EGV-SZ 1999

[Entscheide Nr. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24]

 

A. GERICHTSPRAXIS

I. Verwaltungsgericht

1

Verfahren

 § 123 Abs. 2 GO. Fristberechnung, wenn am letzten Tag einer Frist (in casu Fasnachtsdienstag) die Post «nicht wie gewöhnlich benützt werden» kann.

Aus den Erwägungen:

2. Im Verfahren 1009/99 rügt die Beschwerdegegnerin, die Beschwerdeführerinnen hätten die Beschwerde verspätet eingereicht. Zu Unrecht. Es ist unbestritten, dass die Beschwerde am Aschermittwoch, den 17. Februar 1999, der Post übergeben wurde, dass aber bereits am Fasnachtsdienstag der zwanzigste Tag nach Zustellung des angefochtenen Entscheides am 27. Januar 1999 verstrichen ist und an diesem Tag die Poststelle in ... nur in beschränktem Ausmass bedient wurde. Die Beschwerdeführerinnen berufen sich deshalb auf § 123 Abs. 2 GO, welcher besagt, dass die Frist erst am nächsten Werktag endigt, wenn am letzten Tag einer Frist die Post nicht wie gewöhnlich benutzt werden kann.

Ob es dem Vertreter der Beschwerdeführerinnen subjektiv möglich gewesen wäre, am Fasnachtsdienstag die Beschwerde der Post zu übergeben, ist unerheblich. Die Fristerstreckung tritt ohne weiteres ein, wenn die Post nicht wie gewöhnlich benutzt werden kann. Es besteht kein Anlass, die drei Fristerstreckungsgründe gemäss § 123 Abs. 2 GO (die weiteren Gründe: letzter Tag einer Frist fällt auf einen Samstag oder einen öffentlichen Ruhetag) unterschiedlich zu behandeln (EGV-SZ 1984, S. 89f.). Zudem wollte der Gesetzgeber dem Rechtsuchenden nicht nur eine theoretische, sondern eine faktische Verfahrenserleichterung einräumen (EGV-SZ 1978, S. 35ff.; J. Hensler, Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde im Kanton Schwyz, S. 108). Von einer restriktiven Auslegung von § 123 Abs. 2 GO, wie sie in VGE 310/78 v. 22.3.1978 (Erw. 3, Prot. S. 94ff.) noch vertreten wurde, ist abzusehen, zumal die Rechtssicherheit eine einheitliche Anwendung des kantonalen Verfahrensrechts gebietet.

(VGE 1009+1014/99 vom 15. Juli 1999).

  

2

Verfahren

 § 129 GO. Wiederherstellung einer richterlichen Frist bei Erkrankung des Vertreters.

Aus den Erwägungen:

3. (...). Das Gericht kann auf Antrag der säumigen Partei eine Frist wiederherstellen, eine Verhandlung neu ansetzen und einen Endentscheid aufheben, bei grobem Verschulden der Partei oder ihres Vertreters aber nur mit Einwilligung der Gegenpartei (§ 129 Abs. 1 GO). Das Wiederherstellungsgesuch ist spätestens zehn Tage nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 129 Abs. 3 GO). Nachdem die Vorinstanz vorliegend die Einwilligung zur Wiederherstellung der Frist nicht erteilt, kann die richterlich angesetzte Verbesserungsfrist nur bei Fehlen von grobem Verschulden wiederhergestellt werden.

a) In der Eingabe vom 19. Juli 1999 wird das Fristwiederherstellungsgesuch wie folgt begründet:

«Kurz nach Beginn des Fristenlaufes, am 29. Juni 1999, wurde die für diese Angelegenheit verantwortliche Frau Y., Vizedirektorin der X. Gesellschaft, von einer Grippe heimgesucht, die sie bis und mit Freitag, den 2. Juli 1999, zu 100% arbeitsunfähig machte (...).

 Am Montag, dem 5. Juli 1999, dem Tag des Ablaufes der Frist, wurde Frau Y. in unverschuldeter Weise in einen Autounfall verwickelt, welcher sie bis und mit Freitag, dem 9. Juli 1999, wiederum zu 100% arbeitsunfähig machte (...).

 Die Verfügung des Verwaltungsgerichtes des Kantons Schwyz vom 23. Juni 1999 war adressiert an die «X. Gesellschaft, (...)». Wie bereits erwähnt, ist Frau Y. mit der vorliegenden Angelegenheit betraut. Da in der Adressangabe weder der Name des Erstunterzeichners, Herrn Z. noch derjenige von Frau Y. aufgeführt war, ging die Verfügung aufgrund der internen Kundenliste per interner Post an die für das Mandat zuständige Frau Y. Herr Z. war aus diesen Gründen zu keinem Zeitpunkt in der Lage, Kenntnis von der Verfügung zu erhalten.»

Zwei Arztzeugnisse vom 13. Juli 1999 und vom 14. Juli 1999 belegen, dass Frau Y. vom 29. Juni bis zum 2. Juli 1999 wegen Krankheit arbeitsunfähig und vom 5. Juli bis zum 9. Juli 1999 in spitalärztlicher Behandlung und zu 100% arbeitsunfähig war.

b) Die Praxis des Verwaltungsgerichts betreffend Wiederherstellung einer Frist ist seit jeher streng. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn die Partei eine Sorgfaltspflicht verletzt, deren Beachtung unter den gegebenen Umständen auch dem durchschnittlich Sorgfältigen zuzumuten ist. Eine grobe Nachlässigkeit ist umso eher anzunehmen, je höher die Sorgfaltspflicht des Gesuchstellers zu veranschlagen ist (VGE 525/86 v. 28.4.87, Prot. 311; VGE 509 und 510/89 v. 16.8.89, Prot. 778; Hauser/Hauser, Erläuterungen zum Gerichtsverfassungsgesetz des Kantons Zürich, S. 768). Andererseits setzt § 129 Abs. 1 GO nicht voraus, dass einer Partei oder ihrem Vertreter schlechthin kein Verschulden zum Vorwurf gemacht werden kann (anders Art. 24 VwVG, Art. 35 OG, § 11 Abs. 2 Gesetz über die Prämienverbilligung).

Krankheit und Unfall rechtfertigen grundsätzlich die Wiederherstellung einer Frist. Vorliegend ist unbestritten, dass die als Vertreterin aufgetretene Frau Y. während der vom ca. 25. Juni bis zum 5. Juli 1999 laufenden Frist grösstenteils (d.h. ab 29. Juni 1999) arbeitsunfähig war. Des Weiteren wurde nicht eine gesetzliche, sondern eine behördliche Frist nicht eingehalten, an deren Wiederherstellung grundsätzlich weniger strenge Anforderungen gestellt werden (vgl. Kölz, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, § 12 Rz. 7; Hauser/Hauser, a.a.O., S. 761). Andererseits gilt zu beachten, dass die mit Einschreiben vom 23. Juni 1999 versandte Verfügung noch vor dem Krankheitsbeginn von Frau Y. bei der X. Gesellschaft einging, die angesetzte Nachfrist nicht allein Frau Y. betraf, sondern auch den ebenfalls als Vertreter unterzeichnenden Herrn Z. (was im Übrigen auch aus der Verfügung vom 23. Juni 1999 klar hervorging) und von Mitarbeitern einer Treuhandfirma, welche vor Gericht für ihre Kunden als Vertreter auftreten, die gleiche Sorgfalt in der Organisation des Betriebes verlangt werden kann wie bei Anwaltskanzleien, von welchen grundsätzlich erwartet wird, dass die Organisation in der Kanzlei eine Fristeinhaltung auch im Falle einer Verhinderung der zuständigen Anwältin oder des zuständigen Anwaltes gewährleisten kann. Erst wenn der Zustand der Anwältin oder des Anwaltes selbst die weniger arbeitsintensive Bestellung einer Vertretung und die Benachrichtigung der Klientschaft ausschliesst, wird von unverschuldeter Verhinderung gesprochen. Bei einem Rechtsanwalt werden somit im Allgemeinen Abwesenheit infolge von Krankheit nicht als Entschuldigungsgrund anerkannt (BGE 119 II 87f.; Hauser/Hauser, a.a.O., S. 765 m.H.). Etwas anderes kann wie bereits erwähnt auch nicht für die in einem gerichtlichen Verfahren als Vertreter auftretenden Treuhänder oder Mitarbeiter einer Treuhandfirma gelten, bei welchen es sich nicht um Laien, sondern um im Umgang mit Behörden und Gerichten zumindest in Bezug auf steuerrechtliche Fragen geübte Berufspersonen handelt.

Auch wenn man vorliegend allenfalls in Bezug auf das persönliche Verhalten von Frau Y., welche während des Ablaufs der Nachfrist erkrankte und zusätzlich mit dem Auto verunfallte, von zumindest keiner groben Fahrlässigkeit gesprochen werden kann, so ist zu beachten, dass Frau Y. gegenüber dem Gericht nicht alleine als Vertreterin aufgetreten ist, sondern die Beschwerde auch von Z. unterzeichnet wurde. Nach aussen traten somit zwei für den Fall Verantwortliche auf, und es darf erwartet werden, dass beim krankheitsbedingten Ausfall des einen Vertreters der andere Vertreter einspringt und das Verfahren, insbesondere die Einhaltung von Fristen, überwacht. Dass Z. ebenfalls krankheitsbedingt oder aus anderen Gründen nicht in der Lage war, die auch gegenüber ihm angesetzte Frist nicht einzuhalten, wird nicht geltend gemacht; es wird auch nicht geltend gemacht, Z. sei über die krankheitsbedingte Abwesenheit von Frau Y. nicht informiert gewesen. Es war somit zumindest ein Vertreter anwesend, der fristgemäss die erforderlichen Handlungen hätte vornehmen können. Dass der Fall offenbar intern in die Zuständigkeit von Frau Y. fiel, ändert daran nichts. Bei dieser Sachlage kann grundsätzlich nicht mehr von leichtem Verschulden bzw. leichter Fahrlässigkeit gesprochen werden, weshalb die Voraussetzungen für eine Wiederherstellung der Frist ohne Einwilligung der Gegenpartei bzw. Vorinstanz nicht gegeben sind.

(VGE 706/99 vom 30. August 1999).

  

3

Verfahren

Verfügungsadressat hat Posteingang so zu organisieren, dass eingehende Verfügungen rechtzeitig an zuständige (interne) Stelle weitergeleitet werden.

Aus dem Sachverhalt (verkürzt):

Eine Verfügung wurde an eine grosse, ausserhalb des Kantons Schwyz domizilierte Firma zugestellt, und zwar an die korrekte Adresse, indessen auf dem Briefumschlag ohne besonderen Vermerk. Gegen diese Verfügung erhob die betreffende Firma nach Ablauf der Rechtsmittelfrist Beschwerde.

Aus den Erwägungen:

2. b) aa) Zunächst ist festzuhalten, dass für die eingeschriebene Postsendung, welche die betreffende Verfügung enthielt, keine falsche, sondern eine korrekte Adresse verwendet wurde. Dies zeigt sich auch darin, dass in der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Beschwerdeführerin (abgesehen von der zusätzlichen Strassenbezeichnung) die gleiche Adresse anführte, welche auch die Vorinstanz berücksichtigte. Der einzige Unterschied besteht im Zusatz «...strasse ...», welcher aber hier nicht von Bedeutung ist, da die Zustellung via «Postfach, ...» erfolgte. Dass die von der Vorinstanz verwendete Adresse notabene von der Beschwerdeführerin selber in genau gleicher Weise verwendet wird, ergibt sich aus dem Nachforschungsbegehren vom 26. Mai 1999, wo auf Seite 3 unten der Empfang der betreffenden Postsendung durch einen Mitarbeiter der Beschwerdeführerin mit dem Firmenstempel «...» bestätigt wurde. (...) Wenn somit die Beschwerdeführerin selber mehrfach ihre Adresse mit «...» angab (und zwar im Verlaufe des vorliegenden Beschwerdeverfahrens), trifft die Vorinstanz grundsätzlich keinen Vorwurf, wenn sie die gleiche (richtige) Adresse verwendete.

bb) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin besteht keine gesetzliche Pflicht, eine an die richtige Adresse verschickte Verfügung zusätzlich mit einer Referenznummer des Verfügungsadressaten bzw. mit einem Hinweis auf Sachbearbeiter des Verfügungsadressaten zu versehen, da die verfügende Behörde in der Regel gar nicht weiss, wer beim Verfügungsadressaten wofür zuständig ist.

Selbst wenn vor der Verfügung ein Schriftenwechsel zwischen der Behörde und Mitarbeitern der Beschwerdeführerin stattgefunden hat, bedeutet dies noch nicht zwingend, dass für die darauf folgende Verfügung wieder die gleichen Mitarbeiter zuständig sein werden. Vielmehr ist es Sache des Verfügungsadressaten, den eigenen Posteingang so zu organisieren, dass eingehende Verfügungen rechtzeitig an die zuständigen Stellen weitergeleitet werden. Die interne Postverteilung liegt ausschliesslich im Machtbereich der Beschwerdeführerin, welche selber dafür verantwortlich ist, dass die ihr von der schweizerischen Post ausgehändigten Sendungen umgehend an die betreffenden Abteilungen zugewiesen werden, dass die jeweiligen Mitarbeiter richtig instruiert werden usw. Soweit die Beschwerdeführerin Probleme hat, die eingegangene Post an die jeweilige Abteilung weiterzuleiten, kann sie daraus hinsichtlich der Einhaltung einer Rechtsmittelfrist nichts zu ihren Gunsten ableiten.

Im Übrigen wird von der Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht, sie habe vor Erlass der Verfügung bei der Vorinstanz ausdrücklich darum ersucht, dass die gesamte Korrespondenz inkl. Veranlagungsverfügung jeweils mit einer bestimmten Kennzeichnung ausgestattet werde, damit die interne Postzustellung bei der Beschwerdeführerin erleichtert werde. Ebenso wenig ist aktenkundig, dass die Vorinstanz der Beschwerdeführerin zusicherte, eine bestimmte Kennzeichnung zu verwenden. Von daher kann sich die Beschwerdeführerin nicht auf Aspekte des Vertrauensschutzes berufen.

cc) Am vorliegenden Ergebnis, wonach die Beschwerdeführerin für Mängel bei der internen Postverteilung selber einzustehen hat, vermögen auch die weiteren Einwände in der Eingabe vom 28. Juni 1999 nichts zu ändern. (...)

(VGE 703/99 vom 27. August 1999).

  

4

Verfahren

 Namensänderungsbegehren; in Fällen mit abstrakter Interessenkollision sind Inhaber der elterlichen Gewalt nicht befugt, im Verfahren die Kinder zu vertreten.

Aus den Erwägungen:

1. a) Zu den Sachentscheidvorausssetzungen, welche von Amtes wegen zu prüfen und bei deren Fehlen ein Nichteintretensentscheid zu treffen ist, gehört die Vertretungsbefugnis der Parteivertreter (§ 27 Abs. 1 lit. c und Abs. 2 Verordnung über die Verwaltungsrechtspflege, VRP). Im konkreten Fall ist die Mutter der beschwerdeführenden Kinder allein Inhaberin der elterlichen Gewalt und damit gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführer.

b) Der Beschwerdegegner (Vater der Beschwerdeführer) macht geltend, zwischen den Interessen der beschwerdeführenden Kinder und den Interessen ihrer Mutter (...), Inhaberin der elterlichen Gewalt, bestehe eine rechtserhebliche Kollision. Im Juni 1999 habe die Mutter der Kinder dem Beschwerdegegner erstmals die Ausübung des Besuchsrechts verweigert, weshalb sich dieser veranlasst gesehen habe, beim Einzelrichter des Bezirksgerichtes (...) eine Vollstreckungsklage einzureichen. Am 29. Juli 1999 habe die Mutter beim Bezirksgericht (...) auf Abänderung des Scheidungsurteils des Bezirksgerichts (...) geklagt mit dem Hauptantrag, das Besuchsrecht des Beschwerdegegners gegenüber den Kindern sei aufzuheben. Diese beiden Verfahren würden beweisen, dass die Mutter die Interessen der Kinder in einer Auseinandersetzung wie der vorliegenden nicht sachgerecht wahrnehmen könne. Sie sei offensichtlich stark befangen. Der Regierungsrat habe zwar u.a. festgehalten, eine Interessenkollision liege bereits vor bei abstrakter Gefährdung der Interessen der schutzbedürftigen Person, d.h. bei blosser Möglichkeit der Gefährdung. Dennoch habe er die Frage, ob das Namensänderungsgesuch von einem Beistand hätte gestellt werden müssen, offen gelassen mit der Begründung, die Beschwerde sei unbegründet und daher abzuweisen (...).

c) Wie im angefochtenen Beschluss (Erw. 1.2) zutreffend ausgeführt wurde, wird bei urteilsunfähigen Kindern das Gesuch um Namensänderung grundsätzlich vom gesetzlichen Vertreter und bei Interessenkollisionen durch einen Beistand gestellt. Nach Art. 392 Ziff. 2 ZGB ernennt die Vormundschaftsbehörde auf Ansuchen eines Beteiligten oder von Amtes wegen einen Beistand, wenn der gesetzliche Vertreter einer unmündigen Person in einer Angelegenheit Interessen hat, die denen des Vertretenen widersprechen. Im Falle der Interessenkollision zwischen minderjährigen Kindern und Eltern erklärt Art. 306 Abs. 2 ZGB ausdrücklich die Bestimmungen über die Vertretungsbeistandschaft (Art. 392 Ziff. 2 ZGB) für anwendbar. Ob eine Interessenkollision vorliegt, ist nach der massgebenden Rechtsprechung abstrakt und nicht konkret zu bestimmen, d.h., es ist nicht darauf abzustellen, wieviel Vertrauen der gesetzliche Vertreter im Einzelfall verdient (vgl. Ingeborg Schwenzer, in: Honsell/Vogt/Geiser, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, N. 4 zu Art. 306 ZGB, mit Hinweisen, u.a. auf BGE 118 II 105; Schnyder/Murer in: Berner Kommentar, Art. 392 N. 84f.; Ernst Langenegger, im zit. Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, N. 26 zu Art. 392 ZGB). Hauptfälle der Interessenkollision finden sich beispielsweise im Rahmen der erbrechtlichen Auseinandersetzung, aber auch Klagen des unmündigen Kindes auf Unterhalt gegen beide Eltern gehören dazu sowie sämtliche Klagen, bei denen Eltern und Kinder als Prozessgegner auftreten (vgl. Schwenzer, a.a.O., N. 5 zu Art. 306 ZGB). Bei Vorliegen einer Interessenkollision entfällt die Vertretungsmacht der Eltern automatisch, auch wenn ein Beistand (noch) nicht ernannt ist (vgl. Schwenzer, a.a.O., N. 6 zu Art. 306 ZGB). Analog beseitigt eine abstrakte Interessenkollision die Vertretungsmacht des gesetzlichen Vertreters (vgl. Langenegger, a.a.O., N. 27 zu Art. 392 ZGB).

Im vorliegenden Fall kann eine abstrakte Gefährdung der Interessen der beschwerdeführenden Kinder nicht von der Hand gewiesen werden. Die Gefahr einer solchen Interessenkollision besteht regelmässig, wenn das Kind seinen bisherigen Namen gegen den aktuellen Namen der Inhaberin der elterlichen Gewalt austauschen soll. Die Mutter und Inhaberin der elterlichen Gewalt hat diesfalls am Ausgang des Verfahrens ein eigenes Interesse, das nicht mit jenem des Kindes übereinzustimmen braucht (vgl. Thomas Geiser, in AJP 12/1998, S. 1513, Ziff. 2, mit Hinweisen, u.a. auf Hegnauer, Berner Kommentar, 1991. N. 61 zu Art. 270 ZGB, derselbe, Grundriss des Kindesrechts, Bern 1994, Rz. 16.13, Bühler, im zit. Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, N. 19 zu Art. 270 ZGB). Eine solche abstrakte Interessenkollision genügt nach der massgebenden Rechtsprechung, um den betreffenden Elternteil (Inhaber der elterlichen Gewalt) von der Vertretung der Kinder auszuschliessen. Die Mutter war daher nicht befugt, für ihre Kinder ein Namensänderungsgesuch einzureichen bzw. gegen die Verfügung des Departementes des Innern vom 22. März 1999 Verwaltungsbeschwerde bzw. gegen den vorinstanzlichen Beschluss vom 24. August 1999 Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu erheben. Entgegen der vorinstanzlichen Auffassung war es nicht angebracht, die Frage der hinreichenden Vertretungsbefugnis offen zu lassen. Vielmehr ist nach dem Gesagten festzuhalten, dass die Mutter als Inhaberin der elterlichen Gewalt in solchen Fällen mit abstrakter Interessenkollision die Kinder nicht vertreten kann, sondern diesbezüglich bei der Vormundschaftsbehörde um die Ernennung eines Vertretungsbeistandes für die Kinder nachzusuchen hat (vgl.Art. 392 Ziff. 2 ZGB i.V.m. Art. 306 Abs. 2 ZGB). Bei dieser Sach- und Rechtslage ist auf die vorliegende Beschwerde mangels hinreichender Vertretungsbefugnis nicht einzutreten. (...)

(VGE 894/99 vom 23. Dezember 1999).

  

5

Verfahren

 Rechtsmittelbefugnis eines Berufsverbandes (in casu bejaht).

Aus den Erwägungen:

1. a) Vor Erlass eines Entscheides prüft das Gericht von Amtes wegen, ob die Voraussetzungen für einen Sachentscheid erfüllt sind. Es prüft u.a. insbesondere die Zuständigkeit und die Rechtsmittelbefugnis (vgl. § 27 Abs. 1 lit. a und d der Verordnung über die Verwaltungsrechtspflege, VRP, nGS II-225). Nach § 37 VRP sind zur Einreichung eines Rechtsmittels befugt:

«a) Parteien und beiladungsberechtigte Dritte des vorinstanzlichen Verfahrens, die an der Aufhebung oder Änderung einer Verfügung oder eines Entscheides ein eigenes, unmittelbares und schützenswertes Interesse dartun;

b) Behörden und andere Organisationen, wenn sie dazu durch einen Rechtssatz ermächtigt sind.»

Ist eine Sachentscheidsvoraussetzung nicht gegeben, trifft das Gericht einen Nichteintretensentscheid (vgl. § 27 Abs. 2 VRP).

 b) Nach § 14 Abs. 1 der kantonalen Verordnung über das Gesundheitswesen (GesV, nGS V-583) bedarf es zur Ausübung eines medizinischen oder pharmazeutischen Berufes einer Bewilligung des Regierungsrates. Nach § 15 Abs. 1 lit. a GesV wird die Bewilligung u.a. an Ärzte und Zahnärzte aufgrund des entsprechenden eidgenössischen Diploms erteilt. Gemäss § 16 Abs. 1 GesV ist der Regierungsrat befugt, nach Anhören des zuständigen Berufsverbandes ausnahmsweise u.a. einem Zahnarzt, der die Voraussetzungen von § 15 GesV nicht erfüllt, die Bewilligung zur selbständigen Berufsausübung zu erteilen, sofern er einen andern gleichwertigen Ausweis beibringt und hiefür ein Bedürfnis besteht. Nach § 32 Abs.1 GesV bleiben für den Rechtsschutz die Bestimmungen über die Verwaltungsrechtspflege vorbehalten. Somit ist für Beschwerden gegen vom Regierungsrat nach Massgabe von § 16 GesV erteilte Ausnahmebewilligungen gestützt auf § 32 Abs. 1 GesV i.V.m. § 51 lit. a VRP eindeutig das Verwaltungsgericht zuständig (vgl. auch die zutreffende Rechtsmittelbefugnis im angefochtenen Entscheid). Von daher wurde die irrtümlich beim Regierungsrat eingereichte Beschwerde in Nachachtung von § 10 Abs. 3 VRP zu Recht an das Verwaltungsgericht weitergeleitet.

c) Das Verwaltungsgericht hatte sich bereits im Präjudiz VGE 584/93 vom 31. August 1993 (publiziert in EGV-SZ 1993, Nr. 2) mit der Frage zu befassen, ob die kantonale Zahnärztegesellschaft befugt ist, gegen eine vom Regierungsrat gestützt auf § 16 GesV erteilte Ausnahmebewilligung (zur selbständigen Berufsausübung als Zahnarzt) Beschwerde zu erheben. Dabei entschied es zum einen, dass die in § 16 GesV enthaltene Anhörungspflicht keine Rechtsmittelbefugnis des betreffenden Berufsverbandes begründe. In § 16 GesV werde der betreffende Berufsverband nicht in seiner Eigenschaft als Betroffener oder Anfechtungslegitimierter genannt, sondern als Fachinstanz, deren Wissen und Erfahrungen mit berücksichtigt werden solle. Die Beschwerdeführerin bringt nichts vor, was diese dargelegte Rechtsprechung in Frage stellen könnte. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, weshalb hier in dieser Frage eine Praxisänderung gerechtfertigt wäre. Somit bleibt es dabei, dass der Beschwerdeführerin keine Rechtsmittelbefugnis im Sinne von § 37 lit. b VRP zukommt.

d) Zum andern prüfte das Gericht im genannten Präjudiz, ob die Beschwerdeführerin im Sinne von § 37 lit. a VRP zur Einreichung einer Beschwerde befugt ist. Dabei verwies es auf die ständige Rechtsprechung, wonach zur Auslegung der in § 37 lit. a aufgeführten Kriterien (eigenes, unmittelbares und schützenswertes Interesse) die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 103 lit. a OG massgeblich heranzuziehen ist. Darnach wird die Beschwerdebefugnis von Berufsverbänden – einmal abgesehen vom Fall, in welchem der Verband durch die angefochtene Verfügung gleich oder ähnlich wie eine natürliche Person betroffen wird, was hier nicht zutrifft (vgl. dazu BGE 112 Ib 130; ZBl 1998, S. 397, Erw. 2b) – dann anerkannt, wenn die Voraussetzungen der sogenannten «egoistischen» Verbandsbeschwerde erfüllt sind. Die sogenannte «ideelle» Verbandsbeschwerde, wie sie für Heimatschutz-, Naturschutz- oder Umweltschutzverbände in den betreffenden Spezialgesetzen zur Wahrung öffentlicher Interessen ausdrücklich vorgesehen ist, fällt hier von vornherein ausser Betracht, da für die hier interessierende Frage in den massgebenden Bestimmungen kein ideelles Verbandsbeschwerderecht vorgesehen ist (vgl. ZBl 1999, S. 399). Die sogenannte «egoistische» Verbandsbeschwerde soll einem Verband erlauben, im eigenen Namen, aber im Interesse seiner Mitglieder vorzugehen. Sie setzt voraus, dass der Verband (welcher die juristische Persönlichkeit besitzt) gemäss seinen Statuten zur Wahrung der betroffenen Interessen seiner Mitglieder berufen ist, dass die Interessen der Mehrheit oder zumindest einer grossen Anzahl der Mitglieder berührt sind und dass die betroffenen Mitglieder selbst zur Beschwerde legitimiert sind (vgl. BGE 125 I 75 mit Hinweisen; Häfelin/Müller, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. A., Rz. 1382ff.; ZBl 1999, S. 399; ZBl 1998, S. 397; BGE 122 I 92 Erw. 2c; EGV-SZ 1993, Erw. 2c mit weiteren Verweisen; Kölz/Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. A. Rz. 560ff.; Merkli/Aeschlimann/Herzog, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, Rz. 15 zu Art. 65; Geiser/Münch, Prozessieren vor Bundesgericht, Rz. 3.45; BGE 1A. 176/1998 vom 5. Oktober 1999 i.S. Sportfischerverein X. und Mitbeteiligte, Erw. 1b).

aa) Der Beschwerdeführerin kommt juristische Persönlichkeit zu, da sie als Verein im Sinne von Art. 60ff. ZGB organisiert ist. Gemäss der revidierten und per 8. November 1995 in Kraft getretenen Statutenbestimmung Art. 3 lit. d bezweckt sie u.a. die Wahrung der wirtschaftlichen Interessen der Mitglieder. Von daher ist das Kriterium, wonach die Vereinigung nach ihren Statuten mit der Wahrung der in Frage stehenden Interessen ihrer Mitglieder beauftragt ist, anders als im Präjudiz VGE 584/93 vom 31. August 1993 (als noch andere Statutenbestimmungen anwendbar waren) hier erfüllt. Dass es der Beschwerdeführerin mit der vorliegenden und weiteren Beschwerden (vgl. die Parallelverfahren 889/99, 890/99) um wirtschaftliche Interessen ihrer Mitglieder geht, zeigt sich darin, dass in der Beschwerdeschrift (S. 2) der letzte Teilsatz von § 16 Abs. 1 GesV («und hiefür ein Bedürfnis besteht») hervorgehoben und geltend gemacht wird, der Beschwerdegegner müsse den Nachweis erbringen, dass ein Bedürfnis für eine Zahnarztpraxis in jener Region bestehe, in welcher der Beschwerdegegner eine Praxis eröffnen wolle.

bb) Was das nächste Kriterium anbelangt, wonach die Interessen der Mehrheit oder zumindest einer grossen Anzahl von Mitgliedern berührt sein müssen, ist im vorliegenden Fall nicht der geografische Aspekt in den Vordergrund zu stellen (und mithin nicht die Frage, wo der betreffende Zahnarzt beabsichtigt, eine eigene Praxis zu betreiben). Vielmehr fällt hier ins Gewicht, dass es u.a. um eine vorinstanzliche Praxisänderung geht hinsichtlich der Zulassung von Zahnärzten, welche zwar kein eidg. Diplom im Sinne von § 15 Abs. 1 lit. a GesV, indessen die Zulassung eines anderen Kantons aufweisen. Nach dieser neu eingeleiteten Praxis der Vorinstanz ist grundsätzlich einem Gesuchsteller mit Bewilligung zur selbständigen Berufsausübung in einem anderen Kanton (hier im Kt. St. Gallen und im Kt. Graubünden) generell die Berufsausübungsbewilligung für den Kt. Schwyz zu erteilen, falls die Gleichwertigkeit des ausländischen Diploms mit dem eidg. Diplom ausser Diskussion steht, und zwar ungeachtet dessen, ob ein Bedürfnis nach § 16 Abs. 1 in fine GesV besteht oder nicht. Hier ist das Berührtsein der Mehrheit der Mitglieder bzw. einer grossen Anzahl der Mitglieder (welche nach Art. 5 der Statuten der Beschwerdeführerin ordentlicherweise Zahnärzte mit eidg. Diplom und Praxisdomizil im Kt. Schwyz sein müssen) darin zu erblicken, dass grundsätzlich alle bzw. die meisten kantonalen Zahnärzte ein Interesse daran haben, dass die erwähnte Praxisänderung bzw. die Erteilung von Ausnahmebewilligungen nach § 16 GesV im Lichte des neuen Bundesgesetzes über das Binnenmarktgesetz (BGBM) und der dazugehörenden Rechtsprechung des Bundesgerichts einer Rechtskontrolle unterstellt wird. Mithin wird durch die vorinstanzliche Praxisänderung bei der Berufsausübungsbewilligung für Zahnärzte ohne eidg. Diplom ein grosser Teil bzw. eine Mehrzahl der Mitglieder der Beschwerdeführerin, die bereits zur Berufsausübung als Zahnärzte im Kt. Schwyz zugelassen sind und ihrerseits beschwerdebefugt wären, zumindest virtuell betroffen. Von daher ist die Beschwerdeführerin zur Erhebung der vorliegenden Verbandsbeschwerde legitimiert. Abgesehen davon wäre das Berührtsein einer grossen Anzahl der Mitglieder der Beschwerdeführerin auch in einer weiteren Praxisänderung zu erblicken, wonach die Vorinstanz sinngemäss bei Gesuchstellern, welche sich auf die HGF berufen können und einen gleichwertigen Fachausweis aufweisen, die in § 16 Abs. 2 GesV enthaltene Bedürfnisklausel nicht mehr anwendet (vgl. dazu VGE 889/99 vom 23. Dez. 1999, Erw. 1d/bb).

Zusammenfassend ist auf die vorliegende Beschwerde einzutreten.

(VGE 870/99 vom 23. Dezember 1999).

  

6

Verfahren

 Anspruch auf Parteientschädigung, falls Begehren des Beschwerdeführers durch die Vorinstanz (Beschwerdegegnerin) anerkannt und Verfahren gegenstandslos wird.  
– Umfang der Kostenübernahme, falls Vorinstanz (Beschwerdegegnerin) vor Einleitung des Beschwerdeverfahrens «unpräjudiziell» ein Einlenken in Aussicht stellt («unnötige Kosten» im Sinne von § 145 GO).

Aus dem Sachverhalt:

Das Volkswirtschaftsdepartement bewilligte auf Antrag der Verpächterin einer landwirtschaftlichen Liegenschaft deren Abtrennung aus dem Geltungsbereich des BGBB. Der Pächter eines Teils der abgetrennten Liegenschaft (Stall) erhebt gegen die Verfügung des Volkswirtschaftsdepartementes Beschwerde. Die Verpächterin beantragt daraufhin beim Volkswirtschaftsdepartement den Widerruf der Verfügung hinsichtlich des verpachteten Stalls. Unter Hinweis auf das Widerrufsgesuch beantragt die Verpächterin beim Verwaltungsgericht die Abschreibung der eingegangenen Beschwerde unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten des Beschwerdeführers.

Aus den Erwägungen:

2. b) Im Rechtsmittelverfahren hat die unterliegende der obsiegenden Partei eine dem Aufwand angemessene Entschädigung auszurichten, welche gemäss § 74 Abs. 1 VRP das Gericht festsetzt. Die VRP enthält keine ausdrückliche Bestimmung darüber, ob bei Gegenstandslosigkeit des Verfahrens eine Prozessentschädigung auszurichten ist. Die konstante verwaltungsgerichtliche Praxis geht davon aus, dass von Unterliegen bzw. Obsiegen in einem Rechtsmittelverfahren in aller Regel nur dann gesprochen werden kann, wenn das Gericht einen Sachentscheid trifft. Hingegen ist eine Parteientschädigung bei Abschreibung zufolge Gegenstandslosigkeit dann zuzusprechen, wenn die vorinstanzliche Behörde die angefochtene Verfügung widerruft und pendente lite so abändert, dass die abgeänderte Verfügung einem vollständigen Obsiegen des Beschwerdeführers gleichzusetzen ist. Wenn der Beschwerdeführer mit dem pendente lite erfolgten Widerruf der angefochtenen Verfügung genau gleichviel erreicht, wie er bei Obsiegen im Beschwerdeverfahren erreicht hätte, dann hat er grundsätzlich Anspruch auf eine Parteientschädigung (vgl. EGV-SZ 1982, Nr. 4, S. 9).

3. a) Aufgrund der vorstehenden Darlegungen (Erwägung 2) wären somit die Verfahrenskosten der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen und diese hätte dem Beschwerdeführer für dessen Aufwand eine angemessene Entschädigung zu entrichten. Die Beschwerdegegnerin beantragt eine Abweichung von dieser Regel mit der Begründung, die Beschwerde wäre gar nie notwendig gewesen. Mit Schreiben vom 12. Februar 1999 habe sie nämlich dem Gegenanwalt mitgeteilt, dass sie im Falle des Scheiterns der in Aussicht gestellten Vergleichsgespräche den Widerruf der angefochtenen Verfügung beantragen werde und es sei dem Beschwerdeführer bereits damals mitgeteilt worden, dass eine Beschwerde gegen die Verfügung nicht erforderlich sei. Im Schreiben vom  12. Februar 1999 legte der Vertreter der Beschwerdegegnerin dar, dass diese irrtümlich von der Annahme ausgegangen sei, dass der Stall vom landwirtschaftlichen Pachtverhältnis ausgenommen sei. Weiter wird in diesem Schreiben ausgeführt:

«Richtig ist auch, dass die Verfügung des Volkswirtschaftsdepartementes wieder rückgängig gemacht werden muss, sofern sich die Parteien nicht nachträglich einigen können. Die Verpächterin wird daher bei Ausbleiben einer Einigung der Parteien beim Volkswirtschaftsdepartement den Widerruf der Verfügung vom 19. Oktober 1998 beantragen, um den status quo ante wieder herzustellen. Eine Beschwerde Ihrerseits ist mithin nicht erforderlich.»

Weiter werden dann Lösungsvorschläge für eine einvernehmliche Regelung der Streitsache dargelegt, und es wird um schriftliche Mitteilung bis spätestens 20.2.1999 darüber ersucht, ob der Beschwerdeführer an solchen Vergleichsverhandlungen interessiert sei. Das Schreiben fährt fort:

«Sollte ich bis zu diesem Zeitpunkt keine Mitteilung von Ihnen erhalten, geht meine Klientschaft davon aus, dass Ihr Mandant kein Interesse an einer einvernehmlichen Lösung hat.

Meine Klientschaft wird dann den Widerruf der irrtümlich ergangenen Verfügung beim zuständigen Volkswirtschaftsdepartement beantragen. In der Folge wird es beim Status quo ante bleiben und Ihr Mandant kann das Pachtverhältnis gemäss den bisherigen Bedingungen weiterführen.

Der guten Ordnung halber halte ich hier noch ausdrücklich fest, dass diese Mitteilung unpräjudizierlich erfolgt und nicht für den Gerichtsfall bestimmt ist.»

Anknüpfend an diesen letzten Satz wendet der Vertreter des Beschwerdeführers ein, dass damit die von der Beschwerdegegnerin erklärte Absicht, die widerrechtliche Verfügung des Volkswirtschaftsdepartementes widerrufen zu lassen, rechtlich nicht durchsetzbar und damit nicht existent gewesen sei, was er dem Gegenanwalt mit Schreiben vom 17. Februar 1999 auch mitgeteilt habe. Zufolge Nichtverwendbarkeit der Zusicherung im Schreiben vom 12.2.1999 sei er gezwungen gewesen, zur Wahrung der Rechte seines Klienten die Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzureichen.

Im erwähnten Schreiben vom 17.2.1999, welches vom Gericht von Amtes wegen beigezogen worden ist, antwortete der Beschwerdeführer dem Vertreter der Beschwerdegegnerin, da diese Ausführungen ausdrücklich als unpräjudizierlich und nicht für den gerichtlichen Gebrauch bestimmt erklärt worden seien, seien sie als rechtlich nicht erfolgt zu betrachten und er sei deshalb gezwungen gewesen, Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu führen.

b) Hat eine Partei unnötige Kosten verursacht, so werden sie ihr ohne Rücksicht auf den Ausgang des Verfahrens auferlegt (§ 145 Abs. 1 Gerichtsordnung, GO). Diese Bestimmung gilt gestützt auf § 4 Abs. 2 VRP auch für die Verfahren vor dem Verwaltungsgericht. Auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung gilt der allgemeine Grundsatz, dass nicht jeder erdenkliche, sondern nur der notwendige Rechtsverfolgungsaufwand zu ersetzen ist (Bernet, Die Parteientschädigung in der schweizerischen Verwaltungsrechtspflege, Rz. 257 mit Hinweisen). Der Anwalt hat die Interessen seines Auftraggebers gewissenhaft zu wahren. Er soll dahin wirken, Streitigkeiten gütlich beizulegen. Als Beauftragter haftet er nach Art. 398 OR für getreue und sorgfältige Ausführung des ihm übertragenen Geschäftes (M. Sterchi, Kommentar zum bernischen Fürsprecher- Gesetz, N. 1 zu Art. 11). Zwischen der Sorgfaltspflicht einerseits und der Verpflichtung zur Vermeidung unnötigen Prozessaufwandes anderseits mag mitunter ein gewisses Spannungsverhältnis bestehen, und es besteht ein gewisser Bereich der pflichtgemässen Ermessensausübung des Anwalts.

Wenn sich vorliegend der Vertreter des Beschwerdeführers trotz des Schreibens der Beschwerdegegnerin vom 12.2.1999 zur Beschwerdeführung entschlossen hatte, so bewegt sich dieses Verhalten innerhalb des Ermessensbereiches einer sorgfältigen Mandatsausübung; denn hätte er die Verfügung innert der Rechtsmittelfrist nicht angefochten und hätte die Beschwerdegegnerin ihre Zusage zur Stellung eines Widerrufsgesuchs nicht eingelöst, so wäre die angefochtene Verfügung unangefochten in Rechtskraft erwachsen. Überdies bestand bei der Stellung eines Widerrufsgesuches für den Beschwerdeführer keine Gewissheit, dass die verfügende Behörde diesem auch stattgeben würde. Die Rechtsposition bei einem Widerrufs- oder Wiedererwägungsgesuch ist deutlich schwächer als jene bei der Ergreifung des ordentlichen Rechtsmittels (Verwaltungsgerichtsbeschwerde; vgl. § 34 VRP, insbesondere Abs. 2). Ob anders zu entscheiden wäre, wenn das Schreiben vom 12.2.1999 nicht mit der generellen Einschränkung (unpräjudizierlich) relativiert worden wäre, kann offen bleiben. 

Zusammenfassend ist als Zwischenergebnis festzuhalten, dass der Beschwerdeführer durch die Einreichung der Beschwerde keine unnötigen Verfahrenskosten verursacht hat. Dabei ist auch zu beachten, dass der Grossteil des gerichtlichen Aufwandes erst nach Abschluss des Schriftenwechsels anfällt, sodass durch eine Beschwerde, die in der Folge durch Aktivitäten der Parteien und/oder der Vorinstanz abgeschrieben werden kann, in der Regel aus der gerichtlichen Optik kaum oder jedenfalls nicht in wesentlichem Masse unnötige Verfahrenskosten anfallen. Der Grossteil der im vorliegenden Verfahren anfallenden Verfahrenskosten ist im Übrigen im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung über die Frage der Verfahrens- und Prozessentschädigungskosten entstanden.

(VGE 818/99 vom 26. März 1999).

  

7

Verfahren

Rechtsverweigerung (in casu weigerte sich die zuständige Instanz zu Unrecht, eine anfechtbare Verfügung zu erlassen).

Aus den Erwägungen:

3. d) Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist die Anordnung eines Gutachtens, die Einräumung einer Bedenkfrist usw. nicht in Verfügungsform zu erlassen. Schadenminderungspflichten, wie etwa die Mitwirkung bei einer Eingliederungsmassnahme, bei der Abklärung oder bei der Durchführung einer Behandlung, sind keine durchsetzbaren Rechtspflichten, sondern blosse Obliegenheiten, welche nur insofern (indirekt) durchsetzbar sind, als deren Verletzung leistungsrechtliche Folgen nach sich zieht. Der UVG-Versicherer kann somit bloss die Sanktion wegen Verletzung der Obliegenheit in die Form einer Verfügung (Art. 5 Abs. 1 VwVG) kleiden, nicht jedoch die Obliegenheit selber. Die Rechtmässigkeit der angeordneten Obliegenheiten ist jedoch im Rahmen der Überprüfung der verfügten Sanktion vorfrageweise zu überprüfen (vgl. EVGE vom 14. Mai 1997, publ. in SVR 1998, UV Nr. 1, Erw. 1b mit Hinweisen).

Von den als solche nicht vollstreckbaren und daher nicht in die Rechtsstellung der Adressaten eingreifenden Anordnungen sind jene Beschlüsse des Unfallversicherers zu unterscheiden, welche direkt in die Rechtsstellung der versicherten Person eingreifen und zu deren Durchsetzung nicht die Androhung von Säumnisfolgen erforderlich ist. Dazu gehört etwa die Verweigerung einer Behandlung oder die Verneinung der von der versicherten Person geltend gemachten Ablehnungsgründe gegenüber einer mit einem Gutachten beauftragten sachverständigen Person. Solche Entscheide sind stets in Form einer anfechtbaren Verfügung zu erlassen, damit der individuelle Rechtsschutz gewährleistet ist (vgl. SVR 1998, UV Nr. 1, Erw. 1b in fine, mit Hinweisen). Damit im Einklang steht, dass nach Art. 45 Abs. 1 VwVG verfahrensleitende und andere Zwischenverfügungen, die einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können, selbständig durch Beschwerde anfechtbar sind. Dabei reicht ein schutzwürdiges Interesse aus, welches praxisgemäss regelmässig gegeben ist, wenn es um die Ablehnung eines vorgeschlagenen Experten geht (vgl. dazu BGE 104 V 177 Erw. 1b; Kölz/Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. A., Zürich 1998, N. 511ff.; Merkli/Aeschlimann/Herzog, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, Bern 1997, N. 3ff. zu Art. 61).

e) Aus dieser Darlegung der massgebenden Bestimmungen und Rechtslage ergibt sich zusammenfassend für den vorliegenden Fall,

          dass dem Versicherten Gelegenheit zu geben war, hinsichtlich des vorgeschlagenen Experten Einwendungen zu erheben,

          dass die Beschwerdegegnerin dem Versicherten dies auch tatsächlich eingeräumt hat (...),

          dass der Versicherte diese Möglichkeiten ausgeschöpft und Einwendungen gegen die vorgeschlagenen Experten vorgebracht hat (...),

          dass der Versicherte unter Hinweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung (RKUV 1997, 333) den Erlass einer anfechtbaren Verfügung gefordert hat, falls der Unfallversicherer an einer Begutachtung durch die von ihm abgelehnten Experten beharre (...),

          und dass der Versicherer dennoch – ungeachtet des Hinweises des Versicherten auf die Praxis des EVG – sich konkludent weigerte, hinsichtlich der vom Versicherten vorgebrachten Einwendungen (welche vom Versicherer im Ergebnis abgelehnt wurden) eine anfechtbare Verfügung zu erlassen.

Diese Weigerungshaltung des Versicherers widerspricht der dargelegten (in RKUV 5/1997, S. 333 publizierten) Rechtsprechung des EVG und ist umso unverständlicher, als der Versicherte ausdrücklich auf diese Rechtsprechung hinwies. Da der Beschwerdeführer nach dem Gesagten einen formellen Anspruch auf Erlass einer Verfügung (durch den Versicherer betreffend Abweisung der von ihm hinsichtlich der vorgeschlagenen Experten vorgebrachten Ablehnungsgründe) hatte und der Versicherer sich in Missachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung geweigert hat, eine solche Verfügung zu erlassen, erweist sich die Rechtsverweigerungsbeschwerde 479/98 als begründet. Anders zu entscheiden wäre allenfalls dann, wenn das Beharren des Versicherten auf den Erlass einer anfechtbaren Verfügung offensichtlich rechtsmissbräuchlich wäre, was hier nicht angenommen werden kann (...).

Daran, dass die Rechtsverweigerungsbeschwerde begründet ist, vermag die sinngemässe Argumentation in der Vernehmlassung (...) – wonach zwischenzeitlich ein materieller Revisionsentscheid gefällt worden sei und dem Beschwerdeführer alle Möglichkeiten offen stünden, im Beschwerdeverfahren gegen den materiellen Entscheid seine Bedenken hinsichtlich der Beweiswürdigung vorzubringen – nichts zu ändern, da über die vom Versicherten im Verwaltungsverfahren aufgeworfene Frage, ob seine Einwendungen gegen die vorgeschlagenen Experten begründet sind, noch gar nicht formell entschieden wurde. Fehlt aber ein solcher formeller Entscheid über die Begründetheit der Einwendungen, präsentiert sich die fehlende Mitwirkung des Versicherten an der vom Versicherer vorgesehenen (rheumatologischen bzw. orthopädischen) Abklärung in einem anderen Licht, als wenn die Einwendungen in einem ordentlichen, den Rechtsschutz des Versicherten wahrenden Verfahren (Zwischenverfügung) entkräftet worden wären. (...)

(VGE 479/98 + 366/99 vom 30. August 1999; eine gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde bezieht sich auf einen anderen Streitpunkt).

  

8

Planungs- und Baurecht

 Reklamebewilligung. Ein generelles Verbot von Fremdreklame entlang einer Durchgangsstrasse in einer Ortschaft ist unverhältnismässig sowie mit der Handels- und Gewerbefreiheit unvereinbar.

Aus den Erwägungen:

4. a) Die Beschwerdeführerin beanstandet sinngemäss, dass die Vorinstanz I aus Gründen des Ortsbildschutzes generell keine Plakattafeln für Fremdwerbung entlang von Durchgangsstrassen zulassen will. (...) Anlässlich des vorinstanzlichen Augenscheines gab der Gemeindevertreter ebenfalls zu verstehen, dass die strikte Praxis bezüglich Fremdwerbung auch für die anderen Strassen gelte (...). Auch anlässlich des verwaltungsgerichtlichen Augenscheines liess die Vorinstanz I u.a. sinngemäss ausführen, dass die ...strasse stark befahren und überladen ist, dass an dieser Strasse bis anhin bzw. in den letzten Jahren keine Fremdreklame bewilligt wurde und dieser Zustand beizubehalten sei, um die Entstehung von «amerikanischen Verhältnissen» zu verhindern. (...).

b) Das Verwaltungsgericht führte im bereits erwähnten VGE 620/90 vom 22. Januar 1991 u.a. aus, der Entscheid, in gewissen Zonen, welche bisher praktisch reklamenfrei waren, Werbung zuzulassen, sei von bedeutender Tragweite und allgemeinem Interesse. Denn Plakattafeln und Reklamen seien massgebliche Faktoren, welche Landschafts-, Orts- bzw. Strassenbilder erheblich mitprägen. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass es sich vorliegend um eine Gewerbezone handle, da ein allgemeines Interesse daran bestehe, die Werbung auf bestimmte Gebiete zu konzentrieren und nicht einfach generell in beliebiger Streuung, Qualität und Quantität zuzulassen (vgl. Prot. 1991, S. 53). Im gleichen Entscheid liess das Verwaltungsgericht durchblicken, dass ein generelles Reklameverbot grundsätzlich nicht in Frage kommt bzw. ein absoluter Schutz vor grossformatiger Werbung nicht durch die entsprechende Bestimmung des kommunalen Baureglementes gedeckt werde (vgl. zit.VGE 620/90 vom 22. Januar 1991, Erw. 5e in fine, Prot. S. 54).

c) An diese Rechtsprechung anknüpfend ist hier festzuhalten, dass das von der Vorinstanz I vertretene generelle Verbot für Fremdreklamen entlang der wichtigen Durchgangsstrassen in ..., insbesondere entlang der ...strasse, zu weit geht. Ausgangspunkt bildet der Umstand, wonach grundsätzlich jede privatwirtschaftliche Tätigkeit unter dem Schutz der durch Art. 31 BV garantierten Handels- und Gewerbefreiheit steht. Dieser verfassungsmässige Schutz erstreckt sich auch auf die Ausübung einer Werbe- oder Reklametätigkeit. Zwar gilt die Handels- und Gewerbefreiheit nicht uneingeschränkt. Als Eingriffe kommen hier ausschliesslich polizeiliche Gründe wie die Verkehrssicherheit und der Ortsbildschutz in Frage (nicht aber soziale oder sozialpolitische Motive).

d) Was die Verkehrssicherheit anbelangt, sind nach Art. 6 Abs. 1 SVG im Bereich der für Motorfahrzeuge oder Fahrräder offenen Strassen Reklamen untersagt, die u.a. die Verkehrssicherheit beeinträchtigen könnten. Diese Bestimmung schliesst es aber nicht generell aus, innerorts entlang von Hauptstrassen auf benachbarten Privatgrundstücken Reklamen anzubringen. Ein generelles Verbot für Strassenreklame (auch auf benachbarten Grundstücken) gilt nach Art. 6 Abs. 2 SVG i.V.m. Art. 99

Abs. 1 SSV lediglich für Autobahnen (sowie Autostrassen, wobei Firmenanschriften davon ausgenommen sind). In Art. 96 Abs. 1 lit. a bis h SSV wird präzisiert, an welchen Stellen und in welcher Form Strassenreklame unzulässig ist. Es handelt sich dabei namentlich um unübersichtliche Stellen (Kurven, Verzweigungen, Engpässe, Brücken, Tunnels, vgl. Art. 96 Abs. 1 lit. a/b SSV). Daraus ist e contrario zu schliessen, dass entlang von Strassen in Ortschaften bei übersichtlichen Verhältnissen Strassenreklamen aus verkehrspolizeilicher Sicht zugelassen werden können. Dies entspricht auch der ständigen Praxis in den Kantonen.

Im konkreten Fall ist der Standort für Fremdreklame im nördlichen Grenzbereich des Grundstückes (...) aus verkehrspolizeilicher Sicht grundsätzlich als bewilligungsfähig zu taxieren. Schwieriger zu beurteilen sind die geplanten Standorte bei der Zufahrtsstrasse (...).

Eine andere Frage ist die Häufung von Reklametafeln an den Standorten auf KTN (...). Eine mengenmässige Beschränkung ist nicht ausgeschlossen (vgl. dazu Art. 96 Abs. 4 SSV, wonach Strassenreklamen nicht in dichter Folge aufgestellt werden dürfen). Auf diese Frage ist noch zurückzukommen.

e) Hinsichtlich der Einschränkung der Handels- und Gewerbefreiheit aus Gründen des Ortsbildschutzes rechtfertigt sich ein generelles Verbot von Fremdreklame grundsätzlich nur im Bereich von besonders schützenswerten Objekten. Ein generelles Verbot von Fremdreklamen entlang von Durchgangsstrassen wie die ...strasse und die ... erweist sich indessen als unverhältnismässig. Auch wenn bis anhin entlang der (...) Hauptverkehrsachse (...) vom Gemeinderat offenbar keine Fremdwerbung bewilligt wurde (eine Bewilligung für die aktenkundige und am Augenschein festgestellte geringfügige Fremdwerbung im betreffenden Abschnitt war nicht auszumachen), vermag dieser Umstand das vom Gemeinderat sinngemäss vertretene Verbot für Fremdwerbung nicht zu stützen. (...).

Für das vorliegende Ergebnis, wonach ein generelles Verbot von Fremdwerbung entlang einer Durchgangsstrasse/Hauptverkehrsachse zu weit geht, spricht schliesslich, dass selbst in schutzwürdigen Kernbereichen von Ortschaften Strassenreklame wohl eingeschränkt, nicht aber generell untersagt wird (vgl. dazu VGE 1045/97 vom 21. November 1997 betreffend eine Leuchtreklame/Eigenreklame an einem Gebäude in der Kernzone eines Ortes, welches im Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz enthalten ist; vgl. BVR 1995, S. 34ff. betreffend Eigenreklame im schutzwürdigen Altstadtbereich von Bern). Wenn aber selbst in hinsichtlich des Ortsbildschutzes heiklen Bereichen wie Kernzonen Strassenreklame (in Form von Eigenreklame) zugelassen wird, ist um- so mehr auch Werbung entlang von (weniger anspruchsvollen) Durchgangsstrassen in gewissem Umfange zu akzeptieren. (...)

Abgesehen davon ist festzuhalten, dass Fremdwerbung nicht a priori als negativ zu werten ist, sondern im Gegenteil auch in einem öffentlichen Interesse stehen kann. So besteht beispielsweise im Vorfeld von Wahlen und Abstimmungen ein Interesse an politischer Werbung, sei es, um Parteien und Kandidaten eine Plattform zur Selbstdarstellung gegenüber den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern anzubieten, sei es für bestimmte Abstimmungsparolen zu werben usw.

(VGE 1006/99 vom 21. Mai 1999).

  

9

Planungs- und Baurecht

Gestaltungsplan (§§ 30f. PBG).  
 Planänderung: Zustimmung aller Grundeigentümer nicht erforderlich (Erw. 1).  
– Plangebietserweiterung: Zustimmung aller Grundeigentümer erforderlich (Erw. 2).

Aus den Erwägungen:

1. a) Gestaltungspläne werden auf Antrag sämtlicher Grundeigentümer des Einzugsgebietes vom Gemeinderat erlassen. Besteht Gestaltungsplanpflicht für mehrere Grundeigentümer und können sich diese nicht auf einen Gestaltungsplan einigen, so genügt der Antrag eines oder mehrerer Grundeigentümer, denen mindestens die Hälfte des Einzugsgebietes gehört (§ 30 Abs. 1 PBG). Der Gestaltungsplan kann nach Anhören der Grundeigentümer durch Verfügung des Gemeinderates aufgehoben werden, wenn innert fünfzehn Jahren seit Inkrafttreten nicht in wesentlichen Teilen mit der Verwirklichung begonnen wurde. Die Gemeindeversammlung kann beim Erlass oder bei der Änderung des Zonenplanes die Aufhebung von Gestaltungsplänen beschliessen, sofern dadurch der Grundsatz von Treu und Glauben nicht verletzt wird (§ 31 PBG).

b) Gestaltungsplanänderungen gegen den Willen einzelner Gestaltungsplangenossen sind grundsätzlich möglich. Das Verwaltungsgericht hat 1985 im Lichte des damals noch geltenden Baugesetzes vom 30. April 1970 ausgeführt, der Gestaltungsplan (in der damaligen Terminologie «Quartiergestaltungsplan») bewege sich eher in Richtung einer Baubewilligungsverfügung, während der Zonenplan einem Rechtssatz nahe komme. Folgerichtig dürfe der Eigentümer damit rechnen, dass solche Sondernutzungspläne, wie sie der Gestaltungsplan darstelle, besseren Stand hätten als Zonenpläne. Da diese Praxis vor allem auf den Schutz der Eigentümer im Gestaltungsplangebiet ausgerichtet sei, wäre gegenüber Gestaltungsplänen eine weniger grosse Zurückhaltung an den Tag zu legen, wenn die Initiative auf die Planänderung von den Planadressaten ausgehe, wobei dann, wenn ein Teil der im Plangebiet liegenden Grundeigentümer opponiere, eine Interessenabwägung vorzunehmen sei. Eine Planänderung rechtfertigen könnten vor allem eine zweckmässigere Nutzung, eine bessere architektonische oder ortsbauliche Gestaltung oder ganz allgemein formuliert Massnahmen, welche den raumplanerischen Zielsetzungen deutlich besser entsprechen als die geltende Ordnung (EGV-SZ 1985, Nr. 10, S. 36ff.).

c) Im neuen Planungs- und Baurecht hat sich die rechtliche Ausgangslage insofern verändert, als nunmehr die Gemeinden im Zonenplan oder Baureglement ausdrücklich für bestimmte Gebiete oder für grössere Bauten und Anlagen die Gestaltungsplanpflicht einführen können (§ 24 Abs. 4 PBG), welche – wie bereits erwähnt – seit der Gesetzesrevision vom 8.5.1996 vom Erfordernis der Einstimmigkeit der Plangenossen entbindet (§ 30 Abs. 1 PBG). Mit der Gestaltungsplanpflicht wird dem Gemeinwesen ein Instrumentarium zur besseren Durchsetzung der öffentlichen, raumplanerischen Interessen zur Verfügung gestellt. Es sind dies vornehmlich jene Interessen, welche nach bisheriger Praxis auch eine Änderung des Gestaltungsplanes bei fehlender Einstimmigkeit erlaubten. Für Gestaltungspläne auf freiwilliger Basis bleibt dagegen die private, auf Einstimmigkeit beruhende Initiative vorbehalten. Geht man davon aus, dass die raumplanerischen Interessen nunmehr vor allem mit der Gestaltungsplanpflicht abgedeckt werden, stehen sich bei Änderungen der freiwilligen Gestaltungspläne primär private Interessen gegenüber, die dem Gebot der Planbeständigkeit grundsätzlich hintenanzustellen sind, es sei denn – in Anlehnung an die bisherige Rechtsprechung –, mit den Änderungen würde im konkreten Fall auch den raumplanerischen öffentlichen Zielsetzungen deutlich besser entsprochen werden.

d) Dem Gebot der Planbeständigkeit ist naturgemäss weniger Beachtung zu schenken, wenn alle Plangenossen einer Änderung zustimmen. Anderseits kommt ihm bei fehlender Einstimmigkeit bei der Interessenabwägung nach wie vor eine gewichtige Bedeutung zu, zumal der Gestaltungplan mehr Verfügungs- denn Rechtssatzcharakter hat. Dass dem Gebot der Planbeständigkeit erhebliche Bedeutung zukommt, ergibt sich auch aus dem oben erwähnten § 31 PBG, wonach eine von aussen diktierte Aufhebung des Gestaltungsplanes nur in Frage kommt, wenn der Grundsatz von Treu und Glauben nicht verletzt wird (vgl. auch § 24 Abs. 1 VVzPBG).

2. a) Ungeklärt ist in casu die Frage, wie es sich bei Erweiterungen des Plangebietes verhält. Handelt es sich um eine Gestaltungsplanänderung, bei der die oben dargelegten Grundsätze zum Tragen kommen, oder ist ausserhalb der Gestaltungsplanpflicht für die Erweiterung a priori die Zustimmung aller Plangenossen des gesamten Plangebietes erforderlich.

b) Dem Erlass eines Gestaltungsplanes auf freiwilliger Basis liegt ein gemeinsamer «Antrag sämtlicher Grundeigentümer des Einzugsgebietes» zugrunde (§ 30 Abs. 1 PBG). Damit bringt ein zustimmender Grundeigentümer seine Haltung in zwei Richtungen zum Ausruck. Einerseits ist er bereit, dass sein Grundstück ins Plangebiet einbezogen wird und in Beachtung bestimmter Sondervorschriften überbaut werden kann. Anderseits ist er aber auch mit der konkreten Ausdehnung des Plangebietes einverstanden, in welchem diese Sondervorschriften gelten sollen. Er könnte nun ohne jegliche Grundangabe seine Zustimmung verweigern mit der Konsequenz, dass nicht nur sein Grundstück nicht ins Plangebiet einbezogen wird, sondern der konkret beabsichtigte Planerlass auch dahinfällt und möglicherweise wegen einer nunmehr ungenügend grossen zusammenhängenden Baulandfläche sogar in anderer Ausgestaltung falliert. Dieses umfassende Zustimmungsrecht (bzw. Zustimmungserfordernis) darf durch spätere Planerweiterungsbegehren nicht unterlaufen werden. Wie beim Planerlass müssen auch bei der Planerweiterung grundsätzlich sämtliche Grundeigentümer des gesamten Einzugsgebietes ihre Zustimmung erteilen. Es geht deshalb nicht an, dass Planerweiterungen den bisher als zulässig qualifizierten Planänderungen gleichgestellt werden. Zwar ist nicht zu verkennen, dass ein beim Planerlass zustimmender Grundeigentümer seine Zustimmung auch auf die Sondervorschriften bezogen hat. Wenn nun solche Planänderungen dennoch – wie dargelegt – gegen den Willen eines Plangenossen genehmigt werden (ob bereits im Erlassverfahren Änderungen infolge des Auflage- und Genehmigungsverfahrens zum Rückzug der Zustimmungserklärung berechtigen würden, kann hier aber dahingestellt bleiben), so gilt es zu beachten, dass einer Gestaltungsplanerweiterung, wie sie hier zur Diskussion steht, eine ganz andere Dimension und Tragweite zugrunde liegt, als bei den in engen Grenzen zulässigen Planänderungen innerhalb eines bestehenden Plangebietes. Das Ausmass eines Plangebietes und die damit verbundene Zustimmungsbedürftigkeit sind entscheidende Bestandteile eines Gestaltungsplanes, die auch im Planerweiterungsverfahren das uneingeschränkte Zustimmungserfordernis rechtfertigen. Dahingestellt bleiben kann, ob und bei welchem Zustimmungsquorum geringfügige Plangebietsarrondierungen zur Behebung oder Verbesserung plangebietsinterner Mängel auch ohne Einstimmigkeit allenfalls zulässig sein könnten.

(VGE 1024/99 vom 16. September 1999).

  

10

Planungs- und Baurecht

 Groberschliessung: Planung einer Strasse, welche für zwei Gemeinden als Groberschliessungsstrasse dient (Koordination; Erw. 6).  
 Bei Errichtung einer Groberschliessungsstrasse muss bereits im Planungsverfahren geprüft werden, ob Lärmschutzvorschriften eingehalten sind (Erw. 7c/bb–ee).  
 Baulinien im Erschliessungsplan legen Strassenabstand verbindlich fest; auf Rügen, welche die Baulinien betreffen, ist im Planungsverfahren einzutreten (Erw. 8b–c). 

Aus den Erwägungen:

6. a) Vorab ist festzustellen, dass benachbarte Gemeinden nicht verpflichtet sind, gleichzeitig eine Erschliessungsplanung zu erlassen und/oder ein bestimmtes formal vorgegebenes Koordinationsverfahren einzuhalten (vgl. auch Tschannen, Kommentar RPG, Art. 2, Rz. 56). Das formelle Erlassverfahren kann die Koordination indes insofern beeinflussen, als die rascher handelnde, d.h. einen Plan erlassende Gemeinde zulasten der benachbarten Gemeinde gewisse einzuhaltende Vorgaben schafft. Allerdings wird in der Regel zwischen den Gemeinden auf Gesprächs- und Verhandlungsbasis eine einvernehmliche Koordination stattfinden. Zudem hat es der Kanton mittels Richtplanung, Vorprüfung und Genehmigung des Planes in der Hand, vor, während und am Ende eines Erlassverfahrens bei Bedarf koordinierend einzugreifen. Hinzu kommen die Interventionsmöglichkeiten im Rahmen von Rechtsmittelverfahren.

Eine in zeitlicher und verfahrensmässiger Hinsicht optimal abgestimmte Koordination zwischen zwei benachbarten Gemeinden ist aus der Sicht einer effizienten Raumplanung zwar stets erstrebenswert, nicht aber rechtlich zwingend durchzuführen, solange eine materielle Koordination auch anderweitig gewährleistet werden kann (vgl. analog Tschannen, a.a.O., Art. 2, Rz. 12). Im Rahmen der Erschliessungsplanung sind insbesondere und mindestens all jene Fragen materiell koordiniert zu entscheiden, welche nicht auf die Projektgenehmigungsstufe verschoben werden können. So ist zu beurteilen, ob der Groberschliessungscharakter der geplanten ...strasse rechtlich vertretbar ist.

b) Gemäss Art. 2 Abs. 1 RPG erarbeiten Bund, Kantone und Gemeinden die für ihre raumwirksamen Aufgaben nötigen Planungen und stimmen sie aufeinander ab, was sinngemäss auch im Nutzungsplanverfahren gilt (vgl. Art. 25a Abs. 4 RPG). Koordinationsbedarf besteht bei der Nutzungsplanung insbesondere dort, wo mit der Planung gleichzeitig die Einholung von Bewilligungen notwendig ist. Dies ist bei Sondernutzungsplanungen für konkrete Projekte, wie z.B. Sondernutzungspläne für Kiesabbau, Deponien, Parkhäuser oder Einkaufszentren der Fall. Solche Sondernutzungspläne sind so detailliert, dass sie zum grossen Teil die Baubewilligung vorwegnehmen, sie haben verfügungsähnlichen Charakter (Wiestner Koller, Verfahrensbeschleunigung und Verfahrenskoordination, in: Raum & Umwelt 1996, herausgegeben von der VLP, Bern 1997, S. 57; Tschannen, a.a.O., Art. 2, Rz. 32).

Im Hinblick auf die anzustrebende räumliche Entwicklung haben die Behörden bei der Planung raumwirksamer Tätigkeiten u.a. zu prüfen, ob die Tätigkeit mit geltenden Plänen und Vorschriften von Bund, Kantonen, Regionen und Gemeinden über die Nutzung des Bodens, insbesondere mit Richt- und Nutzungsplänen, vereinbar ist (Art. 2 Abs. 1 lit. e RPV). Die Behörden stellen fest, wie sich ihre raumwirksamen Tätigkeiten auswirken und unterrichten einander darüber rechtzeitig (Art. 2 Abs. 2 RPV). Sie stimmen raumwirksame Tätigkeiten aufeinander ab, wenn diese einander ausschliessen, behindern, bedingen oder ergänzen (Art. 2 Abs. 3 RPV). Als Instrument der Planabstimmung wirkt zuvorderst die Richtplanung. Erst aufgrund dieser Vorleistung öffnet sich der Weg zu zielgerichtetem Abstimmen raumwirksamer Tätigkeiten, also zu positiver Koordination. Wo eine Berufung auf die Richtplanung nicht möglich ist, muss die Planabstimmung wenigstens ad hoc sichergestellt werden. Dafür sind die üblichen verwaltungsinternen Konsultationsverfahren und Koordinationsgremien heranzuziehen (vgl. Tschannen, a.a.O., Art. 2, Rz. 56, 19, 12 und Vorbemerkungen zu Art. 6–12, Rz. 11).

(...).

7. c) bb)  Der Regierungsrat stellt sich im angefochtenen Entscheid auf den Standpunkt, man müsse erst anhand eines konkreten Bauprojektes prüfen, ob die Lärmschutzvorschriften eingehalten würden. Dies trifft in dieser absoluten Formulierung nicht zu. Die Umweltvorsorge ist eine klassische Aufgabe der Raumplanung. Der Lärmschutz ist bereits bei der Nutzungsplanung und mithin auch bei der Erschliessungsplanung ein Thema. Die Nutzungsplanung hat beispielsweise dafür zu sorgen, dass Zonen für lärmige Bauten nur an dafür geeigneten Orten ausgeschieden werden. Schon auf Stufe Nutzungsplanung sind immissionsträchtige Nutzungskonflikte zu vermeiden (Robert Wolf, Auswirkungen des Lärmschutzrechtes auf Nutzungsplanung und Baubewilligung, in AJP 9/99, S. 1055, 1058).

Bei der Schaffung von neuen Bauzonen für Gebäude, die dem längeren Aufenthalt von Personen dienen, gilt es zu beachten, dass diese nur in Gebieten vorgesehen werden, in denen die Lärmimmissionen die Planungswerte nicht überschreiten oder in denen diese Werte durch planerische, gestalterische oder bauliche Massnahmen eingehalten werden können (Art. 24 Abs. 1 USG). Werden die Planungswerte in einer bestehenden, aber noch nicht erschlossenen Bauzone für Gebäude, die dem längeren Aufenthalt von Personen dienen, überschritten, so sind sie einer weniger lärmempfindlichen Nutzungsart zuzuführen, sofern nicht durch planerische, gestalterische oder bauliche Massnahmen im überwiegenden Teil dieser Zonen die Planungswerte eingehalten werden können (Art. 24 Abs. 2 USG). Der Erschliessungsbegriff des Umweltschutzgesetzes entspricht dabei demjenigen des Raumplanungsrechts. Ein Baugebiet gilt als erschlossen, wenn u.a. eine für die vorgesehene Nutzung hinreichende Zufahrt besteht. Müssen wesentliche Elemente dieser Erschliessung ergänzt werden, ist das nur unter Einhaltung der Planungswerte erlaubt (R.Wolf, a.a.O., S. 1060). Bei der Anwendung von Art. 24 Abs. 2 USG ist gemäss höchstrichterlicher Rechtsprechung indes nur der noch nicht erschlossene Teil zu berücksichtigen (BGE 123 II, S. 354ff., Erw. 8). Bei der Beurteilung der Lärmbelastung ist nicht nur der bereits existierende Lärm, sondern auch derjenige, der von den zur Erschliessung des Gebietes notwendigen neuen Strassen erwartet wird, zu berücksichtigen. Sind die Planungswerte zurzeit überschritten, dürfen Bauzonen für lärmempfindliche Bauten dennoch ausgeschieden werden, wenn durch planerische, gestalterische oder bauliche Massnahmen die Planungswerte bei der künftigen Überbauung des Gebietes eingehalten werden. Die Massnahmen müssen bereits bei der Nutzungsplanung bzw. Erschliessung verbindlich festgelegt werden, ansonsten später bei der Beurteilung des einzelnen Bauvorhabens nur noch die Einhaltung der Immissionsgrenzwerte zu prüfen ist. Diese Planungspflicht kann auf ein Sondernutzungsplanverfahren verschoben werden, sofern ein sog. Machbarkeitsnachweis vorliegt (R. Wolf, a.a.O., S. 1061).

Bei der Errichtung ortsfester Anlagen (z.B. Verkehrsanlage) gilt, dass die durch diese Anlagen allein erzeugten Lärmimmissionen die Planungswerte in der Umgebung nicht überschreiten (Art. 25 Abs. 1 USG). Besteht ein überwiegendes öffentliches, namentlich auch raumplanerisches Interesse an der Anlage und würde die Einhaltung der Planungswerte zu einer unverhältnismässigen Belastung für das Projekt führen, so können Erleichterungen gewährt werden, wobei jedoch grundsätzlich die Immissionsgrenzwerte nicht überschritten werden dürfen (Art. 25 Abs. 2 USG). Wird eine bereits bestehende ortsfeste Anlage geändert, so müssen die Lärmemissionen der neuen oder geänderten Anlageteile nach den Anordnungen der Vollzugsbehörde so weit begrenzt werden, als dies technisch und betrieblich möglich sowie wirtschaftlich tragbar ist (Art. 8 Abs. 1 LSV). Wird die Anlage wesentlich geändert, so müssen die Lärmemissionen der gesamten Anlage mindestens so weit begrenzt werden, dass die Immissionsgrenzwerte nicht überschritten werden (Art. 8 Abs. 2 LSV). Als wesentliche Änderungen gelten u.a. Erweiterungen, wenn zu erwarten ist, dass die Anlage selbst oder die Mehrbeanspruchung bestehender Verkehrsanlagen wahrnehmbar stärkere Lärmimmissionen erzeugen (Art. 8 Abs. 3 LSV). Der Betrieb neuer oder wesentlich geänderter ortsfester Anlagen darf nicht dazu führen, dass durch die Mehrbeanspruchung einer Verkehrsanlage die Immissionsgrenzwerte überschritten werden oder durch die Mehrbeanspruchung einer sanierungsbedürftigen Verkehrsanlage wahrnehmbar stärkere Lärmimmissionen erzeugt werden (Art. 9 LSV). Bei der Erstellung einer Quartierstrasse muss geprüft werden, ob die weiterführenden Strassen, die den Verkehr aus dem Quartier aufnehmen sollen, unter dem Gesichtspunkt der Lärmbelastung ausreichende Reserven besitzen (R.Wolf, a.a.O., S. 1067).

cc) (...). Eine allfällige Überschreitung der Belastungsgrenzwerte steht nun nicht in einem direkten Zusammenhang mit dem auf X.-Seite überbauten Einzugsgebiet der ...strasse. Der den Planungswert überschreitende Groberschliessungsverkehr wird zur Hauptsache von dem auf der Y.-Seite zu erschliessenden Gebiet her kommen. Insofern ist es fraglich, ob vorliegend gestützt auf Art. 24 Abs. 2 USG allfällige Massnahmen zur Einhaltung der Planungswerte verlangt werden können, zumal das überbaute X.-Gebiet faktisch erschlossen ist und grundsätzlich bei der Anwendung von Art. 24 Abs. 2 USG nur nichterschlossene Gebiete mitzuberücksichtigen sind. Anderseits macht es wenig Sinn, eine Groberschliessungsstrasse im Rahmen der Erschliessungsplanung zu akzeptieren, die sich im bereits überbauten Gebiet lärmschutzrechtlich als nicht realisierbar herausstellen könnte. Wenn vorliegend das fragliche Baugebiet nur auf einem Gemeindegebiet liegen und die Bauzonenausscheidung mit der Erschliessungsplanung zeitlich koordiniert erfolgen würde, käme der Konnex zwischen Erschliessungsplanung und Lärmschutzmassnahmen deutlicher zum Vorschein. Keine nutzungsplanerischen Massnahmen drängen sich für rechtsgültig festgelegte, ausreichend erschlossene Bauzonen auf (vgl. R. Wolf, a.a.O., S. 1061), welche Voraussetzung für das nicht hinreichend erschlossene X.-Gebiet indes nicht erfüllt ist. Es bedarf mithin im vorliegenden Verfahren noch genauerer Abklärungen, ob die Groberschliessung ...strasse bei dem prognostizierten Verkehrsaufkommen überhaupt machbar ist. Es wird die Frage zu beurteilen sein, ob und wie die Planungswerte eingehalten werden müssen bzw. können (die kommunale Gutachterin geht auf Seite 9 ihres Gutachtens von einer neuen ortsfesten Anlage aus; siehe auch R.Wolf, a.a.O., S. 1065). (...).

ee) Sollte sich das prognostizierte Verkehrsaufkommen wider Erwarten als falsch bzw. als zu gering herausstellen, so ist was folgt zu beachten: eine Erschliessung ist u.a. dann ungenügend, wenn sie die Umweltschutzgesetzgebung verletzt (BGE 116 Ib 166). Soweit die geplante ...strasse als Groberschliessung für noch unüberbautes Bauland konzipiert ist und im Zeitpunkt der geplanten Bebauung Lärmmessungen ergeben, dass der Planungswert bzw. der Immissionsgrenzwert bereits erreicht ist (je nach dem, welcher Grenzwert massgebend ist), so fehlt es den unüberbauten Grundstücken grundsätzlich an der erforderlichen Erschliessung und damit an der Baureife, ausser es seien in Bezug auf die Einhaltung der Planungswerte Erleichterungen zu gewähren (Art. 7 Abs. 2 LSV; vgl. hiezu auch R. Wolf, S. 1066f. lit. d). Ein Bauvorhaben in dieser Zone könnte nicht bewilligt werden, bis eine anderweitige hinreichende Erschliessung verwirklicht ist (BGE 116 Ib 167; betr. zusätzliche Massnahmen siehe R.Wolf, a.a.O., S. 1065). (...).

8. b) Baulinien dienen der Freihaltung von Land für Bauten und Anlagen im öffentlichen Interesse und wirken sich als Bauverbote aus. Sie bezeichnen zudem planerisch den Mindestabstand von öffentlichen Verkehrsanlagen, Gewässern usw. (Schürmann/Hänni, Planungs-, Bau- und besonderes Umweltschutzrecht, 3. A., S. 185; Haller/Karlen, Raumplanungs- und Baurecht, 2. A., S. 84, N. 353f.).

Im geltenden kantonalen Planungs- und Baurecht werden Baulinien explizit im Zusammenhang mit dem Gewässerabstand erwähnt (§ 66 Abs. 2 PBG). Unter der Marginalie «Andere Abstandsvorschriften» (gemeint ist von anderen Erlassen oder abweichenden kommunalen Vorschriften gemäss § 52 PBG) wird zudem festgehalten, soweit Baulinien beständen, würden diese den Abstandsvorschriften vorgehen. Im Weiteren hält § 33 Abs. 1 PBG fest, dass innerhalb von in Nutzungsplänen enthaltenen Baulinien das Land nicht anderweitig überbaut werden darf. Nach der noch geltenden kantonalen Strassenbauverordnung können «Detailprojekte» für das Planauflageverfahren nach § 28 Baulinien enthalten mit der Konsequenz, dass «zwischen den Baulinien ohne Bewilligung keine Neu- oder Umbauten erstellt werden» dürfen (§ 27 Abs. 1 StraV). § 60 Abs. 1 StraV bestimmt die Strassenabstände für die verschiedenen Strassentypen unter dem Vorbehalt, dass keine besonderen Baulinien in Anwendung von Bau- oder Strassenplanungsvorschriften festgelegt sind. Im künftigen Strassenverordnungsrecht (vgl. vorn Erw. 7b/gg) hält § 40 fest, der Strassenabstand werde mit Baulinien im Nutzungsplanverfahren nach PBG oder subsidiär im Projektgenehmigungsverfahren festgelegt.

Das kommunale Baurecht verweist einerseits auf die kantonalen Strassenabstandsvorschriften (Art. 66 Abs. 1 BauR), anderseits spricht es im Zusammenhang mit dem Strassen- und Trottoirraum von Baulinienbereich (Art. 59 Abs. 5 BauR).

Wenn nun der kommunale Erschliessungsplan nach Bedarf für die Linienführung der Groberschliessungsstrassen und den Ausbau bestehender Verkehrsanlagen Baulinien enthalten kann, so kommt diesen grundsätzlich die oben dargelegte Rechtswirkung zu. Einerseits wird der einzuhaltende Strassenabstand verbindlich festgelegt. Die Fahrbahnfläche kann somit nicht nachträglich in diesen für eine Groberschliessungsstrasse konkret bestimmten Abstandsbereich verschoben werden. Anderseits besteht bis auf den vorgesehenen Strassenbau ein grundsätzliches Bauverbot zwischen dem Baulinienpaar. Soweit nun Rügen diese Verbindlichkeitswirkung in Frage stellen, ist darauf einzutreten.

c) Im Reglement zum vorliegenden Erschliessungsplan, welches anfangs 1997 öffentlich aufgelegt wurde, wird noch nicht auf das per 1.1.1997 in Kraft gesetzte revidierte Erschliessungsplanrecht Bezug genommen, welches unbestrittenermassen die detaillierte Festlegung von Baulinien ermöglicht (RRB 2138 v. 12.12.1995, Teilrevision des Planungs- und Baugesetzes, Bericht und Vorlage an den Kantonsrat, S. 17). Vielmehr sieht Art. 5 Abs. 4 dieses Reglementes unter Bezugnahme auf das bisherige Recht vor, dass die detaillierte Festlegung von Baulinien u.a. im Nutzungsplanverfahren (Teilerschliessungsplan oder Gestaltungsplan) in einem «separaten Detailplan» erfolgen könne. In diesem Sinne und im Einklang mit dem revidierten Erschliessungsplanrecht liegt in casu eine detaillierte Festlegung der Baulinie vor, welche nebst Erschliessungsplan und Reglement explizit ausgeschrieben und zum Verfahrensgegenstand erhoben wurde. (...).

(VGE 1015/99 vom 19. November 1999).

 

11

Planungs- und Baurecht

 Erschliessung (§ 37 PBG). Erwartete Gesamtbeanspruchung einer Feinerschliessungsstrasse: Gemeinde hat weder Pflicht noch Recht, analog zur Groberschliessung eine Feinerschliessungsplanung durchzuführen; sie kann auch nicht verlangen, dass im Zusammenhang mit der Überbauung eines Grundstückes die Feinerschliessungsanlage so ausgebaut wird, dass sie bei einer allfälligen Überbauung eines anderen, an der Erschliessungsanlage nicht berechtigten Grundstückes ausreicht.

Aus dem Sachverhalt:

X., Y. und Z. ersuchen um einen Teilausbau des A.-Weges (Feinerschliessungsstrasse). Im Weiteren ersucht X. um die Erstellung zweier Doppel-Einfamilienhäuser am A.-Weg.

Die gemeinderätliche Bewilligung des Teilausbaus des A.-Weges wird vom Regierungsrat aufgehoben mit der Begründung, man könne nicht abschliessend beurteilen, ob dieser bewilligte Ausbau den Anforderungen einer hinreichenden Gesamterschliessung des A.-Gebietes zu genügen vermöge. Insbesondere stehe nicht eindeutig fest, wie die verbleibenden Baulandreserven des im A.-Gebiet gelegenen Grundstückes KTN C (an A.-Weg nicht berechtigt) strassenmässig erschlossen werden sollen. Damit die Anforderungen an den Ausbau des A.-Weges als Erschliessungsstrasse definitiv formuliert und festgelegt werden könnten, müsse vorerst das gesamte Baugebiet, das darüber erschlossen werden solle, klar und eindeutig definiert werden. Da dies der Gemeinderat bis anhin noch nicht getan habe, müsse er dies nachholen.

Aus den Erwägungen:

4. c) Die minimalen Erschliessungsanforderungen werden durch das kantonale Recht geregelt (§ 37 i.V. mit § 53 und § 52 Abs. 1 und 2 PBG). Die «hinreichende Zufahrt» ist ein unbestimmter Gesetzesbegriff, dessen Inhalt auf dem Auslegungswege zu bestimmen ist. Es handelt sich mithin um eine Rechtsfrage, die aber praxisgemäss der rechtsanwendenden Verwaltungsbehörde einen gewissen Beurteilungsspielraum einräumt. Die angerufenen Rechtsmittelinstanzen legen sich deshalb eine gewisse Zurückhaltung auf, wenn es um die Beurteilung von örtlichen Verhältnissen und Gegebenheiten geht, die die lokalen Behörden besser kennen (VGE 530/91 v. 18.7.1991, Erw. 2, Prot. S. 693f.).

Gemäss konstanter Rechtsprechung ist bei der Beurteilung der hinreichenden Erschliessung stets von der erwarteten Gesamtbeanspruchung der Erschliessungsstrasse unter Einschluss der Nachbarschaft und der Allgemeinheit auszugehen (VGE 530/91 v. 18.7.91, Erw. 2, 3c mit Hinweisen; VGE 652/92 v. 22.1.93, Erw. 6b). Die hinreichende Zufahrt hat sich grundsätzlich nach den zonengrechten Baumöglichkeiten jener Flächen zu richten, die sie erschliessen soll (VGE 728/95 v. 18.7.96, Erw. 2c). Welches das zu erschliessende Gebiet ist, bestimmt bei Groberschliessungsstrassen der Erschliessungsplan (§ 23 Abs. 2 PBG). Bei Feinerschliessungsstrassen fehlt ein entsprechendes Instrumentarium. Hier sind insbesondere allfällige Gestaltungspläne, Strassenperimeter von Flurgenossenschaften, Strassenmiteigentümergemeinschaften und dergleichen, Fahr- und Fusswegrechte zulasten eines Erschliessungsareals, Topographie und Überbauungssituation eines Gebietes usw. heranzuziehen. Darauf basierend ist das massgebende Einzugsgebiet einer Feinerschliessungsstrasse zu bestimmen. (...)

5. d) Im konkreten Fall hat der Gemeinderat zurzeit keine Möglichkeit, verbindlich festzulegen, ob dereinst Kat. Nr. C und allenfalls weitere nicht am A.-Weg berechtigte Parzellen wie Kat. Nr. ... im Falle einer Neuüberbauung über den A.-Weg zu erschliessen sind. Insbesondere kann er die rechtlich hinreichende Erschliessung bzw. deren Durchsetzung – ohne die eine verbindliche Festlegung des Erschliessungsgebietes wenig Sinn macht – nicht verbindlich anordnen bzw. vorsehen. Die Gemeinde hat weder die Pflicht noch das Recht analog zur Groberschliessung (vgl. hierzu § 21 Abs. 1 VVZ PBG) eine Feinerschliessungsplanung durchzuführen. Das Gebiet um den A.-Weg ist auch keiner Gestaltungsplanpflicht unterstellt worden. Ein Gestaltungsplan ist bis heute weder erlassen noch beantragt worden. Aufgrund der konkreten Verhältnisse und Begleitumstände ist auch nicht zu erwarten, dass in absehbarer Zeit ein Gestaltungsplan mit einem umfassenden Perimetergebiet beantragt werden könnte, was die Regelung der umstrittenen Erschliessungsfrage erlauben würde. Ebensowenig steht eine Ersatzvornahme nach § 42 PBG zur Diskussion. (...).

Für die Bestimmung der zu erwartenden Gesamtbeanspruchung ist mithin in erster Linie davon auszugehen, welche Grundstücke berechtigt sind, den A.-Weg zu befahren und zu begehen. Hierzu gehört Kat. Nr. C unbestrittenermassen nicht. Diese über ... m2 grosse Parzelle ist zurzeit denn auch mit einer in diesem Jahrhundert erstellten herrschaftlichen Villa überbaut und über den B.-Weg hinreichend erschlossen. Ob bei einer gesteigerten Nutzung von Kat. Nr. C der A.-Weg als Feinerschliessungsstrasse rechtlich beansprucht werden kann, ist unsicher. Aufgrund der bisherigen Auseinandersetzungen erscheint zum einen eine vertragliche Rechtseinräumung durch die Miteigentümergemeinschaft A.-Weg eher fraglich (...). Zum anderen ist auch unsicher, ob auf dem Enteignungsweg (§ 41 PBG) die erforderlichen Rechte eingeräumt werden könnten, da der B.-Weg als Bestandteil des privatrechtlich aktuell bestehenden Erschliessungskonzeptes zumindest prima vista als ausbaubar zu qualifizieren ist (...). Es würde sich deshalb in einem solchen Verfahren zumindest die Frage stellen, ob die Enteignung zur Schaffung einer hinreichenden Erschliessung und mithin zur Herbeiführung der Baureife überhaupt erforderlich wäre (zu dieser Problematik vgl. VGE 1060/97 v. 8.4.1998, Erw. 3; Publikation in EGV-SZ 1998, Nr. 9). Bei dieser Ausgangslage geht es zu weit, im Rahmen der hinreichenden Erschliessung bzw. der zu erwartenden Gesamtbeanspruchung Kat. Nr. C in das Einzugsgebiet miteinzubeziehen mit der allfälligen Konsequenz, dass der A.-Weg nur wegen eines zurzeit nichtwegberechtigten Grundstückes vorsorglich und auf Kosten Dritter mit einem zusätzlichen Trottoir ausgebaut werden müsste. Sollte später tatsächlich eine Nutzungserhöhung auf Kat. Nr. C eine Erschliessung über den A.-Weg erforderlich machen, so steht der Beschwerdegegnerin nebst der vertraglichen Einigung mit den Miteigentümern des A.-Weges das Gesuch für Erschliessungshilfe gemäss § 41 PBG offen, wobei nach der revidierten Fassung von § 41 Abs. 1 PBG nebst der Mitbenützung jetzt auch der Ausbau privater Erschliessungsanlagen ermöglicht wird.

(VGE 1009 + 1014/99 vom 15. Juli 1999).

  

12

Planungs- und Baurecht

 Mitbenützung privater Erschliessungsanlagen durch Dritte nach § 41 PBG; in der Enteignungsverfügung muss der Umfang der zu enteignenden Rechte sowie die konkret beanspruchte Grundstücksfläche zweifelsfrei feststehen (in casu Rückweisung zur ergänzenden Sachverhaltsabklärung).

Aus den Erwägungen:

1. Nach § 41 Abs.1 des kantonalen Planungs- und Baugesetzes (PBG, nGS IV-493, in der Fassung vom 8. Mai 1996) kann der Gemeinderat die Eigentümer und direkten Anstösser bestehender privater Erschliessungsanlagen verpflichten, die Mitbenützung und den Ausbau durch Dritte gegen volle Entschädigung zu dulden, sofern dies zumutbar und für eine landsparende oder zweckmässige technische Lösung notwendig ist.

Können sich die Beteiligten nicht einigen, enteignet der Gemeinderat die erforderlichen Rechte zugunsten des interessierten Dritten und veranlasst nach Bezahlung der Entschädigung die Eintragung ins Grundbuch (§ 41 Abs. 2 PBG).

Die Entschädigung wird, sofern sich die Beteiligten darauf nicht einigen können, auf Begehren des Enteigneten, des Dritten oder der Gemeinde von der nach dem Enteignungsrecht zuständigen Schätzungskommission festgesetzt. Sie legt auch den Beitrag des Dritten an die Kosten des Unterhalts fest.

2. a) Im vorliegenden Fall ist unbestritten und durch Augenschein erhärtet, (...) dass die Länge der Zufahrtsstrasse inkl. Rasengittersteinbereich rund 65 m umfasst (...) (Hinweis: asphaltierter Teil gehört zu Grundstück C, anschliessender Rasengittersteinbereich gehört zu Grundstück A). In der Sache ist unter anderem hauptsächlich streitig, ob die Voraussetzungen im Sinne von § 41 Abs. 1 3. Teilsatz PBG für die Mitbenützung und den allfälligen Ausbau der bestehenden privaten Erschliessungsanlage durch Dritte gegeben sind. Dabei geht es namentlich um die Frage der Zumutbarkeit und ob eine solche Mitbenützung für eine landsparende oder zweckmässige technische Lösung notwendig ist.

b) Vorab rügt aber der Beschwerdeführer sinngemäss, der Gemeinderat habe am 1. Dezember 1997 unvermittelt die Enteignung der «erforderlichen Rechte für die Strassenerschliessung über das Grundstück A» verfügt, ohne den in § 41 Abs. 1 PBG vorgesehenen Verfahrensschritt einzuhalten. Darnach habe der Gemeinderat, bevor er zur Enteignung schreite, zunächst die Eigentümer und direkten Anstösser bestehender privater Erschliessungsanlagen zu verpflichten, die Mitbenützung und den Ausbau durch Dritte gegen volle Entschädigung zu dulden. Durch die Nichteinhaltung dieses Verfahrensschrittes sei u.a. ihm das rechtliche Gehör verweigert worden sowie liege ein formeller und materieller Rechtsmangel vor (vgl. Beschwerdeschrift, S. 3f.).

c) Das Verwaltungsgericht hat im Entscheid 600/93 vom 29. September 1993 (teilweise publiziert in EGV-SZ 1993, Nr. 14) entschieden, dass für inskünftige Verfahren nach § 41 PBG der Gemeinderat mindestens folgende Punkte zu regeln hat (anzufügen ist, dass damals § 41 Abs. 1 PBG in der Fassung vom 14. Mai 1987 mit folgendem Wortlaut galt: Der Gemeinderat kann die Eigentümer bestehender privater Erschliessungsanlagen verpflichten, die Mitbenützung durch Dritte gegen volle Entschädigung zu dulden, sofern dies zumutbar und für eine landsparende oder zweckmässige technische Lösung notwendig ist):

1.         Der jeweilige Eigentümer eines Grundstückes X. mit bestehender privater Erschliessungsanlage wird verpflichtet, die Erschliessung (Fuss- und Fahrwegrechte) zugunsten eines Grundstückes Y. (im Eigentum des mitbenützungswilligen Dritten) über sein Grundstück X. zu dulden, wobei nötigenfalls – wenn z.B. das Grundstück X. mehr als die bestehende (bzw. vom Dritten benötigte) private Erschliessungsanlage umfasst – zu präzisieren ist, auf welchen Teil vom Grundstück X. sich die zugunsten vom Grundstück Y. einzuräumenden Fuss- und Fahrwegrechte beziehen. 

2.         Den Parteien wird Gelegenheit eingeräumt, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Dienstbarkeitsvertrag abzuschliessen und diesen dem Gemeinderat innert gleicher Frist einzureichen.

3.         Für den Fall, dass innert der angesetzten Frist gemäss Ziffer 2 kein Dienstbarkeitsvertrag abgeschlossen wird, enteignet der Gemeinderat (bereits in der ersten Verfügung) die erforderlichen Fuss- und Fahrwegrechte gemäss Ziffer 1.

Mit anderen Worten bezweckt die Regelung von § 41 PBG, dass (sofern die Voraussetzungen gemäss § 41 Abs. 1 3.Teilsatz PBG gegeben sind) der Gemeinderat zunächst das Terrain ebnet für eine einvernehmliche Lösung  (Verpflichtung zur Duldung der Mitbenützung mit anschliessender Vertragslösung/Dienstbarkeitsvertrag), und falls dieses Vorgehen scheitert, dass der Gemeinderat mit einer Enteignung fortfährt. Diese an sich zweistufige Vorgehensweise kann nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung Gegenstand einer einzigen Verfügung bilden (vgl. EVG-SZ 1993, S. 36, lit. c).

d) Im vorliegenden Fall hat der Gemeinderat in der Verfügung vom 1. Dezember 1997 die erste Verfahrensstufe – die Verpflichtung des Beschwerdeführers (als Eigentümer von A.) zur Duldung der Mitbenützung und eines allfälligen Ausbaus einer bestehenden privaten Erschliessungsanlage auf KTN A – weder erwähnt noch behandelt, sondern direkt die Enteignung der entsprechenden Rechte angeordnet. Es stellt sich die Frage, wie diese Unterlassung zu beurteilen ist. Mit anderen Worten fragt sich, ob die Einhaltung der ersten Verfahrensstufe lediglich den Charakter einer Ordnungsvorschrift aufweist, oder ob es dabei um ein Gültigkeitserfordernis geht mit der Wirkung, dass ohne korrekte Durchführung der ersten Verfahrensstufe die zweite Verfahrensstufe, die Enteignung, noch gar nicht zulässig ist.

e) Die Vorinstanz II schützte im angefochtenen Entscheid das Vorgehen des Gemeinderates, welches vom dargelegten zweistufigen Verfahren abwich, im Wesentlichen mit der Begründung, aufgrund des zweimaligen Fernbleibens des Beschwerdeführers von den anberaumten Aussprachen/Einigungsverhandlungen sowie aufgrund der beharrlichen Haltung des Beschwerdeführers, wonach eine andere Zufahrtsmöglichkeit über die ...strasse bestehe, habe davon ausgegangen werden dürfen, dass weitere Einigungsbemühungen von vornherein zum Scheitern verurteilt seien. Es hätte deshalb unter den konkreten Umständen keinen Sinn gemacht, zuerst die Duldung der Mitbenützung der Erschliessungsstrasse anzuordnen und erst in einem weiteren Schritt die Enteignung zu verfügen, dies nicht zuletzt aus verfahrensökonomischen Gründen. Zu deutlich habe der Beschwerdeführer zu erkennen gegeben, dass für ihn eine Einigung nicht in Frage komme. Im Übrigen seien dem Beschwerdeführer durch das Vorgehen des Gemeinderates keine Verfahrensnachteile entstanden (vgl. angefocht. Entscheid, Erw. 5.3).

f) In der Tat ist aktenkundig, dass der Beschwerdeführer an zwei vom Gemeinderat angesetzten Einigungsverhandlungen vom 19. Juni 1997 und vom 12. September 1997 kein Interesse zeigte und mit dem Verweis auf eine andere Erschliessungsmöglichkeit die Teilnahme an diesen Verhandlungen im Ergebnis ablehnte. (...)

Bei dieser Sachlage läuft das Festhalten des Beschwerdeführers an der Durchführung der 1.Verfahrensstufe auf einen überspitzten Formalismus hinaus. Diese Thematik braucht hier aber nicht abschliessend behandelt zu werden, da die Sache ohnehin zurückzuweisen ist, wie nachfolgend dargelegt wird.

3. Selbst wenn der dargelegten 1. Verfahrensstufe lediglich der Charakter einer Ordnungsvorschrift zukäme (was hier offen bleiben kann), fallen im konkreten Fall folgende Umstände ins Gewicht, welche im Ergebnis für eine Rückweisung sprechen:

a) Die (hoheitliche) Anordnung der Mitbenützung einer bestehenden Erschliessungsanlage setzt grundsätzlich voraus, dass die Anforderungen von § 41 Abs. 1 3. Teilsatz PBG erfüllt sind. Eine solche Mitbenützung stellt an sich im konkreten Fall eine landsparende Lösung dar, da es sich dabei um die kürzeste Verbindung zwischen den Baugrundstücken der Beschwerdegegner und der ...strasse handelt. Das Kriterium der Zumutbarkeit kann hingegen nur dann sachgerecht behandelt werden, wenn der (maximale) Umfang des in Frage kommenden Eingriffs feststeht. Diesbezüglich ist die zugrundeliegende Verfügung vom 1. Dezember 1997, wo in Dispositivziffer 1 von einer Enteignung der «erforderlichen Rechte für die Strassenerschliessung über das Grundstück A» zugunsten der Überbauung des Baulandes der Beschwerdegegner die Rede ist, zu unbestimmt. Auch wenn diese Dispositivziffer ausdrücklich auf die Erwägungen verweist, wird in dieser Verfügung nirgends klar festgehalten, wie weit der Eingriff auf dem Grundstück des Beschwerdeführers gehen soll.

b) Zunächst wird in der genannten Verfügung nicht gesagt, in welchem Umfang und wo genau Fussweg- und Fahrwegrechte beansprucht werden. In einer Enteignungsverfügung muss allein schon wegen der Vollstreckbarkeit der Umfang der zu enteignenden Rechte sowie die konkret beanspruchte Grundstücksfläche zweifelsfrei feststehen.

aa) Wie bereits im Präjudiz VGE 600/93 vom 29. September 1993 ausgeführt wurde, muss dann, wenn das tangierte Grundstück mehr als eine bestehende private Erschliessungsanlage umfasst, in der Verfügung präzisiert werden, auf welchen Teil des tangierten Grundstückes sich die zu- gunsten der Grundstücke von Dritten einzuräumenden Fuss- und Fahrwegrechte beziehen. Eine solche Präzisierung ist insbesondere dann unabdingbar, wenn die bestehende asphaltierte Strassenfläche (gehört zu Grundstück C) an der Grenze zwischen A/C endet und auf dem Grundstück A des Beschwerdeführers in eine wesentlich breitere, mit Rasengittersteinen bedeckte Fläche übergeht, welche als Parkplatz- und Manövrierareal für eine stattliche Zahl von Fahrzeugen dient. In Anbetracht dieser bestehenden Parkplatznutzung ist es unumgänglich, in der Enteignungsverfügung festzuhalten, welche Fläche von A. konkret mit Fuss- und Fahrwegrechten belastet wird, und welche Fläche von A. auch inskünftig für Abstellplätze oder andere Nutzungen zur Verfügung steht. Anzufügen ist, dass im Erlasszeitpunkt einer Enteignungsverfügung eine approximative (nicht «geometergenaue») Festlegung der tangierten Fläche bzw. ein «Circa-Mass» grundsätzlich genügt (vgl. VGE 659/93 vom 25. März 1994, Erw. 6b, Prot. S. 217 oben). Allerdings wird es dabei in der Regel zweckmässig sein, die betroffene Grundstücksfläche zusätzlich in einem (Bestandteil der Enteignungsverfügung bildenden) Plan mit entsprechender Kolorierung darzustellen.

bb) Im konkreten Fall fällt zudem ins Gewicht, dass die asphaltierte Zufahrtsstrasse (gehört zu C) direkt entlang der Westfassade (...) des auf A. liegenden Gebäudes (...) führt. Diese Fassade enthält im Erdgeschoss vier grosse Tore, welche einen direkten Zugang auf die Strasse erlauben. Aufgrund der heutigen Situation weist dieser Strassenabschnitt den Charakter einer Hauszufahrt auf (anlässlich des verwaltungsgerichtlichen Augenscheines konnten denn auch die Vertreter des Gemeinderates auf keine Ausnahmebewilligung vom Strassenabstand gemäss § 65 Abs. 2 PBG hinweisen), da zwischen dem genannten Gebäude (auf A.) und dem Strassenareal (C) kein bzw. ein äusserst geringer Abstand besteht (vgl. auch Fotos des vorinstanzl. Augenscheins). Ginge man einmal davon aus, die vorliegende Enteignung sei zu bestätigen, würde die entlang des Gebäudes führende Strassenfläche den Charakter einer Hauszufahrt verlieren, d.h. diese Fläche würde hinsichtlich einer Überbauung des Baulandes der Beschwerdegegner im Ergebnis grundsätzlich zu einer Durchgangsstrasse im Sinne einer «bedeutungsvollen Privatstrasse» (vgl. dazu EGV-SZ 1991, Nr. 5). Ein freies Passieren der genannten Tore verträgt sich aber kaum mit einer solchen neben den Toren verlaufenden Durchgangsstrasse, da diese Tore praktisch keinen Abstand zur (asphaltierten) Verkehrsfläche aufweisen. Es stellt sich mithin die Frage, ob allenfalls auch Zugangs- und Zufahrtsrechte (im Bereich der genannten Tore) zu enteignen sind, um eine «konforme Erschliessung» zu gewährleisten. Anlässlich des verwaltungsgerichtlichen Augenscheines blieb die Darstellung des Beschwerdeführers unbestritten, dass das Grundstück A Zugangs- und Zufahrtsrechte (am Grundstück C) für die erwähnten Tore besitze (...). Wie es sich im einzelnen damit genau verhält, bildet Gegenstand von weiteren Sachverhaltsabklärungen. Soweit es sich so verhält, dass der Beschwerdeführer befugt ist, die vier Tore als Ein-/Ausgänge zu nutzen, wäre es für eine Erschliessung des Baulandes der Beschwerdegegner via die betreffende Zufahrtsstrasse unerlässlich, aus Verkehrssicherheitsgründen den freien Zugang durch diese vier Tore wesentlich einzuschränken, oder gegebenenfalls sogar ganz zu unterbinden. Dies wäre jedenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn mit erheblichem Verkehr zu rechnen ist (vgl. dazu noch nachfolgend). Vorbehalten bleibt schliesslich eine Beurteilung der Strassenabstandsunterschreitung im Sinne von § 65 Abs. 2 PBG im Rahmen eines allfälligen Baubewilligungsverfahrens (betreffend Überbauung B), welches auf einer Umwandlung der Hauszufahrt (entlang des Gebäudes) in eine Zufahrtsstrasse mit Durchgangscharakter (für die Grundstücke B) im Sinne einer «bedeutungsvollen Privatstrasse» basiert. Vorbehalten bleiben im Übrigen auch noch die Anforderungen an die Strassenbreite gemäss Art. ... des kommunalen Strassenreglementes.

Nach dem Gesagten ergibt sich, dass die von den Vorinstanzen und den Beschwerdegegnern befürwortete Mitbenützung der bestehenden Zufahrtsstrasse zur Erschliessung von B. (im Eigentum der Beschwerdegegner) für den Beschwerdeführer nicht nur einen bestimmten Eingriff im westlichen Bereich von A. (im Bereich der Rasengittersteine) beinhaltet, sondern zusätzlich in einem Spannungsverhältnis steht zur (unklaren) Nutzung der vier genannten Tore, welche direkt an die asphaltierte Fläche anstossen. Soweit aber eine Erschliessung von B. über die betreffende Zufahrtsstrasse auch eine Einschränkung von Zugangsrechten via die genannten Tore erfordert, müsste eine solche Massnahme in der Enteignungsverfügung klar festgehalten werden. Des Weiteren ist eine solche Einschränkung von Zugangsrechten offenkundig auch für die Frage der Zumutbarkeit von Bedeutung.

c) Aber auch die Beurteilung der Zumutbarkeitsfrage generell erfordert zusätzliche Abklärungen. Im Zentrum steht dabei die Frage, mit welchem Verkehrsaufkommen über das betreffende Strassenstück zu rechnen ist. Das Verkehrsaufkommen ist im Wesentlichen davon abhängig, wie das betreffende Baulandareal von rund .... m2, welches der gemischten Zone WG 3 zugeordnet ist, schliesslich überbaut und genutzt wird.

Das Institut der Mitbenützung bestehender privater Erschliessungsanlagen im Sinne von § 41 PBG steht offenkundig im Dienste des an einer gemeinsamen Erschliessungslösung interessierten und darauf angewiesenen Dritteigentümers. Von daher ist es seine Sache, klar und substantiiert darzulegen, wofür er Mitbenützungsrechte benötigt.

Solange der Dritteigentümer bzw. hier die Beschwerdegegner nicht präzisieren, welche Bauten auf B. erstellt werden sollen, muss jeweils vom maximal in Frage kommenden Eingriff (bzw. von dem für den betroffenen Grundeigentümer ungünstigsten Fall) ausgegangen werden. Vor Verwaltungsgericht brachten die Beschwerdegegner nicht vor, wie die «dannzumal konkret geplanten Wohnbauten und allenfalls Gewerbebauten» ausfallen werden (...). Dies bedeutet konkret, dass hier nicht auf eine reine Wohnnutzung von B. abgestellt werden kann, sondern vielmehr die maximal mögliche gewerbliche Nutzung mitzuberücksichtigen ist. Überlegungen der Vorinstanzen zu erheblichem Gewerbeverkehr über die betreffende Zufahrtsstrasse fehlen vollständig, insbesondere wurde noch nicht diskutiert, ob ein intensiver gewerblicher Verkehr unmittelbar entlang des auf A. stehenden Gebäudes zumutbar wäre. Auch von daher ist eine Rückweisung angebracht. Im Rahmen einer Prima-vista-Beurteilung ist im Übrigen fraglich, ob für ein Areal, welches bis anhin den Charakter einer Hauszufahrt hatte, eine Umwandlung in eine Durchgangsstrasse (im Sinne einer «bedeutungsvollen Privatstrasse») als zumutbar erachtet werden könnte, falls mit intensivem Verkehr zu rechnen wäre.

Allerdings bleibt es dem Dritteigentümer unbenommen, sein Begehren um Enteignung von Mitbenützungsrechten dahingehend zu präzisieren und einzuschränken, dass er darauf verzichtet, sein Bauland maximal auszunützen (und sich beispielsweise ausschliesslich auf eine Nutzung mit wesentlich geringerer Verkehrsbelastung beschränkt). Solange aber ein solcher Verzicht der Dritteigentümer auf eine maximale Nutzung seines Baulandes mit entsprechend höherer Verkehrsbelastung nicht feststeht, muss wie erwähnt bei der Beurteilung der Enteignung von Mitbenützungsrechten und namentlich bei der Frage der Zumutbarkeit vom maximal in Frage kommenden Eingriff ausgegangen werden.

d) Aus all diesen Gründen ist der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zur ergänzenden Sachverhaltsabklärung und Neubeurteilung an die Vorinstanz II zurückzuweisen. Dabei wird zur Beantwortung der Frage der Zumutbarkeit insbesondere auch näher zu untersuchen sein, wieviele PWs und LKWs dereinst schätzungsweise bei einer maximalen Überbauung von B. auf diesem Strassenabschnitt verkehren werden. Erst wenn dies annäherungsweise ermittelt ist, kann die Frage der Zumutbarkeit sachgerecht beurteilt werden. Diesbezüglich sind im heutigen Zeitpunkt die Angaben der Beschwerdegegner einerseits und die vorinstanzlichen Annahmen anderseits noch viel zu vage, weshalb eine Rückweisung unumgänglich ist. Eine Rückweisung rechtfertigt sich schliesslich auch deshalb, weil es zumindest in verfahrensökonomischer Hinsicht wenig Sinn macht, etwas zu enteignen, was später gar nicht umgesetzt werden kann (vgl. u.a. die vorne in Erwägung 3b/bb angeführten Vorbehalte betreffend Strassenabstandsunterschreitung, Strassenbreite nach kommunalem Recht usw.). (...).

(VGE 1055/98 vom 25. Juni 1999).

 

13

Enteignungsrecht

 Bei formeller Enteignung ist dann, wenn in der gleichen Gegend die Gemeinwesen beim freihändigen Erwerb von in der öffentlichen Zone gelegenen Landflächen regelmässig ein Mehrfaches des landwirtschaftlichen Verkehrswertes bezahlt haben bzw. weiterhin bezahlen, nicht nur der landwirtschaftliche Verkehrswert abzugelten.

Aus den Erwägungen:

2. a) Nach § 3 Abs. 1 EntG hat der abtretungspflichtige Eigentümer Anspruch auf volle Entschädigung. Im Beschluss der Schatzungskommission vom 25. August 1997 (Erw. 1) wurde zutreffend darauf hingewiesen, dass auch ohne diese kantonalrechtliche Bestimmung Anspruch auf volle Entschädigung besteht, da dieser Anspruch ausdrücklich in Art. 22ter Abs. 3 der Bundesverfassung (BV) festgehalten wird. Dies bedeutet, dass der Enteignete nach der Enteignung in der gleichen ökonomischen Situation sein soll wie vorher, d.h. weder reicher noch ärmer. Die Entschädigung muss dem durch den Eingriff erlittenen Schaden entsprechen, die eingetretene Werteinbusse ausgleichen (vgl. G. Müller in Kommentar BV, Art. 22ter, Rz. 66; EGV-SZ 1989, S. 46, Häfelin/Müller, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. A., Zürich 1998, Rz. 1638).

b) Vorliegend geht es um die Entschädigung für ein Grundstück, welches 1978 der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen zugewiesen worden war und am 20. Mai 1996 formell enteignet wurde.

Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist die Entschädigung für Bauland (Wohn- bzw. Gewerbebauland), welches in die Zone für öffentliche Bauten und Anlagen einbezogen wird, in zwei Stufen zu berechnen. Hat eine planerische Massnahme eine materielle Enteignung, insbesondere den Verlust der Baulandqualität (und zwar als Wohn- bzw. Gewerbebauland) zur Folge, so entsteht mit deren Inkrafttreten ein Entschädigungsanspruch auf Ersatz des in diesem Moment verursachten Minderwertes (Stufe I). In diesem Moment verliert das derart belastete Land seinen vormaligen Wert als Wohn- bzw. Gewerbebauland; es hat nur noch einen Restwert, der bei nicht überbauten Grundstücken in der Regel dem landwirtschaftlichen Wert entspricht. Von diesem Zeitpunkt an nimmt das Grundstück an einer allfälligen Wertsteigerung des privaten Baulandes nicht mehr teil. Der Restwert, der dem Grundstück nach Inkrafttreten der Eigentumsbeschränkung verbleibt, macht die Preissteigerung mit, die sich von diesem Zeitpunkt an für landwirtschaftlichen Boden ergibt (Stufe II; vgl. dazu BGE 114 Ib 122, Erw. 7a; 114 Ib 179/Mitte; 114 Ib 293f., Erw. 5, 2. Abs.; BGE 112 Ib 494f., Erw. 10b mit weiteren Hinweisen; BGE 97 I 815/816; vgl. auch BVR 1998, S. 153f., Erw. 6a).

Diese Rechtsprechung findet gemäss BGE 112 Ib 495 (2. Abs.) grundsätzlich auch dann Anwendung, wenn das der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen zugeteilte Land im Zeitpunkt der Zuweisung noch kein Bauland im enteignungsrechtlichen Sinne darstellte und mithin in diesem Zeitpunkt gar keine materielle Enteignung eintrat. In einem solchen Fall entfällt die erste der beiden erwähnten Enteignungsstufen und verbleibt daher nur noch die formelle Enteignung. Aber auch hiefür gilt das Prinzip der vollen Entschädigung, welche regelmässig dem landwirtschaftlichen Bodenwert im betreffenden Zeitpunkt entspricht (vgl. BGE 112 Ib 495 mit Verweis auf BGE 108 Ib 338f.). Allerdings hatte das Bundesgericht im soeben erwähnten Fall sich nicht darüber auszusprechen, welchen konkreten Betrag die Entschädigungsansprüche bei formeller Enteignung ausmachen.

c) Diese soeben dargelegte Rechtsprechung wurde im Beschluss der Schatzungskommission (S. 5ff.) erwähnt, allerdings unter Hinweis auf Enrico Riva, Hauptfragen der materiellen Enteignung (Bern 1990, S. 195f.) kritisiert und in Frage gestellt mit der Begründung, dass das Gemeinwesen mittels der Einzonung in die Zone für öffentliche Bauten und Anlagen nicht bloss künftige Landerwerbe sicherstelle, sondern damit zugleich auch die allfällige spätere Übernahmeentschädigung tiefhalten könne. Besonders krass erscheine die Begünstigung des Gemeinwesens, wenn mittels Zuweisung zur Zone für öffentliche Bauten und Anlagen Land sichergestellt werde, das keine Baulandqualität aufgewiesen habe. Komme es schliesslich zur Übernahme, bleibe der Umstand, wonach das betreffende Grundstück in das Baugebiet hineingewachsen sei, für die Entschädigung ohne Beachtung: abgegolten werde nur der Wert von Nichtbauland. Man stehe vor dem doch stossend anmutenden Ergebnis, wonach die öffentliche Hand das übernommene Grundstück zwar zu Bauzwecken verwende und damit dessen Baulandcharakter anerkenne, dem früheren Eigentümer aber entgegenhalten dürfe, er habe nur Nichtbauland besessen und müsse allein dafür entschädigt werden (vgl. zit. Beschluss, S. 6f. mit Verweis auf Riva, a.a.O., S. 195f. und 310ff.).

d) Dazu drängen sich zunächst folgende Bemerkungen auf. Handelt es sich um Wohn- oder Gewerbebauland, welches in die Zone für öffentliche Bauten und Anlagen einbezogen wird, erweist sich die zweiteilige Entschädigungsbemessung (einerseits die Differenz zwischen Verkehrs- und Restwert des enteignungsähnlich getroffenen Objektes im Zeitpunkt der Eigentumsbeschränkung, anderseits der Verkehrswert des – durch den Eingriff nun bereits in entscheidenden Qualitäten geschmälerten – Objektes im Zeitpunkt der Schätzung der Enteignungsbehörde, vgl. Riva, a.a.O., S. 194) als sachgerecht.

Soweit es aber nicht um rechtskräftig eingezontes Wohn- oder Gewerbebauland geht, sondern ein bestimmtes Grundstück bei der erstmaligen Schaffung einer raumplanerischen Grundordnung der öffentlichen Zone zugewiesen wurde, ist darin noch keine unzulässige Benachteiligung dieses Grundeigentümers zu erblicken (andernfalls die Schaffung von öffentlichen Zonen gar nicht möglich wäre). In einem solchen Fall ist der Eigentümer von Land, welches der öffentlichen Zone zugewiesen wird, in einer ähnlichen Stellung wie der Grundeigentümer, dessen Land der Landwirtschaftszone zugewiesen wurde. In beiden Fällen ist es dem Grundeigentümer grundsätzlich verwehrt, sein Land für beliebige Wohn- oder Gewerbezwecke zu überbauen. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass ein Grundeigentümer grundsätzlich keinen Anspruch darauf hat, dass sein Land ebenfalls einer Wohn- oder Gewerbebauzone zugewiesen werde, zumal im Planungsrecht dem Grundsatz der rechtsgleichen Behandlung nur eine abgeschwächte Bedeutung zukommt (vgl. statt vieler BGE 121 I 249).

Handelt es sich beispielsweise um Land, welches zur Fruchtfolgefläche gehört, kommt nach der konstanten Praxis eine Zuordnung zu einer Bauzone nur in Frage, wenn im Rahmen einer sorgfältigen Interessenabwägung der Nachweis erbracht wird, dass die überwiegenden Interessen für eine solche Änderung sprechen, wobei besonders strenge Anforderungen zu stellen sind. Solche überwiegenden Interessen können gegebenenfalls Bestrebungen darstellen, eine angemessene und geordnete wirtschaftliche sowie siedlungsmässige Weiterentwicklung zu garantieren, z.B. zur Sicherung bestehender und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze oder zur Gewinnung von neuem Wohnraum bei nachgewiesener Verknappung (vgl. dazu VGE 697 + 698 + 700/92 vom 22. April 1993, Erw. 4a, Prot. S. 369). Wird nun Land, das (in der Landwirtschaftszone liegt und) zur Fruchtfolgefläche gehört, (aufgrund überwiegender öffentlicher Interessen) der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen zugewiesen, ist im Umstand, wonach dem Grundeigentümer für dieses bis anhin zur Fruchtfolgefläche gehörenden Landes keine Baulandpreise abgegolten werden, kein stossendes Ergebnis zu erblicken. An dieser Stelle ist der Gegenstand der Entschädigung zu erläutern. Zu entschädigen sind die Nachteile, die dem Enteigneten aus der Entziehung oder Beschränkung seiner Rechte erwachsen. Es kommt nicht darauf an, welchen Gebrauch der Enteigner vom betreffenden Land zu machen gedenkt, ob er das ehemalige Landwirtschaftsland mit öffentlichen Bauten überbaut, das beim Strassenbau freigelegte Kies ausbeutet oder das Land sonstwie einträglicher nutzt, als es der Enteignete hätte tun können. Zu entschädigen ist der Rechtsverlust, dem nicht ein adäquater Rechtserwerb gegenüberstehen muss. Der Enteignete kann aus einer bestimmten Nutzungsmöglichkeit des Enteigners (und dem sich daraus ergebenden funktionellen Wert) für sich nichts ableiten, es sei denn, diese Nutzungsmöglichkeit hätte auch ihm offen gestanden (vgl. Hess/Weibel, Das Enteignungsrecht des Bundes, Bd. I, S. 237, Rz. 9 mit Hinweisen; vgl. auch Hess/Weibel, a.a.O., S. 256, Rz. 62). Mit anderen Worten kann der private Grundeigentümer, dessen Land bis anhin landwirtschaftlich genutzt wurde und bei der erstmaligen Schaffung einer raumplanerischen Grundordnung der öffentlichen Zone zugewiesen wird, sich grundsätzlich nicht auf die Überbauungsmöglichkeiten der Gemeinwesen berufen, welche ihm nicht offen stehen. Dafür spricht schliesslich, dass die Durchführung von öffentlichen Aufgaben, welche die Erstellung von Bauten und Anlagen erfordern, offenkundig erschwert wird, wenn die Preise für Land in der öffentlichen Zone «hochgehalten bzw. hochgetrieben» werden. Von daher macht es grundsätzlich Sinn, durch raumplanerische Massnahmen (rechtzeitig) Flächen für das Gemeinwesen freizuhalten und auf diesem Wege von den allgemeinen Bodenpreissteigerungen (für Bauland) auszuklammern. Dies stellt für die betroffenen Grundeigentümer von Land in der öffentlichen Zone keine unzulässige Schlechterstellung dar, da auch die Eigentümer von Landwirtschaftsland (welches an sich für eine Baulandnutzung geeignet wäre, aber aus welchen Gründen auch immer nicht einer Wohn- oder Gewerbebauzone zugewiesen wurde) von der allgemeinen Bodenpreisentwicklung für Bauland nicht profitieren können.

e) (...) Mithin verhält es sich so, dass das betreffende Land vor dem Einzonungsakt im Jahre 1978 keinen Baulandcharakter hatte und seit diesem Zeitpunkt objektiv den Wert aufweist, welcher vergleichbaren, in der Zone öBA liegenden Grundstücken zukommt (auf den Umfang dieses Wertes für in der öffentlichen Zone liegenden Landes ist nachfolgend zurückzukommen).

f) Zu beachten ist schliesslich, dass das Bundesgericht die erwähnte Zweistufentheorie mehrfach bestätigt. Es ist weder ersichtlich, noch wird von den Beklagten/Widerklägern geltend gemacht, dass das Bundesgericht zwischenzeitlich von dieser Praxis abgewichen sei. Im Gegenteil stützte sich das Verwaltungsgericht Bern in einem im April 1998 publizierten Entscheid ausdrücklich auf die genannte Zweistufentheorie (vgl. BVR 4/1998, S. 153).

3. a) Allerdings ist im Einklang mit der Schatzungskommission festzuhalten, dass die Prämisse des Bundesgerichts, wonach der Restwert eines Grundstückes nach der Zuweisung in die Zone für öffentliche Bauten in der Regel dem landwirtschaftlichen Wert (gemeint ist der Verkehrswert) entspreche, in der Realität kaum zutrifft und insofern eine richterliche Fiktion vorliegt. Denn im Beschluss der Schatzungskommission wurden u.a. Handänderungen im Zusammenhang mit der Erstellung von Schulhausbauten aufgelistet, bei welchen Quadratmeterpreise von Fr. 160.– (vgl. zit. Beschluss, S. 9 oben), von Fr. 60.–, Fr. 100.–, Fr. 150.–, Fr. 200.– (vgl. zit. Beschluss, S. 13) usw. bezahlt wurden (auf diese Angaben ist nachfolgend noch zurückzukommen, vgl. Erw. 4c).

b) Zu dieser (beispielhaften, unvollständigen) Zusammenstellung wird von der Klägerin eingewendet, es handle sich dabei um Grundstücke, welche auf dem Wege des Freihanderwerbs gekauft werden konnten. Freihanderwerb und Enteignung seien klar zu trennen. Es gebe gute Gründe, weshalb ein Gemeinwesen beim Freihanderwerb bereit sei, mehr zu bezahlen, als nach Enteignungsrecht eigentlich nötig wäre, z.B. zeitliche Dringlichkeit, fehlende Enteignungsmöglichkeit (da Gemeinwesen z.B. über andere Landreserven verfüge), politische Rücksichtnahmen usw. (...).

c) Demgegenüber argumentierten die Beklagten u.a. sinngemäss,

          dass stets eine volle und gerechte Entschädigung geschuldet sei (...),

          dass der Anspruch auf volle und gerechte Entschädigung nur erfüllt werde, wenn zumindest der Verkehrswert vergütet werde,

          dass der Verkehrswert dem Preis entspreche, der bei freiwilliger Veräusserung für vergleichbare Grundstücke bezahlt werde,

          dass bei Vorliegen besonderer Umstände aus Gründen der Rechtsgleichheit und des Vertrauensschutzes sogar eine höhere Entschädigung geschuldet sei, als sich normalerweise ergäbe (...),

          dass der zu entschädigende Verkehrswert anhand von Vergleichspreisen festzulegen sei, mithin die Vergleichs- oder statistische Methode gelte,

          und dass nach der Rechtsprechung auch Vergleichspreise aus anderen Gemeinden beigezogen     werden dürften (...).

d) Die Standpunkte der Parteien klaffen weit auseinander. Folgt man tel quel der dargelegten bundesgerichtlichen Rechtsprechung (und mithin der Argumentation der Klägerin), ist der Wert des enteigneten, in der öffentlichen Zone liegenden Landes grundsätzlich (i.d.R. bzw. regelmässig) mit dem Verkehrswert von Landwirtschaftsland gleichzusetzen. Dies ist dann unproblematisch, wenn in der öffentlichen Zone gelegenes Land effektiv auch im Freihandverkauf in der Bandbreite des Verkehrswertes für Landwirtschaftsland gehandelt würde. Dies trifft aber gemäss der im Beschluss der Schatzungskommission enthaltenen Zusammenstellung offenkundig nicht zu. Es ist nicht zu übersehen, dass die Beklagten – ausgehend von der erwähnten Zusammenstellung – bei einem Freihandverkauf ihres in der öffentlichen Zone gelegenen Landes mit einem Quadratmeterpreis hätten rechnen können, welcher massiv über dem Verkehrswert für Landwirtschaftsland liegt. Mithin besteht eine erhebliche Diskrepanz zwischen der erwähnten Zweistufentheorie des Bundesgerichts einerseits (welche es mit einschliesst, dass der Wert des enteigneten, in der öffentlichen Zone liegenden Landes i.d.R. dem Verkehrswert von Landwirtschaftsland entspreche), und der erwähnten lokalen Praxis anderseits, wonach Gemeinwesen beim freihändigen Erwerb von in der öffentlichen Zone gelegenen Grundstücken regelmässig wesentlich mehr bezahlen, als der landwirtschaftliche Verkehrswert ausmacht. Wollte man diese von der Schatzungskommission zu Recht erkannte Diskrepanz einfach negieren, würde dies auf eine Verletzung des Anspruches auf Rechtsgleichheit hinauslaufen. Es kann nicht sein, dass das gleiche Land bei der Abtretung an den gleichen Erwerber im Enteignungsfall nur einen bescheidenen Wert von beispielsweise Fr. 10.–/m2, bei einer einvernehmlichen Abtretung (Freihandverkauf) hingegen einen x-fach höheren Wert (z.B. 6- bis 20-mal mehr) aufwiese. Dies wäre schliesslich auch mit dem Grundsatz der vollen Entschädigung im Enteignungsfall unvereinbar.

Bei dieser Sachlage verlangt das fundamentale Gebot der Rechtsgleichheit, dass im Enteignungsfall jedenfalls dann nicht nur der landwirtschaftliche Verkehrswert abzugelten ist, wenn die Gemeinwesen in der gleichen Gegend für vergleichbares Land in der öffentlichen Zone regelmässig ein Vielfaches des landwirtschaftlichen Verkehrswertes bezahlt haben. Soweit sich im (beschränkten) Markt für in der öffentlichen Zone gelegenes Land ein feststellbarer Preisansatz entwickelt hat, welcher massiv über dem jeweiligen landwirtschaftlichen Verkehrswert liegt, geht es nicht an, dass dieser in der Rechtswirklichkeit entstandene Mehrpreis im Enteignungsfall völlig ausser Betracht bleibt. Dies gilt erst recht dann, wenn das gleiche Gemeinwesen in der gleichen Gemeinde im Jahre 1993 (und somit 3 Jahre vor der hier zu beurteilenden Enteigung) für den Erwerb von in der öffentlichen Zone liegendem Land (zur Erstellung ...) tatsächlich ein Vielfaches des landwirtschaftlichen Verkehrswertes bezahlte. Mit anderen Worten verhält sich ein Gemeinwesen grundsätzlich widersprüchlich, wenn es einerseits beim freihändigen Erwerb von Land in der öffentlichen Zone ein Vielfaches des landwirtschaftlichen Verkehrswertes bezahlt bzw. offeriert, und anderseits – wenn keine Einigung über den Handänderungspreis zustande kommt – im Enteignungsverfahren argumentiert, diesem gleichen in der öffentlichen Zone liegenden Landareal komme lediglich der landwirtschaftliche Verkehrswert zu. Dabei ist nicht zu beanstanden, wenn das Gemeinwesen beim freihändigen Erwerb etwas mehr offeriert, als es prognostisch im Enteignungsverfahren mutmasslich zahlen muss. Problematisch wird es, wenn der Unterschied ein Mehrfaches ausmacht. In einem solchen Fall ist die Diskrepanz als widersprüchliches Verhalten zu qualifizieren, welches grundsätzlich keinen Rechtsschutz verdient.

e) Zusammenfassend ist die vorerwähnte Zweistufentheorie dahingehend zu präzisieren, dass in jenen Fällen, in welchen die erste Stufe entfällt (und mithin keine Entschädigung für eine materielle Enteignung bezahlt wird), im (formellen) Enteignungsfall dann nicht nur der landwirtschaftliche Verkehrswert abzugelten ist, wenn in der gleichen Gegend die Gemeinwesen beim Erwerb von in der öffentlichen Zone gelegenen Landflächen regelmässig ein Mehrfaches des landwirtschaftlichen Verkehrswertes bezahlt haben bzw. weiterhin bezahlen. Mit anderen Worten kommt es entgegen der Auffassung der Klägerin nicht in Frage, in einem derartigen Enteignungsfall die zu entrichtende Entschädigung apodiktisch auf den landwirtschaftlichen Verkehrswert festzulegen. Dies deckt sich im Ergebnis mit dem Standpunkt der Schatzungskommission. Für diese Argumentation spricht ferner, dass das Bundesgericht in den zit. Urteilen lediglich «in der Regel» bzw. «regelmässig» auf den landwirtschaftlichen Verkehrswert abstellte, was aber nicht mit «immer» gleichzusetzen ist (vgl. BGE 112 Ib 495, Zeile 5: «in der Regel», Zeile 30: «regelmässig»; BGE 114 Ib 122, Erw. 7a, Zeile 8: «in der Regel»). (...)

4. a) In der Folge ist zu prüfen, welche Vergleichspreise vorliegend heranzuziehen sind. Die Vergleichsmethode führt i.d.R. nur dann zu überzeugenden Resultaten, wenn Vergleichspreise in genügender Zahl für Objekte ähnlicher Beschaffenheit zur Verfügung stehen. An diese Voraussetzungen dürfen jedoch nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden. Dies gilt im Besonderen für den Markt des unüberbauten Landes in Zonen für öffentliche Bauten und Anlagen, da dieser naturgemäss wesentlich kleiner ist als der allgemeine Baulandmarkt. Zum einen erfordert die Vergleichbarkeit nicht, dass in Bezug auf Lage, Grösse, Erschliessungsgrad usw. praktisch Identität bestehe. Unterschieden der Vergleichsgrundstücke kann durch Preiszuschläge oder -abzüge Rechnung getragen werden. Zum andern lässt sich in der Regel selbst aus vereinzelten Vergleichspreisen auf ein allgemeines Preisniveau schliessen, sofern die wenigen Angaben sorgfältig geprüft und allfällige besondere (unübliche) Verhältnisse ausgeschieden werden (vgl. BGE 114 Ib 295f. Erw. 7 mit Hinweisen; BGE 122 I 173f. Erw. 3a). Wie auch in anderen Rechtsbereichen ist eine gewisse Schematisierung aus Praktikabilitätsgründen unumgänglich (vgl. VGE 618/97 vom 15. Dezember 1997, Erw. 6c, publiziert in StPS 1998, S. 37ff., S. 57).

(...).

(Gesamtgerichtsentscheid 1044 + 1049/97 vom 27. Januar 1999).

  

14

Enteignungsrecht

 Zweistufigkeit des Verfahrens (1. Enteignungsverfügung, 2. Festsetzung der Entschädigung; Erw. 1a).  
 Vorzeitige Besitzesergreifung ist erst in der zweiten Verfahrensstufe möglich (Erw. 1a).  
 Eröffnung des Schätzungsverfahrens ist erst zulässig, wenn die erste Verfahrensstufe (Enteigungsverfügung) rechtskräftig erledigt ist. Der Entzug der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen die Enteignungsverfügung genügt nicht (Erw. 2 a–c).

Aus den Erwägungen:

1. a) Das Enteignungsverfahren ist zweistufig. In der ersten Verfahrensstufe wird verfügt, ob und was enteignet werden darf. Nach Abschluss dieser ersten Stufe schliesst sich das Entschädigungsverfahren an. Die ganze Gesetzes- und Verordnungssystematik (EntG [nGS IV 499] und VVEntG [nGS IV 500]) zeigt auf, dass die Schätzungskommission erst tätig wird, wenn die erste Stufe abgeschlossen ist (vgl. § 2, § 3bis sowie § 14 und 9 Abs. 1 EntG; VGE 595/89 v. 31.10.1989, lit. D/b, Prot. S. 1038; VGE 826/96 v. 20.2.1997, Erw. 1, Prot. S. 157; VGE 1043 v. 14.10.1998, Erw. 2a). Das Gericht sieht keine Veranlassung, von dieser konstanten Rechtsauslegung abzugehen.

Die vorzeitige Besitzesergreifung kann bewilligt werden, wenn die mutmassliche Entschädigungssumme hinterlegt oder sichergestellt wird und die erforderlichen Beweise erhoben sind (§ 3bis Abs. 3 EntG). Über Begehren um vorzeitige Besitzesergreifung entscheidet die Schätzungskommission. Sie trifft die notwendigen Massnahmen zur Beweissicherung (vgl. § 2 Abs. 1 und 2 VVEntG). Die Möglichkeit der vorzeitigen Besitzesergreifung ist mithin klarerweise in der zweiten Verfahrensstufe angesiedelt. Nach kantonalem Recht (im Gegensatz zum Bund: Art. 76 EntG) kommt «eine vorzeitige Besitzesergreifung nur in Frage, wenn einerseits die erste Verfahrensstufe abgeschlossen ist (und dementsprechend rechtskräftig entschieden ist, ob und was enteignet werden darf), und anderseits die mutmassliche Entschädigungssumme hinterlegt oder sichergestellt ist sowie die erforderlichen Beweise erhoben worden sind» (VGE 1043/98 v. 14.10.1998, Erw. 2a). Offen bleiben kann, ob und inwieweit im Notstandsfall (z.B. bei einer Naturkatastrophe) von dieser Praxis abzuweichen ist. Eine solche Situation liegt hier nicht vor.

(...)

2. a) Die formelle Rechtskraft beendet die Rechtshängigkeit eines Verfahrens (Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. überarbeitete Auflage, S. 322). Der formell rechtskräftige Entscheid wird verbindlich und vollstreckbar. Während der Dauer eines (ordentlichen) Rechtsmittelverfahrens kann somit die formelle Rechtskraft nicht eintreten, und es liegt wegen der Suspensivwirkung der ordentlichen Rechtsmittel keine Vollstreckbarkeit vor. Ausnahmsweise können aber auch nicht formell rechtskräftige Entscheide vollstreckt werden, wenn die aufschiebende Wirkung entzogen wird oder im Gesetz keine Suspensivwirkung vorgesehen ist (vgl. Merkli/Aeschlimann/Herzog, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, N. 3f. zu Art. 114).

b) Die erste Stufe des Enteignungsverfahrens ist in casu noch rechtshängig (Verwaltungsbeschwerdeverfahren vor Regierungsrat). Es liegt mit anderen Worten keine formell rechtskräftige Enteignungsverfügung vor. Die erste Verfahrensstufe ist somit aufgrund der oben dargelegten Rechtsauslegung noch nicht abgeschlossen, weshalb zurzeit kein Raum für ein Entschädigungsverfahren – insbesondere auch für keine vorzeitige Besitzeseinweisung – besteht. Daran vermag der Umstand, dass der Beschwerde gegen die (nicht formell rechtskräftige) Enteignungsverfügung durch die Enteignerin die aufschiebende Wirkung entzogen wurde und eine Wiederherstellung des Suspensiveffektes weder beantragt noch offenbar von der Rechtsmittelbehörde ex officio angeordnet wurde, nichts zu ändern. Der strikten Zweiteilung des Enteignungsverfahrens liegen nämlich im Wesentlichen zwei Überlegungen zu Grunde. Zum einen soll aus verfahrensökonomischen Gründen nicht vorauseilend ein Verfahrensaufwand getätigt werden, bevor nicht verbindlich feststeht, ob und was enteignet wird. Selbst dort, wo letztlich eine Enteignungsverfügung durch die Rechtsmittelinstanzen bestätigt wird, besteht durchaus die Chance, dass die Entschädigungsfrage gütlich geregelt wird, womit sich ein verfrühter Verfahrensaufwand als überflüssig herausstellen könnte. Zum anderen soll – was hier besonders von Bedeutung ist – mit der Zweiteilung des Verfahrens verhindert werden, dass Tatsachen geschaffen werden, die bei Nichteintreten der formellen Rechtskraft einer voreilig vollstreckten Enteignungsverfügung nicht oder nur schwerlich rückgängig zu machen sind. Im sensiblen Bereich des in die Eigentumsgarantie eingreifenden Enteignungsrechts dient die Einhaltung der Reihenfolge der Verfahrensschritte mithin nicht einem blossen Selbstzweck, sondern sie hat die Rechts- und Gesetzmässigkeit des Enteignungsverfahrens zu gewährleisten. Es kann deshalb nicht angehen, mittels Entzug der aufschiebenden Wirkung vom vorgezeichneten Verfahrensablauf abzuweichen. Anders wäre die Ausgangslage, wenn nurmehr ausserordentliche Rechtsbehelfe (staatsrechtliche Beschwerde, Revisionsverfahren) hängig wären. Solche Behelfe hindern den Eintritt der formellen Rechtskraft und mithin die Vollstreckbarkeit nicht. Hier könnte aber allenfalls mittels Begehren um vorsorgliche Massnahmen (Art. 94 OG; § 63 VRP) die Durchführung der zweiten Verfahrensstufe in Frage gestellt werden.

c) Dass ein geordneter Verfahrensablauf erforderlich ist, zeigt im Übrigen gerade der vorliegende Fall exemplarisch. Es ist das erklärte Ziel der ..., mittels Entzug der aufschiebenden Wirkung einerseits und dem Begehren um vorzeitige Besitzeseinweisung anderseits die Überbauung der mit der ...strasse zu erschliessenden Parzellen schnellstmöglich zu realisieren, zumal «bereits ein  – unter Vorbehalt der strassenmässigen Erschliessung – baureifes und baubewilligtes Bauprojekt» vorliegt (vgl. ...). Dieses Vorgehen wäre grundsätzlich dann statthaft, wenn die Enteignungsverfügung in formelle Rechtskraft erwachsen ist. Wenn jedoch die vorzeitige Besitzeseinweisung, für welche mit der angefochtenen Verfügung die ersten Vorkehren getroffen werden, ohne formell rechtskräftige Enteignungsverfügung angeordnet würde, so könnte damit das Erschliessungserfordernis offenkundig noch nicht erfüllt werden, denn es bedarf hiefür einer auf Dauer ausgerichteten rechtlichen Sicherstellung der Erschliessung (§ 37 Abs. 3 PBG; VGE 1009/99 u. 1014/99 v. 15.7.1999, Erw. 6c; E. Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau, 2. A., S. 397), was bei Fehlen einer formell rechtskräftigen Enteignungsverfügung aber nicht der Fall ist. Würde man mit anderen Worten das von der ... gewählte Vorgehen tolerieren, so käme es einstweilen nur vermeintlich zu einer hinreichenden Erschliessung, deren Ungenügen der im Enteignungsverfahren nicht involvierten Baubewilligungsbehörde unter Umständen gar nicht bewusst würde. Die dargelegte Zweiteilung des Enteignungsverfahren ist mithin gerade im vorliegenden Fall bedeutungsvoll, um eine koordinierte, in sich logische Rechts- und Verfahrensabwicklung zu gewährleisten.

(VGE 1033/99 vom 16. September 1999).

  

15

Vollstreckungsrecht

 § 78 Abs. 1 lit. d VRP. Die tägliche Ordnungsbusse ist eine administrative Vollstreckungs- bzw. Beugemassnahme. Als «verkappte» Strafsanktion ist sie nicht zulässig.

Aus den Erwägungen:

1. a) Im Verwaltungsverfahren stehen gemäss § 78 Abs. 1 VRP folgende Vollstreckungsmassnahmen zur Verfügung:

a) die Schuldbetreibung für Geldzahlungen und Sicherheitsleistungen;

b) die Ersatzvornahme auf Kosten des Pflichtigen;

c) der unmittelbare Zwang gegen den Pflichtigen oder seine Sachen;

d) Ordnungsbusse für jeden Tag bis zur Erfüllung.

Die Behörde beachtet bei der Wahl der Vollstreckungsmassnahme den Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Sie kann nötigenfalls polizeiliche Hilfe beanspruchen (§ 78 Abs. 4 VRP). Vor Anordnung der in § 78 Abs. 1 Buchstaben b, c und d bezeichneten Vollstreckungsmassnahmen wird der Pflichtige unter Ansetzung einer Frist zur Erfüllung aufgefordert, wenn nicht Gefahr in Verzug ist (§ 79 Abs. 1 VRP).

b) Die Ordnungsbusse beträgt maximal 500 Franken für jeden Tag der Nichterfüllung. Sie wird von der für die Vollstreckung zuständigen Verwaltungsbehörde nach Massgabe des öffentlichen Interesses an der Durchsetzung eines Entscheides oder einer Verfügung und nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Pflichtigen angedroht und festgesetzt (§ 78 Abs. 5 VRP). Die angedrohte Ordnungsbusse für jeden Tag der Nichterfüllung ist periodisch, längstens in Zeitabständen von 30 Tagen festzusetzen und einzutreiben. Zeigt sich spätestens nach 90 Tagen, dass ein Fortbestand der Ordnungsbussenandrohung den Pflichtigen nicht zur Erfüllung anzuhalten vermag, so sind vollstreckbare Entscheide und Verfügungen mittels Ersatzvornahme oder unmittelbarem Zwang durchzusetzen (§ 79 Abs. 3 VRP).

c) Die Bestrafung nach Massgabe des Verwaltungsstrafrechts und des Art. 292 des Strafgesetzbuches bleibt vorbehalten (§ 78 Abs. 3 VRP).

d) Im erziehungsrätlichen Schulreglement vom 21. Juni 1976 (nGS 618) werden gestützt auf die Delegationsnorm in § 34 der Volksschulverordnung (nGS 615) u.a. die Pflichten und Rechte des Schülers umschrieben (§§ 33ff.). § 38 Abs. 2 bestimmt, dass wiederholte unentschuldigte Absenzen dem Schulrat gemeldet werden, der folgende Massnahmen trifft:

a) schriftlicher Verweis,

b) Vorladung der Eltern,

c) Meldung an die Vormundschaftsbehörde,

d) Androhung der Bestrafung nach Art. 292 StGB.

2. a) Die Ordnungsbusse für jeden Tag der Nichterfüllung wurde erst im Rahmen der Revision der Verwaltungsrechtspflegeverordnung vom 17. März 1988  eingeführt, und zwar in § 78 Abs. 3 zweiter Satz: «Ordnungsbusse kann für jeden Tag bis zur Erfüllung angedroht werden.» (vgl. RRB Nr. 1010 v. 23.6.1987: Bericht und Vorlage an den Kantonsrat; Hinweis auf § 234 Abs. 2 ZPO). Der erste Satz des Absatzes 2 enthielt den Vorbehalt des Verwaltungsstrafrechts und der Ungehorsamsstrafe nach Art. 292 StGB. Diese textliche Nähe der Ordnungsbusse zum strafrechtlichen Vorbehalt führte u.a. wohl dazu, dass das Bundesgericht im Urteil vom 3. August 1994 i.S. B. K. die tägliche Ordnungsbusse nicht als administrative Massnahme (wie eigentlich beabsichtigt), sondern als eigentliche Strafsanktion betrachtete, welche von den Strafbehörden und nicht von den Verwaltungsbehörden auszusprechen sei. In RRB Nr. 1215 vom 4. Juli 1995 betreffend «Kantonsratsbeschluss über die Anpassung kantonaler Rechtspflegeerlasse; Bericht und Vorlage an den Kantonsrat» führte der Regierungsrat u.a. was folgt aus (S. 19ff.):

«Die Ordnungsbusse für jeden Tag der Nichterfüllung wurde anlässlich der Revision der Verordnung über die Verwaltungsrechtspflege (VRP) im Jahre 1988 in Anlehnung an eine analoge Vorschrift in der Zivilprozessordnung vom 25. Oktober 1974 (ZPO, nGS II-211) und damit auch der Zivilprozessordnung des Kantons Zürich eingeführt. Beabsichtigt war, die Instrumente des Verwaltungszwanges zu stärken. Die Erfahrungen in den vergangenen Jahren haben nun gezeigt, dass die als Beugemassnahme vorgesehene Ordnungsbussse für die Durchsetzung rechtskräftiger Entscheide und Verfügungen sehr wirkungsvoll ist. Die in der Praxis aufgetretenen Unsicherheiten mit dieser Vollstreckungsmassnahme sind daher zu beseitigen.

Mit der Einführung eines neuen Buchstabens d in § 78 Abs. 1 VRP soll klargestellt werden, dass es sich bei der Ordnungsbusse für jeden Tag der Nichterfüllung um eine Vollstreckungsmassnahme und nicht um eine strafrechtliche Sanktion handelt. Entsprechend wird der Verweis auf die Ordnungsbusse in § 78 Abs. 3 VRP, in dem auf das Verwaltungsstrafrecht und auf die Strafbestimmung von Art. 292 (Ungehorsamsstrafe) des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom 21. Dezember 1938 (StGB, SR 311.0) verwiesen wird, gestrichen.

In einem neuen Absatz 5 wird die Vollstreckungsbehörde sodann mit einer Reihe von materiellen Kriterien bei der Androhung und Festlegung der Ordnungsbusse angeleitet. Da es sich bei der Androhung der Ordnungsbusse nicht um eine strafrechtliche Sanktion handelt, gelten die strafrechtlichen Kriterien für die Strafzumessung nicht. Die vollstreckungsrechtliche Natur der Ordnungsbusse schliesst es auch aus, dass eine Umwandlung in Haft vorgenommen werden darf (Art. 49 Ziff. 3 StGB). Die Verschiedenartigkeit der Sanktion lässt es auch zu, dass neben der Ordnungsbusse zusätzlich eine strafrechtliche Verzeigung zulässig ist. Um zu verdeutlichen, dass es sich bei der Ordnungsbusse um keine eigentliche Strafsanktion handelt, ist der Höchstbetrag auf maximal 500 Franken für jeden Tag der Nichterfüllung festzusetzen.»

b) Die Ordnungsbusse für jeden Tag der Nichterfüllung gemäss § 78 Abs. 1 lit. d VRP ist somit eine ausschliessliche Vollstreckungsmassnahme. Sie soll den Pflichtigen zur persönlichen Erfüllung der ihm auferlegten Pflichten anhalten. Als mildere Massnahme geht sie in Beachtung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes der Ersatzvornahme und dem unmittelbaren Zwang vor. Man kann auf sie mangels Eignung dann verzichten und direkt die Ersatzvornahme oder den unmittelbaren Zwang androhen und anordnen, wenn im Voraus klar ist, dass sich der Pflichtige auch durch eine Ordnungsbusse nicht zur Erfüllung seiner Pflichten bewegen lässt. Gleiches gilt in Fällen zeitlicher Dringlichkeit, wenn nicht klar ist, ob die Ordnungsbusse sich zur fristgerechten Erfüllung eignet (siehe hiezu M. Hagenbuch, Kontrolle, Vollstreckung und Vollzug von Verfügungen im Baurecht, in EGV-SZ 1998, S. 207f.). Die Ordnungsbusse für jeden Tag der Nichterfüllung ist mithin im Vollstreckungsrecht die Vorstufe zur Ersatzvornahme und zum unmittelbaren Zwang, die aber nur bzw. nur solange in Frage kommt, als sie sich als Vollstreckungsmassnahme auch eignet. Sie darf nicht eine (verkappte) strafrechtliche Busse darstellen, worüber die Verwaltungsbehörden nicht befinden könnten.

3. a) Vorliegend geht es um die Erfüllung der gesetzlichen Schulpflicht (§§ 25ff. Volksschulverordnung; §§ 33ff. Schulreglement), von welcher der Schüler ... mit Sachverfügung vom 30. Juni 1999 für Freitagnachmittag, 2. Juli 1999, in Abweisung eines entsprechenden Gesuches, nicht dispensiert wurde. Es handelte sich mithin um eine Negativ-Verfügung mit der Konsequenz, dass (weiterhin) das galt, was das Gesetz für den Normalfall vorschreibt, nämlich der Schulbesuch statt der vorzeitige Ferienantritt. Bei dieser Negativ-Verfügung hätte man es bewenden lassen und im allfälligen (wiederholten) Nichtbeachtungsfall nach § 38 Abs. 2 Schulreglement vorgehen können (v.a. Verweis, Vorladung der Eltern). Es war dem Schulrat indes unbenommen, präventiv auf die Einhaltung seiner ablehnenden Verfügung einzuwirken. Mangels einer im Schulrecht vorgesehenen Verwaltungsstrafe kam vor allem auch die (in § 38 Abs. 2 lit. d Schulreglement explizit vorgesehene) Androhung der Ungehorsamsstrafe (Art. 292 StGB) in Betracht. Fraglich erscheint jedoch die Androhung der Ordnungsbusse für jeden Tag der Nichterfüllung.

b) Als am Mittwoch, 30. Juni 1999, präsidial das Dispensgesuch abgewiesen und die Ordnungsbusse angedroht wurde, war die Ausgangslage klar und einfach: Entweder beachtet der Schüler am kommenden Freitagnachmittag die Negativ-Verfügung und kommt seiner Schulpflicht nach oder eben nicht. Über diesen Freitagnachmittag hinaus stellte sich die Frage der Pflichterfüllung nicht mehr. Es gab danach nichts mehr durchzusetzen (zumal ein «Nachsitzen» nie zur Diskussion stand). Der angedrohten Ordnungsbusse kam bei der hier kurzfristig unbewilligten kurzzeitigen Schuldispens praktisch keine Beugewirkung zu, wie der konkrete Fall auch beweist. Gemäss Vernehmlassung des Schulrates hat der Vater des Schülers sogar bereits vor der Zustellung der ablehnenden Präsidialverfügung vom 30. Juni 1999, aber in Kenntnis der ihm mündlich dargelegten Rechtslage der Schulpräsidentin telephonisch mitgeteilt, man werde trotzdem den bereits gebuchten Flug am Freitagabend antreten. Mit der Androhung der Ordnungsbusse hat man dem Schulpflichtigen bzw. dessen Eltern somit einfach den «Tarif» bekannt gegeben, den sie bei Nichteinhaltung der Verfügung zu bezahlen haben werden. Der pönale Charakter der angedrohten Ordnungsbusse drängte dessen administrativen Zweck, die Einhaltung der Schulpflicht, dermassen in den Hintergrund, dass – insbesondere in Berücksichtigung der gesetzgeberischen Vorgeschichte zu dieser Vollstreckungsmassnahme (siehe oben Erw. 2a) – nicht mehr von einer Ordnungsbusse im Sinne von § 78 Abs. 1 lit. d VRP gesprochen werden kann. Daran vermag der Umstand, dass die Sachverfügung mit der unselbständigen Vollstreckungsandrohung unangefochten in Rechtskraft erwachsen ist, nichts zu ändern. Es geht nicht an, dass deswegen im Rahmen der Vollstreckungsverfügung «verkappte» Strafen toleriert werden. Hinzu kommt, dass die Vollstreckungsandrohung im Zeitpunkt der unbewilligten Schulabsenz mangels Entzuges der aufschiebenden Wirkung – was hier im Gegensatz zur Dispensabweisung als blosse Negativ-Verfügung erforderlich gewesen wäre – nicht vollstreckbar war (§ 76 VRP). Nur eine rechtskräftige bzw. vollstreckbare Vollstreckungsandrohung vermag einerseits nachhaltig auf die persönliche Pflichterfüllung einzuwirken und anderseits im Säumnisfall (vgl. § 79 Abs. 1 VRP) die Anordnung der angedrohten Vollstreckungsmassnahme zu rechtfertigen. Die angefochtene Vollstreckungsverfügung ist deshalb ersatzlos aufzuheben.

c) Inwiefern und unter welchen Voraussetzungen die Ordnungsbusse als Beugemassnahme bei längerfristigen Schulabsenzen zulässig wäre, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Sollte der unmittelbare Zwang zum Vorneherein wegfallen (vgl. Stellungnahme des Erziehungsdepartementes v. 5.11.1999), müsste insbesondere die Frage, ob die Ordnungsbusse als alleinige Vollstreckungsmassnahme überhaupt ein zulässiges und geeignetes Vollstreckungsmittel ist (§ 79 Abs. 3 VRP), einer genaueren Prüfung unterzogen werden. Wenn der Schüler nicht nur der schulrätlichen, sondern auch der elterlichen Weisung zuwiderhandelt, würde sich zudem die Frage der Eignung und der Verhältnismässigkeit der Ordnungsbusse sowie des Verfügungsadressaten in besonderer Weise stellen.

Nicht Sache des Gerichtes ist es, sich über das künftige Vorgehen bei unentschuldigten Schulabsenzen auszusprechen (§ 292 StGB; Erlass einer verwaltungsstrafrechtlichen Norm etc.).

(VGE 1045/99 vom 23. Dezember 1999).

 

16

Arbeitsvergebung

 Einer Beschwerde gegen einen Arbeitsvergebungsentscheid, welcher sich auf die kantonale Submissionsverordnung (SubmV, nGS IV-494) stützt, kommt (im Gegensatz zu Art. 17 Abs. 1 der Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen, IVöB, nGS IV-494b) ex lege aufschiebende Wirkung zu (§ 42 Abs. 1 VRP).  
 Zeitliche Dringlichkeit rechtfertigt eine Missachtung der aufschiebenden Wirkung nicht.

Aus den Erwägungen:

1. Der Verwaltungsbeschwerde und der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kommt aufschiebende Wirkung zu, soweit nicht durch Rechtssatz etwas anderes bestimmt wird, und sofern der Beschwerde nicht ausnahmsweise durch die verfügende Behörde oder die Rechtsmittelinstanz die aufschiebende Wirkung entzogen wird (§ 42 VRP).

Vorliegend ist unbestrittenermassen die kantonale Submissionsverordnung anwendbar. Dieser Rechtserlass schränkt § 42 Abs. 1 VRP (Grundsatz der aufschiebenden Wirkung ex lege) nicht ein. Gleiches gilt beim Binnenmarktgesetz (BGBM), welches abweichend von der kantonalen Submissionsverordnung einen Weiterzug des regierungsrätlichen Beschwerdeentscheides an das Verwaltungsgericht ermöglicht (Art. 9 Abs. 2 BGBM). Das Binnenmarktgesetz verlangt vom Kanton nicht, vom im kantonalen Recht verankerten Grundsatz der aufschiebenden Wirkung abzugehen.

Weder der ... noch der Regierungsrat haben einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung entzogen. Ein solches Vorgehen wäre auch, wie die nachfolgenden Ausführungen belegen, sachlich nicht gerechtfertigt. Ein Antrag auf Entzug der aufschiebenden Wirkung ist gegenüber dem Verwaltungsgericht nicht vorgebracht worden.

Im vorliegenden Fall kommt mithin die aufschiebende Wirkung uneingeschränkt und ex lege zum Tragen. Es bedurfte hiefür keiner besonderen Anordnung.

2. a) Mit der aufschiebenden Wirkung wird die Wirksamkeit und Vollstreckbarkeit einer Verfügung gehemmt. Sie dient dem umfassenden Rechtsschutz und soll das eigenmächtige Verändern der Sach- oder Rechtslage bzw. das Schaffen von vollendeten Tatsachen, das den Entscheid in der Hauptsache vorwegnimmt oder das Rechtsmittel illusorisch werden lässt, verhindern (Merkli/Aeschlimann/Herzog, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, N. 1ff. zu Art. 68).

b) Die Beschwerdeführerin macht in ihrer Ergänzungseingabe geltend, im Schweizerischen Baublatt vom ... seien u.a. die Arbeiten betreffend ... ausgeschrieben, diese Ausschreibung setze die ...planungsarbeiten voraus. Zwischen Vergabe der Planung und der Ausschreibung der ersten ...arbeiten würden mindestens zwei Monate verstreichen (Vorprojekt, Projekt, Erstellen der Ausscheidungspläne für Devisierung). Die ...planungsarbeiten seien demnach spätestens Anfangs ... vergeben worden, obwohl der Vergabebeschluss nicht rechtskräftig sei.

c) Die Behauptung, die ... seien im Schweizer Baublatt vom ... bereits ausgeschrieben, ist belegt und wird vom ... nicht bestritten. Die Offerten sind bis ... einzureichen. Die Offertöffnung soll am ... stattfinden. Der ... rechtfertigt dieses Vorgehen wie folgt:

 «Einmal mehr versucht die BF mit Vermutungen und zusammengebastelten Zeitplänen dem ... indirekt Willkür vorzuwerfen. Es stimmt so nicht, dass die ...planungsarbeiten, obwohl die Rechtskraft noch nicht eingetreten ist, bereits vergeben wurden. Somit wird auch nicht die Arbeit und Verantwortung des Regierungsrates als Aufsichtsbehörde und erste Beschwerdeinstanz gering geschätzt.

In der Sorge um die Einhaltung der Termin- und Kostenplanung hat das Architekturbüro Möglichkeiten ausgelotet, womit der aus dem Beschwerdeverfahren entstehende Schaden durch geeignete Lösungen gering gehalten werden kann. Unter Punkt 5 der Allgemeinen Vertragsbedingungen (ARGE- und Losbildungen), die jedem Offertsteller bekannt sein müssten, hat die Bauherrschaft die Möglichkeit, die Arbeiten in Lose aufzuteilen. Was bei der Arbeitsausschreibung ohne Bedeutung war, bekommt grosse Aktualität. Damit wie geplant mit dem Bau im ... begonnen werden kann, ist es sinnvoll ja dringlich, den Planungsauftrag aufzuteilen. Die Beschwerdegegnerin ... hat auf eigenes Risiko ohne Vertrag oder anderweitigen Beschluss des ... die bisherigen Planungsarbeiten ausgeführt. Vermutlich tat sie das in der ehrbaren Absicht, der Bauherrschaft ihr professionelles Denken mit Taten zu dokumentieren, andererseits durfte sie aufgrund der Ausgangslage eine gewisse Hoffnung auf den Zuschlag haben.

Sollte das Verwaltungsgericht die Arbeitsvergabe des ... zur Neubeurteilung zurückweisen, bestünde die Möglichkeit, die ... und die ... im Sinne der Aufteilung auf ein 2. Los gemäss Punkt 5 der Allgemeinen Vertragsbedingungen jener Firma zu übertragen, die schlussendlich den rechtskräftigen Zuschlag erhielte. Im Gegensatz zur BF hat die Vergabebehörde das umfangreichere Interesse wahrzunehmen, es darf ihr daher nicht zum Nachteil gereichen, wenn sie alternative Möglichkeiten nutzt, welche der Sache dienen und dennoch nicht ungesetzlich sind. Die Bauherrschaft käme ihrem öffentlichen Auftrag nicht nach, würde sie nicht alle Massnahmen prüfen, die geeignet sind, die termin- und kostengerechte Verwirklichung des Bauwerkes zu sichern. Insofern ist bereits abzusehen, dass ohne die getroffenen Massnahmen eine Verzögerung des Baubeginns von 3 Monaten entsteht, die sich zusätzlich als Folge der Verschiebung des Bauprogrammes im Jahreszyklus um weitere 3 Monate verlängert. Damit ist der Bezug der ... nicht mehr sichergestellt. Die steigenden Kosten am Bau werden sich stärker und schneller auswirken, als wenn der Terminplan eingehalten werden kann. ...»

Das instruierende Justizdepartement vertritt die Ansicht, es sei nicht zu beanstanden, dass die Submission fortgesetzt werde. Selbstverständlich sei, dass keine Werkverträge über Arbeiten abgeschlossen werden dürften, die vom Ausgang dieses Beschwerdeverfahrens abhängig seien.

d) Der Standpunkt des ... ist nicht haltbar. Jede Bauherrschaft, die der kantonalen Submissionsverordnung unterstellt ist, weiss und muss wissen, dass eine Arbeitsvergebung einer beschwerdeweisen Überprüfung unterzogen werden kann. Diesem Umstand ist bei der Termin- wie bei der Kostenplanung angemessen Beachtung zu schenken. Tut dies ein Bauherr nicht, so hat er die daraus entstehenden Konsequenzen, insbesondere die zeitlichen Verzögerungen infolge eines Beschwerdeverfahrens, selbst zu verantworten und in Kauf zu nehmen. Die zeitliche Dringlichkeit vermag jedenfalls die Nichtbeachtung der aufschiebenden Wirkung nicht zu rechtfertigen, noch grundsätzlich ein Gesuch um Entzug der aufschiebenden Wirkung zu begründen (betr. direkter Vergabe bei besonderer Dringlichkeit wegen höherer Gewalt oder zwecks Beseitigung von Gefahren siehe § 4 lit. c SubmV).

Unbehelflich ist, dass der ... offenbar mit der Beschwerdegegnerin förmlich noch keinen Werkvertrag abgeschlossen und letztere «auf eigenes Risiko hin» die bisherigen Planungsarbeiten ausgeführt hat. Welche Konsequenzen dieses Vorgehen in der Rechtsabwicklung zwischen ... und der Beschwerdegegnerin haben wird oder haben könnte, muss hier nicht beurteilt werden. Für den vorliegenden Fall ist entscheidend, dass trotz fehlender Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des Arbeitsvergebungsbeschlusses für die Bauherrschaft Arbeiten, die offenkundig Bestandteil der umstrittenen Arbeitsvergebung sind (...), verrichtet worden sind und noch verrichtet werden sollen. Damit wird während des hängigen Rechtsmittelverfahrens mindestens teilweise ein verpöntes fait accompli geschaffen. Dies zeigt deutlich die Argumentation des ... mit der Losbildung, wonach im Fall einer Neubeurteilung einem allenfalls neu obsiegenden Offertsteller nur das 2. Los (...) zugesprochen werden soll (und dies nachdem in den Submissionsunterlagen klar festgehalten wurde, eine Aufteilung des Auftrages sei nicht vorgesehen, und nachdem tatsächlich mit dem hier angefochtenen Vergabeschluss auch keine Losbildung getroffen wurde). Diesem Verhalten ist in Beachtung der aufschiebenden Wirkung der von der Beschwerdeführerin eingereichten Verwaltungsgerichtsbeschwerde umgehend Einhalt zu gebieten (d.h. keine Offertöffnung, Offertanalyse etc.). (...)

(Zwischenbescheid 1048/99 vom 29. Oktober 1999).

  

17

Arbeitsvergebung

 Akteneinsichtsrecht nach der Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB, nGS IV-494b; Erw. 4–7).  
 Die in Anlehnung an die bisherige Praxis zur kantonalen Submissionsverordnung (SubmV, nGS IV-494) und nach der IVöB aufgestellten Grundsätze zum Akteneinsichtsrecht sind auch bei Verfahren nach der kantonalen Submissionsverordnung zu beachten (Erw. 5f, 5g, 6b, 7 in fine).

Aus den Erwägungen:

4. Da sich die Frage des Akteneinsichtsrechts unter dem Regime der Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB) dem Gericht zum erstenmal stellt, ist es angebracht, über die anbegehrte Akteneinsicht in einer einlässlichen verfahrensleitenden Anordnung zu befinden (§ 8 VRP).

5. a) Die Umsetzung des GATT/WTO-Übereinkommens auf kantonaler Ebene erfolgt auf der Basis von Konkordatsrecht, der Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB, nGS 494b). Die IVöB ist eine Rahmenordnung, welche der Umsetzung der Kantone bedarf (Art. 3 IVöB). Sie wird mit Vergaberichtlinien (VRöB) ergänzt, welche die beitretenden Kantone dem materiellen Inhalt nach in ihre Ausführungsbestimmungen zu übernehmen haben. Zudem soll das Konkordatsrecht zwecks Liberalisierung und Harmonisierung des öffentlichen Beschaffungswesens auch im Rahmen des Gegenrechts unterhalb der Gatt-Schwellenwerte herangezogen werden können (Galli/Lehmann/Rechsteiner, Das öffentliche Beschaffungswesen in der Schweiz, S. 23ff., N. 70ff., soweit überblickbar im Kanton Schwyz zurzeit nicht aktuell).

b) Die IVöB proklamiert in ihrem Zweckartikel (Art. 1) die gegenseitige Öffnung der Kantone bei der Vergabe ihrer öffentlichen Aufträge. Sie will die kantonalen Vergaberegeln durch gemeinsam bestimmte Grundsätze und in Übereinstimmung mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz harmonisieren. Ihre Ziele sind insbesondere:

a)         Förderung des wirksamen Wettbewerbs unter den Anbieterinnen und Anbietern;

b)         Gewährleistung der Gleichbehandlung aller Anbieterinnen und Anbieter sowie einer unparteiischen Vergabe;

c)         Sicherstellung der Transparenz der Vergabeverfahren;

d)         wirtschaftliche Verwendung öffentlicher Mittel.

c) Der Kanton Schwyz hat die 1995 von der Schweizerischen Bau-, Planungs- und Umweltschutzdirektorenkonferenz erlassenen Vergaberichtlinien (VRöB) im Wesentlichen als kantonale Vollzugsverordnung zur IVöB übernommen (nGS 494c; RRB Nr. 1095 v. 25.6.1996, Erw. 2).

d) Für den vorliegenden Fall sind somit die allgemeinen Grundsätze für das Vergabeverfahren gemäss Art. 11 IVöB einzuhalten. Es sind dies:

a)         Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung der Anbieterinnen und Anbieter;

b)         wirksamer Wettbewerb;

c)         Verzicht auf Abgebotsrunden;

d)         Beachtung der Ausstandsregeln;

e)         Beachtung der Arbeitsschutzbestimmungen und der Arbeitsbedingungen;

f)          Gleichbehandlung von Frau und Mann;

g)         Vertraulichkeit von Informationen.

e) Zum Grundsatz der Vertraulichkeit von Informationen (Art. 11 lit. g IVöB) finden sich in den Vergaberichtlinien bzw. in der Vollzugsverordnung zur IVöB nur hinsichtlich der Bekanntgabe des Zuschlages ergänzende Bestimmungen (Art. 30 VRöB, § 30 VVzIVöB).

f) Die Rechtslage nach der kantonalen Submissionsverordnung vom 6. Februar 1976 (SubmV, nGS 494) und die darauf basierende aktuelle Rechtsprechung ist hinsichtlich des Akteneinsichtsrechts folgende:

 § 14 Abs. 1 SubmV als lex specialis besagt:

1 Von einem Bewerber eingereichte Offertunterlagen dürfen ohne sein Einverständnis Mitbewerbern nicht zugänglich gemacht werden. In den Rechtsmittelverfahren darf auf die Bewerbungsunterlagen nur abgestellt werden, wenn vorher den Parteien vom wesentlichen Inhalt Kenntnis und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden ist.

Nach § 22 der Verwaltungsrechtspflegeordnung (VRP, nGS 225) gilt im Sinne der lex generalis:

1 Den Parteien steht das Recht auf Akteneinsicht zu.  
2 Die Behörde kann die Einsicht in die Akten verweigern, wenn schützenswerte private oder öffentliche Interessen die Geheimhaltung erfordern.
3 Wenn die Behörde ein Aktenstück geheimhält, darf sie es als Beweismittel zum Nachteil einer Partei nur berücksichtigen, wenn diese vom wesentlichen Inhalt Kenntnis erhalten und Gelegenheit hatte, sich dazu zu äussern.

In VGE 627/95 v. 17.11.1995 hat das Verwaltungsgericht festgehalten, dass der erste Satz von Absatz 1 des § 14 SubmV für das Vergebungsverfahren gelte. Im Rechtsmittelverfahren könne nur auf die Bewerbungsunterlagen abgestellt werden, wenn vorher den Parteien vom wesentlichen Inhalt Kenntnis und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden sei (§ 14 Abs. 1 Satz 2 SubmV). Bei der Auslegung von § 14 Abs. 1 SubmV sei zu beachten, dass das Akteneinsichtsrecht durch das kantonale Verwaltungsverfahrensrecht (§ 22 VRP) und durch die Bundesverfassung gewährleistet sei (Art. 4 BV). Die in § 14 Abs. 1 SubmV postulierte Beschränkung des Akteneinsichtsrechts sei in verfassungskonformer Auslegung und Handhabung eng zu interpretieren. Der Schutz von Privatinteressen (Geschäftsgeheimnisse) könne es rechtfertigen, dass die Akten nicht vollständig offengelegt werden müssten, dies allerdings nur, wenn der Schutz der Gegenpartei an einer umfassenden Orientierung nicht als schutzwürdiger erscheine, was aufgrund einer sorgfältigen Abwägung einzelfallweise zu beurteilen sei. Gehe das Geheimhaltungsinteresse vor, so dürfe die Behörde entweder das betreffende Aktenstück selbst auch nicht beachten, oder sie müsse der Gegenpartei den wesentlichen Inhalt (z.B. unter Abdeckung der vertraulichen Passagen) bekanntgeben. Nur der Bewerber könne wissen, welche Passagen als Geschäftsgeheimnisse zu qualifizieren seien (Kooperationsmaxime, § 19 Abs. 1 VRP). Sache des Gerichtes sei es dann, Bestand und Gewichtung der konkretisiert und substantiiert geltendgemachten Geschäftsgeheimnisse im Rahmen der Interessenabwägung vorzunehmen.

g) Die kantonale Submissionsverordnung ist im vorliegenden Verfahren indes nicht anzuwenden. Der Kanton Schwyz hat sich bei der Anpassung an übergeordnetes Submissionsrecht einstweilen für ein «zweigleisiges Vorgehen» entschieden, damit «für den weitaus überwiegenden Teil der Beschaffungen die vertrauten Regeln der geltenden Submissionsverordnung weiterhin Anwendung» finden, während «in den wenigen Fällen, für die das GATT-Übereinkommen gilt», die neuen Verfahrensregeln zur Anwendung gelangen. Bei der Einleitung des Verfahrens müsse «die Entscheidung fallen, ob der Beschaffungszug auf das eine oder andere Geleise» gestellt werde (RRB 1095/96, Erw. 1, 8). Da der Schwellenwert von Fr. 383000.– gemäss Art. 7 lit. b IVöB klarerweise überschritten wird, ist in casu die IVöB und nicht die kantonale Submissionsverordnung anzuwenden.

6. a) Vorab ist zu prüfen, ob und inwiefern das Vertraulichkeitsgebot als Grundsatz des Vergabeverfahrens auch im Rechtsmittelverfahren gilt.

Von der Systematik her bezieht sich das Vertraulichkeitsgebot klar auf das Vergabeverfahren (Ziffer IV). Der Rechtsschutz ist unter Ziffer V in den Art. 15–18 IVöB separat geregelt. Darin finden sich Bestimmungen über:

          die Endgültigkeit des von einer unabhängigen kantonalen Instanz getroffenen Beschwerdeentscheides (Art. 15 Abs. 1 IVöB),

          die Beschwerdefrist und Beschwerdeform (Art. 15 Abs. 2 IVöB),

          die Beschwerdegründe (Art. 16 IVöB),

          die aufschiebende Wirkung (Art. 17 IVöB),

          und die Erledigungsmöglichkeiten (Art. 18 IVöB).

Mit Ausnahme von Art. 16 Abs. 3 IVöB fehlt in Ziffer V ein Verweis auf die Normen des Vergabeverfahrens. Art. 16 Abs. 3 IVöB bestimmt im Zusammenhang mit den Beschwerdegründen, dass bei Fehlen kantonaler Ausführungsvorschriften das Konkordatsrecht direkt geltend gemacht werden kann. Damit wird jedoch das Vertraulichkeitsgebot nicht zur Verfahrensregel für das Beschwerdeverfahren erhoben.

Auch teleologisch macht es durchaus Sinn, wenn Vergabe- und Beschwerdeverfahren hinsichtlich Vertraulichkeit unterschiedlich geregelt werden. Der Bundesrat hat in der GATT-Botschaft 2 vom 24. Oktober 1994 zu Art. 26 BoeB (Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen) im Zusammenhang mit dem anwendbaren Recht für das Verfahren und den Rechtsschutz zunächst festgestellt, für das Vergabeverfahren sei das Akteneinsichtsrecht nach Art. 26–28 VwVG bis zum Ablauf der Beschwerdefrist nach dem Zuschlagsentscheid explizit ausgeschlossen, und danach überzeugend dargelegt, es sei nicht erwünscht, dass Konkurrenten während des Beschaffungsentscheides Einsicht in die Entscheidunterlagen nehmen könnten. Trotzdem sei bezüglich des Vergabeverfahrens Transparenz hergestellt. Gemäss Artikel 23 Abs. 2 BoeB habe nämlich die Auftraggeberin eine Begründungspflicht hinsichtlich des gewählten Vergabeverfahrens, der Gründe der Nichtberücksichtigung einer Anbieterin oder eines Anbieters, der Gründe für die Zuschlagserteilung sowie des Preises (vgl. auf kantonaler Ebene § 30 VRöB bzw. VVzIVöB). Gestützt auf diese Informationen werde es einer Anbieterin oder einem Anbieter möglich sein, zu entscheiden, ob sie oder er Beschwerde führen wolle (BBl. 1994, Band IV, S. 1196). Diese Überlegungen können ohne weiteres auf das fragliche Konkordatsrecht übernommen werden, zumal das Vertraulichkeitsgebot in den Vergabeverfahren auf Bundes- und kantonaler Ebene im Wesentlichen gleich ausgestaltet ist (Art. 8 Abs. 1 lit. d BoeB; Art. 11 lit. g IVöB; Galli/Lehmann/Rechsteiner a.a.O., N. 269).

Es ist mithin davon auszugehen, dass das Vertraulichkeitsgebot gemäss Art. 11 lit. g IVöB für das Rechtsmittelverfahren nicht gilt, was indes nicht besagt, dass der Richter dem Vertraulichkeitsaspekt bei der Interessenabwägung nicht gebührend Rechnung zu tragen hat. Mit dieser Rechtsauslegung wird der Zielkonflikt zwischen Transparenzgebot (Art. 1 Abs. 2 lit. c IVöB) und Vertraulichkeitsgebot (Art. 11 lit. g IVöB) sachgerecht entschärft.

b) Für das Verfahren vor Verwaltungsgericht ist mithin auf § 22 VRP abzustellen, welche Bestimmung oben unter Erw. 5f) wörtlich zitiert ist. Danach ist die Akteneinsicht den Parteien grundsätzlich zu gewähren. Sie kann verweigert werden, wenn schützenswerte private oder öffentliche Interessen die Geheimhaltung erfordern. Ein geheimgehaltenes Aktenstück darf nur als Beweismittel zum Nachteil einer Partei berücksichtigt werden, wenn diese vom wesentlichen Inhalt Kenntnis erhalten und Gelegenheit hatte, sich dazu zu äussern. Im Einzelfall sind somit in einer Interessenabwägung der verfassungsrechtliche Anspruch auf rechtliches Gehör sowie der Grundsatz der Transparenz (Art. 1 lit. c IVöB) dem im Submissionswesen ausgeprägt zu beachtenden Vertraulichkeitsaspekt gegenüberzustellen.

c) Diese Regelung entspricht im Wesentlichen derjenigen im eidgenössischen Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVG, Art. 26–28), welche für das öffentliche Beschaffungswesen auf Bundesebene gilt (Art. 26 BoeB; VPB 1997, 61.24 Erw. 3).

Anders ist die Praxis im Kanton Aargau. Eine Mehrheit des Verwaltungsgerichts Aargau vertritt mit Entscheid vom 7. Mai 1998 (wiedergegeben in ZBl 99 (1998), S. 527ff.) die Ansicht, der Umfang der einsehbaren Akten sei in § 2 (Vertraulichkeitsgrundsatz) und § 20 Abs. 2 (Akteneinsicht der nicht berücksichtigten Anbietenden nach erfolgtem Zuschlag) auch für das Rechtsmittelverfahren abschliessend festgelegt, und insoweit sei kein Raum für die Anwendung der einschlägigen Bestimmungen des VRPG. Die Verpflichtung der Rechtsmittelinstanz auf den Untersuchungsgrundsatz und auf «eine eher grosszügige Handhabung von § 20 Abs. 2 SubmD» würden im besonderen Kontext des Submissionsverfahrens genügend Gewähr für eine rechtsstaatliche Rechtsfindung bieten. Eine Minderheit des Gerichtes stellte sich indes auf den Standpunkt, dass das Verwaltungsrechtspflegegesetz unter gebührender Berücksichtigung der submissionsrechtlichen Besonderheiten, insbesondere des Vertraulichkeitsgrundsatzes, zur Anwendung gelange. Eine Beschränkung der einsehbaren Akten von vornherein und ohne Interessenabwägung im Einzelfall erschien der Minderheit als verfassungswidrig.

Im neuen, seit 1. Januar 1999 in Kraft gesetzten Gesetz über die öffentlichen Beschaffungen des Kantons Luzern wird in § 25 unter dem Titel «Verfahren und Rechtsschutz» die Akteneinsicht und das rechtliche Gehör ausdrücklich geregelt. Danach sind Anbieterinnen berechtigt, in alle Akten, die ihr Angebot oder ihre Stellung als Anbieterin im Verfahren betreffen, Einsicht zu nehmen. Konkurrenzangebote können nicht eingesehen werden. Im Beschwerdefall kann die Richterin oder der Richter die Einsicht in die Aktenstücke verweigern, wenn überwiegende private oder öffentliche Interessen entgegenstehen. Anbieterinnen können im Umfang des Akteneinsichtsrechts erhebliche Beweise beibringen oder entsprechende Anträge stellen und sich zur Sache und zu Beweisergebnissen äussern.

Die Submissionsverordnung des Kantons Uri vom 11. Dezember 1996 bestimmt in Art. 44, dass erst im Beschwerdeverfahren das Recht auf Akteneinsicht und auf rechtliches Gehör bestehe.

Im Submissionsgesetz des Kantons Solothurn vom 22. September 1996 wird für den Rechtsschutz das Verwaltungsrechtspflegegesetz als ergänzendes Recht bestimmt (§ 37 Abs. 2).

7. In Anlehnung an die bisherige Praxis sowie unter Berücksichtigung des in der neueren Submissionsgesetzgebung besonders hervorgehobenen Vertraulichkeitsgebotes ist bei anbegehrter Akteneinsicht im Beschwerdeverfahren grundsätzlich wie folgt vorzugehen.

          Angaben und Unterlagen über im Beschwerdeverfahren nicht beteiligte Parteien (ausser Offertöffnungsprotokoll und bereinigte Offertpreise mit Rangfolge) sind geheimzuhalten.

          Angaben und Unterlagen von und über eine Beschwerdepartei können derselben auf Antrag hin offengelegt werden. Dabei gilt es zu beachten, dass bereits der Auftraggeber den Anbietern die wesentlichen Gründe für ihre Nichtberücksichtigung zu eröffnen hat (§ 30 Abs. 2 VVzIVöB). Da die Mitteilungspflicht nur individuell gegenüber den einzelnen Anbietern vollzogen werden kann, ist dieser vernünftigerweise – wie dies § 30 Abs. 3 VRöB bereits vorsieht – nur auf Gesuch hin nachzukommen.

          Angaben und Unterlagen von und über eine im Beschwerdeverfahren beteiligte Mitkonkurrentin sind – sofern sie mit erheblicher Wahrscheinlichkeit entscheidrelevant und in der Entscheidbegründung zu verwenden sein werden – bei deren Einverständnis der Gegenpartei auf Antrag hin zugänglich zu machen. Bei vorbehaltlos eingereichten Unterlagen wird das Einverständnis der einreichenden Partei präsumiert.

          Lehnt eine Partei die Einsichtnahme durch die Gegenpartei in die sie betreffenden Angaben und Unterlagen ab, so hat sie dem Gericht die geheimzuhaltenden Angaben und Unterlagen zu bezeichnen sowie ihr Geheimhaltungsinteresse zu begründen und soweit erforderlich zu belegen.

          Der mit der Verfahrensinstruktion betraute Richter ordnet im Fall des fehlenden Einverständnisses aufgrund einer Interessenabwägung an, welche Akten und allenfalls wieweit diese eingesehen werden können. Dabei hat er u.a. was folgt zu beachten:

          Der Richter gewährt die Einsichtnahme in Konkurrenzofferten nur zurückhaltend (zumal im Lichte des Konkordatsrechts der Problematik des Unterangebotes [Galli/Lehmann/Rechsteiner a.a.O., N. 476] nicht mehr der gleiche Stellenwert zukommt, wie dies noch bei der kantonalen Submissionsordnung der Fall ist [§ 18 SubmV]).

          Was mit erheblicher Wahrscheinlichkeit entscheidrelevant und im Rahmen der Begründungspflicht offenzulegen sein wird, kann der Gegenpartei grundsätzlich nicht vorenthalten werden (allenfalls Offenlegung in zusammengefasster, teilweise abgedeckter Form offenzulegen).

          Nachteilige Beweismittel im Sinne von § 22 Abs. 3 VRP sind auf das Submissionsverfahren bezogen solche, die sich für eine Anbieterin unmittelbar nachteilig auswirken (z.B. nachteilige Angaben über ihre Eignung), nicht jedoch solche von bloss mittelbarer Auswirkung (z.B. vorteilhafte Angaben über die Mitkonkurrentin, die den Zuschlag erhielt; Nachweis der Selbstkostendeckung). Es kann mithin in begründeten Ausnahmefällen auf mittelbar nachteilige Beweismittel abgestellt werden, ohne dass der wesentliche Inhalt der negativ betroffenen Partei zur Kenntnis gebracht wird (beispielsweise bei einem Konstruktionsgeheimnis, welches einen prägnanten Qualitätsvorsprung oder eine erhebliche Kostenersparnis zu begründen vermag).

          Bei der Interessenabwägung ist das Gebot der Waffengleichheit zu beachten. Für eine Aktenoffenlegung spricht im Übrigen, wenn sie ein der Sachverhaltsermittlung dienliches kontradiktorisches Vorgehen begünstigt.

          Gegen die Verfahrensanordnung des instruierenden Richters kann beim Gericht Einsprache erhoben werden (§ 23 Abs. 2 VRP). Nach unbenütztem Ablauf der Einsprachefrist bzw. Erledigung des Einspracheverfahrens ist die Akteneinsicht zu vollziehen.

          Die obgenannten Grundsätze sind im Sinne einer Weiterentwicklung und Präzisierung der bisherigen Praxis auch bei Verfahren nach der kantonalen Submissionsverordnung zu beachten.

(Zwischenbescheid 1004 + 1005/99 vom 23. April 1999).

  

18

Strassenverkehrsrecht

 Geschwindigkeitsüberschreitung von 16 km/h bei einer signalisierten Innerortsgeschwindigkeit von 30 km/h; Verwarnung statt Warnungsentzug.

Aus den Erwägungen:

4. Nachdem das Vorliegen einer Verkehrsregelverletzung bejaht werden kann, stellt sich die Frage, ob auch die Voraussetzungen des Verschuldens und der Verkehrsgefährdung (oder Belästigung anderer) gegeben ist, bzw. bei Bejahung dieser Frage, ob allenfalls von einem leichten Fall gesprochen und es damit bei einer Verwarnung belassen werden kann.

a) Bei den Vorschriften über die Geschwindigkeit handelt es sich um wesentliche Verkehrsregeln. Sie sind grundlegend für die Gewährleistung der Sicherheit des Strassenverkehrs. Die Gefahrenlage innerorts unterscheidet sich wesentlich von der auf der Autobahn. Wie in BGE 121 II 127 E. 4b dargelegt worden ist, stellt eine übersetzte Geschwindigkeit gerade innerorts eine erhebliche Gefahr dar. Die Zahl der vom Lenker zu verarbeitenden Reize ist innerorts grösser als ausserorts und auf der Autobahn, was eine gesteigerte Aufmerksamkeit erfordert. Zudem sind innerorts viele schwache Verkehrsteilnehmer vorhanden (Fussgänger, Velofahrer), die – vor allem Kinder und ältere Menschen – einem besonderen Risiko ausgesetzt sind. Darüber hinaus besteht eine erhöhte Gefahr von Seitenkollisionen. Welche schwerwiegenden Folgen Geschwindigkeitsübertretungen innerorts, wo Fahrzeug-Fussgänger-Kollisionen häufig sind, haben können, zeigen physikalische Berechnungen. (...). In Anbetracht dieser hohen Gefahrenlage hat das Bundesgericht entschieden, dass bei Geschwindigkeitsexzessen innerorts eine grobe Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG bzw. eine schwere Verkehrsgefährdung im Sinne von Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG immer anzunehmen ist, wenn der Lenker die Innerortshöchstgeschwindigkeit um 25 km/h oder mehr überschritten hat (BGE 123 II 40/41; 123 II 113). Bei einer Überschreitung der allgemeinen Innerortshöchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 21 bis 24 km/h ist ohne Prüfung der konkreten Umstände objektiv zumindest ein mittelschwerer Fall anzunehmen. Es liegt eine erhöhte Gefährdung mit entsprechendem Verschulden vor, weshalb auch bei günstigen Verhältnissen nur in Ausnahmefällen von einem Führerausweisentzug abgesehen werden kann (BGE 124 II 97ff. bes. 101f.). Ein Ausnahmefall, bei dem von einem Entzug abgesehen werden kann, kommt dann in Betracht, wenn der Lenker aus nachvollziehbaren Gründen gemeint hat, er befinde sich nicht oder nicht mehr im Innerortsbereich. Immer ist auch das Ausmass von Gefährdung und Verschulden abzuklären und zu gewichten, damit entschieden werden kann, ob allenfalls ein schwerer Fall (Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG) vorliegt und welche Entzugsdauer bei einem mittelschweren bzw. schweren Fall angemessen ist (BGE 124 II 101; 123 II 41 E. f).

Bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ab 15 km/h ist nach nicht praktikabler bundesgerichtlicher Rechtsprechung eine Verwarnung auszusprechen (BGE 121 II 131 m.H.; 123 II 111, wobei dieser letztere Entscheid im Unterschied zum erstzitierten sich ausdrücklich auf Geschwindigkeitsüberschreitungen auf Autobahnen bezieht), sofern die (...) Voraussetzungen für einen Entzug nicht gegeben sind.

b) Das Bundesgericht hat – soweit ersichtlich – bis anhin die Frage nicht behandelt, ob bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung bei einer Innerortssignalisation von 30 km/h von den oben dargelegten Regeln abzuweichen ist.

Die vorinstanzlichen Richtlinien für die Administrativmassnahmen im Strassenverkehr vom Januar 1999 sehen eine Abweichung vor, indem sie festhalten, dass eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 16 bis 19 km/h innerorts bei einer Höchstgeschwindigkeit von generell 50 oder 60 km/h eine Verwarnung nach sich zieht, demgegenüber bei einer Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h oder 40 km/h ab einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 16 km/h der Führerausweis zu entziehen sei (Ziff. 5, S. 8). Diesen Richtlinien kommt keine Gesetzeskraft zu, und sie binden das Verwaltungsgericht nicht (§ 26 VRP).

Für einen Warnungsentzug bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 16 km/h bei Tempo 30 spräche der Umstand, dass eine Geschwindigkeitsüberschreitung von über 50% vorliegt und die Fussgänger und Velofahrer in Tempo-30-Zonen eine besondere Sicherheit und eine besondere Rücksichtnahme der Autofahrer erwarten. Mit den Tempo-30-Zonen soll denn auch besonderen Schutzbedürfnissen der Verkehrsteilnehmer Rechnung getragen werden, weshalb die Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit um 16 km/h eine zumindest abstrakte Gefährdung der übrigen Verkehrsteilnehmer darstellt. Von der Anordnung einer Massnahme kann daher nicht abgesehen werden.

Andererseits stellt eine Geschwindigkeitsüberschreitung um 50% bei Tempo 30 klarerweise eine weit geringere Gefahr für Dritte dar, als eine Geschwindigkeitsüberschreitung um 50% bei einer signalisierten Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 16 km/h im Tempo-30-Bereich schafft grundsätzlich nicht die gleich grosse Gefahrenlage wie eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 25 km/h im Tempo-50-Bereich.

Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass eine Geschwindigkeitsüberschreitung um 16 km/h innerorts die unterste Limite dafür ist, dass die Übertretung nicht im Ordnungsbussenverfahren geahndet wird, sondern eine Verzeigung erfolgt und das ordentliche Strafverfahren durchzuführen ist (vgl. Ordnungsbussenverordnung, OBV, Anhang 1, Ziff. 303.1). Eine Geschwindigkeitsüberschreitung von unter 16 km/h gelangt damit der Administrativbehörde in der Regel gar nicht zur Kenntnis, sofern der Täter dabei nicht Personen gefährdet oder verletzt, Sachschaden verursacht oder weitere Widerhandlungen begangen hat (vgl. Art. 2 Ordnungsbussengesetz, OBG).

Die vorinstanzlichen Richtlinien erscheinen auch insofern, als dass sie bei einer Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit in der Tempo-30-Zone von 15 km/h überhaupt keine Administrativmassnahme vorsehen, bei einer Überschreitung von 16 km/h jedoch bereits einen Führerausweisentzug anordnen, als unverhältnismässig und rechtsungleich. Der Sprung von keiner Massnahme bei einer Überschreitung von 15 km/h direkt zu einem Entzug bei einer Überschreitung von 16 km/h lässt sich unter dem Aspekt der Verhältnismässigkeit und Rechtsgleichheit nicht begründen. Dass die Stufe der Verwarnung fehlt, ist zumindest dann nicht gerechtfertigt, wenn keine erschwerenden Umstände vorliegen wie hohes Verschulden (Vorsatz), besonders ausgeprägte hohe Gefährdung oder schlechter automobilistischer Leumund.

(...).

Aus den dargelegten Gründen erweist sich vorliegend der Entzug des Führerausweises für einen Monat als ungerechtfertigt, und die angefochtene Verfügung wird insofern abgeändert, als dass die Anordnung des Führerausweisentzuges aufgehoben und statt dessen eine Verwarnung im Sinne von Art. 16 Abs. 2 SVG ausgesprochen wird.

(VGE 800/99 vom 23. April 1999).

  

19

Sozialhilferecht

 Sozialhilfe: Schulden können nur ausnahmsweise übernommen werden, wenn dadurch eine bestehende oder drohende Notlage behoben werden kann.

Aus den Erwägungen:

3. b) Gemäss dem in der Sozialhilfe geltenden Bedarfsdeckungsprinzip soll die Sozialhilfe einer individuellen, konkreten und aktuellen Notlage abhelfen. Sozialhilfeleistungen sind damit grundsätzlich nur für die Gegenwart (und die Zukunft, soweit die Notlage anhält) auszurichten, nicht jedoch für die Vergangenheit. Die Sozialhilfe erstreckt sich grundsätzlich nicht auf bereits überwundene Notlagen, weshalb ein Hilfeempfänger nicht verlangen kann, dass ihm Sozialhilfeleistungen rückwirkend ausgerichtet werden, auch wenn die Voraussetzungen hierfür bestanden hätten (vgl. Wolffers, Grundriss des Sozialhilferechts, S. 74f.). Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht absolut. Die Übernahme von Schulden ist insbesondere dann geboten, wenn durch deren Nichtbezahlung eine neue Notlage herbeigeführt würde, welche wiederum nur durch den Einsatz von Sozialhilfe behoben werden könnte. Die Behörde hat im Weiteren Schulden zu übernehmen, welche nur deshalb entstanden sind, weil Sozialhilfeleistungen trotz eines entsprechenden Antrags nicht rechtzeitig ausgerichtet wurden (Wolffers, a.a.O., S. 152).

Das kantonale Sozialhilferecht trägt diesen Grundsätzen Rechnung, indem es in § 17 ShG festhält, dass für Leistungen, die ein Hilfsempfänger von Dritten erwirkt (Ärzte, Spitäler, Wohnungsvermieter usw.), die Fürsorgebehörde nur einzustehen hat, soweit sie hiefür im Voraus oder rechtzeitig Gutsprache geleistet hat (Abs. 2). In dringenden Fällen, namentlich bei plötzlich eintretender Krankheit oder bei Unglücksfällen, darf die Gutsprache nicht verweigert werden, wenn die Hilfeleistung nach den Umständen sofort gewährt werden musste und die Gutsprache verlangt wird, sobald feststeht, dass für die Hilfeleistung keine andere Kostendeckung erwartet werden kann (Abs. 3). Des Weiteren wird in § 7 ShV festgehalten, dass wirtschaftliche Hilfe in der Regel nur für die laufenden Bedürfnisse des Hilfsempfängers gewährt wird. Schulden können nur ausnahmsweise, insbesondere für Mietzinsen und Krankenkassenprämien, übernommen werden, wenn dadurch eine bestehende oder drohende Notlage behoben werden kann. (...).

(VGE 821/99 vom 23. April 1999).

  

20

Handänderungssteuer

 Schenkungsbegriff nach § 11 Abs. 2 HStG; teilweise Änderung der Rechtsprechung.

Aus den Erwägungen:

3. a) Nach § 11 Abs. 2 HStG ist auf den Verkehrswert als Handänderungswert abzustellen, wenn ganz oder teilweise eine Schenkung vorliegt. Daraus ergibt sich, dass auch bei einer gemischten Schenkung nicht auf den verurkundeten Kaufpreis, sondern auf den Verkehrswert abzustellen ist. Das HStG umschreibt den Begriff der Schenkung nicht. Der steuerrechtliche Schenkungsbegriff deckt sich nicht in jeder Hinsicht mit jenem des Zivilrechts; er kann Besonderheiten aufweisen, die sich aus dem Zweck des Gesetzes oder aus Gründen der Praktikabilität ergeben. Beiden Begriffen sind jedoch die Merkmale

          der Vermögenszuwendung

          der Unentgeltlichkeit (bzw. bei gemischten Schenkungen der teilweisen Unentgeltlichkeit. Bei der gemischten Schenkung wird der Preis unter dem Wert des Veräusserungsgegenstandes angesetzt, um die Differenz dem Erwerber unentgeltlich zukommen zu lassen; N. P. Vogt, Basler Kommentar, N. 5 zu Art. 239 OR) und

          des Zuwendungswillens (animus donandi) gemeinsam (BGE 118  I a 500 aa).

b) Fraglich ist, ob der Zuwendungswille auch nach dem Schenkungsbegriff von § 11 Abs. 2 HStG ein erforderliches Merkmal ist. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hat sich bisher hiezu wie folgt geäussert:

«Gemäss verwaltungsgerichtlicher Praxis wird eine gemischte Schenkung vermutet, wenn zwischen den Vertragspartnern verwandschaftliche oder sonst nahe persönliche Beziehungen bestehen oder wenn zwischen Übernahmepreis und üblichem Verkehrswert eine krasse Differenz gegeben ist (VGE 272/75 v. 23.9.1975, E. 3, Prot. 377; EGV-SZ 1990, S. 105). Somit steht zunächst fest, dass die Rechtsprechung es nicht als entscheidend erachtet, ob auf Veräusserungsseite ein Schenkungswille ausgewiesen oder gar ein Schenkungsversprechen öffentlich verurkundet war. Vielmehr wurde auf eine objektive Betrachtungsweise abgestellt. An dieser der Steuergerechtigkeit nachlebenden Praxis ist festzuhalten. Der dem schwyzerischen Handänderungssteuerrecht zugrunde liegende Handänderungswert ist eine objektive, sich nach dem aktuellen Liegenschaftsmarkt richtende Grösse. Dies ergibt sich unmissverständlich aus den §§ 8ff. HStG.» (VGE 312/92 v. 21.8.1992, E. 2b, Prot. 326, wiederholt in VGE 349/92 v. 21.12.1992, E. 2b, Prot. 555 und VGE 714/97 v. 27.11.1997, E. 2b, Prot. 417)

c) Im bernischen Steuerrecht wurde zur Frage des steuerlichen Schenkungsbegriffs wiederholt im Zusammenhang mit der Erhebung von Schenkungssteuern Stellung genommen. Art. 3 Abs. 2 des bernischen Gesetzes über die Erbschafts- und Schenkungssteuer (ESchG) regelt den Tatbestand der gemischten Schenkung. Er lautet: «Entgeltliche Rechtsgeschäfte, bei welchen die Leistungen des einen Teils in einem offenbaren Missverhältnis zur Gegenleistung stehen, werden für den durch die Gegenleistung nicht gedeckten Wert der Leistung einer Schenkung gleichgestellt.» Marc F. Suter hielt zu dieser Bestimmung fest, eine Schenkungsabsicht sei für die Annahme einer Schenkung danach nicht erforderlich (M. F. Suter, Das neue bernische Erbschafts- und Schenkungssteuergesetz, ZBJV 1989, S. 185). Das bernische Verwaltungsgericht teilte diese Rechtsauffassung, indem es mit VGE vom 27. Mai 1991 festhielt, auf eine fehlende Schenkungsabsicht komme es im bernischen Schenkungssteuerrecht gemäss ständiger Rechtsprechung nicht an. Nach dem klaren Wortlaut von Art. 3 Abs. 2 EGSchG sei nur das objektive Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung zu berücksichtigen (nStPS 1991, S. 147, E. 4a). Diesem Entscheid lag die Handänderung des Hotels Regina-Blüemlisalp in Wengen zugrunde. Bei einem Kaupfreis von Fr. 4 Mio. und bei einem steueramtlichen Wert von Fr. 4601720.– wurden die Käufer für einen steuerpflichtigen Vermögensanfall von Fr. 601720.– mit einer Schenkungssteuer von Fr. 215688.– besteuert. Eine gegen diesen Entscheid gerichtete staatsrechtliche Beschwerde wurde vom Bundesgericht mit Urteil vom 11. Dezember 1992 (BGE 118 Ia  497ff.) gutgeheissen. In der Begründung wird ausgeführt:

«Art. 3 Abs. 2 ESchG regelt den Tatbestand der gemischten Schenkung. Danach werden entgeltliche Rechtsgeschäfte mit offensichtlichem Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung in Bezug auf die Wertdifferenz einer Schenkung gleichgestellt. Aus dieser letzten Formulierung abzuleiten, dass bei solchen zweiseitigen Geschäften eine Schenkungssteuer auch ohne Vorliegen des Schenkungswillens geschuldet sei, ist unhaltbar. Das fragliche bernische Gesetz will, wie bereits aus seinem Titel und aus den Umschreibungen in Art. 2 und Art. 3 Abs. 1 ESchG hervorgeht, nur Vermögensanfälle, die eine Schenkung darstellen oder – trotz eines äusserlich zweiseitigen Leistungsverhältnisses – auf eine Schenkung hinauslaufen (gemischte Schenkung), nicht aber blosse Verkehrsvorgänge erfassen. Der steuerrechtliche Schenkungsbegriff braucht zwar, wie allgemein anerkannt ist, mit jenem des Zivilrechtes nicht übereinzustimmen. Immerhin muss es sich um ein Rechtsgeschäft handeln, das, wenn nicht im zivilrechtlichen Sinn, so doch nach dem allgemeinen Wortsinn, noch als Schenkung bezeichnet werden kann. Eine Auslegung, welche jeden günstigen Kauf (Verkauf) einer Sache, ungeachtet der konkreten Umstände und des fehlenden Zuwendungswillens der Beteiligten, allein wegen der Wertdifferenz zwischen den beidseitigen Leistungen als Schenkung betrachten will, sprengt die durch Wortlaut und Zweck des Gesetzes gegebenen Schranken. (...)

Allein aus der Tatsache, dass der Veräusserungspreis unter dem objektiven Verkehrswert bzw. amtlichen Wert liegt, kann noch nicht auf das Vorliegen eines  Zuwendungswillens geschlossen werden.» (BGE 118 Ia 501f.)

d) Aufgrund dieser bundesgerichtlichen Rechtsprechung drängt sich eine Änderung der bisherigen Verwaltungsgerichtspraxis auf, zumal der Wortlaut von § 11 Abs. 2 HStG es (noch) weniger zulässt als Art. 3 Abs. 2 ESchG-BE, auf den Zuwendungswillen zu verzichten. Somit ist in der Folge zu prüfen, ob aufgrund der konkreten Umstände zu schliessen ist, dass die Parteien den Kaufpreis bewusst unter dem Verkehrswert ansetzten, um die Differenz den Erwerbern unentgeltlich zukommen zu lassen (vgl. N. P. Vogt, a.a.O., N. 5 zu Art. 239). Dabei ist den objektiven Kriterien stärkeres Gewicht beizumessen als rein subjektiven Kriterien. Vorliegend sprechen für das Vorliegen eines teilweise unentgeltlichen Zuwendungswillens:

          Der massiv unter dem Verkehrswert liegende Verkaufspreis (vgl. hiezu auch Erwägung Ziff. 4). So darf nach von Büren (OR, Besonderer Teil, 282) eine gemischte Schenkung gesehen werden im Fall, dass eine Liegenschaft zu einem Drittel ihres Wertes veräussert wird. Auch aus der Erwägung des Bundesgerichts, wonach nicht allein wegen der Wertdifferenz zwischen den beidseitigen Leistungen auf Schenkung erkannt werden dürfe, ist e contrario zu schliessen, dass eine Wertdifferenz ein Indiz für den Schenkungswillen darstellt, welches umso stärker zu gewichten ist, je grösser die Wertdifferenz ist.

          Die Beschwerdeführer führen als Begründung des tiefen Preises aus, dem Verkäufer sei daran gelegen, dass auf dem veräusserten Land eine geordnete Überbauung realisiert werden könne, welche dem lokalen Gewerbe und der Bevölkerung diene. Die Käufer bzw. deren Aktiengesellschaft (...) gehören dem lokalen Gewerbe an. Aus diesem Grunde ist im Kaufvertrag auch eine Nachzahlungspflicht von Fr. 80.–/m2 vereinbart worden für den Fall, dass die Käufer die Parzelle oder Teile davon innert 8 Jahren seit dem Erwerb in unverbautem Zustand an Dritte veräusserten. Damit kommt zum Ausdruck, dass der Verkaufspreis bewusst unter dem Verkehrswert angesetzt worden ist und dass sich die Parteien bewusst waren, dass der Verkehrswert höher liegt. Anders lässt sich die vorerwähnte bedingte Nachzahlungspflicht nicht erklären.

          Der Verkäufer veräusserte bereits 1991 in der Gemeinde X. den heutigen Beschwerdeführern 7170 m2 Gewerbeland zu einem Kaufpreis von Fr. 200.– je m2. Dies sowie der Preis des am 15.6.1999 veräusserten in der WG-3-Zone gelegenen Landes zeigt, dass der Verkäufer nicht aus Unerfahrenheit einen tiefen, vom Verkehrswert stark abweichenden Preis vereinbart hatte.

          Dass andere Gründe wie die allgemeine wirtschaftliche Lage, Liquiditätsprobleme des Verkäufers und dergleichen eine Erklärung für den tiefen Preis hergeben,  wird von den Beschwerdeführern nicht geltend gemacht.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Wille zur Vornahme einer gemischten Schenkung vorliegend als gegeben anzunehmen ist.

(VGE 712 + 713/99 vom 17. Dezember 1999).

 

21

Kausalabgaben

 Kanalisationsanschlussgebühren: Neubau (anstelle eines Altbaus) auf einer bereits angeschlossenen und überbauten Liegenschaft: als Bemessungsgrundlage für die zusätzliche Anschlussgebühr ist grundsätzlich die Mehrkubatur heranzuziehen, wenn aktuell der Kubikinhalt des umbauten Raumes als Bemessungskriterium gilt.

Aus den Erwägungen:

2. a) Artikel ... des kommunalen Kanalisationsreglementes (KR) vom (...) sieht vor, dass die Grundeigentümer für den Bau und Betrieb der öffentlichen Abwasseranlagen eine einmalige Anschlussgebühr (lit. a) und wiederkehrende Benützungsgebühren (lit. b) zu entrichten haben. Für bestehende Gebäude und Neubauten (einschliesslich An- und Umbauten) haben die Grundeigentümer an die Erstellung, den Unterhalt und die Benützung der Abwasseranlage eine einmalige Anschlussgebühr pro m3 umbauten Raumes zu leisten. (...)

Bei Änderungen in der Art der Überbauung eines angeschlossenen Grundstückes sowie bei Wiederaufbau, Totalrenovation usw. sind die Gebühren neu zu berechnen. Die früher bezahlte Anschlussgebühr ist in Abzug zu bringen. Eine Rückerstattung ist ausgeschlossen. (...).

c) Ausgangspunkt bildet die Einmaligkeit der Anschlussgebühr (vgl. Art.... KR, VGE 311/96 vom 29. August 1996, Erw. 2b mit Verweis auf BGE 112 Ia 263, Erw. 5a). Dem Umstand des bisherigen Anschlusses einer (mit einem abzubrechenden Objekt) überbauten Liegenschaft wird durch Anrechnung der früher bezahlten Anschlussgebühr Rechnung getragen. Ob eine neue Überbauung (Neubaute) im Vergleich zur bisherigen Überbauung (Altbaute) mehr oder weniger Abwasser produzieren wird, ist nach Art. ... KR nicht massgebend.

3. a) Die Parteien sind sich grundsätzlich einig, dass der Beschwerdeführer für den bewilligten Neubau Kanalisationsanschlussgebühren zu bezahlen hat. Streitig ist indessen die Höhe dieser Kanalisationsanschlussgebühren bzw. vorab, wie die für die bisherige Überbauung bezahlten Anschlussgebühren anzurechnen sind.

b) Eine angeschlossene überbaute Liegenschaft kann sich verändern, indem die bestehende Baute an-, um- oder wiederaufgebaut oder die Liegenschaft gänzlich oder teilweise neu überbaut wird. In den kommunalen Reglementen werden die Konsequenzen dieser Sachverhalte unterschiedlich geregelt. Gemeinden, die die Anschlussgebühr aufgrund von Gebäude- und Bewohnerwerten bestimmen, verlangen in der Regel eine Nachzahlung bei einer durch bauliche Massnahmen bedingten Wertsteigerung oder Erhöhung der Bewohnerwerte, wobei diese Gebührenpflicht erst greift, wenn die Wertsteigerung oder die Erhöhung der Bewohnerwerte einen bestimmten Prozentsatz übersteigt (vgl. VGE 330/94 vom 5. Okt. 1994, Erw. 2b mit Hinweisen auf die KR der Gemeinden Lachen, Unteriberg und Oberiberg). In diesen Fällen sind die Gebühren gemäss den Ansätzen für Neubauten nachzuzahlen, wobei die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung verlangt, dass bei der Berechnung der gebührenpflichtigen Wertsteigerung grundsätzlich von jenem (teuerungsbedingten aufgerechneten) Wert auszugehen ist, für welchen bereits Anschlussgebühren bezahlt wurden oder bei ordnungsgemässer Veranlagung hätten bezahlt werden müssen (vgl. VGE 311/96 vom 29. August 1996, Erw. 2b, Prot. S. 333; VGE 330/94 vom 5. Okt. 1994, Erw. 2b, Prot. S. 398). Die Gebühr wird somit in solchen Fällen gestützt auf die (durch Erweiterung, Zweckänderung oder Wiederaufbau erfolgte) Wertsteigerung berechnet (vgl. VGE 705/97 vom 27. Juni 1997, Erw. 3b, Prot. S. 248, 2. Abs.).

c) In der Gemeinde ... hatten die Grundeigentümer bei Neubauten nach Art. ... des früheren Kanalisationsreglementes vom (...) an die Kanalisationen Beiträge im Umfange von 16‰ des Brand-Assekuranzwertes zu bezahlen (hinzu kamen noch unterschiedlich hohe Beiträge pro Bewohnerwert an die Abwasserreinigungsanlage, je nachdem ob die Neubaute mit Abwasserfaulraum, Absetzgruben usw. ausgestattet war oder nicht, vgl. Art. ... aKR). Für Altbauten, wie sie hier zur Diskussion stehen, betrug der Ansatz 8‰ des Brand-Assekuranzwertes (Art. ... aKR).

Das geltende KR enthält eine Methodenänderung (vom Brand-Assekuranzwert) zum Kubikinhalt des umbauten Raumes (vgl. Art. ... KR). Massgebendes Bemessungskriterium ist nicht mehr ein bestimmter Gebäudeschätzwert (Brand-Assekuranzwert), sondern die Kubatur des umbauten Raumes. Dieses heute geltende Kriterium wird vom Zeitablauf nicht tangiert und bleibt (ausgenommen bei baulichen Veränderungen) konstant. Der Ansatz pro m3 umbauten Raumes ist allerdings den Veränderungen des Zürcher Baukostenindexes unterworfen (Art. ... KR).

d) Im Anschluss daran stellt sich die Frage, wie bei einem solchen Methodenwechsel die erste, bereits bezahlte Anschlussgebühr bei der Ermittlung der neuen Gebühr anzurechnen ist. Es fragt sich namentlich, ob bei der Anrechnung die erste Gebühr teuerungsbedingt anzupassen wäre, oder ob so vorzugehen ist, wie wenn die erstmalige Gebühr ebenfalls nach Kubaturen berechnet wurde. Für das zuletzt genannte Vorgehen spricht, dass der Tatbestand für die zusätzliche Anschlussgebühr unter dem neuen Recht eingetreten ist und das neue Recht die Anschlussgebühren grundsätzlich nach Kubaturen bemisst. Diese Zusatzgebühr kann vorliegend ohne weiteres aufgrund des Mehrvolumens ermittelt werden. Analog zum Mehrwert in den vorgenannten Fällen, in welchen das anwendbare Kanalisationsreglement auf die (durch Erweiterung, Zweckänderung oder Wiederaufbau erfolgte) Wertsteigerung abstellt (vgl. oben, Erw. 3b), ist hier konsequenterweise die Mehrkubatur als Bemessungsgrundlage für die zusätzliche Anschlussgebühr heranzuziehen. Damit entfällt – im Lichte der Einmaligkeit der Anschlussgebühr – eine allfällige Teuerung des Gebührenansatzes für das bisherige, bereits angeschlossene (und abgerechnete) Gebäudevolumen. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Nutzungsänderung vom Restaurationsbetrieb zur Wohnbaute kann vernachlässigt werden, zumal in einem Restaurationsbetrieb i.d.R. mindestens mit soviel Abwasser zu rechnen ist wie in einer vergleichbar grossen Wohnbaute (die Mehrkubatur der neuen Wohnbaute ist bei der zusätzlichen Anschlussgebühr zu berücksichtigen). Für das vorliegende Ergebnis spricht zudem, dass Art. ... (Nutzungsänderungen bestehender Bauten) ausdrücklich auf das Mehrvolumen abstellt. Wie vorzugehen wäre, wenn ausnahmsweise die Umbauten alter, abzureissender Bauten nicht eruierbar sein sollten (Angaben finden sich z.B. in den Grundstücksteuerschatzungen) ist vorliegend nicht zu beurteilen.

e) Zusammenfassend ist festzuhalten, dass bei einer Neuüberbauung die Gebühren neu zu berechnen sind. Dabei sind die für die bisherige Überbauung bezahlten Anschlussgebühren grundsätzlich nach dem folgenden Prinzip bei der Ermittlung der zusätzlichen Anschlussgebühren zu berücksichtigen.

Kubatur neues MFH        ... m3 (unbestritten)

./. Kubatur bisheriges Gebäude (nach altem Recht abgerechnet)   ... m3 (unbestritten)

Mehrkubatur (noch nicht abgerechnet)      ... m3

Abrechnung Mehrkubatur: ... à Fr. xx.– (Ansatz für Wohnbauten) = Fr. ... .–

(VGE 708/99 vom 17. Dezember 1999).

  

22

Berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge

 Art. 23 BVG: Leistungspflichtig ist diejenige Vorsorgeeinrichtigung, welcher der Versicherte bei Eintritt des versicherten Ereignisses (Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat) angeschlossen war;  
 zwischen Arbeitsunfähigkeit und Invalidität ist ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang nötig; eine invalide Person hat die Erwerbsfähigkeit nicht wiedererlangt, wenn ein Eingliederungsversuch mehr als 3 Monate dauerte, aber massgeblich aus sozialen Gründen erfolgte, und es unwahrscheinlich ist, dass der Versuch zu einer tatsächlichen Eingliederung führt.

Aus dem Sachverhalt:

Die Versicherte erlitt 1990 einen Unfall. Damals arbeitete sie im Betrieb A. und war der Vorsorgeeinrichtung X. angeschlossen. A. kündigte die Stelle per 30. Juni 1991. Im September 1991 trat die Versicherte eine neue Stelle im Betrieb B. an, worauf sie bei der Vorsorgeeinrichtung Y. aufgenommen wurde. Nach erneuten gesundheitlichen Problemen setzte die Versicherte Mitte Februar 1992 mit der Arbeit aus, später wurde die Anstellung per 31. Oktober 1992 beendet. Im Jahre 1994 wurde der Versicherte mit Wirkung ab 1. Februar 1993 eine halbe und im Jahre 1997 eine ganze IV-Rente der Invalidenversicherung zugesprochen. Nachdem die Versicherte von der Vorsorgeeinrichtung Y. erfolglos BVG-Leistungen beantragt hatte, liess sie im Jahre 1998 beim Verwaltungsgericht eine Klage gegen die Vorsorgeeinrichtung Y. einreichen.

Aus den Erwägungen:

2. a) Nach Art. 23 BVG haben Personen Anspruch auf Invalidenleistungen, die im Sinne der Invalidenversicherung zu mindestens 50% invalid sind und bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat, versichert waren. Der Versicherte hat Anspruch auf eine volle Invalidenrente, wenn er im Sinne der Invalidenversicherung mindestens zu zwei Dritteln, auf eine halbe Rente, wenn er mindestens zur Hälfte invalid ist (Art. 24 Abs. 1 BVG). Gemäss Abs. 1 von Art. 26 BVG gelten für den Beginn des Anspruchs auf Invalidenleistungen sinngemäss die entsprechenden Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (Art. 29 IVG).

b) Die Invalidenleistungen nach BVG werden von derjenigen Vorsorgeeinrichtung geschuldet, welcher der Ansprecher bei Eintritt des versicherten Ereignisses angeschlossen war. Im Bereich der obligatorischen beruflichen Vorsorge fällt dieser Zeitpunkt nicht mit dem Eintritt der Invalidität nach IVG, sondern mit dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zusammen, deren Ursache zur Invalidität geführt hat (vgl. Art. 23 BVG). Auf diese Weise wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Versicherte meistens erst nach einer längeren Zeit der Arbeitsunfähigkeit (nach einer Wartezeit von einem Jahr gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG i.V.m. Art. 26 BVG) invalid wird. Damit nämlich der durch die Zweite Säule gewährte Schutz einen Sinn hat, muss das Invaliditätsrisiko auch dann gedeckt sein, wenn es rechtlich gesehen erst nach einer langen Krankheit eintritt, während welcher der Ansprecher unter Umständen aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist und daher nicht mehr dem Obligatorium untersteht (vgl. EVGE vom 24. März 1995, publ. in SZS 1997, S. 460; EVGE vom 12. Mai 1995, Erw. 2b mit Hinweisen, publ. in SZS 1997, S. 536; BGE 118 V 39f.; vgl. auch SVR-Rechtsprechung 4/5 1995, Nr. 28, Erw. 2c).

c) Entsprechend ihrem Zweck kommt der Bestimmung von Art. 23 BVG auch die Funktion zu, die Haftung mehrerer Vorsorgeeinrichtungen gegeneinander abzugrenzen, wenn ein in seiner Arbeitsfähigkeit bereits beeinträchtigter Versicherter seine Arbeitsstelle (und damit auch die Vorsorgeeinrichtung) wechselt und ihm später eine Rente der Invalidenversicherung zugesprochen wird. Der Anspruch auf Invalidenleistungen nach Art. 23 BVG entsteht in diesem Fall nicht gegenüber der neuen Vorsorgeeinrichtung, sondern gegenüber derjenigen, welcher der Versicherte im Zeitpunkt des Eintritts der invalidisierenden Arbeitsunfähigkeit angehörte (vgl. EVGE vom 24. März 1995, Erw. 2b, publ. in SZS 1997, S. 461 mit Verweis auf BGE 120 V 117, Erw. 2c mit Hinweisen, übersetzt in: plädoyer 6/94, S. 65, rechte Spalte).

d) Damit die bisherige Vorsorgeeinrichtung zu Leistungen verpflichtet bleibt, ist indessen nicht nur erforderlich, dass die Arbeitsunfähigkeit begann, als der Betroffene noch ihr angeschlossen war, sondern es ist auch nötig, dass zwischen dieser Arbeitsunfähigkeit und der Invalidität ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang (eine enge Konnexität) besteht. In sachlicher Hinsicht liegt ein solcher Zusammenhang vor, wenn der der Invalidität zugrunde liegende Gesundheitsschaden im Wesentlichen derselbe ist, der zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat. Sodann setzt die Annahme eines engen zeitlichen Zusammenhangs voraus, dass der Versicherte nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nicht während längerer Zeit wieder arbeitsfähig wurde. Die bisherige Vorsorgeeinrichtung hat nicht für Rückfälle und Spätfolgen einzustehen, die erst lange nach Wiedererlangung der vollen Arbeitsfähigkeit eintreten. Anderseits darf nicht bereits eine Unterbrechung des zeitlichen Zusammenhangs angenommen werden, wenn der Versicherte bloss für kurze Zeit wieder an die Arbeit zurückgekehrt ist. Die Frage des zeitlichen Zusammenhanges zwischen Arbeitsunfähigkeit und Invalidität darf nach höchstrichterlicher Praxis nicht in schematischer (analoger) Anwendung der Regeln von Art. 88a Abs. 1 IVV beurteilt werden, wonach eine anspruchsbeeinflussende Verbesserung der Erwerbsfähigkeit in jedem Fall zu berücksichtigen ist, wenn sie ohne wesentliche Unterbrechnung drei Monate gedauert hat und voraussichtlich andauern wird. Zu berücksichtigen sind vielmehr die gesamten Umstände des konkreten Einzelfalles, namentlich die Art des Gesundheitsschadens, dessen prognostische Beurteilung durch den Arzt und die Beweggründe, die den Versicherten zur Wiederaufnahme der Arbeit veranlasst haben (vgl. EVGE vom 24. März 1995, publ. in SZS 1997, S. 461 mit Verweis auf BGE 120 V 118, Erw. 2c/bb). Nach der Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts darf nicht gefolgert werden, eine invalide Person habe die Erwerbsfähigkeit wiedererlangt, wenn ihr Wiedereingliederungsversuch mehr als drei Monate dauert, aber massgeblich aus sozialen Gründen erfolgt, und es unwahrscheinlich ist, dass der Versuch zu einer tatsächlichen Eingliederung führt (vgl. BGE 120 V 188, Erw. 2c/bb in fine mit Verweis auf BGE 118 V 166, Erw. 4e, bzw. plädoyer 6/1994, S. 67, 2. Spalte, SZS 1997, S. 461, E 2b in fine).

3. a) Den vorliegenden Akten ist u.a. zu entnehmen, (...)

b) Eine Auswertung der medizinischen Unterlagen ergibt, dass bei der Klägerin ein angeborener, krankhafter Vorzustand an beiden Hüftgelenken (Hüftdysplasie beidseits mit sekundärer Coxarthrose) besteht, wobei dieses Leiden bereits vor dem Unfall vom 22. Okt. 1990 manifest wurde (vgl. die Behandlungen von 1987 und 1988). Das Eidg. Versicherungsgericht kam in seinem Urteil vom 17. Januar 1995 (S. 5 oben) im Zusammenhang mit dem im Juli 1992 gemeldeten Rückfall zum Ergebnis, dass bezüglich der geklagten Hüft- und Rückenbeschwerden der status quo sine (= derjenige Zustand, wie er sich nach dem schicksalsmässigen Verlauf eines krankhaften Vorzustandes auch ohne Unfall früher oder später eingestellt hätte) spätestens im Dezember 1992 erreicht wurde. (...) Dass die Klägerin damals am 17. Juni 1991 (und mithin in der letzten Phase bei der früheren Arbeitgeberin) noch erhebliche gesundheitliche Probleme hatte, ergibt sich eindeutig aus den Angaben des Hausarztes vom 17. Juni 1991 sowie der Rheumaklinik ... vom 10. Juli 1991 (...), indessen standen diese Beschwerden einem Abschluss der Leistungen durch die Unfallversicherung nicht im Wege, da die konsultierten Ärzte das anhaltende Beschwerdebild dem unfallfremden Vorzustand zuschrieben. Bei dieser Sachlage kann den Bestrebungen der Klägerin, nach dem Verlust der alten Arbeitsstelle (per 30. Juni 1991) an einer anderen Stelle eine Eingliederung zu versuchen, welche im Ergebnis vom ...Sept. 1991 bis ...Febr. 1992 dauerte, nicht abgeleitet werden, dass die Klägerin damals die volle Erwerbsfähigkeit wieder erlangt habe. Denn es ist aktenkundig, dass wegen zunehmenden Kreuz- und Leistenschmerzen usw. bereits am ...Okt. 1991 und damit rund 1 Monat nach der Arbeitsaufnahme (am ...Sept. 1991) wieder eine hausärztliche Behandlung nötig wurde (...). An dieser Stelle ist zu betonen, dass der Umstand, wonach eine versicherte Person sich um eine berufliche Wiedereingliederung bemüht, sich nach gefundener Arbeit während der Probezeit «durchbeisst» und erst im 2. Monat nach Ablauf der Probezeit vor gesundheitlichen Problemen kapituliert und damit den Eingliederungsversuch aufgibt, grundsätzlich nicht schlechter gestellt werden darf als eine andere versicherte Person, welche solche Bestrebungen von Anfang an unterlässt. Von daher darf aus der Tatsache, dass die Klägerin vom ...Sept. 1991 bis ...Febr. 1992 gearbeitet hat, nicht tel quel eine volle, uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit abgeleitet werden; vielmehr ist die aktenkundige, schon bald nach Arbeitsaufnahme erforderlich gewordene ärztliche Behandlung ebenfalls mitzuberücksichtigen.

Des Weitern ist die Erfahrungstatsache zu berücksichtigen, dass es aufgrund der herrschenden wirtschaftlichen Verhältnisse viel schwieriger geworden ist, für gesundheitlich angeschlagene Arbeitnehmer eine geeignete Arbeitsstelle für einen beruflichen Wiedereinstieg zu finden, zumal wenn die ausbildungsmässigen Voraussetzungen schlecht sind. Von daher geht es nicht an, Firmen, welche angeschlagenen Arbeitnehmern eine Chance geben, und zwar auch noch nach Ablauf der Probezeit (auch wenn die Leistungen allenfalls noch nicht den üblichen Standard erreichen), durch eine schematische Handhabung des Wiedereingliederungsversuches schlechterzustellen (in dem Sinne, dass nach Ablauf von 3 Monaten von einer dauerhaften Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit auszugehen sei, was dann bewirken würde, dass eine darauf folgende Invalidenrente von der neuen Vorsorgeeinrichtung geschuldet wäre, statt von der bisherigen, welcher die versicherte Person angeschlossen war, als die Arbeitsunfähigkeit – die schliesslich zur Invalidität führte – erstmals eintrat.). Eine solche schematische Praxis müsste dem im Sozialversicherungssystem herrschenden Grundsatz «Eingliederung bzw. Eingliederungsversuch vor Rente» zuwiderlaufen; indem Arbeitgeber schon aus der Verantwortung gegenüber der eigenen Pensionskasse heraus gehalten wären, solche Arbeitsversuche rasch abzubrechen oder gesundheitlich Beeinträchtigte gar nicht erst einzustellen. Im konkreten Fall ist die aus orthopädischen Gründen bewirkte Einschränkung der Arbeitsfähigkeit eindeutig erstmals mit dem Unfall vom ... 1990 eingetreten. Diese Einschränkung wurde im Ergebnis bis zum 17. Juni 1991 als unfallbedingt anerkannt, bis zu diesem Zeitpunkt erbrachte die Unfallversicherung Leistungen. Dass dann die Unfallversicherung die Leistungspflicht eingestellt hat, hängt wie erwähnt im Wesentlichen damit zusammen, dass die konsultierten Ärzte (...) lediglich von einer vorübergehenden traumatischen Aktivierung ausgingen. Dies bedeutet, dass in Bezug auf die nach dem 17. Juni 1991 andauernden Gesundheitsbeschwerden (...) von einem schicksalsmässigen progredienten Verlauf des krankhaften Vorzustandes ausgegangen wurde, bzw. damals angenommen wurde, der status quo sine sei erreicht. Die damalige Einstellung der Leistungen durch die Unfallversicherung belegt somit lediglich die von ihr angenommene fehlende Unfallkausalität, nicht aber, dass die Versicherte damals gesund und uneingeschränkt arbeitsfähig war. Im Gegenteil erwähnte der Gutachter (...)  u.a., der Verlauf einer derartigen Coxarthrose ist einfach schicksalsmässig progredient. Die Krankheit führe in vielen Fällen zur Invalidität. Eine spontane Heilung sei nicht möglich. In vielen Fällen nütze eine konservative Therapie nichts (vgl. Gutachten ...).

c) Zusammenfassend ergibt eine Würdigung des vorliegenden Falles, dass unter Abwägung aller konkreten Umstände die gewichtigeren Argumente für den sinngemässen Standpunkt der Beklagten sprechen, wonach die Klägerin nach der Einstellung der unfallbedingten Behandlung sowie der Entlassung im betreffenden Betrieb A. ab September 1991 im Betrieb B. lediglich einen Arbeitsversuch unternommen hat, diese Wiedereingliederungsbemühungen im konkreten Fall indessen nicht als Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit zu qualifizieren sind, auch wenn sie bis Februar 1992 andauerten. Dafür spricht zum einen die Beurteilung im MEDAS-Gutachten (...), wo ebenfalls von einem misslungenen Eingliederungsversuch gesprochen wird. Zum andern ist die Darstellung in der Klageantwort (...) glaubhaft, dass sich die Klägerin nach der Entlassung in einer finanziellen Krise befand und mithin aus finanziellen Gründen umgehend eine andere Stelle suchte. Im Einklang damit steht die Feststellung im MEDAS-Gutachten (...), «noch an Krücken gehend habe sie Stellen gesucht und sei dabei entsprechend ausgelacht worden». Was die Frage anbelangt, wie die Chancen für einen Eingliederungsversuch standen, ist nicht darauf abzustellen, dass ex-post betrachtet der Eingliederungsversuch gescheitert ist. (...). Beizupflichten ist schliesslich der Beklagten, dass im konkreten Fall eine materielle und zeitliche Konnexität gegeben ist, da die für die (spätere) Invalidität bedeutsame Arbeitsunfähigkeit bereits vor Stellenantritt im Betrieb B. zu Arbeitsunfähigkeit geführt hatte, welche nur vorübergehend durch den erwähnten Arbeitsversuch unterbrochen worden war.

d) Aus all diesen Gründen ist festzuhalten, dass nicht die Beklagte, sondern die beigeladene (frühere) Vorsorgeeinrichtung leistungspflichtig ist. Was die Frage anbelangt, wann welche Leistungen der früheren Vorsorgeeinrichtung geschuldet sind, sind noch ergänzende Abklärungen erforderlich. (...)

 (Teilurteil 14/98 vom 14. Juli 1999; in der Folge hat die Vorsorgeeinrichtung X. die konkreten BVG-Leistungen ermittelt und zugesprochen, worauf das noch hängige Teilverfahren infolge Gegenstandslosigkeit abgeschrieben werden konnte.)

  

23

Ergänzungsleistungen

 Bemessung des Anspruchs von Ordensangehörigen auf Ergänzungsleistungen

Aus den Erwägungen:

2. (...). Bei in Heimen lebenden Personen zählt die Tagestaxe des Heimes bzw. Spitals zu den anrechenbaren Ausgaben. Unter einem Heim ist mithin eine Institution zu verstehen, welche alten oder invaliden Menschen gegen Entgelt Kost, Logis und (soweit erforderlich) Pflege gewährt. Die Beschwerdeführerin hält sich nicht in einem spezifischen Alters- und Pflegeheim auf, sondern in einem Kinderheim. Soweit ersichtlich ist sie die einzige pflegebedürftige alte Person, die sich dort aufhält, und sie hat keine Tagestaxe zu entrichten, sondern Kost und Logis wird ihr vom Kinderheim, welches ihrem Orden gehört, gewährt. Aufgrund der Tatsache, dass der Beschwerdeführerin eine maximale Hilflosenentschädigung ausgerichtet wird, ist als erstellt anzunehmen, das sie in schwerem Masse hilflos und dementsprechend pflegebedürftig ist. Gepflegt wird die Beschwerdeführerin (neben der Spitex) von ihrer im Kinderheim weilenden Mitschwester.

3. Rechtsprechung und Lehre stellten sich früher auf den Standpunkt, dass Mitglieder religiöser Gemeinschaften, für deren Unterhalt die Gemeinschaft aufzukommen hat, grundsätzlich keinen Anspruch auf Ergänzungsleistungen besitzen. Der Unterhaltsanspruch der Versicherten gegenüber der Gemeinschaft beruhe auf einer Vereinbarung, die in Bezug auf ihre Wirkungen einem Verpfründungsvertrag sehr ähnlich sei. Ausser der beim Eintritt ins Kloster eingebrachten Mitgift stellten die Ordensmitglieder ihre ganze Arbeitskraft in den Dienst der Gemeinschaft, die ihnen als Gegenleistung für das ganze Leben den vollen Unterhalt zusichere (vgl. BGE 97 V 112 E. 2; ZAK 1967, 190 E. 2 = EVGE 1967, 53 E. 2b; EVGE 1968, 125 E. 2; ZAK 1974, 305; A. Rumo-Jungo, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum ELG, S. 30ff.). Analog zu Art. 3 Abs. 1 lit. d ELG (heute Art. 3c Abs. 1 lit. e) wurden dementsprechend die Leistungen, welche die Ordensgemeinschaft zu erbringen hatte, als Einkommen aufgerechnet.

Die generelle Verweigerung von Ergänzungsleistungen gegenüber Ordensangehörigen wurde im Zuge der umfassenden ELG-Revision vom 4. Oktober 1985, welche eine beträchtliche Leistungsverbesserung brachte für die Vergütung der hohen Kosten, welche durch Krankheit, Pflege und Heimaufenthalt entstehen, durch die Praxis fallen gelassen. Es gilt nunmehr gemäss der Wegleitung über die Ergänzungsleistungen (WEL) folgende Praxis: Leistungen für den Lebensunterhalt, die Mitgliedern religiöser oder wohltätiger Gemeinschaften gemäss Vertrag, Statuten, Ordensregeln als Gegenleistung für die zugunsten der Gemeinschaft geleistete Arbeit oder für eingebrachtes Gut gewährt werden, sind als Leistungen aus verpfründungsähnlichen Vereinbarungen zu betrachten und als anrechenbare Einnahmen aufzurechnen (WEL, Rz. 2122). Bei Pflegefällen von Ordensangehörigen gelten indessen gemäss WEL Sonderregeln: So kann gemäss Rz. 4022 bei pflegebedürftigen Ordensangehörigen, denen eine Hilflosenentschädigung schweren Grades der AHV oder IV ausgerichtet wird, eine vereinfachte Heimberechnung nach den folgenden Grundsätzen vorgenommen werden.

a) Zu den anerkannten Ausgaben:

          Es kann einzig eine Tagestaxe berücksichtigt werden. Weitere Ausgaben (z.B. Betrag für persönliche Auslagen) können nicht beachtet werden, weil dafür weiterhin die Ordensgemeinschaft aufzukommen hat. Ebenso wenig können Krankheits- und Behinderungskosten vergütet werden (WEL, Rz. 4023).

          Hält sich die pflegebedürftige Ordensangehörige in einem Heim auf, das nicht der Gemeinschaft gehört oder nicht in einem engen Verhältnis zu ihr steht, ist für die EL-Berechnung die Tagestaxe unter Beachtung einer allfälligen kantonalen Begrenzung massgebend (WEL, Rz. 4024).

          Wird die Ordensangehörige innerhalb der Gemeinschaft gepflegt, dann ist als Tagestaxe der um 75 Prozent erhöhte Höchstbetrag der Tagestaxe, die im betreffenden Kanton für Altersheime gilt, für die EL-Berechnung massgebend (WEL, Rz. 4025). Im Kanton Schwyz ist gemäss § 2 Abs. 3 der Verordnung zur übergangsrechtlichen Änderung des ELG vom 16. Dezember 1997 (Amtsblatt Nr. 1 vom 2. Januar 1998, S. 4) dieser Höchstbetrag auf 200 Prozent des massgebenden Betrages für den allgemeinen Lebensbedarf für Alleinstehende festgesetzt worden, wobei dieser Betrag für Alleinstehende um 800 Franken erhöht wird. Dies ergibt für 1998 eine Tagestaxe von 94 Franken. Mithin beläuft sich der um 75% erhöhte Betrag gemäss Rz. 4025 WEL auf Fr. 164.50 (175% von Fr. 94.–). Die Anwendung von Rz. 4025 setzt nicht den Aufenthalt in einem eigentlichen Ordenspflegeheim oder Ordensspital voraus, sondern es genügt, wie es der Text von Rz. 4025 sagt, die Pflege innerhalb der Gemeinschaft; immer natürlich unter der Voraussetzung der schweren Pflegebedürftigkeit und der Zusprache einer Hilflosenentschädigung gemäss Rz. 4022 WEL. Die Beschwerdeführerin wird in einer Institution des Ordens durch eine Mitschwester (...) rund um die Uhr unter Mithilfe der Spitex gepflegt. Dieser Sachverhalt kann unter die Pflege innerhalb der Ordensgemeinschaft gemäss WEL, Rz. 4025 subsumiert werden (gleiche Meinung Chef Sektion Ergänzungsleistungen und Altersfragen BSV, Aktennotiz v. 2.2.1999).

b) Zu den anrechenbaren Einnahmen

          Als Einnahmen werden alle Einkünfte der pflegebedürftigen Ordensangehörigen berücksichtigt (WEL, Rz. 4026).

          Wird die Ordensangehörige innerhalb der Gemeinschaft gepflegt, ist die Hilflosenentschädigung in jedem Fall als Einnahme aufzurechnen (WEL, Rz. 4027 i.V. mit Rz. 4014).

          Als Leistung aus verpfründungsähnlicher Vereinbarung ist der Betrag des allgemeinen Lebensbedarfs für Alleinstehende in die Berechnung einzusetzen (WEL, Rz. 4028).

(VGE 92/98 vom 10. Februar 1999).

  

24

Familienzulagen

 Als Ausbildung im Sinne von § 5 lit. a Vollzugsverordnung über die Familienzulagen (nGS III-368) kann abgesehen von einer anerkannten Berufslehre oder Anlehre im Sinne des Bundesgesetzes über die Berufsbildung (BBG, SR 412.10) auch eine private berufliche Ausbildung gelten (in casu private Coiffeurschule).  
 Voraussetzungen einer prozessualen Revision (in casu nicht erfüllt; Erw. 2a/b).

Aus den Erwägungen:

1. a) Arbeitnehmer, die bei Arbeitgebern im Kanton Schwyz arbeiten, haben Anspruch auf Kinderzulagen für jedes ihrer Kinder bis zu dessen vollendetem 16. Altersjahr. Der Anspruch wird verlängert für ledige Kinder mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz, die sich in Ausbildung befinden, bis diese ordentlicherweise abgeschlossen werden kann, längstens jedoch bis zum vollendeten 25. Altersjahr (vgl. § 6 Gesetz über die Familienzulagen, FZG, nGS 365). Der mit dem Vollzug des Gesetzes beauftragte Regierungsrat (vgl. § 35 Abs. 3 FZG) hat in § 5 der Vollzugsverordnung über die Familienzulagen (FZV, nGS 368) mit dem Marginale: «Kinder in Ausbildung mit Wohnsitz in der Schweiz» den Begriff Ausbildung wie folgt umschrieben:

«1. Als Ausbildung, die nachzuweisen ist, gilt insbesondere:

a)         die Absolvierung einer anerkannten Berufslehre oder Anlehre;

b)         der Besuch einer Mittel-, Fortbildungs- oder Berufsschule, einer höheren Lehranstalt oder einer Hochschule;

c)         die Absolvierung eines mindestens einen Monat dauernden Volontariates oder Praktikums, wenn das Arbeitsentgelt die Hälfte des branchenüblichen Anfangslohnes nicht erreicht und die schulische Ausbildung während der Woche mindestens acht Unterichtsstunden beansprucht.»

b) Vorerst stellt sich die Frage, ob die Tochter des Beschwerdeführers während derjenigen Zeit, als sie die private Coiffeurfachschule besuchte, als in Ausbildung befindlich im Sinne der Familienzulagengesetzgebung zu bezeichnen ist. Nur wenn dies zu verneinen ist (Auffassung der Vorinstanz), stellt sich die Frage, ob aufgrund des Vertrauensschutzprinzips oder aus andern Gründen auf die Rückforderung der Kinderzulagen zu verzichten ist. § 6 Abs. 4 FZG verlangt als Anspruchsvoraussetzung für über 16-jährige Kinder, dass diese sich in Ausbildung befinden, ohne den Begriff «in Ausbildung» näher zu umschreiben. § 5 Abs. 1 FZV enthält sodann eine Enumeration von Ausbildungen, welche Anspruch auf Kinderzulagen auslösen, wobei diese Aufzählung nicht abschliessend ist (vgl. den Terminus insbesondere). Gemäss Art. 1 des Ausbildungsvertrages ist die ...Coiffeurschule «eine auf privater Basis geführte Fachschule des Damen- und Herrencoiffeurgewerbes. Sie vermittelt ihren Schülern durch bestausgewiesene Fachkräfte Unterricht in theoretischer und praktischer Berufskunde sowie Allgemeinbildung und gewährleistet ihnen bei erfolgreichem Abschluss des ganzen Kurses die Fähigkeit zu selbständiger und fachkundiger Berufsausbildung». Gemäss diesem Vertrag wird somit eine Grundausbildung auf einem handwerklichen Beruf vermittelt. Es handelt sich indessen, was zwischen den Parteien unbestritten ist, nicht um eine anerkannte Berufslehre oder Anlehre im Sinne des Bundesgesetzes über die Berufsbildung (BBG, SR 412.10). So wurde der Ausbildungsvertrag nicht durch die kantonale Behörde genehmigt (Art. 20 BBG), die Schule und die Schüler unterstehen keiner staatlichen Lernzielkontrolle in Form einer staatlichen Lehrabschlussprüfung, die Tochter des Beschwerdeführers hat keine staatliche oder eidgenössisch anerkannte Berufsschule besucht, es besteht keine staatliche Aufsicht über die private Schule usw. Die Tochter des Beschwerdeführers hat auch nicht die staatliche Lehrabschlussprüfung gemäss Art. 41 Abs. 2 BBG gemacht. Mithin fällt die Ausbildung nicht unter den Begriff einer anerkannten Berufslehre im Sinne von § 5 FZV. Damit ist allerdings die Frage noch nicht beantwortet, ob § 5 Abs. 1 der FZV nicht eine zu rigorose Einschränkung des gesetzlichen Begriffs in Ausbildung befindlich enthält oder ob die nicht anerkannte Berufslehre aufgrund der nicht abschliessenden Enumeration in § 5 FZV dennoch als Ausbildung nach der Vollzugsverordnung zu gelten hat. Letzteres ist zu verneinen; denn das Prädikat anerkannte Berufslehre oder Anlehre würde keinen Sinn machen, wenn auch die nichtanerkannte Berufslehre darunter fallen würde.

Sinn der Familienzulagen im Allgemeinen und der Kinder- und Ausbildungszulagen (das schwyzerische Recht verwendet lediglich den Begriff der Kinderzulagen) ist es, die Entlöhnung nach dem Leistungsprinzip durch eine Entlöhnung nach dem Bedarfsprinzip zu ergänzen. Demjenigen Arbeitnehmer, der familiäre Unterhaltspflichten zu erbringen hat, soll die Befriedigung dieses Unterhaltsbedarfs durch die Familienzulagen erleichtert werden (vgl. A. Zünd, Familienzulagen und Familienausgleichskassen der privaten Wirtschaft, Diss. 1955, S. 18ff.). Um Missbräuche zu verhindern, ist bei Kinderzulagen für Kinder nach der obligatorischen Schulpflicht (Ausbildungszulagen) die Abgrenzung von Ausbildung zur Erwerbsarbeit wichtig. Kinderzulagen sind nur für jene Kinder nach erfülltem 16. Altersjahr gerechtfertigt, bei denen der zulagenberechtigte Elternteil für den Lebensaufwand des Kindes ganz oder zumindest in einem erheblichen Ausmass aufkommen muss, weil das Kind infolge Ausbildung keiner oder nur einer unbedeutenden Erwerbstätigkeit nachgeht bzw. nachgehen kann. Aus dieser Optik ist es nicht von Belang, ob nun die Ausbildung durch eine staatlich anerkannte Berufslehre oder eine rein private berufliche Ausbildung erfolgt. Ist aber der Begriff der Ausbildung vor allem gegenüber der Erwerbstätigkeit abzugrenzen, so fällt der hier zu beurteilende Ausbildungsvertrag klarerweise unter den Begriff der Ausbildung, zumal die Tochter des Beschwerdeführers nicht – wie dies in den meisten Lehrverträgen der Fall ist – Anspruch auf einen festen, mit der Fortdauer der Lehre steigenden Lehrlingslohn, sondern lediglich Anspruch auf eine betraglich weder fixierte noch garantierte Partizipation an den Trinkgeldern der Kundinnen besass (vgl. Art. 7 des Ausbildungsvertrages). Die Vorinstanz beruft sich für ihre Rechtsauffassung auf zwei Urteile aus den Kantonen Wallis und Schaffhausen (Rechtsprechung über Familienzulagen, 1985/86, S. 45ff. und 1989/94, S. 215ff.). Da das Familienzulagenrecht kantonales Recht ist und die kantonalen Gesetzgebungen dementsprechend unterschiedlich sind, sind bei der Berücksichtigung solcher Entscheide immer auch die jeweiligen kantonalen Rechtsgrundlagen zu beachten. So regelt § 16 der Verordnung zum Gesetz über Familien- und Sozialzulagen den Begriff der Ausbildung abschliessend und Art. 7 des Ausführungsreglementes zum Gesetz über die Familienzulagen des Kantons Wallis bestimmt, dass Anspruch auf Familienzulagen für berufliche Ausbildung Lehrlinge haben, die im Besitze eines vom kantonalen Amt für Berufsbildung genehmigten Lehrvertrages sind.

2. a) Selbst wenn man das hier abgeschlossene Ausbildungsvertragsverhältnis im Sinne der vorinstanzlichen Auffassung nicht als kinderzulagenberechtigend qualifizieren würde, wäre der Widerruf der Kinderzulagenverfügung durch prozessuale Revision entgegen der Meinung der Vorinstanz (Vernehmlassung E. 2, S. 3) nicht zulässig.

Im Rahmen der prozessualen Revision, die von der Wiedererwägung unterschieden werden muss, ist die Verwaltung verpflichtet, auf eine formell rechtskräftige Verfügung zurückzukommen, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel entdeckt werden, die geeignet sind, zu einer andern rechtlichen Beurteilung zu führen (BGE 119 V 184, Erw. 3a, 477, Erw. 1a; BGE 122 V 173 m.H.). Als «neu» gelten Tatsachen, welche sich bis zum Zeitpunkt, da im Hauptverfahren noch tatsächliche Vorbringen prozessual zulässig waren, verwirklicht haben, jedoch dem Revisionsgesuchsteller trotz hinreichender Sorgfalt nicht bekannt waren. Die neuen Tatsachen müssen ferner erheblich sein, d.h. sie müssen geeignet sein, die tatbeständliche Grundlage des angefochtenen Urteils zu verändern und bei zutreffender rechtlicher Würdigung zu einer andern Entscheidung zu führen (VGE 82/98 v. 10.2.99, E. 1b, S. 5). Die Vorinstanz macht geltend, es habe ihr bei der Zusprechung der Kinderzulagen am 10. Oktober 1996 nicht bekannt sein können, dass X. nicht eine anerkannte Berufslehre nach BBG absolviere. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Einmal war aus dem der Vorinstanz vorliegenden Vertrag ersichtlich, dass die ...Coiffeurschule eine auf privater Basis geführte Fachschule des Coiffeurgewerbes ist (Art. 1 des Vertrages) und somit X. nicht eine Berufsschule nach Art. 27ff. BBG besuchte. Weiter bedürfen Lehrverhältnisse nach dem BBG der Genehmigung durch die kantonale Behörde (Art. 20 BBG). Dass diese Genehmigung nicht vorlag, hätte der Vorinstanz bei hinreichender Sorgfalt im Zeitpunkt des Verfügungserlasses bekannt sein können. Somit sind die Voraussetzungen der prozessualen Revision und damit die Voraussetzungen für den Erlass einer Widerrufsverfügung nicht erfüllt.

b) In der Beschwerde wird auch vorgebracht, aufgrund des Vertrauensschutzprinzips sei es der Vorinstanz verwehrt, die Kinderzulagenverfügung vom 10.10.1996 zu widerrufen. Mit der Verfügung vom 10.10.1996 lag eine Vertrauensgrundlage vor, welche der Beschwerdeführer kannte und auf die er vertrauen durfte, d.h. deren (allfällige) Fehlerhaftigkeit er nicht erkennen konnte. Dem Interesse des Verfügungsadressaten am Vertrauensschutz darf auch kein überwiegendes öffentliches Interesse entgegenstehen und schliesslich setzt die Berufung auf den Vertrauensschutz voraus, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Verfügung Dispositionen getroffen hat, die er nicht ohne Nachteil rückgängig machen kann, wobei auch Unterlassungen als Dispositionen gelten, sofern die behördliche Verfügung für die darauf folgende Unterlassung ursächlich war (vgl. zum Vertrauensschutz, G. Müller, Kommentar BVN 59ff. zu Art. 4; Häfelin/Müller, Grundriss des Verwaltungsrechts, 3. A. N. 532ff.; BGE 121 V 65ff. mit Hinweisen). Vorliegend ist fraglich, ob die letztgenannte Voraussetzung für den Vertrauensschutz erfüllt ist bzw. ob ausnahmsweise von diesem Erfordernis abzusehen ist (Häfelin/Haller, a.a.O., N. 558/559 und 809ff.). Ob sich der Beschwerdeführer auf Vertrauensschutz berufen kann, kann indessen offen bleiben. Zu erwähnen ist, dass ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Rückforderung kaum besteht, nachdem auch die Vorinstanz (zutreffend) anerkennt, dass der Beschwerdeführer die Kinderzulagen gutgläubig bezogen hatte und die Vorinstanz die Bereitschaft bekundete, die Rückerstattung in sinngemässer Anwendung von Art. 79 Abs. 1quater AHVG (vgl. § 13 FZG) zu erlassen.

(VGE 8/99 vom 10. März 1999).