, Berner Kommentar, Ergänzungsband, Bern 1991, Art. 151 Rz 84). Damit sind die in casu angefochtenen Unterhaltsansprüche unter den Ehegatten nicht von Amtes wegen abzuklären bzw. liegen keine Rechtsverhältnisse vor, über welche die Parteien im Sinne von § 50 Abs. 3 ZPO nicht frei verfügen können, weshalb sich die von der Appellatin beanspruchte Klageänderung bezüglich ihres Unterhaltsanspruches nach Art. 152 ZGB nicht auf § 199 ZPO abstützen lässt und mithin unzulässig ist.

c) Die Möglichkeit einer Klageänderung gemäss § 199 ZPO bezweckt etwa die Umwandlung einer Scheidungs- in eine Trennungsklage oder die Geltendmachung eines Scheidungsanspruches (z.B. Ehebruch durch den Kläger) noch vor zweiter Instanz zu erlauben (vgl. dazu Hinderling/Steck, a.a.O., S. 574f. und 576ff.), wenn Berufung im Scheidungspunkt erhoben wurde. Im Sinne des oben (lit. a) erwähnten Entscheides des Kantonsgerichtes wäre eine Klageänderung allenfalls noch in Sachen möglich, wo von Bundesrechts wegen die uneingeschränkte Offizialmaxime Anwendung findet (z.B. Kinderunterhaltsbeiträge). Die in casu geänderten Begehren bezüglich der der Parteidisposition unterliegenden Unterhaltsbeiträge nach Art. 152 ZGB lassen sich dagegen nicht auf § 199 ZPO abstützen.

3. a) Auch wenn entgegen den bisherigen Erwägungen § 199 ZPO anwendbar wäre, ist zu beachten, dass diese Bestimmung sich nicht dazu äussert, zu welchem Zeitpunkt eine Klageänderung im Berufungsverfahren eingebracht werden muss. Auch wenn das Berufungsverfahren zusammen mit dem erstinstanzlichen Verfahren eine Einheit bildet, wird die Entscheidungsmacht der Rechtsmittelinstanz durch die Berufungsanträge begrenzt. Die Berufungsinstanz überprüft Verfahren und Entscheide der ersten Instanz im Rahmen der Berufungsanträge (§ 201 Abs. 1 ZPO). Mit der Anschlussberufung kann derjenige, welcher unter der Voraussetzung, dass die Gegenpartei kein Rechtsmittel einlege, auf die Ergreifung eines Rechtsmittels verzichten wollte, entsprechend den Bestimmungen für die Hauptberufung die Überprüfungsmöglichkeiten der Berufungsinstanz auch zu Lasten der appellierenden Partei ausdehnen. Die Anschlussberufung muss diesfalls spätestens mit der Berufungsantwort erfolgen (§ 197 ZPO). Wird dann aber auf eine Anschlussberufung verzichtet, ist eine Abänderung des angefochtenen Urteils zuungunsten der appellierenden Partei nicht mehr statthaft. Das Verbot der reformatio in peius gilt auch im Ehescheidungsverfahren (Leuch/Marbach/Kellerhals, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, Bern 1995, Art. 333 N 2.a). § 199 ZPO kann deshalb im Verhältnis zu § 197 ZPO auch für Scheidungs- und Trennungsprozesse nicht die Bedeutung zugemessen werden, dass eine Klageänderung noch im zweiten Vortrag im Berufungsverfahren vorgebracht werden darf, sondern zeitlich ebenfalls auf die Beantwortung der Berufung bzw. die Anschlussberufung beschränkt ist (Sträuli/Messmer, a.a.O., § 200 Rz 4). Die zeitliche Beschränkung der Zulässigkeit einer Klageänderung gemäss § 199 ZPO entspricht dem Gebot einer möglichst raschen Prozesserledigung. Es kann den Parteien kein unbefristetes Recht zukommen, Tatsachen und Beweismittel vorzutragen. Die appellierende Gegenpartei hat zum einen gemäss Art. 4 BV und Art. 6 Abs. 1 EMRK Anspruch auf ein Verfahren innert angemessener Frist und zum andern aufgrund des Verbotes der reformatio in peius Anspruch darauf, dass, nachdem die Appellatin keine Anschlussberufung eingreicht hat, das Urteil nicht zu ihren Ungunsten abgeändert wird (BGE 110 II 114), indem eine höhere Unterhaltsverpflichtung als die angefochtene festgelegt würde.

b) Die Appellatin hat mit ihrer Berufungsantwort keine Anschlussberufung erhoben und keine Klageänderung oder Widerklage im Sinne von § 199 ZPO geltend gemacht, sondern im Gegenteil ausdrücklich die Bestätigung der angefochtenen Dispositivziffern 7 und 8 verlangt. Damit hat sie das durch den Appellanten angefochtene Scheidungsurteil allgemein mit Ausnahme des Besuchsrechtes als richtig erachtet und auf eine Überprüfung durch das Kantonsgericht zu Lasten des Appellanten ausdrücklich verzichtet und so im Berufungsverfahren den Zeitpunkt verstreichen lassen, ihre Rügen am vorinstanzlichen Urteil anzubringen. Die neuen Anträge der Appellatin in der Berufungsduplik sind auch deswegen aus dem Recht zu weisen.

4. Darüber hinaus ist festzuhalten:

a) Die Appellatin macht im Berufungsverfahren duplizierend gestützt auf Art. 22 des Freizügigkeitsgesetzes (FZG) Ansprüche auf Übertragung eines Teils der Austrittsleistung aus der Vorsorgeeinrichtung des Appellanten geltend. Nach Art. 22 FZG, in Kraft per 1. Januar 1995, kann das Gericht bei Ehescheidung bestimmen, dass ein Teil der Austrittsleistung, die ein Ehegatte während der Dauer der Ehe erworben hat, an die Vorsorgeeinrichtung des andern übertragen und auf scheidungsrechtliche Ansprüche, welche die Vorsorge sicherstellen, angerechnet wird. Ein Teil der Austrittsleistung des andern kann demjenigen Ehegatten übertragen werden, dem scheidungsrechtliche Leistungen im Sinne von Art. 151 Abs. 1 oder Art. 152 ZGB zustehen. Diese Leistungen sind als Ersatz oder nachehelicher Ausgleich geschuldet, der durch die Scheidung entstanden ist. Obwohl die Bestimmung als Kann-Vorschrift ausgestaltet ist, muss der Richter prüfen, ob einem Ehegatten Ansprüche aus der Altersvorsorge des andern zustehen, und namentlich dort, wo die finanziellen Verhältnisse eine Rente in genügender Höhe nicht zulassen, muss der Scheidungsrichter von der neuen Möglichkeit Gebrauch machen und einen Teil der Austrittsleistung des einen Ehegatten der Vorsorgeeinrichtung des andern übertragen lassen (vgl. EGV-SZ 1996, Nr. 30 mit Hinweisen u.a. auf BGE 121 III 297). Das FZG ist bereits am 1. Januar 1995 in Kraft getreten. Die entsprechende Begründung der Appellatin für die Klageänderung ist daher nicht im Verlaufe des Berufungsverfahrens, insbesondere nicht nach Erstattung der Berufungsantwort im Jahre 1996, veranlasst worden und kann damit nicht mehr berücksichtigt werden.

b) ...

c) Die Anträge in der Berufungsduplik lassen sich auch nicht auf das beschränkte Novenrecht gemäss § 198 ZPO abstützen, weil die Noven nicht mit den Anträgen des Berufungsverfahrens, d.h. mit der Berufungsantwort bzw. der Anschlussberufung erhoben worden sind (§§ 196ff. ZPO; EGV-SZ 1977, S. 62). Späteres Vorbringen ist nicht mehr möglich. In bezug auf die BVG-Ansprüche weist die Appellatin im übrigen nicht nach, wieso sie

Art. 22 FZG nicht vor der Vorinstanz bzw. aufforderungsgemäss (vgl. Verfügung des Kantonsgerichtspräsidenten act. 10) mit der Berufungsantwort vorgebracht hat.

d) Zusammenfassend sind die neuen Anträge der Appellatin in der Berufungsduplik somit aus dem Recht zu weisen. Die Zulässigkeit der Klageänderung ist als Prozessvoraussetzung von Amtes wegen zu prüfen und zu entscheiden (Habscheid, Schweiz. Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, Basel 1986, Rz 445; Leuch/Marbach/Kellerhals, a.a.O., Art. 94 N 6b; Sträuli/Messmer, a.a.O., § 61 Rz 14; § 97 ZPO). Mangels Zulässigkeit ist auf die beantragte Klageänderung nicht einzutreten.

(Urteil vom 8.9.1997; KG 212/95 ZK).

 

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Zivilprozessrecht

– Kausalhaftung nach § 184 ZPO; Problematik bei Gegenstandslosigkeit der Hauptklage.

Aus den Erwägungen:

Der Widerkläger stützt seinen Schadenersatzanspruch in erster Linie auf die Kausalhaftung nach § 184 ZPO ab. Nach dieser Bestimmung hat der Kläger – auch wenn ihn kein Verschulden trifft – den durch eine vorsorgliche Massnahme verursachten Schaden zu ersetzen, wenn der Anspruch, für den die Massnahme bewilligt wurde, nicht bestand oder nicht fällig war. Die Art. 42 bis 44 OR werden als sinngemäss anwendbar erklärt.

a) § 184 ZPO ist eine Kausalhaftungsnorm des kantonalen Rechts. Sie beruht auf dem Grundgedanken, dass bei einer in Wirklichkeit ungerechtfertigten vorsorglichen Massnahme auch bei Fehlen eines Verschuldens derjenige den Schaden tragen soll, der die Massnahme mit blosser Glaubhaftmachung erwirkt hat. Es handelt sich dabei um eine nicht unbillige Durchbrechung des Grundsatzes, dass jedermann zur Durchsetzung vermeintlicher Ansprüche behördlichen Schutz beanspruchen darf und dass sein Gegner die ihm dadurch zugefügte Schädigung auf sich zu nehmen hat (Sträuli/Messmer, Kommentar zur Zürcherischen Zivilprozessordnung, N 5 zu § 230). Wo sich vorsorgliche Massnahmen auf kantonales Prozessrecht abstützen, ist die im kantonalen Recht vorgesehene Kausalhaftung zulässig (BGE 88 II 278, 93 II 183; vgl. auch Art. 332 ZPO BE). Daneben steht dem durch eine ungerechtfertigte vorsorgliche Massnahme Betroffenen überdies die bundesrechtliche Haftungsnorm aus unerlaubter Handlung nach Art. 41ff. OR zu Gebote.

b) Voraussetzung dieser strengen Haftung ist der Nachweis, dass der Anspruch, für den die Massnahme gewährt wurde, nicht bestand. Dieser Nachweis wird sich gewöhnlich im anschliessenden ordentlichen Prozess ergeben. Nicht ausgeschlossen werden darf die Haftung jedoch, wenn der Anspruch, für den die vorsorgliche Massnahme bewilligt wurde, nicht mehr beurteilt werden kann, sei es, dass die Hauptklage nicht erhoben wird oder diese – wie im vorliegenden Fall – infolge Gegenstandslosigkeit hinfällig wird. Dem möglicherweise durch eine vorsorgliche Massnahme Geschädigten darf die Berufung auf die Kausalhaftung in solchen Fällen nicht mit der blossen Begründung verwehrt werden, die Unbegründetheit des Hauptanspruchs könne mangels materieller Beurteilung nicht mehr festgestellt werden. Andernfalls könnte der Kläger, der auf die Einleitung des ordentlichen Prozesses verzichtet, sich leichthin der strengen gesetzlichen Kausalhaftung entziehen. Der von einer vorsorglichen Massnahme Betroffene hat somit die Möglichkeit nachzuweisen, dass der Anspruch des Klägers unbegründet war (siehe auch Sträuli/Messmer, a.a.O., N 10 zu § 230).

c) Im vorliegenden Fall konnte infolge Gegenstandslosigkeit der Hauptklage keine materielle Beurteilung erfolgen. Die Frage, ob der von den Klägern gestützt auf Art. 679/684 ZGB geltend gemachte nachbarrechtliche Abwehranspruch begründet war oder nicht, blieb offen. Allerdings hatte das Kantonsgericht im Beschluss vom 4. Oktober 1993 festgestellt, dass nicht glaubhaft gemacht worden sei, dass unzumutbare, übermässige Einwirkungen auf die Nachbargrundstücke mit dem Betrieb X. fast unausweichlich verbunden und deshalb mit Sicherheit, jedenfalls mit höchster Wahrscheinlichkeit zu erwarten seien. Eine abschliessende Beurteilung konnte und durfte die Rekurskammer bei der Beurteilung der vom Einzelrichter angeordneten Massnahmen jedoch nicht vornehmen. So wurde denn auch ausdrücklich unter Erw. 5 vermerkt, dass der im eingeleiteten ordentlichen Prozess vom Bezirksgericht zu fällende Entscheid dadurch selbstverständlich nicht präjudiziert werde und es den Klägern unbenommen sei, anhand von Erfahrungen mit anderen Betrieben gleicher Art nachzuweisen, dass der Betrieb praktisch unausweichlich mit unzumutbaren Immissionen für die Nachbarn verbunden sei.

d) Die Beurteilung einer Präventivklage zum Schutz vor zukünftigen Immissionen hängt von einem sachlichen Abwägen der beiderseitigen Interessen ab und ist letztlich ein richterlicher Ermessensentscheid. Die im Hauptprozess vorgelegene Aktenlage und das von den Parteien Vorgebrachte lassen rückblickend nicht den eindeutigen Schluss zu, dass die Klage hätte abgewiesen werden müssen. Insbesondere haben die Kläger in der Klagereplik vom 15. März 1994, S. 10, taugliche Beweisabnahmen, wie Augenschein bei bestehenden Betrieben sowie die Befragung von Anwohnern, gefordert. Die Möglichkeit, dass bei Abnahme dieser Beweise ein richterliches präventives Nutzungsverbot erlassen worden wäre, kann nicht ausgeschlossen werden. Dass dem nicht so sein könnte, vermag der Widerkläger nicht nachzuweisen. Sicher ist dieser Negativbeweis nicht leicht erbringbar. Nachdem jedoch die Widerbeklagten erstinstanzlich entsprechende Behauptungen aufgestellt hatten und behaupteten, dass von Betrieben der genannten Art aller Wahrscheinlichkeit nach übermässige Immissionen ausgehen und hiezu auch Beweismittel nannten, hätte es am Widerkläger gelegen, sich hiezu dezidiert zu äussern und beispielsweise durch entsprechende Sachvorbringen und Beweisofferten darzutun, dass bei solchen Betrieben sicher keine übermässigen Immissionen auf die Nachbarschaft zu erwarten seien. Dem Schadenersatz fordernden Widerkläger oblag in diesem Punkt die Beweislast. Dieser Pflicht ist er nicht in genügender Weise nachgekommen. Allein der Hinweis auf den Beschluss des Kantonsgerichtes vom 4. Oktober 1993 sowie den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 31. August 1993 genügte hierfür nicht. Wenn das Verwaltungsgericht übermässige Immissionen verneinte, so beurteilte dieses die Immissionsfrage allein aus baupolizeilicher und öffentlichrechtlicher Sicht und nicht unter dem Aspekt von Art. 679/684 ZGB.

Die hier gestellten Anforderungen an die Substantiierungs- und Beweispflicht erscheinen im übrigen nicht als übersetzt, zumal grundsätzlich der Widerkläger die Gegenstandslosigkeit der Immissionsklage verursacht hat. Nach den vorgelegenen Entscheiden wäre der Widerkläger im Laufe des Oktobers 1993 nämlich befugt gewesen, den Betrieb zu eröffnen. Welche Gründe ihn letztlich veranlassten, auf die Eröffnung zu verzichten, kann in diesem Verfahren nicht beurteilt werden, jedenfalls hat prozessrechtlich die beklagte Partei die Gegenstandslosigkeit der Immissionsklage zu verantworten.

e) Ist nicht nachgewiesen, dass die präventive Immissionsklage der Widerbeklagten im Falle ihrer materiellen Beurteilung unbegründet war, so entfällt die Kausalhaftung nach § 184 ZPO. Diese Haftungsnorm greift auch nicht, weil – wie aus dem Beschluss des Kantonsgerichtes vom 4. Oktober 1993 zu folgern ist – das vom Einzelrichter ausgesprochene Benutzungsverbot zu Unrecht erlassen wurde. Eine Kausalhaftung bloss wegen zu Unrecht angeordneter vorsorglicher Massnahmen – also losgelöst von der Begründetheit des Hauptanspruches – kennt die schwyzerische ZPO nicht. Eine Kausalhaftung auch für den Fall unbegründeter vorsorglicher Massnahmen fand sich – soweit überblickbar – nur in der alten Fassung der Zivilprozessordnung des Kts. Bern. Diese Haftungsnorm gemäss Art. 332 aZPO-BE wurde mit der Revision von 1989 geändert und die Kausalhaftung analog der Schwyzer Regelung für bloss jene Fälle belassen, in denen vorsorgliche Massnahmen ergingen, obwohl ihnen ein materiellrechtlicher Anspruch nicht zugrunde lag (siehe dazu Leuch/Marbach/Kellerhals, Kommentar zur Zivilprozessordnung des Kts. Bern, N 3a zu Art. 332; siehe zur alten Regelung, Kommentar Leuch, Ausgabe 1956, N 3 zu Art. 332, welcher Autor die nun aufgegebene Regelung kritisierte).

(Urteil vom 25.2.1997; KG 21/95 ZK).

 

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Strafprozessrecht

– Haftbeschwerde; Einschränkung des Rechts auf Akteneinsicht.

Aus den Erwägungen:

Der Untersuchungsrichter hat der Verteidigung bis heute nur eingeschränkt Gelegenheit gegeben, in die Akten der Strafuntersuchung Einblick zu nehmen. Zur Verfügung gestellt wurden der Verteidigung ..... Verweigert hat der Untersuchungsrichter sodann dem Verteidiger (und seinen Büropartnern) bis auf weiteres den freien mündlichen und schriftlichen Verkehr zum Angeschuldigten. Diese Einschränkungen der Verteidigungsführung werden im vorliegenden Beschwerdeverfahren kritisiert. In seiner Zusatzeingabe vom 14. April 1997 beantragt der Vertreter des Beschwerdeführers, der Untersuchungsrichter sei anzuweisen, der Verteidigung alle Haftakten zu eröffnen; nur so sei eine wirksame Beschwerdebegründung möglich. Ohne vorgelegte Haftbegründungsakten sei davon auszugehen, dass keine Haftgründe bestehen und die angeordnete Haft deshalb widerrechtlich sei.

Zuständig für die Verfahrensleitung ist der Untersuchungsrichter. Ihm obliegt zu bestimmen, ob Gründe für eine Verweigerung oder Einschränkung des Akteneinsichtsrechts und eine Beschränkung des freien Anwaltsverkehrs nach § 66 Abs. 2 und 3 StPO gegeben sind. Diese Zuständigkeitsordnung ist auch im Haftprüfungsverfahren vorgegeben, und es liegt nicht am Haftprüfungsrichter, durch anderweitige Anordnungen in die Untersuchungsführung einzugreifen. Dies gilt auch für die Frage, ob der Verteidiger als Amtsverteidiger einzusetzen ist und für dessen Vergütung ein Betrag freizugeben ist. Im Rahmen der Haftbeschwerde ist nur die Rechtmässigkeit eines Haftbefehls resp. die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft zu prüfen, und es können im übrigen Rügen gegen die Haftbedingungen vorgetragen werden (§ 28 Abs. 1 StPO). Gegen die Untersuchungsführung ist das Rechtsmittel der Beschwerde nach Massgabe von § 140 StPO bei der Staatsanwaltschaft gegeben und anschliessend an das Kantonsgericht (2. Rekurskammer) als obere Beschwerdeinstanz.

Für die Haftprüfung ist dem Umstand, dass vorliegend das Akteneinsichtsrecht der Verteidigung beschränkt wird, entsprechende Beachtung zu schenken. Zu beurteilen ist, ob die Haft aufgrund der der Verteidigung eröffneten Akten sowie aufgrund der Untersuchungshandlungen, an denen der Angeschuldigtenvertreter teilnehmen konnte, begründet erscheint. Erschiene die Haft nur aufgrund solcher Akten oder Untersuchungsergebnisse, die der Verteidigung nicht zur Kenntnis gebracht wurden, begründbar, so wäre die Rechtmässigkeit der Haft zu verneinen. Der Angeschuldigte und die Verteidigung haben nämlich einen Anspruch darauf, dass ihnen diejenigen Akten zur Kenntnis gebracht werden, die in bezug auf die Frage der Untersuchungshaft entscheidend sind und ihnen so erlauben, die behördlichen Vorbringen mit dem notwendigen Wissen im Haftprüfungsverfahren zu bestreiten (Praxis 1990, Nr. 214, S. 762f.). Es ist im folgenden somit zu prüfen, ob aufgrund der der Verteidigung bekannten Tatsachen der dringende Tatverdacht sowie ein spezieller Haftgrund nach § 26 StPO anzunehmen ist.

(Verfügung vom 16.4.1997; KG 153/97 GP).

 

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Schuldbetreibungs- und Konkursrecht

– Einrede des mangelnden neuen Vermögens und Rechtsvorschlag; Übergangsrecht.

Aus den Erwägungen:

6. a) Die betreibungshemmende Wirkung des mit der Einrede mangelnden neuen Vermögens begründeten Rechtsvorschlages konnte vor Inkrafttreten des revidierten SchKG am 1. Januar 1997 nur auf Klage des Gläubigers hin im beschleunigten Verfahren durch den Einzelrichter beseitigt werden (Art. 265 Abs. 3 aSchKG, § 11 Ziff. 6 aEVzSchKG). Bis zu diesem Entscheid blieb die Betreibung eingestellt (Fritzsche/Walder, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Bd. II, Zürich 1993, § 53 Rz 10). Das beschleunigte Verfahren sollte logischerweise vor dem Rechtsöffnungsverfahren durchgeführt werden, da es dabei um die Frage geht, ob die Betreibung überhaupt rechtsgültig angehoben werden kann, währenddem im Rahmen der Rechtsöffnung über die Zulässigkeit der Fortsetzung der Betreibung zu entscheiden ist (BGE 109 III 10, wo jedoch auch auf die Möglichkeit einer Aufsichtsbeschwerde hingewiesen wird, für den Fall, dass die Betreibung nach erteilter Rechtsöffnung ohne Entscheid über die Einrede mangelnden Vermögens fortgesetzt werden sollte). Gemäss revidiertem SchKG wird zunächst in einem gerichtlichen Bewilligungsverfahren geprüft, ob neues Vermögen vorliegt oder nicht (Art. 265a Abs. 1 bis 3 SchKG: der Einzelrichter im summarischen Verfahren gemäss § 12 Abs. 1 Ziff. 12 EVzSchKG). Die im Bewilligungsverfahren unterliegende Partei kann dann beim Richter des Betreibungsortes Klage einreichen. Die Klage wird im beschleunigten Verfahren beurteilt (Art. 265a Abs. 4 SchKG: der Einzelrichter gemäss § 13 Ziff. 6 EVzSchKG; vgl. zum Ganzen auch Botschaft zum nSchKG in BBl 1991, III, S. 158f.).

b) Gemäss Art. 2 Abs. 1 der Übergangsbestimmungen des revidierten SchKG sind die neuen Bestimmungen mit ihrem Inkrafttreten auf hängige Verfahren anwendbar, soweit sie mit ihnen vereinbar sind. Vorliegend ist noch das alte SchKG anwendbar, weil der Gläubiger mit Klage vom 3. Dezember 1996 im ordentlichen Zivilprozess (Anerkennungsverfahren) die Erteilung der definitiven Rechtsöffnung beantragt hat, ohne die Einrede mangelnden neuen Vermögens zuvor im beschleunigten Verfahren zu beseitigen. Damals war jedenfalls der Betreibungsbeamte noch nicht gehalten, von sich aus dem Richter des Betreibungsortes den Rechtsvorschlag zur Bewilligung im Sinne von Art. 265a Abs. 1 nSchKG vorzulegen. Da die Betreibung nach altem Recht bis zur gerichtlichen Feststellung neuen Vermögens eingestellt zu bleiben hat, hätte der Vorderrichter im Anerkennungsverfahren auf das Begehren der Erteilung der definitiven Rechtsöffnung nicht eintreten dürfen, bevor nicht rechtskräftig, allenfalls im beschleunigten Verfahren, ein Entscheid über das Vorhandensein neuen Vermögens gefällt worden ist (vgl. auch ZR 96, Nr. 56, worin entgegen u.a. Amonn/Gasser, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, Bern 1997, § 49 Rz 46 auch für den revidierten Art. 265a SchKG an der bisherigen Praxis, auf ein Rechtsöffnungsverfahren nicht einzutreten, solange über die Einrede mangelnden neuen Vermögens nicht definitiv entschieden worden ist, festgehalten wird). Auch nach revidierten Recht hätte auf die beantragte Rechtsöffnung nicht eingetreten werden dürfen, weil im vorliegenden Fall nicht einmal das summarische Bewilligungsverfahren durchgeführt worden ist, um so mehr als der Betreibungsbeamte verpflichtet ist, einen mit der Einrede mangelnden neuen Vermögens begründeten Rechtsvorschlag dem Richter vorzulegen.

(Urteil vom 9.12.1997; KG 91/97 ZK).

 

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Schuldbetreibungs- und Konkursrecht

– Paulianische Anfechtung; Umfang der Rückgabepflicht nach Art. 291 SchKG.

Aus den Erwägungen:

Nach dem Gesagten steht fest, dass die Zahlung im Betrag von Fr. 80000.– sowohl unter dem Gesichtspunkt der Überschuldungspauliana als auch der Absichtspauliana anfechtbar ist. Die Rückgabepflicht richtet sich nach Art. 291 SchKG.

a) Bestand – wie vorliegend – die anfechtbare Rechtshandlung in der Tilgung einer Forderung, so tritt dieselbe mit der Rückerstattung des Empfangenen wieder in Kraft (Art. 291 Abs. 2 SchKG). Die ursprüngliche Forderung des Anfechtungsbeklagten lebt im Umfang des Empfangenen kraft Gesetzes wieder auf (Kommentar Jäger, N 5 zu Art. 291 SchKG; Kreisschreiben des Bundesgerichts Nr. 10 vom 9. Juli 1915, in: BGE 41 III 240 ff.). Im Konkursverfahren erhält der Anfechtungsbeklagte mit der Rückgabe des Empfangenen das Anrecht auf Teilnahme am Konkursergebnis für diese Forderung gleich den anderen gewöhnlichen Konkursgläubigern. Auch wenn wie im vorliegenden Fall der Konkurs bereits geschlossen und der Masseanspruch an einen einzelnen Konkursgläubiger abgetreten wurde, muss die Beklagte die Möglichkeit haben, ihren Anspruch auf die konkursmässige Dividende als Einrede entgegenzuhalten. Diesen Grundsatz hat das Bundesgericht im erwähnten Kreisschreiben festgehalten und angefügt, «dass das durch die Anfechtungsklage erstrittene neue Massevermögen in erster Linie zur Deckung des Dividendenanspruchs des Anfechtungsbeklagten zu verwenden und als Prozessgewinn in diesen Fällen nicht der volle Betrag der getilgten Forderung, sondern nur die Differenz zwischen diesem und der Summe, auf welche der Anfechtungsbeklagte als gewöhnlicher Konkursgläubiger Anspruch hat, zu betrachten sei».

b) Die Klägerin hält die von der Beklagten neu im Berufungsverfahren erhobene «Verrechnungseinrede» für verspätet. Dieser Einwand ist unbegründet. Wie erwähnt, lebt die anfechtbar getilgte Forderung der Beklagten kraft Gesetzes wieder auf, womit es Sache der richterlichen Rechtsanwendung ist, den Dividendenanspruch der Anfechtungsbeklagten zu beurteilen und im Sachentscheid zu berücksichtigen. Die prozessuale Behauptungs- und Beweispflicht der Anfechtungsbeklagten besteht immerhin soweit, als sie dem Richter die Tatsachen vorzutragen und zu beweisen hat, aufgrund derer er die Dividendenberechnung vornehmen kann.

c) Vorliegend wurde von keiner Partei nachgewiesen, dass die anfechtbar getilgte Forderung der Beklagten im Rahmen des Konkursverfahrens als bedingte Forderung Aufnahme in den Kollokationsplan fand. Mangels dieses Nachweises ist davon auszugehen, dass dies entgegen dem bundesgerichtlichen Kreisschreiben Nr. 10 nicht geschah. Dieser Umstand hat zur Folge, dass die Dividende bezüglich der wiederauflebenden Forderung nicht mit der der Beklagten obliegenden Ersatzleistung verrechnet werden kann (BGE 89 III 22). In diesem Entscheid nämlich hat das Bundesgericht festgestellt, dass die Kollokation der wiederauflebenden Forderung nach Abschluss des Anfechtungsprozesses nachzuholen sein wird und der Ausgang eines allfälligen Kollokationsstreites vorbehalten bleibt. Im Unterschied zum heutigen Prozess wurde in jenem Fall jedoch von den Anfechtungsklägern nicht die Erbringung der Leistung an sie, sondern an die Konkursmasse beantragt. Die Gefahr, dass der Anfechtungsbeklagte sein allfälliges Konkursbetreffnis nicht aus dem fraglichen Ersatzbetrag werde beziehen können, bestand somit nicht. Vorliegend jedoch hat die Klägerin beantragt, dass der Gesamtbetrag an sie auszubezahlen sei. Würde diesem Begehren stattgegeben, bestünde die Gefahr, dass die Beklagte ihres allfälligen Dividendenanspruches verlustig ginge. Das zu verhindern war eindeutig Ziel und Zweck des fraglichen Kreisschreibens. Entscheidend ist, dass nach der bundesgerichtlichen Praxis (siehe auch BGE 41 III 73) der Prozessgewinn des Anfechtungsklägers nicht im vollen Betrag der getilgten Forderung bestehen kann, sondern nur in der Differenz zwischen dieser Forderung und der Summe, auf welche der Anfechtungsbeklagte als Konkursgläubiger Anspruch hätte. Es liegt in diesem Fall nicht ein Verrechnungstatbestand vor, da nicht materiell über den Dividendenanspruch des Anfechtungsbeklagten entschieden wird. Vielmehr ist – was sich mittelbar auch aus dem Bundesgerichtsentscheid 89 III 22 ergibt – dem Anfechtungsbeklagten ein Rückbehaltungsrecht einzuräumen. Anders wäre womöglich zu entscheiden, wenn die Klägerin die Rückerstattung der Forderung im Umfang des allfälligen Dividendenanspruchs nicht an sich, sondern an die Konkursmasse verlangt hätte, womit die Kollokation der Forderung nachgeholt werden könnte.

(Urteil vom 21.1.1997; KG 345/95 ZK).

 

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Schuldbetreibungs- und Konkursrecht

– Kein Anspruch auf öffentliche Verhandlung über die Frage der unentgeltlichen Rechtspflege.

Aus den Erwägungen:

Der Rekurrent beantragt die Durchführung einer öffentlichen und mündlichen Verhandlung zur Frage der Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im Rechtsöffnungsverfahren.

a) Jedermann hat Anspruch darauf, dass seine Sache ... öffentlich ... gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht, das über zivilrechtliche Ansprache und Verpflichtungen ... zu entscheiden hat. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden (Art. 6 Ziff. 1 EMRK).

Art. 6 EMRK kommt in allen Verfahren zur Anwendung, in denen über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen einer Person entschieden wird (Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, 1993, Rz 374). Diese Bestimmung setzt eine Streitigkeit voraus, welche auch zwischen einer Privatperson und einer Verwaltungsbehörde bestehen kann. Sie liegt darin, dass einer Privatperson von einer Behörde die Ausübung eines Rechts untersagt (Berufsverbot) bzw. eingeschränkt (Bauverbot) werden soll (Villiger, a.a.O., Rz 375). Die EMRK-Organe erachten alle jene Rechte als zivilrechtlich, denen eine privat vertragliche Ausgestaltung zugrunde liegt bzw. die Vermögensrechte betreffen (Villiger, a.a.O., Rz 378).

b) Unter diesen Umständen fällt die umstrittene Nichtbewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege nicht in den Schutzbereich von Art. 6 EMRK. Insbesondere liegt eine Streitigkeit zwischen einer Privatperson und einer Verwaltungsbehörde im Sinne der vorgenannten Bestimmung nicht vor, denn mit dem Entscheid über die Bestätigung der vorinstanzlich verfügten Nichtbewilligung des Armenrechts untersagt das Kantonsgericht dem Rekurrenten nicht die Ausübung eines Rechts oder schränkt die Ausübung eines Rechts ein. Gemäss Rechtsprechung der EMRK-Organe fallen denn auch namentlich Verfahren, in denen über die Kostenauflage entschieden wird, nicht unter den Schutzbereich von Art. 6 EMRK (Villiger, a.a.O., Rz 387). Wird dem Rekurrenten die unentgeltliche Prozessführung nicht bewilligt, wirkt sich dies auch auf den Entscheid über die Kostenauflage aus, denn die Gerichtskosten werden ihm überbunden, wenn er – wie im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren geschehen – unterliegt. Somit fehlt es im vorliegenden Verfahren an einer Streitigkeit im Sinne von Art. 6 EMRK. Darüber hinaus ist das Recht des Rekurrenten auf unentgeltliche Prozessführung im Sinne der vorgenannten Bestimmung nicht als zivilrechtlich zu qualifizieren, denn es liegt keiner privatvertraglichen Ausgestaltung zugrunde. Es fehlt somit an einer zivilrechtlichen Streitigkeit im Sinne von Art. 6 EMRK, weshalb sich der Rekurrent auf diese Bestimmung nicht berufen kann. Er hat demnach keinen Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich gehört wird.

(Beschluss vom 16.6.1997; KG 71/97 RK 1).

 

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Schuldbetreibungs- und Konkursrecht

– Im Vollstreckungsverfahren gegen einen Unterhaltspflichtigen darf nicht ins Existenzminimum eingegriffen werden, wenn das Gemeinwesen als Gläubiger auftritt.

Aus den Erwägungen:

a) Anders als bei der Bemessung von Unterhaltsbeiträgen im Massnahme- und Eheschutzverfahren, wo dem Unterhaltsverpflichteten das betreibungsrechtliche Existenzminimum grundsätzlich zu belassen ist, sind im Vollstreckungsverfahren vorübergehende Eingriffe in das Existenzminimum des Unterhaltsverpflichteten im beschränkten Umfang zulässig. Das Vorrecht des Unterhaltsgläubigers auf Eingriff in das Existenzminimum des Schuldners besteht für Unterhaltsforderungen aus dem letzten Jahr vor der Zustellung des Zahlungsbefehls. Da es sich um ein privilegium personae handelt, steht es ausschliesslich dem Berechtigten selbst zu, haftet also nicht an der Forderung, weshalb es von einem Dritten – selbst im Falle von Art. 289 Abs. 2 ZGB, wonach der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge auf das Gemeinwesen übergeht, das für den Unterhalt aufkommt – nicht geltend gemacht werden kann (Amonn/Gasser, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, Bern 1997, § 23 Rz 69; Fritzsche/Walder, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweiz. Recht, Bd. I, Zürich 1984, § 24 Rz 67f.; Hausheer/Kocher, Handbuch des Unterhaltsrechts, Bern 1997, Rz 12.49ff.). Abweichend vom Grundsatz in Art. 93 Abs. 1 SchKG, dass das Einkommen von der Pfändung ausgeschlossen ist, soweit es nach dem Ermessen des Betreibungsbeamten für den Schuldner und seine Familie unumgänglich notwendig ist, besteht das Vorrecht, für Unterhaltsbeiträge ausnahmsweise in den Notbedarf des Schuldners einzugreifen, aber nur unter zwei Voraussetzungen. Erstens darf das Einkommen des Gläubigers zur Deckung seines eigenen Notbedarfs nicht ausreichen und falls dies zutrifft, müssen sich zweitens Schuldner und Gläubiger im gleichen Verhältnis einschränken. Die Ausnahme ist also klar erkennbar von einer sozialpolitischen Überlegung bestimmt, die bezüglich des Gemeinwesens nicht gilt, weil dieses sich nie in einer dem Unterhaltsberechtigten vergleichbaren Notlage befindet (BGE 116 III 114; 121 I 102 E. 3b; a.M. Breitschmied, SJZ 1992, S. 64ff.). Die Gemeinde bzw. die Fürsorgebehörde kann sich deshalb nicht auf das Vorrecht, bei der Erwerbseinkommenspfändung gemäss Art. 93 SchKG in das Existenzminimum des Beschwerdeführers eingreifen zu dürfen, abstützen.

b) Von dieser Rechtsprechung darf auch nicht abgewichen werden, wenn dem Unterhaltspflichtigen entgegenzuhalten ist, dass er bei gutem Willen mehr verdienen könnte. Es ist für das Vorrecht, in das Existenzminimum einzugreifen, unzulässig, (negativ) die neue Voraussetzung zu schaffen, dass der Schuldner leistungswillig sei, weil er mehr verdienen könnte, weshalb (hypothetisch) kein Eingriff in das Existenzminimum vorliegen würde (BGE 116 III 10ff.). Allein schon deshalb geht auch die dem angefochtenen Entscheid zugrunde gelegte Auffassung, dass dem Beschwerdeführer gestützt auf die rechtskräftigen Massnahmeentscheide (zuletzt KG 164/96 RK 1 vom 11. September 1996) hypothetisch zumutbares Einkommen von monatlich Fr. 3000.– anzurechnen sei, weshalb im konkreten Fall gar nicht in dessen Notbedarf eingegriffen werde bzw. der Beschwerdeführer aufgrund des Vorrechtes des Unterhaltsgläubigers einen Eingriff in das Existenzminimum hinzunehmen hätte, fehl. Überdies ist bei der Frage, ob Einkommen pfändbar ist, anders als im Massnahme- oder Eheschutzverfahren auf das effektive und nicht auf das hypothetische Einkommen abzustellen, weil im Zeitpunkt der Pfändung die Einkünfte nur soweit gepfändet werden dürfen, als sie den Notbedarf übersteigen bzw. bei der Betreibung von Unterhaltsbeiträgen unter Familienangehörigen, als der Notbedarf im gleichen Verhältnis eingeschränkt wird. Der Betreibungsbeamte hat die tatsächlichen Verhältnisse, die zur Ermittlung des pfändbaren Erwerbseinkommens nötig sind, von Amtes wegen abzuklären (BGE 119 III 71, 112 III 21).

(Beschluss vom 11.9.1997; KG 301/97 RK 2).

 

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Schuldbetreibungs- und Konkursrecht

– Kann sich der Zessionar auf ein vom Zedenten erstrittenes Urteil als definitiven Rechtsöffnungstitel berufen?

Aus den Erwägungen:

1. Beruht die Forderung auf einem vollstreckbaren gerichtlichen Urteil, so kann der Gläubiger nach Art. 80 Abs. 1 SchKG beim Rechtsöffnungsrichter die Aufhebung des Rechtsvorschlages (definitive Rechtsöffnung) verlangen. Ob sich der betreibende Gläubiger aber auf einen definitiven Rechtsöffnungstitel abzustützen vermag, hat der Rechtsöffnungsrichter von Amtes wegen zu prüfen.

a) Der in Betreibung gesetzte Betrag von Fr. ... beruht auf der im Urteil des Obergerichts des Kantons Z. vom 21. Januar 1997 zugesprochenen Parteientschädigung. Die betriebene Forderung wurde vor Anhebung der Betreibung an den Rekursgegner abgetreten.

b) Ob der Zessionar sich auf ein vom Zedenten erstrittenes Urteil als definitiven Rechtsöffnungstitel abzustützen vermag, ist in der Rechtsprechung umstritten. Dies wurde im Falle eines gerichtlichen Vergleiches bejaht, weil wie ein gerichtliches Urteil auch der gerichtliche Vergleich seine Eigenschaft als definitiver Rechtsöffnungstitel mit der Abtretung der darin anerkannten Forderung nicht verliere. Abgetreten werden nach Art. 170 Abs. 1 OR mit der Forderung auch die Vorzugs- und Nebenrechte, soweit diese nicht untrennbar mit der Person des Abtretenden verknüpft seien. Zu diesen Vorzugs- und Nebenrechten würden auch die mit einer Forderung verbundenen Exekutionsrechte gehören, die im allgemeinen nicht höchstpersönlicher Natur seien. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts könne der Zessionar die vom Zedenten angehobene Betreibung weiterführen, weshalb nicht einzusehen sei, wieso der Zessionar, wenn die Abtretung ausserhalb der Betreibung erfolge, in bezug auf die Vollstreckbarkeit der Forderung schlechter gestellt sein solle, als der Zedent (BlSchK 1954, S. 140 mit Hinweisen u.a. auf BGE 49 III, Nr. 7). Anders entschieden wurde aber auch schon mit der Begründung, dass im Falle der Zession der Zessionar nur provisorische Rechtsöffnung und nicht die definitive Rechtsöffnung verlangen kann, da dem Schuldner die Erhebung persönlicher Einreden gegen den Zessionar nicht vorenthalten werden darf (Brügger, SchKG schweiz. Gerichtspraxis 1946–1984, Art. 80 N 73 = SJZ 1961, S. 372).

c) Mit der Abtretung der Forderung gehen die Vorzugs- und Nebenrechte über, mit Ausnahme derer, die untrennbar mit der Person des Abtretenden verknüpft sind (Art. 170 Abs. 1 OR). Als Vorzugsrecht gehen von Gesetzes wegen die Betreibungsrechte in der Zwangsvollstreckung über (Spirig, Kommentar, Zürich 1993, Rz 12f. zu Art. 170 OR). Durch die Zession darf der Schuldner aber nicht schlechter gestellt werden, weshalb ihm Einwände etwa gegen die Gültigkeit der Zession selber, alle Verteidigungsmittel, die er gegen den Zedenten gehabt hätte, und zudem alle persönlichen Einreden gegen den Erwerber, insbesondere auch die Verrechnungseinrede zustehen (Girsberger, OR-Kommentar, Basel 1996, Art. 169 Rz 1, Spirig, a.a.O., Rz 30ff., 48ff. und 55 zu Art. 169 OR; BGE 91 III 7ff.). Die Abtretung einer Forderung, welche sich wie vorliegend auf einen definitiven Rechtsöffnungstitel abstützt, eröffnet dem Schuldner mithin aufgrund des Abtretungsrechts Einredemöglichkeiten, welche ihm bei einer definitiven Rechtsöffnung, die den Gang in ein ordentliches Verfahren (Aberkennungsprozess bei provisorischer Rechtsöffnung) verunmöglicht, abgeschnitten werden. Es ist daher im Hinblick auf den Grundsatz des Schuldnerschutzes im Abtretungsrecht begründet, dass der Zessionar in bezug auf die Vollstreckbarkeit der abgetretenen Forderung anders behandelt wird als der Zedent (dies entgegen BlSchK 1954, S. 140) und allenfalls nur die provisorische Rechtsöffnung erteilt wird. Würden dem Schuldner die Einredemöglichkeiten in der Zwangsvollstreckung durch die Erteilung der definitiven Rechtsöffnung dagegen abgeschnitten, würde dies dem grundlegenden Zweck der Zwangsvollstreckung, gerichtlich festgestellten oder unbestrittenen Ansprüchen zur Durchsetzung zu verhelfen, widersprechen. Umgekehrt ist der Entscheid, welche Rechtsöffnungsart bei der Abtretung einer grundsätzlich auf einem definitven Rechtsöffnungstitel basierenden Forderung zur Anwendung gelangt, ein rein betreibungsrechtliches Problem, welches im weiteren das gestützt auf Art. 170 Abs. 1 OR an den Zessionar übergegangene Recht, den Schuldner zu betreiben, grundsätzlich nicht in Frage stellt.

d) An diesem Ergebnis ändert § 164 Abs. 1 ZPO nichts, wonach die Anordnungen und Feststellungen im Dispositiv eines Urteils die Gerichte in einem späteren Prozess zwischen den gleichen Parteien oder ihren Nachfolgern in die beurteilten Rechte oder Pflichten binden. Damit erstreckt sich die Rechtskraft des Urteils des Obergerichts des Kantons Z. zwar auf den Rekursgegner als Einzelrechtsnachfolger der X. AG insofern, als dem Rekursgegner nicht mehr entgegengehalten werden kann, diese Forderung habe im Zeitpunkt des Urteils zwischen dem Zedenten und der Rekurrentin nicht bestanden. Der Rekurrentin verbleiben aber infolge der Zession die ihr aufgrund ihrer Schuldnerstellung zustehenden Einredemöglichkeiten des Abtretungsrechts vorbehalten, die weder beurteilt noch rechtskräftig entschieden worden sind. Die zedierte Forderung beruht insofern nicht mehr auf einem vollstreckbaren gerichtlichen Urteil im Sinne von Art. 80 Abs. 1 SchKG.

(Beschluss vom 11.9.1997; KG 262/97 RK 2).