EGV-SZ 1997

[Entscheide Nr. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 28, 29] 

 

A. GERICHTSPRAXIS

I. Verwaltungsgericht

1

Verfahren

– § 16 Abs. 1 VRP (Einreichung einer schriftlichen Vollmacht) stellt eine Ordnungsvorschrift dar, deren Nichtbeachtung nicht eo ipso die Unwirksamkeit des Vertretungsverhältnisses zur Folge hat.

Aus den Erwägungen:

3. c) Nach § 16 Abs. 1 VRP hat der von einer Partei bestellte Vertreter eine schriftliche Vollmacht des Auftraggebers einzureichen. Im Unterlassungsfall kann ihm die Behörde zur Einreichung der Vollmacht eine Frist ansetzen mit der Androhung, dass bei Nichtbeachtung der Aufforderung auf das Verfahren nicht eingetreten werde (vgl. § 16 Abs 2 VRP).

Das Verwaltungsgericht hat im Präjudiz 339/77 vom 1. Sept. 1977 entschieden, dass § 16 Abs. 1 VRP eine Ordnungsvorschrift bildet, deren Nichtbeachtung nicht eo ipso die Unwirksamkeit des Vertretungsverhältnisses zur Folge hat. Vielmehr bleibt es der zuständigen Behörde überlassen, ob sie eine fehlende schriftliche Vollmacht nachträglich einverlangen will oder nicht (vgl. VGE 339/77 vom 1. Sept. 1977, Erw. 3, Prot. S. 365 mit Hinweisen auf Art. 11 Abs. 2 VwG und BGE 99 V 181 und Art. 29 OG/ Birchmeier W., Bundesrechtspflege, S. 30ff.; Imboden/Rhinow, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, Nr. 29). Diese Rechtsprechung wurde im Entscheid VGE 302/78 vom 22. März 1978, Erw .3, Prot. S. 38, ausdrücklich bestätigt und in der Literatur (zustimmend) erwähnt (vgl. J. Hensler, Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde im Kanton Schwyz, S. 112). An dieser verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist weiterhin festzuhalten.

Im übrigen geht auch die ausserkantonale Rechtsprechung davon aus, dass das kantonale Verfahrensrecht grundsätzlich auf eine schriftliche Vollmacht für einen patentierten Anwalt verzichten kann (vgl. Rhinow/Krähenmann, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband 1990, Nr. 29 B. III.a mit Hinweis auf BGE 106 IV 245; vgl. auch A. Marti, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Kanton Schaffhausen, S. 197 oben und Fussnote 35, wonach davon abweichend im Kanton Zürich die Einreichung der Vollmacht Gültigkeitserfordernis sei). Schliesslich hat das Bundesgericht im Entscheid BGE 117 Ia 444, Erw. 1b u.a. ausgeführt, dass ein Anwalt im kantonalen Verfahren (nach kantonalem Recht) auch aufgrund einer mündlich zu Protokoll erklärten oder konkludent erteilten Vollmacht zugelassen werden kann (vgl. ferner auch EGV-SZ 1977 betreffend stillschweigende Ermächtigung und «Anscheinsvollmacht»).

(VGE 1046/97 vom 21. November 1997; gegen diesen Entscheid wurde staatsrechtliche Beschwerde erhoben.)

 

2

Verfahren

– Bei erkennbaren Vertretungsverhältnissen müssen grundsätzlich alle behördlichen Zustellungen an den Vertreter erfolgen (§ 16 Abs . 3 VRP).

Aus den Erwägungen:

3. a) Der Vorinstanz ist beizupflichten, dass nach gesetzlicher Vorschrift und konstanter Praxis Verfügungen und Entscheide bei Vertretungsverhältnissen (mit Vollmacht) dem Vertreter und nicht dem Vertretenen zugestellt werden müssen (analog gilt auch, dass der Lauf der Rechtsmittelfrist durch die Zustellung an den Vertreter zu laufen beginnt, vgl. § 7 der Vollzugsverordnung zum Steuergesetz, VVzStG i.V.m. §§ 1 und 16 Abs. 3 der Verordnung über die Verwaltungsrechtspflege, VRP, wonach – solange die Partei die Vollmacht nicht widerruft – ihr Vertreter als Empfänger aller behördlichen Zustellungen gilt; vgl. Rhinow/Krähenmann, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband 1990, Nr. 29, B. III.e mit zahlreichen Hinweisen, u.a. auf BGE 113 Ib 296ff.; vgl. auch VGE 619/97 vom 11. Juni 1997, lit. d; Baur/Klöti-Weber/Koch/Meier/Ursprung, Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, N. 32 zu § 127; StE 1984, B 93.6 Nr. 2 = VGE-ZH vom 8. Nov. 1983, Blumenstein/Locher, System des Steuerrechts, 5. A., S. 362). Es ist dann Sache des Vertreters, die betreffende (dem Vertreter zugestellte) Postsendung dem Vertretenen weiterzuleiten bzw. den Vertretenen über den Inhalt dieser Postsendung zu unterrichten.

(VGE 620/97 vom 28. Oktober 1997).

 

3

Verfahren

– Rechtliches Gehör; zweiter Schriftenwechsel; Grundsatz der Gleichbehandlung der Parteien.

Aus den Erwägungen:

2. a) Der Beschwerdeführer macht geltend, es liege eine formelle und materielle Rechtsverweigerung vor, da ihm die von der Vorinstanz eingeholte Replik der Gemeinde nie zugestellt worden sei. Er beanstandet, dass er auf die in der Replikschrift angeführten Anträge und Beweise gar keine Stellung beziehen konnte (...).

b) Die Behörde räumt den Parteien das Recht ein, sich zu den für die Verfügung oder den Entscheid massgebenden Tatsachen zu äussern und an den Beweisabnahmen teilzunehmen (§ 21 Abs. 1 Verordnung über die Verwaltungsrechtspflege, VRP, nGS II-225). Der Gehörsanspruch ist überdies eine aus Art. 4 Bundesverfassung (BV) abgeleitete verfassungsrechtliche Minimalgarantie (vgl. Rhinow/Krähenmann, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, Nr. 82, BI), wobei die bundesrechtlichen Minimalgarantien durch § 21 VRP abgedeckt sind. Im Gehörsanspruch enthalten ist das Recht des Einzelnen, sich zu bevorstehenden, ihn betreffenden hoheitlichen Anordnungen zu äussern, sowie der Anspruch, in seinen Vorbringen auch tatsächlich gehört und ernstgenommen zu werden. Die Tragweise des Gehörsanspruchs bestimmt sich insbesondere nach der Interessenlage im Einzelfall (vgl. VGE 184/95 vom 28. Febr. 1996, Erw. 2b mit Verweis auf Rhinow/Krähenmann, a.a.O., S. 262f.). Das rechtliche Gehör dient insbesondere auch der richtigen Sachverhaltsabklärung, weil der Grundsatz ein kontradiktorisches Verfahren auslöst (vgl. Kölz/Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, Rz. 52, S. 40, mit Hinweis auf BGE 117 Ia 268).

Nach § 41 VRP kann die Rechtsmittelinstanz auf Antrag der Vorinstanz oder der Parteien oder von Amtes wegen einen zweiten Schriftenwechsel anordnen. Aus Art. 4 BV ergibt sich grundsätzlich kein Anspruch, in einer weiteren Eingabe zur Antwort der Gegenpartei oder der Behörde Stellung zu nehmen. Werden aber in der Antwort erhebliche neue Argumente vorgebracht, auf welche die entscheidende Behörde abzustellen gedenkt, so ist der Partei (welche zu den neuen Argumenten/Vorbringen/Akten usw. noch nicht Stellung nehmen konnte) eine weitere Eingabe zu gestatten. Ganz allgemein muss eine Partei zu Fragen tatsächlicher Natur, die für die Entscheidung der Streitsache erheblich sind, angehört werden (vgl. A. Haefliger, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, S. 137f. mit Hinweisen).

Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Parteien verpflichtet die Behörden, die «Waffengleichheit» zwischen den am Verfahren Beteiligten zu gewährleisten und die Rechte, Pflichten und Lasten gleichmässig unter ihnen aufzuteilen. Dieser Grundsatz ist ein wesentlicher Bestandteil von Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Er ergibt sich aber auch aus Art. 4 Abs. 1 BV. Es muss den Parteien insbesondere Gelegenheit gegeben werden, ihre Sache je in angemessener Form vorzubringen. Sie sollen die gleichen prozessualen Chancen haben, mit ihren Standpunkten durchzudringen (vgl. Kölz/Häner, a.a.O., Rz. 54, S. 41).

c) (...) Zusammenfassend geht es nicht an, dass eine Behörde im Rahmen eines zweiten Schriftenwechsels nur die Replik einholt und in ihrem Entscheid massgeblich auf diese Replik (und die damit eingereichten Unterlagen) abstellt, ohne die Gegenseite über den Inhalt der Replik (und die neu eingereichten Unterlagen) zu informieren und ihr Gelegenheit zur Einreichung einer Duplik einzuräumen.

(VGE 826/96 vom 20. Februar 1997).

 

4

Verfahren

– Kostenauflage bei pflichtwidrigem Verhalten.

Aus den Erwägungen:

6. (...) Nach konstanter Praxis auferlegt das Verwaltungsgericht dem obsiegenden Beschwerdeführer die Verfahrenskosten, wenn dieser mit seinem rechtswidrigen Verhalten das betreffende Beschwerdeverfahren verursacht hat (vgl. VGE 611/91 vom 23.9.92, Erw. 7, Prot. S. 1002; VGE 515/82 vom 15. Okt. 1991, Erw. 8, Prot. S. 939; VGE 505/88 vom 20. Sept. 1988, Erw. 7, Prot. S. 761; VGE 547+548/88 vom 24. Okt. 1988, Erw. 7, Prot. S. 829). Auch im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer dafür einzustehen, dass er mit seinem dargelegten pflichtwidrigen Verhalten den Erlass der zugrundeliegenden Verfügung vom 1. April 1996 ausgelöst sowie die daran anschliessenden Beschwerdeverfahren verursacht hat. Dementsprechend rechtfertigt es sich, die Verfahrenskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen. Analog hat der Beschwerdeführer auch die vorinstanzlichen Verfahrenskosten zu tragen und fällt die Zusprechung einer Parteientschädigung ausser Betracht. (...).

(VGE 612/96 vom 17. Januar 1997).

 

5

Verfahren

– Zuständigkeit bei Beschwerde gegen eine Verfügung einer privaten Wasserversorgungsanstalt.

Aus den Erwägungen:

1. a) Der Beschwerdeführer beruft sich bezüglich der Zuständigkeit des als Beschwerdeinstanz angerufenen Regierungsrates auf § 45 Abs. 1 lit. c VRP, wonach der Regierungsrat für Verwaltungsbeschwerden gegen die in § 1 lit. b und § 2 Abs. 1 lit. a bezeichneten Organe Beschwerdeinstanz ist. In § 1 lit. b VRP wird auf die Organe privatrechtlicher Organisationen, welche mit einer öffentlichen Aufgabe betreut sind, verwiesen. Die Wasserversorgung (...) ist unstreitig eine private Organisation, welche mit einer öffentlichen Aufgabe betraut ist.

In Art. 2 Abs. 3 des Reglementes der Gemeinde X. über die Erteilung von Wasserversorgungs-Konzessionen wird demgegenüber festgehalten, dass der Gemeinderat erste Beschwerdeinstanz gegenüber den Verfügungen der konzessionierten Wasserversorgung ist. Es wird diesbezüglich auf § 45 Abs. 1 lit. a VRP verwiesen. In § 45 Abs. 2 VRP wird im weiteren festgehalten, dass Vorschriften, welche andere Behörden als zuständige Instanzen für Verwaltungsbeschwerden bezeichnen, vorbehalten bleiben. Ob die Gemeinde, gestützt auf § 45 Abs. 2 VRP befugt ist, solche Vorschriften zu erlassen, kann vorliegend jedoch aus nachfolgenden Gründen offen bleiben.

b) Nach dem Verweis in § 45 Abs. 1 lit. c VRP müsste angenommen werden, der Regierungsrat sei Beschwerdeinstanz gegen Verfügungen, die von Privaten ausgehen, denen die Bezirke und Gemeinden eine Aufgabe übertragen haben. Der Wortlaut in lit. c ist jedoch zu weit (vgl. Mächler, Die Erfüllung von Gemeindeaufgaben durch ausgegliederte Verwaltungseinheiten, EGV 1989, S. 169, Anm. 77).

Es ist vorliegend zu beachten, dass gemäss kantonaler Regelung die Gemeinden für die Groberschliessung der Bauzonen verantwortlich sind (§ 38 Abs. 1 PBG). Soweit die Versorgung mit Wasser oder Energie nicht durch die Gemeinde oder ihre Anstalten erfolgt, obliegt die Pflicht zur Groberschliessung dem betreffenden Versorgungswerk (§ 38 Abs. 3 PBG). In diesem Fall hat aber die Gemeinde das Rechtsverhältnis zwischen ihr und dem Versorgungswerk durch Konzession zu regeln (§ 38 Abs. 4 PBG). Der Mindestinhalt der Konzession ist im PBG festgelegt (§ 38 Abs. 4 PBG). Im übrigen liegt es in der Autonomie der Gemeinde, die Konzessionsbedingungen festzulegen. Da die Groberschliessung grundsätzlich Pflicht und Aufgabe der Gemeinde ist, muss ihr in diesem Bereich eine gewisse Autonomie und eine gewisse Einwirkungsmöglichkeit zugestanden werden, sofern sie die Erschliessung – wie hier – einer privatrechtlichen Anstalt oder Körperschaft überträgt bzw. belässt. Aus Art. 2 Abs. 3 des Reglementes der Gemeinde X. über die Erteilung von Wasserversorgungs-Konzessionen ist ersichtlich, dass die konzessionierten Wasserversorgungsanstalten und -körperschaften gemäss dem Willen der Gemeindeversammlung der Gemeinde unterstehen, auch wenn es sich hierbei um private Organisationen handelt. Dieser Wille des Gemeindegesetzgebers ist zu beachten, soweit er den Rahmen der Gemeindeautonomie nicht überschreitet.

Sofern die Gemeindeversammlung eine gemäss kantonalem Recht ihr obliegende Aufgabe einem Privaten überträgt oder belässt, liegt es auch in ihrer Kompetenz – im Rahmen des übergeordneten Rechts – die Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen ihr und dem Konzessionär zu bestimmen. Es muss ihr deshalb auch zugestanden werden, Verfügungen des konzessionierten Privaten erstinstanzlich auf die Übereinstimmung mit der von ihr erlassenen und der Konzession zu Grunde liegenden Rechtsordnung zu überprüfen. Mit der in § 38 Abs. 1 PBG statuierten Verantwortlichkeit der Gemeinden für die Groberschliessung wird ihr auch die Aufsicht über die mit der Erschliessung betrauten Privaten übertragen. Mit diesem Aufsichtsrecht muss ihr auch eine Einwirkungsmöglichkeit bei Streitigkeiten bezüglich Verfügungen der konzessionierten Privaten gewährt werden. In diesem Sinne ist Art. 2 Abs. 3 des Reglementes der Gemeinde X. über die Erteilung von Wasserversorgungs-Konzessionen, wonach der Gemeinderat erste Beschwerdeinstanz gegenüber den Verfügungen der konzessionierten Wasserversorgungen ist, als rechtmässig zu beurteilen. Der Beschwerdeweg hat grundsätzlich der administrativen Aufsicht zu folgen (Mächler, a.a.O., S. 169, Anm. 77). Die Versorgungswerke können in zwei Formen ausgestaltet werden. Entweder wird der Betrieb durch die Gemeinde selber geführt (evtl. in der Form einer gemeindeeigenen Anstalt), oder er wird durch konzessionierte Private geführt. Im ersten Fall führt der Rechtsweg erstinstanzlich zum Gemeinderat (§ 45 Abs. 1 lit. a VRP); es ist kein Grund ersichtlich, weshalb der Rechtsweg im zweiten Fall anders sein soll.

Aufgrund der Vorgaben im PBG und aufgrund der Regelung durch die Gemeindeversammlung sind die Organe der mit einer Wasserversorgungskonzession ausgestatteten privaten Anstalten oder Körperschaften als dem Gemeinderat unterstellte Organe im Sinne von § 45 Abs. 1 lit. a VRP zu betrachten, weshalb erstinstanzlich der Gemeinderat zur Beurteilung der Rechtmässigkeit der Verfügungen dieser Privaten zuständig ist. (...).

(VGE 704/97 vom 27. Juni 1997).

 

6

Vollstreckungsrecht

– Abbruchbefehl; Tragweite einer Beiladung: Mit dem Erwerb des eine Bauruine enthaltenden Grundstückes und der Beiladung der neuen Eigentümerin in das Rechtsmittelverfahren gegen den Abbruchbefehl wurde das (unangefochten gebliebene) Ergebnis, wonach die Rechtsmittelinstanz den an die Grundeigentümerschaft anknüpfenden Abbruchbefehl bestätigt hat, auch auf die ins Verfahren einbezogene neue Eigentümerin ausgedehnt.
– Ein Grundeigentümer (Käufer) vermag keine bessere Rechtsposition zu erwerben als sie sein Rechtsvorgänger (Verkäufer) innehatte.

Aus den Erwägungen:

2. a) Die Beschwerdeführerin stösst sich sinngemäss daran, dass der ursprünglich gegen X. (als damalige Grundeigentümerin) gerichtete Abbruchbefehl nunmehr gegen sie selbst (als derzeitige Grundeigentümerin) eingesetzt werde, bzw. dass nun sie anstelle der damaligen Grundeigentümerin in die Pflicht genommen werde. (...)

b) Aus dem Umstand, wonach sich der Abbruchbefehl (Sachverfügung) an die Rechtsvorgängerin richtete, kann die Beschwerdeführerin aus den folgenden Gründen nichts zu ihren Gunsten ableiten. Die heutige Grundeigentümerin übersieht die Tragweite der Beiladung, welche im Rechtsmittelverfahren gegen den Abbruchbefehl erfolgte. Nach § 14 Abs. 1 VRP kann die Behörde denjenigen, der durch eine Verfügung oder einen Entscheid voraussichtlich in schützenswerten Interessen betroffen wird, auf sein Gesuch hin oder auf Antrag einer Partei oder von Amtes wegen als Nebenpartei in das Verfahren einbeziehen. Die Verfügung oder der Entscheid wird auch gegenüber dem Beigeladenen rechtswirksam (§ 14 Abs. 3 VRP).

Sinn der Beiladung ist es somit, die Rechtskraft eines Entscheides ebenfalls auf Dritte, die Beigeladenen, auszudehnen, damit diese in einem später gegen sie gerichteten Verfahren den Entscheid im Beiladungsprozess gegen sich gelten lassen müssen (vgl. Attilio R. Gadola, Das verwaltungsinterne Beschwerdeverfahren, S. 264 mit zahlreichen Hinweisen, u.a. auf BVR 1989, S. 160, Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, S. 183f.; Kölz, Kommentar zum VRG-ZH, § 21 N. 90; vgl. auch J. Hensler, Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde im Kanton Schwyz, S. 36; Kölz/Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, Rz. 232, 535; ZBl 1989, S. 246; AGVE 1994, S. 472; U. Beeler, Die widerrechtliche Baute, 1984, S. 91f.). Die Beiladung dient der Prozessökonomie. Da sich die Rechtskraft des Entscheides auch auf die Beigeladenen erstreckt, wird zugleich vermieden, dass über denselben Streitgegenstand ein zweites Verfahren anzustrengen ist (vgl. Kölz/Häner, a.a.O., Rz. 535).

c) Gegenstand des Verwaltungsbeschwerdeverfahrens (Nr. 660) vor Regierungsrat bildete der Abbruchbefehl des Gemeinderates vom (...) 1993. Darnach hat die Grundeigentümerin die Bauruine auf KTN (Z) abzubrechen und das Gelände instand zu stellen. Diese Verpflichtung knüpft an die Eigentümereigenschaft des betroffenen Grundstücks an. Im Verlaufe des Verwaltungsbeschwerdeverfahrens (Nr. 660) kam es zu einem Eigentumswechsel (per ... Mai 1994). Als neue Eigentümerin des Grundstücks KTN (Z) war die Beschwerdeführerin durch den Abbruchbefehl – dadurch dass ihre Eigentumsgarantie (Art. 22ter BV) tangiert ist – offenkundig in ihren schutzwürdigen Interessen betroffen und folglich vom Justizdepartement zu Recht ins Verfahren beigeladen worden (vgl. auch VGE 635/88 v. 23. Mai 1989, Erw. 1, Prot. 433). Dass die Beschwerdeführerin damals einen Parteiwechsel ablehnte, änderte an ihrer Stellung als Beigeladene nichts. Die Beiladung erfolgt durch Akt der Rechtsmittelinstanz mit oder ohne Antrag der Beizuladenden (vgl. § 14 Abs. 1 VRP; Kölz, a.a.O., Rz. 90 zu § 21).

Im Rahmen der Beiladung wurde der neuen Eigentümerin und heutigen Beschwerdeführerin das rechtliche Gehör gewährt (vgl. RRB Nr. 660 vom 16. April 1996, Ingress F). Wenn sie damals verzichtete, das rechtliche Gehör auszuschöpfen, ändert dies nichts an der Verbindlichkeit des ohne ihre Mitwirkung zustande gekommenen Entscheids (vgl. die gesetzliche Rechtsfolge von § 14 Abs. 3 VRP; vgl. auch AGVE 1994, S. 473 unten). Dies gilt erst recht, wenn im zit. RRB Nr.660 vom 16.April 1996 ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass mit der Beiladung die Rechtskraft des den Abbruch bestätigenden Entscheides auch auf die neue Eigentümerin ausgedehnt werde (vgl. zit. RRB, Erw. 1c/aa/bb). Falls die Beschwerdeführerin gegen diese in § 14 Abs.3 VRP normierte Rechtsfolge hätte opponieren wollen, hätte sie damals gegen den zit. RRB Nr. 660 vom 16. April 1996 (ausgehend von der Rechtsmittelbelehrung in Dispositiv-Ziffer 4) rechtzeitig Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben müssen. Die Beschwerdeführerin hat dies unterlassen, weshalb diesbezügliche Einwendungen verspätet sind und in diesem Verfahren darauf nicht einzutreten ist. Abgesehen davon ist auf den allgemeinen Rechtsgrundsatz hinzuweisen, wonach ein Grundeigentümer (Käufer) keine bessere Rechtsposition zu erwerben vermag, als sie sein Rechtsvorgänger (Verkäufer) innehatte (vgl. BVR 1997, S. 32 mit Hinweis auf BVR 1987, S. 364, wonach sich der Erwerber das Wissen oder Wissenmüssen der Verkäuferschaft bzw. des Rechtsvorgängers anrechnen lassen muss, ansonst durch Veräusserung einer rechtswidrigen Baute die Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes vereitelt werden könnte).

(VGE 817/96 vom 17. Januar 1997).

 

7

Verwaltungsgerichtliche Klage

– Staatshaftungsrecht: Klage mit der sinngemässen Begründung «Vernachlässigung der Aufsichtspflicht durch den Kanton Schwyz im Bereich der Krankenversicherung»;
– in casu ist für allfällige Vermögenseinbussen eines Arztes nicht das Verhalten der in Frage kommenden Funktionäre, sondern dasjenige des Patienten, welcher Honorarschuldner ist, adäquat kausal.

Aus dem Sachverhalt:

Ein Arzt behandelte im Februar 1996 einen Patienten, welcher damals noch bei keiner Krankenkasse versichert war. Der Patient liess die Honorarrechnung unbezahlt. In der Folge beantragte der Arzt im Januar 1997 bei der kantonalen Ausgleichskasse erfolglos, dass sein ehemaliger Patient rückwirkend und zwangsweise einer Krankenkasse zuzuweisen sei. Im März 1997 stellte der Arzt dem kantonalen Amt für Gesundheit und Soziales Rechnung für sein entgangenes Arzthonorar. Am 5. April 1997 reichte der Arzt beim Verwaltungsgericht «Klage gegen den Kanton Schwyz bzw. gegen das Dep. des Innern, Abt. Gesundheit und Krankenversicherung» ein «wegen Vernachlässigung der Kontrollpflicht über die obligatorische Krankenversicherung gemäss KVG Art. 6». Das Verwaltungsgericht nahm diese Eingabe, soweit es darauf eintreten konnte, als Schadenersatzklage nach Staatshaftungsrecht entgegen und wies die Klage ab.

Aus den Erwägungen:

2. a) Nach Art. 3 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung vom 18. März 1994, in Kraft seit dem 1. Jan. 1996 (KVG, SR 832.102), muss sich jede Person mit Wohnsitz in der Schweiz innert dreier Monaten nach der Wohnsitznahme oder der Geburt in der Schweiz für Krankenpflege versichern oder von ihrem gesetzlichen Vertreter beziehungsweise ihrer gesetzlichen Vertreterin versichern lassen. Gemäss Art. 5 Abs. 2 KVG beginnt die Versicherung bei verspätetem Beitritt im Zeitpunkt des Beitritts. Bei nicht entschuldbarer Verspätung entrichtet die versicherte Person einen Prämienzuschlag. Die Kantone sorgen für die Einhaltung der Versicherungspflicht (Art. 6 Abs. 1 KVG). Die vom Kanton bezeichnete Behörde weist Personen, die ihrer Versicherungspflicht nicht rechtzeitig nachkommen, einem Versicherer zu (Art. 6 Abs. 2 KVG).

Nach Art. 10 Abs. 1 der Krankenversicherungsverordnung (KVV, SR 832.102) informieren die Kantone periodisch die Bevölkerung über die Versicherungspflicht. Sie achten insbesondere darauf, dass Personen, die aus dem Ausland zuziehen, sowie Eltern von Neugeborenen rechtzeitig informiert werden.

Im kantonalen Gesetz über die Prämienverbilligung in der Krankenpflegeversicherung vom 6. Sept. 1995 (PVG, nGS III-334) wird in § 10 Abs. 1 PVG normiert, dass der Regierungsrat die Stellen für die Durchführung des Obligatoriums der Krankenpflegeversicherung bezeichnet. Gemäss § 3 Abs. 1 der kantonalen Vollzugsverordnung vom 16. Jan. 1996 zum PVG (VVzPVG, nGS III-335) führen die Ausgleichskasse Schwyz und die Einwohnerkontrollen der Gemeinden das Obligatorium der Krankenpflegeversicherung durch. Für die Kontrolle der Versicherungspflicht sorgen die Einwohnerkontrollen der Gemeinden nach Weisung der Ausgleichskasse (§ 3 Abs. 2 VVzPVG). Jede Person, die in eine Gemeinde zuzieht, ist verpflichtet, der Einwohnerkontrolle den Nachweis vorzulegen, dass sie und ihre Familienangehörigen für Krankenpflege versichert sind (§ 14 Abs. 1 VVzPVG). Die Einwohnerkontrolle kann diesen Nachweis für jede versicherungspflichtige Person, insbesondere auch für nach dem Zuzug geborene Kinder, verlangen (§ 14 Abs. 2 VVzPVG). Stellt die Einwohnerkontrolle fest, dass eine Person die obligatorische Krankenpflegeversicherung nicht abgeschlossen hat, meldet sie dies der Ausgleichskasse (§ 15 Abs. 1 VVzPVG). Die Ausgleichskasse verfügt die Zuweisung nicht versicherter Personen an einen anerkannten Krankenversicherer oder gegebenenfalls die Befreiung von der Versicherungspflicht (§ 15 Abs. 2 VVzPVG).

b) Haben Versicherer und Leistungserbringer nichts anderes vereinbart, so schulden die Versicherten den Leistungserbringern die Vergütung der Leistung. Die Versicherten haben in diesem Fall gegenüber dem Versicherer einen Anspruch auf Rückerstattung (System des Tiers garant, vgl. Art. 42 Abs. 1 KVG). Versicherer und Leistungserbringer können vereinbaren, dass der Versicherer die Vergütung schuldet (System des Tiers payant, vgl. Art. 42 Abs. 2 KVG).

Gemäss Art. 20 des Kollektiv-Vertrages zwischen der Neuen Ärztegesellschaft des Kantons Schwyz und dem Verband der Krankenkassen im Kanton Schwyz vom 18./20. Nov. 1971 ist grundsätzlich der Versicherte Honorarschuldner. Die Neue Ärztegesellschaft erklärt sich aber bereit, direkt mit der Kasse abzurechnen (vgl. Sammlung der Erlasse, Tarife, Verträge und Vereinbarungen des Verbandes der Krankenkassen im Kanton Schwyz, Ziff. 3.1, Art. 20, Satz 1 und 2). Im Anhang zum erwähnten Kollektivvertrag vom 25. Okt. 1990 wird normiert:

1. Auf ausdrücklichen Wunsch einzelner Ärzte können die Krankenkassen auf die Abgabe eines Krankenscheines beziehungsweise auf eine Kostengutsprache verzichten.

2. Das Risiko für die Kosten nicht leistungsberechtigter Patienten trägt in diesem Fall der Arzt. In einem solchen Fall haben die Kassenfunktionäre den Rechnungssteller umgehend zu informieren und die Unterlagen zu retournieren.

(vgl. zit. Sammlung, Ziff. 3.1.2)

c) Was die Rechtspflege anbelangt, normiert Art. 85 Abs. 1 KVG, dass gegen Verfügungen innerhalb von 30 Tagen nach der Eröffnung beim Versicherer Einsprache erhoben werden kann. Gegen Einspracheentscheide kann innert 30 Tagen nach der Eröffnung bei dem vom Kanton bezeichneten Versicherungsgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht werden (vgl. Art. 86 Abs. 1 KVG). Nach § 35 Abs. 2 der kantonalen Gerichtsordnung (GO, nGS II-125) und gestützt auf § 13 Abs. 1 PVG ist das Verwaltungsgericht das kantonale Versicherungsgericht im Sinne der Bundesgesetzgebung (bzw. im Sinne von Art. 86 KVG).

Streitigkeiten zwischen Versicherern und Leistungserbringern entscheidet ein Schiedsgericht (Art. 89 Abs. 1 KVG). Das Schiedsgericht ist auch zuständig, wenn die versicherte Person die Vergütung schuldet (System des Tiers garant, Art. 42 Abs. 1 KV); in diesem Fall vertritt ihr Versicherer sie auf eigene Kosten (Art. 89 Abs. 3 KVG). Im Kanton Schwyz setzt sich das Schiedsgericht zusammen aus dem Präsidenten des Kantonsgerichts (Obmann), einem Vertreter der Krankenkassen und einem Vertreter der Medizinalpersonen (vgl. Art. 89 Abs. 3 KVG i.V.m. der Verordnung über die schiedsgerichtliche Erledigung von Streitigkeiten zwischen Krankenkassen einerseits und Ärzten, Apothekern, Chiropraktoren, Hebammen, medizinischen Hilfspersonen, Laboratorien oder Heilanstalten anderseits, nGS III-338).

d) Hinsichtlich der allgemeinen Aufsicht hat der Gesetzgeber vorgesehen, dass der Bundesrat den Vollzug des Krankenversicherungsgesetzes überwacht und entsprechende Bestimmungen erlässt (vgl. Botschaft über die Revision der Krankenversicherung vom 28. Jan. 1992, S. 149). In Art. 24 KVV wird die Aufsicht über die Versicherungstätigkeit auf zwei Bundesämter aufgeteilt (BSV und BPV). Die Beitrittskontrolle obliegt hingegen den Kantonen (Art. 6 Abs. 1 KVG). Im Kanton Schwyz sorgen die Einwohnerkontrollen der Gemeinden nach Weisung der Ausgleichskasse für die Kontrolle der Versicherungspflicht (§ 3 Abs. 2 VVzPVG). Der Vollzug des kantonalen Prämienverbilligungsgesetzes inkl. die Durchführung des Obligatoriums der Krankenpflegeversicherung wird vom Departement des Innern überwacht (vgl. § 9 PVG i.V.m. § 1 VVzPVG). Somit ergibt sich in bezug auf die Durchführung des Versicherungsobligatoriums in der Krankenversicherung auf kantonaler Ebene folgende (hierarchische) Aufsichtsregelung:

• die in § 3 Abs. 2 VVzPVG enthaltene Weisungsbefugnis schliesst es mit ein, dass die kantonale Ausgleichskasse hinsichtlich der von den kommunalen Einwohnerkontrollen vorzunehmenden Kontrollen der Versicherungspflicht gewisse Aufsichtsfunktionen wahrzunehmen hat; mithin fungiert die kantonale Ausgleichskasse in diesem Bereich als unterste Aufsichtsinstanz;

• dieser untersten Aufsichtsinstanz übergeordnet ist das Departement des Innern, welches den Gesetzesvollzug zu überwachen hat (§ 1 Vvz PVG); mithin gilt in diesem Bereich das Departement des Innern als untere Aufsichtsinstanz (vgl. auch § 3 Abs. 2 des Einführungsgesetztes zum AHVG/IVG, EGzAHVG, nGS III-354, wonach in Verwaltungsangelegenheiten und bei der Erfüllung von Aufgaben, die der Kanton der Ausgleichskasse Schwyz übertragen hat, die Ausgleichskasse der Aufsicht des zuständigen Departementes untersteht);

• die regelmässige und systematische Aufsicht über die kantonale Verwaltung, wozu auch das Departement des Innern gehört, wird vom Regierungsrat ausgeübt (vgl. § 4 Abs. 3 der Verordnung über die Organisation des Regierungsrates und der kantonalen Verwaltung); mithin gilt der Regierungsrat als obere Aufsichtsinstanz;

• die Oberaufsicht über die Kantonsverwaltung steht schliesslich nach § 40 der Kantonsverfassung dem Kantonsrat zu; mithin fungiert der Kantonsrat als oberste Aufsichtsinstanz.

e) Die als «Klage gegen den Kanton Schwyz bzw. gegen das Dept. des Innern, Abt. Gesundheit und Krankenversicherung» bezeichnete Eingabe vom 5. April 1997 (...) enthält – einmal abgesehen von der Geltendmachung eines Anspruches auf Schadenersatz (...) – keinen ausdrücklichen Antrag. Soweit der Kläger mit dieser Eingabe ganz generell Mängel oder Verzögerungen im Vollzug des Krankenversicherungsobligatoriums beanstanden möchte, worauf gewisse Formulierungen hindeuten (...), kann das Verwaltungsgericht darauf mangels Zuständigkeit nicht eintreten, da es nach dem Gesagten Aufgabe der oben angeführten Instanzen ist, die Aufsicht über die Durchführung des Versicherungsobligatoriums in der Krankenversicherung wahrzunehmen (vgl. oben, Erwägung 2d). In diesem Sinne kann das Verwaltungsgericht insoweit auf die vorliegende Eingabe vom 5. April 1997 nicht eintreten, als der Kläger damit aufsichtsrechtliche Aspekte beurteilt haben wollte.

Der Kläger macht indessen in seiner Eingabe an das Verwaltungsgericht («wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht durch den Kanton Schwyz») ausdrücklich auch einen Anspruch auf Schadenersatz geltend. Im privaten wie im öffentlichen Haftpflichtrecht gilt der Grundsatz, dass der Geschädigte einen Schaden selbst tragen muss, wenn nicht eine gesetzliche Bestimmung dessen Überwälzung auf einen Dritten vorsieht. Gemäss Lehre und ständiger Rechtsprechung besteht eine Haftung des Gemeinwesens nur dort und insoweit, als eine geschriebene Norm des eidgenössischen oder kantonalen Rechts sie ausdrücklich einführt (sog. Legalitäts- oder Gesetzmässigkeitsprinzip, vgl. I.Vetter-Schreiber, Staatliche Haftung bei mangelhafter BVG-Aufsichtstätigkeit, in SZS 1997, S. 134ff., S. 135 mit Hinweisen, u.a. auf Gross, Schweizerisches Staatshaftungsrecht, Bern 1995, S. 114ff.). Das KVG sieht keine spezielle Haftungsregelung für die Aufsichtsbehörden vor. Das Aufsichtsverhältnis ist öffentlich-rechtlicher Natur. Soweit die Schädigung in Ausübung von hoheitlichen bzw. amtlichen Verrichtungen erfolgte, richtet sich die Haftung von KVG-Aufsichtsbehörden nach den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Verantwortlichkeitsbestimmungen (vgl. I.Vetter-Schreiber, a.a.O., S. 135, per analogiam). Die Haftung schwyzerischer Aufsichtsbehörden erfolgt nach dem Gesetz über die Haftung des Gemeinwesens und die Verantwortlichkeit seiner Funktionäre (Staatshaftungsgesetz, StHG, nGS I-102). Das Verwaltungsgericht ist zuständig für die Beurteilung von Klagen, die sich auf Ansprüche aus dem Staatshaftungsgesetz beziehen (vgl. § 14 Abs. 1 StHG i.V.m. § 67 Abs. 1 lit. c und lit. g der Verordnung über die Verwaltungsrechtspflege, VRP). Nachdem der Kläger ausdrücklich einen Anspruch auf Schadenersatz geltend macht und die Beurteilung solcher Forderungen dem Verwaltungsgericht obliegt, ist die vorliegende Eingabe vom 5. April 1997 als Schadenersatzklage nach Staatshaftungsrecht entgegenzunehmen.

Für das verwaltungsgerichtliche Klageverfahren sind die §§ 9 bis 16 VRP sowie §§ 18 bis 33 VRP und im übrigen die Bestimmungen der Zivilprozessordnung (ZPO, nGS II-211) sinngemäss anwendbar (vgl. § 70 VRP).

3. a) Das Gemeinwesen haftet für den Schaden, den ein Funktionär in Ausübung hoheitlicher Verrichtungen einem Dritten widerrechtlich zufügt (§ 3 StHG). Die Haftung setzt demnach voraus:

– die Verursachung eines Schadens;

– die Zufügung dieses Schadens durch einen Funktionär des Gemeinwesens in Ausübung hoheitlicher Verrichtungen, wobei der Kreis der Funktionäre in § 1 Abs. 2 StHG umschrieben wird;

– die Widerrechtlichkeit der Schadenszufügung;

– einen adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Funktionärs und dem eingetretenen Schaden;

– das Fehlen eines Haftungsbefreiungsgrundes gemäss Art. 44 Abs. 1 OR in Verbindung mit § 12 StHG.

Die Haftung des Gemeinwesens ist eine Kausalhaftung, weshalb es für den einem Dritten zugefügten Schaden auch aufzukommen hat, wenn dem Funktionär kein Verschulden vorgeworfen werden kann. Diese Regelung stimmt mit derjenigen des Bundesgesetzes über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten vom 14. März 1958 (SR 170.32, Verantwortlichkeitsgesetz, Art. 3 Abs. 1 und 4) überein (vgl. VGE 713/94 vom 22. Dez.1995, Erw .2a mit Hinweisen).

Das Staatshaftungsgesetz definiert den Begriff des Schadens und des Kausalzusammenhanges zwischen dem Schaden und dem schädigenden Ereignis nicht näher. Zur Auslegung dieser Begriffe kann jedoch die zivilrechtliche Rechtsprechung im Gebiet des Schadenersatzrechtes herangezogen werden (vgl. BGE 107 Ib 162, Erw. 2 betr. Kanton Schwyz).

b) Der Kläger stützt seinen geltend gemachten Anspruch sinngemäss darauf ab, dass ihm der Kanton Schwyz widerrechtlich Schaden zugefügt habe, da «wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht durch den Kanton Schwyz» die «Honorar-Rechnung (...)» für die Behandlung eines (damals) keiner Krankenversicherung angeschlossenen Patienten an keinen Krankenversicherer gerichtet werden konnte. Nach Auffassung des Klägers hätte die zuständige Stelle den betreffenden Patienten nachträglich und rückwirkend einem Krankenversicherer zuweisen müssen, worauf die Arztrechnung für die Behandlung im Februar 1996 von dieser Krankenversicherung zu bezahlen gewesen wäre. Diese sinngemässe Argumentation scheitert aus folgenden Gründen.

aa) Vorab ist folgendes festzuhalten: Ob anstelle des Kantons (welcher grundsätzlich für die Handlungen bzw. Unterlassungen der Funktionäre des Kantons, inkl. die Durchführung von übertragenen Aufgaben durch Mitarbeiter der kantonalen Ausgleichskasse einzustehen hat, vgl. § 3 i.V.m. § 1 Abs. 2 lit. b StHG i.V.m. § 10 Abs. 2 EGzAHVG) oder neben diesem die betreffende Gemeinde, deren Einwohnerkontrolle die Einhaltung des Krankenversicherungsobligatoriums zu kontrollieren hat, ins Recht gefasst werden könnte, ist nicht zu prüfen, da der Kläger nur den Kanton belangt. In der Folge wird deshalb nur die Haftung des Kantons beurteilt.

bb) Die Haftungsvoraussetzung «Vorliegen eines Schadens» ist vorliegend nicht ausgewiesen. Der Schaden entspricht der Differenz zwischen dem gegenwärtigen Vermögensstand und dem Stand, den das Vermögen ohne das schädigende Ereignis hätte (vgl. BGE 107 Ib 162, Erw. 2a mit Hinweis; vgl. auch Oftinger/Stark, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Allg. Teil, Bd. I, S. 72, Rz. 9; VGE 603/95 vom 25. Okt. 1996, Erw. 3c).

Es ist zu prüfen, wer Schuldner der Vergütung ist. Der Patient steht zum frei praktizierenden Arzt in einem Auftragsverhältnis gemäss Art. 394ff. OR; er schuldet dem Arzt das Honorar (vgl. Alfred Maurer, Das neue Krankenversicherungsrecht, S. 76). Das neue KVG stellt das «System des Tiers garant» in den Vordergrund. Danach schuldet der Versicherte (als Leistungsempfänger) die Vergütung, und er hat gegenüber seinem Versicherer Anspruch auf deren Rückerstattung. Diese Regel gilt (wie schon im alten Recht), wenn nichts anderes zwischen Versicherer und Leistungserbringer vereinbart ist (vgl. Art. 42 Abs. 1 KVG i.V.m. der Botschaft zum KVG, BBl Nr. 3 Bd. I v. 28.1.1992, S. 170). Im vorliegenden Fall ist keine Vereinbarung zwischen Krankenversicherer und Leistungserbringer ersichtlich, wonach die (im Kanton Schwyz tätigen) Krankenversicherer die Vergütung für Leistungen an Personen schulden, welche noch keiner Krankenversicherung angeschlossen sind (vgl. oben, Erw. 2b und die dort enthaltenen Ausführungen zur Vereinbarung zwischen der Neuen Ärztegesellschaft des Kantons Schwyz und dem Verband der Krankenkassen im Kanton Schwyz). Liegt keine derartige Vereinbarung vor, gilt nach KVG (Art.42 Abs.1 KVG), aber auch nach Massgabe des Obligationenrechts (Auftragsrecht), offenkundig der Patient, welcher die medizinischen Behandlungsleistungen in Auftrag gegeben und empfangen hat, nach wie vor als Honorarschuldner. Der Kläger hat für die Behandlung im Februar 1996 wie bisher einen direkten Honoraranspruch gegenüber dem betreffenden Patienten (dies gilt auch für allfälligen Inkassoaufwand, soweit er auf den Schuldner überwälzbar ist). Für die Durchsetzung einer solchen Honorarforderung stehen dem Anspruchsberechtigten u.a. die Mittel der Schuldbetreibung zur Verfügung. Bei dieser Sachlage verhält es sich mithin so, dass der Kläger ungeachtet der Frage, ob überhaupt und inwiefern den vollziehenden Organen bei der Durchführung des Krankenversicherungsobligatoriums irgendwelche Pflichtverletzungen anzulasten wären (und insofern ein schädigendes Ereignis vorläge), weiterhin eine Honorarforderung gegenüber dem betreffenden Patienten aufweist (welche u.a. auf dem ordentlichen Schuldbetreibungswege eingefordert werden kann). Der Kläger bringt nicht ansatzweise vor, dass er seinen Patienten erfolglos betrieben habe, oder dass ein allfälliger Rechtsvorschlag nicht habe beseitigt werden können. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in Anbetracht des gegenüber dem Patienten bestehenden Anspruches auf finanzielle Abgeltung der vom Kläger erbrachten Leistungen, wobei dieser Anspruch ungeachtet des Verhaltens der Aufsichtsorgane besteht, der Eintritt eines Vermögensschadens vom Kläger nicht nachgewiesen worden ist.

cc) Selbst wenn entgegen den vorstehenden Ausführungen ein Vermögensschaden anzunehmen wäre, läge kein widerrechtliches Verhalten vor und wäre auch die Voraussetzung des adäquaten Kausalzusammenhangs nicht gegeben. Das Versicherungsobligatorium (im Sinne von Art. 3 KVG) ist neu per 1. Jan. 1996 in Kraft gesetzt worden, weshalb der Umstand, wonach der betreffende Patient nicht schon vor dem 9. Febr. 1996 (= Datum der 1. Arztkonsultation) hinsichtlich Versicherungspflicht kontrolliert und einem Krankenversicherer zugewiesen worden war (sondern erst ab 1. August 1996 der ... Krankenkasse angeschlossen wurde), kein rechtswidriges Verhalten der betreffenden Funktionäre darstellt (vgl. dazu Rhinow/ Krähenmann, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband 1990, Nr. 105 B. VI, v.a. lit. f, wonach die Frage, ob eine bestimmte Verfahrensdauer angemessen ist, im Hinblick auf die Natur und den Umfang des Rechtsstreits beurteilt werden muss). Mit anderen Worten ist im Umstand, wonach im 2. Monat nach Inkraftsetzung einer neuen Regelung noch nicht sämtliche Personen auf die Einhaltung des Versicherungsobligatoriums in der Krankenversicherung kontrolliert wurden, grundsätzlich kein rechtswidriges Verhalten der vollziehenden Organe zu erblicken.

Abgesehen davon übersieht der Kläger, dass das Krankenversicherungsverhältnis (im Gegensatz zur AHV/IV) nicht von Gesetzes wegen entsteht. Vielmehr auferlegt Art. 3 Abs. 1 KVG den betreffenden Personen die Pflicht, durch eine Beitrittserklärung, d.h. durch einen Antrag gegenüber einem zugelassenen Versicherer, sich versichern zu lassen. Wenn eine Person ihrer Versicherungspflicht nicht rechtzeitig nachkommt, wird sie von der zuständigen kantonalen Behörde einem Versicherer zugewiesen (vgl. Maurer, a.a.O., S. 38f. mit Hinweis auf Art. 6 Abs. 2 KVG). Art. 5 Abs. 2 KVG schreibt ausdrücklich vor, dass bei verspätetem Beitritt die Versicherung im Zeitpunkt des Beitritts beginnt. War aber der betreffende Patient im Zeitpunkt der beiden Konsultationen beim Kläger (am ... Febr. 1996) unbestrittenermassen keiner Krankenversicherung angeschlossen (was der Kläger offenbar auch wusste, vgl. ...) und beginnt bei einem verspäteten Beitritt die Versicherungswirkung erst im Beitrittszeitpunkt, kann grundsätzlich kein Krankenversicherer zur (nachträglichen bzw. rückwirkenden) Übernahme von Kosten für Leistungen, welche vor dem Beitritt erbracht wurden, verpflichtet werden, wie dies der Kläger von den Vollzugsorganen u.a. verlangte (...). Vielmehr gilt in solchen Fällen wie erwähnt der Empfänger der Leistung als Honorarschuldner (...). Am vorliegenden Ergebnis vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass der Gesetzgeber zur Durchsetzung des Versicherungsobligatoriums einen Prämienzuschlag (Art. 5 Abs. 2 KVG) sowie rigorose Strafdrohungen (Art. 92 lit. a KVG) vorgesehen hat (vgl. Maurer, a.a.O., S. 39).

Nach dem Gesagten ist im konkreten Fall nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge für die allfällige Vermögenseinbusse (bisher fehlende Deckung eines Arzthonorars für eine Behandlung im Februar 1996, Verzugszins und allenfalls Inkassoaufwand) nicht das Verhalten der in Frage kommenden Funktionäre adäquat kausal, sondern dasjenige des Patienten und Auftraggebers, welcher die Arztrechnung nicht bezahlt hat (wobei den vorliegenden Akten der Grund des Zahlungsausstandes nicht zu entnehmen ist). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass zwischen dem Verhalten der mit der Durchführung des Krankenversicherungsobligatoriums betrauten Funktionäre und der vom betreffenden Patienten noch nicht bezahlten Arztrechnung für eine Behandlung im Februar 1996 kein adäquater Kausalzusammenhang besteht.

(VGE 1014/97 vom 13. Juni 1997).

 

8

Planungs- und Baurecht

– Baubewilligungsverfahren. Das geänderte Bauprojekt tritt an die Stelle des ursprünglichen.

Aus den Erwägungen:

3. Wenn jemand eine Bewilligung für ein Bauvorhaben beantragt, hat er einen gesetzlich festgelegten Verfahrensweg zu durchlaufen. Nach Einreichung eines konkreten Baugesuches wird das Bauvorhaben öffentlich aufgelegt (§ 78 PBG). Während der Auflagefrist kann gegen das Bauvorhaben Einsprache erhoben werden (§ 80 PBG). Baubewilligungs- und Einspracheentscheide können kantonal beim Regierungsrat und Verwaltungsgericht angefochten werden (§ 82 PBG). Mit den Bauarbeiten darf erst begonnen werden, wenn die Baubewilligung und die Entscheide über öffentlich- und zivilrechtliche Einsprachen rechtskräftig sind (§ 85 PBG).

Für den vorliegenden Fall ist von Bedeutung, dass Gegenstand eines Baugesuches nur ein Projekt (allenfalls mehrere Bauten umfassend) sein kann, und dass sich das eingereichte Projekt über alle baurechtlich relevanten Aspekte eindeutig und klar zu äussern hat. Das geänderte Projekt tritt grundsätzlich an die Stelle des ursprünglichen Projektes (vgl. auch Aldo Zaugg, Kommentar zum Baugesetz des Kantons Bern, Art. 33 N 15).

Das ursprünglich eingereichte und dem Verfahren vor dem Regierungsrat zugrunde liegende Baugesuch hat diesen Anforderungen entsprochen. Hinsichtlich des umstrittenen Dachgeschosses war nur die ursprüngliche Gesuchseingabe Verfahrensgegenstand. Es ist nun unbestritten, dass die Bauherrschaft auch weiterhin dieses ursprüngliche Bauprojekt realisieren möchte (vgl. ...). Nachdem der Regierungsrat entschieden hat, dass die Dachgeschossfläche zu gross ist, um als Nicht-Vollgeschoss akzeptiert werden zu können, hatte sich die Bauherrschaft aber – «damit für die Bauausführung nicht weitere Verzögerungen entstehen» (Schreiben ...) – entschieden, eine bewilligungsfähige Projektänderung einzureichen. Damit trat grundsätzlich das geänderte Bauprojekt an die Stelle des ursprünglichen (vgl. auch neue Baubewilligung des Gemeinderates Y. ...). In casu ist entscheidend, dass im Rahmen des bisherigen Bewilligungsverfahrens zwischenzeitlich das abgeänderte Baugesuch rechtskräftig bewilligt, und das im Amtsblatt Nr. (...) publizierte Baubewilligungsverfahren somit abgeschlossen worden ist. Dies wiederum gestattet der Bauherrschaft, in Nachachtung von § 85 PBG mit dem Bau zu beginnen. Würde man bei dieser Ausgangslage der beschwerdeführerischen Argumentation folgen und das ursprüngliche Bauprojekt ohne Einleitung eines neuen Baubewilligungsverfahrens im Rahmen des bisherigen Verfahrens weiter beurteilen, wären – was die Bauherrschaft mit der Einreichung der Projektänderung aber gerade ermöglichen wollte – die Voraussetzungen für den Baubeginn nicht gegeben, weil die Sperrwirkung von § 85 PBG sich auf den ganzen, das eingeleitete Verfahren abschliessenden Baubewilligungsentscheid bezieht (vgl. auch E. Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau, § 54 N 5). Hat sich mithin das konkrete, dem angefochtenen Regierungsratsbeschluss zugrunde liegende Baubewilligungsverfahren mit der rechtskräftigen Bewilligung des geänderten Projektes erledigt, sind die beiden Beschwerdeverfahren grundsätzlich als gegenstandslos geworden am Protokoll abzuschreiben (§ 28 VRP). Soweit die Beschwerdeführer den kritisierten regierungsrätlichen Standpunkt betreffend Dachgeschoss dennoch durch das Verwaltungsgericht grundsätzlich (Gemeinde) bzw. zwecks Erlangung einer Baubewilligung für das ursprünglich eingereichte Projekt konkret (Bauherrschaft) überprüft haben wollen, ist mangels aktuellem Rechtsschutzinteresse darauf nicht einzutreten. Die Rechte der Bauherrschaft und von Dritten sind in den vom Planungs- und Baugesetz vorgesehenen Verfahren wahrzunehmen (§§ 77ff. PBG; VGE 1027/97 v. 22.8.97, Erw. 2). Der angefochtene RRB beruht – wie bereits dargelegt – aber nicht auf einem zurzeit noch hängigen Baubewilligungsverfahren. Eine abstrakte Normenkontrolle (mit Ausnahme von § 51 lit. d VRP) ist zudem nicht zulässig.

An diesem Beschwerdeergebnis vermögen die Einwände der Beschwerdeführer nichts zu ändern. Es geht nicht an, mit einer Projektänderung die Sperrwirkung von § 85 PBG aufzuheben bzw. einen raschen Baubeginn zu ermöglichen und gleichzeitig die Weiterführung des ursprünglichen Bewilligungsverfahrens zu verlangen. Dies käme einer Umgehung von § 85 PBG gleich. Wenn jemand eine Projektänderung einreicht, um ein Bauvorhaben schneller realisieren zu können, so kann er nachträglich grundsätzlich nur über ein neues Baubewilligungsverfahren die Baubewilligung für das ursprüngliche Baugesuch erlangen.

(VGE 1029/1032/97 vom 22. August 1997).

 

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Planungs- und Baurecht

– Ein Gestaltungsplan braucht nicht notwendigerweise das gesamte mit einer Gestaltungsplanpflicht überlagerte Gebiet zu umfassen.
– Der Erlass eines Gestaltungsplanes als Sondernutzungsplan setzt nicht voraus, dass eine rechtskräftige Erschliessungsplanung vorliegt.
– Beim Erlass eines Gestaltungsplanes muss noch keine hinreichende Zufahrt vorliegen.

Aus den Erwägungen:

5. b) Die Beschwerdeführer bringen vor, der Regierungsrat habe sich nicht mit dem Einwand befasst, wonach der Gestaltungsplan (...) unzulässigerweise nur einen Teil des im Zonenplan mit der Gestaltungsplanpflicht belegten Areals umfasse (...).

Dieser Einwand ist unbehelflich. Wie in der vorinstanzlichen Vernehmlassung (...) zutreffend ausgeführt wird, braucht ein Gestaltungsplan nicht notwendigerweise das gesamte mit einer Gestaltungsplanpflicht überlagerte Gebiet zu umfassen. Es können nebeneinander mehrere Gestaltungspläne erlassen werden, sofern die Voraussetzung der Mindestfläche gemäss § 24 Abs. 1 PBG (Planungs- und Baugesetz, nGS IV-493, in der Fassung vom 14. Mai 1987) erfüllt wird, und die tangierten Grundeigentümer, deren Parzellen im Einzugsgebiet liegen, dem betreffenden Gestaltungsplan zustimmen (vgl. § 30 Abs. 1 PBG in der Fassung vom 14. Mai 1987). Anzufügen ist, dass mit der Teilrevision des PBG, welche vom Schwyzer Stimmvolk am 1. Dez. 1996 angenommen wurde, im abgeänderten § 30 Abs. 1 PBG vom Prinzip der Einstimmigkeit für den Erlass eines Gestaltungsplanes abgewichen wurde (so genügt neu der Antrag eines oder mehrerer Grundeigentümer, denen mindestens die Hälfte des Einzugsgebietes gehört). (...)

6. a) Streitig ist im wesentlichen das Verhältnis zwischen Gestaltungs- und Erschliessungsplanung sowie die Frage der gegebenen Erschliessbarkeit des vom Gestaltungsplan betroffenen Grundstücks.

b) Die Beschwerdeführer argumentieren u.a., da der Begriff «Erschliessung» Bundesrecht darstelle, folge automatisch, dass der Gestaltungsplan nachrangige Bedeutung erlange. Die Erschliessungsplanung habe zumindest gleichzeitig mit der Gestaltungsplanung einherzugehen (...).

c) Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Wie der Regierungsrat in seinen Erwägungen zutreffend ausgeführt hat, ergibt sich weder aus dem Bundesrecht noch aus dem kantonalen Recht eine Verpflichtung der Gemeinden, Zonen- und Erschliessungspläne gleichzeitig zu erlassen. Ebensowenig ist eine rechtskräftige Erschliessungsplanung Voraussetzung dafür, dass Gestaltungspläne als Sondernutzungspläne erlassen werden können (vgl. angefocht. RRB, Erw. 5b, mit Hinweisen, u.a. auf EGV-SZ 1991, Nr. 50; vgl. auch VGE 724+726+730/95 vom 30.4.1996, Erw. 6c und VGE 662/91 vom 28. Nov. 1991, Erw. 4, Prot. S. 1214 unten sowie S. 1216 oben). Das Bundesrecht betont zwar die Abhängigkeit von Nutzungsplanung und Erschliessung (vgl. Art. 15 lit. b RPG i.V.m. Art. 19 RPG), kennt jedoch das Instrument des Erschliessungsplans im Gegensatz zum Richt- und Nutzungsplan nicht (vgl. Art. 6ff. und Art. 14ff. RPG). Im kantonalen Recht wird der Erschliessungsplan in den §§ 22 und 23 PBG geregelt. In der am 1. Dez. 1996 angenommenen Teilrevision des PBGs wird § 23 PBG abgeändert, ohne dass damit von der bisherigen Rechtslage (wonach kein gleichzeitiger Erlass von Nutzungs- bzw. Gestaltungsplänen einerseits und Erschliessungsplänen anderseits erforderlich ist) abgewichen wurde.

d) Zusammenfassend ergibt sich, dass das Vorhandensein eines Erschliessungsplanes nicht Voraussetzung ist für den Erlass eines Gestaltungsplanes. Die beiden – rechtlich gleichrangigen – Sondernutzungspläne und die durch diese aufgestellten baulichen Sondernutzungspläne sind zu berücksichtigen, wenn es um die Erteilung einer konkreten Baubewilligung geht. Der Einwand der Beschwerdeführer, wonach für den Erlass eines Gestaltungsplanes bereits ein Erschliessungsplan vorliegen müsse, geht somit fehl.

e) Schliesslich muss entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Erlasses eines Gestaltungsplanes noch keine (in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht) hinreichende Zufahrt vorliegen. Das Verwaltungsgericht hat diesbezüglich im Entscheid VGE 596/88 vom 24. Jan. 1989 (Erw. 4b) u.a. ausgeführt, § 30 Abs. 1 PBG (in der Fassung vom 14. Mai 1987) verlange nicht, «dass das Einzugsgebiet des beabsichtigten Gestaltungsplanes bereits (hinreichend) (grob)erschlossen ist. (Falls man der gegenteiligen Auffasssung folgen wollte, wonach der Erlass eines Gestaltungsplanes nur zulässig wäre, wenn eine hinreichende Zufahrt bereits bestünde, müsste § 30 Abs. 1 PBG folgendermassen lauten: ‹Gestaltungspläne› werden auf Antrag sämtlicher Grundeigentümer des erschlossenen [bzw. genügend zugänglichen] Einzugsgebietes vom Gemeinderat erlassen.

Im weiteren ergibt sich auch aus der Gesetzessystematik, dass der Erlass von Gestaltungsplänen grundsätzlich keinen bestimmten Erschliessungsgrad voraussetzt (vgl. die Einordnung des Abschnittes ‹Gestaltungsplan› [30/31 PBG] im Kapitel ‹II. Raumplanung, als Ziff. 2 des Unterkapitels D Erlass kommunaler Nutzungspläne›; die Erschliessung hingegen wird im Kapitel ‹III. Erschliessung› geregelt, vgl. ferner § 53 [Baureife] im Kapitel ‹IV. Kantonale Bauvorschriften›).»

(vgl. Prot. S. 105 unten)

An diesen Ausführungen ist weiterhin festzuhalten, zumal der Gesetzgeber im Rahmen der erwähnten Teilrevision des PBGs keine Änderung im oben dargelegten Sinne («auf Antrag ... Grundeigentümer des erschlossenen Einzugsgebietes») einführte. Im Einklang mit der Vorinstanz II ist festzuhalten, dass es genügt, wenn die Erschliessbarkeit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht möglich ist, was im vorliegenden Fall aus den technischen Unterlagen abzuleiten ist (...).

(VGE 806+807/96 vom 17. Januar 1997).

Drei dagegen erhobene staatsrechtliche Beschwerden hat das Bundesgericht, soweit es darauf eingetreten ist, mit Urteil 1 A. 77/1997, 1 P. 165/1997 + 1 P. 189/1997 vom 13. August 1997 abgewiesen.

 

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Gemeinderecht

– §§ 18f. GOG, § 29 FBGG (nGS I/70). Sind Abänderungsanträge der Exekutive zum von ihr aufgestellten und verabschiedeten Voranschlag anlässlich der Gemeindeversammlung zulässig?

Aus dem Sachverhalt:

Der Bezirksrat Einsiedeln hat am 24. Oktober 1997 die ordentliche Bezirksgemeindeversammlung auf Freitag, 7. November 1997, einberufen und unter Ziffer 1 die Genehmigung des Voranschlages und die Festsetzung des Steuerfusses für 1998 traktandiert. Die entsprechende Botschaft wurde allen Haushaltungen des Bezirks zugestellt. Der Bezirksrat rechnete mit einer Zusicherung von Leistungen des Finanzausgleichs durch den Kanton von Fr. 6847070.–. Mit Schreiben vom 29. Oktober 1997 teilte der Vorsteher des kantonalen Finanzdepartementes dem Bezirksrat mit, die im Voranschlag vorgesehene Zusicherung von Leistungen des Finanzausgleiches werde um Fr. 1.3 Mio. gekürzt, weil nach Ansicht des Regierungsrates der Voranschlag 1998 dem Grundsatz der Sparsamkeit nach § 5 des Gesetzes über den Finanzhaushalt der Bezirke und Gemeinden (FBGG) nicht entspreche. In der Folge stimmte der Bezirksrat am 6. November 1997 einem abgeänderten Voranschlag zu, so dass sich die beantragte Finanzausgleichsleistung um Fr. 1303500.– reduzierte. Am folgenden Versammlungstag orientierte der Bezirksammann in der lokalen Zeitung über die Abweichungen vom gedruckten Voranschlag. Zudem wurde im redaktionellen Teil der Zeitung konkret über die vom Bezirksrat beschlossenen Kürzungen berichtet. Den Versammlungsteilnehmern wurde schliesslich vor Versammlungsbeginn ein gedrucktes Blatt verteilt, welches die Änderungsanträge des Bezirksrates zum früher zugestellten Voranschlag enthielt. Nach Versammlungseröffnung stellte ein Stimmbürger den Antrag, die Bezirksgemeinde sei zu schliessen und allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern sei eine neue Einladung mit allen Unterlagen zuzustellen. Dieser Verschiebungsantrag wurde indes abgelehnt. Die bezirksrätlichen Abänderungsanträge wurden dagegen angenommen. Der mit seinem Verschiebungsantrag unterlegene Stimmbürger reichte in der Folge beim Verwaltungsgericht eine Stimmrechtsbeschwerde ein. Sinngemäss beantragte er die Aufhebung des Bezirksgemeindebeschlusses betreffend Traktandum 1, die nochmalige Zustellung eines bereinigten Voranschlages an alle Haushaltungen und die Neueinberufung einer Bezirksgemeindeversammlung zur Genehmigung von Voranschlag und Steuerfuss 1998. Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten war.

Aus den Erwägungen:

1. Gemäss § 18 des Gesetzes über die Organisation der Gemeinden und Bezirke (GOG, nGS I/65) wird die Gemeindeversammlung einberufen durch Publikation in den durch den Gemeinderat zu bezeichnenden Publikationsorganen oder in den öffentlichen Anschlagkasten. Die Einladung ergeht mindestens zehn Tage vor der Versammlung mit Angabe von Ort, Zeit und Geschäftsverzeichnis.

Der Gemeinderat (bzw. Bezirksrat) hat die Geschäfte der Gemeindeversammlung (Bezirksgemeindeversammlung) vorzubereiten und zu jedem Gegenstand Anträge zu stellen (§ 19 Abs. 1 GOG). Die Anträge des Gemeinderates samt Unterlagen wie Rechnungen, Berichte, Expertisen, Pläne usw. sind von der Einladung an öffentlich aufzulegen, sofern sie nicht allen Stimmberechtigten zugestellt werden (§ 19 Abs. 2 GOG). Diese Bestimmung ist insofern durch § 29 des Gesetzes über den Finanzhaushalt der Bezirke und Gemeinden (FBGG, nGS I/70) überholt, als nunmehr Finanzplan, Voranschlag, Rechnung und Antrag der Rechnungsprüfungskommission spätestens mit der Einladung zur Bezirksgemeinde zu veröffentlichen und mindestens in zusammengefasster Form an alle Haushaltungen zuzustellen sind. Werden die Unterlagen in zusammengefasster Form versandt, kann jedermann die vollständigen Unterlagen kostenlos beziehen (§ 29 Abs. 2 FBGG).

Vorliegend steht fest, dass die vorzitierten Bestimmungen des GOGs und des FBGGs grundsätzlich eingehalten wurden. Die Einladung erfolgte fristgerecht unter Auflistung des Geschäftsverzeichnisses (Traktandenliste). Die Unterlagen zum Traktandum 1 (Voranschlag und Steuerfuss 1998) wurden in einem 33seitigen Bericht zusammengestellt, wobei in Beachtung des FBGGs (insbesondere §§ 9ff. 25f.), der Voranschlag erläutert und die Zahlen für das neue (1998), das vorangegangene (1997) und das zuletzt abgeschlossene Rechnungsjahr (1996) aufgenommen wurden. Auch wurde der gesamte Voranschlag ungekürzt und fristgerecht in alle Haushaltungen verschickt.

2. Streitfrage und vorliegend zu beurteilen ist:

• ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen der Bezirksrat befugt war, zu dem von ihm aufgestellten und verabschiedeten Voranschlag an der Bezirksgemeindeversammlung Abänderungsanträge zu stellen?

• ob, allenfalls in welcher Form und innert welcher Frist vor der Versammlung, er solche Abänderungsanträge anzukündigen hat?

• ob das kurzfristige Stellen von bezirksrätlichen Abänderungsanträgen vorliegend zu einer Kassation der unter dem Traktandum 1 gefällten Beschlüsse führt?

a) Das GOG listet in § 26 verschiedene Antragsformen auf, welche dem Bürger bei der Behandlung von Geschäften, über welche er zu beraten und zu beschliessen hat, zur Verfügung stehen. Die Anträge werden unterteilt in formelle Anträge (Rückweisungsanträge, Verschiebungsanträge, Trennungsanträge [Trennung des Geschäftes]) und in materielle Anträge (Eintretens- und Nichteintretensantrag, Abänderungsantrag, Hauptantrag und Ablehnungsantrag als Pendant; VGE 566–568/96 v. 21.6.1996 in EGV-SZ 1996, Nr. 9, S. 20, E. 5). Da über den Voranschlag und den Steuerfuss (= immanenter Teil des Voranschlags) keine Urnenabstimmung stattfindet, sondern abschliessend im Versammlungssystem entschieden wird (vgl. § 72 Abs. 3 Kantonsverfassung), steht bei diesem Geschäft die gesamte Antragspalette zur Verfügung, während bei Geschäften, welche abschliessend erst an der Urne entschieden werden, Anträge auf Ablehnung oder Nichteintreten gemäss § 12 Abs. 2 GOG nicht zulässig sind.

Neue oder selbständige Anträge, die keinen oder nur einen losen Zusammenhang mit der Vorlage haben, die mithin mehr als eine blosse Ergänzung oder Abänderung darstellen, sind grundsätzlich unzulässig. Auch würde die Anforderung, die Stimmbürger über ein Geschäft vorgängig zu informieren, sowie das öffentliche Interesse, schlecht vorbereitete oder überstürzte Beschlüsse zu verhindern, beeinträchtigt. Huwyler führt in seinem Aufsatz «Die Beratungspflicht der Gemeindeversammlung» aus, im Einzelfall sei es oft schwierig zu entscheiden, wann ein echter Abänderungsantrag vorliege und wann ein unzulässiger neuer oder selbständiger Antrag gestellt werde. Ein Antrag, dem verglichen mit der Vorlage eine andere Zweckbestimmung zugrunde liege oder mit dem ein völlig anderer Weg zur Verwirklichung des mit der Vorlage angestrebten Zweckes vorgeschlagen werde, dürfte in der Regel unzulässig sein (F. Huwyler, Die Beratungspflicht der Gemeindeversammlung, in EGV-SZ 1972, S. 124f.). Inhaltlich sind die nachträglichen Abänderungsanträge des Bezirksrates allesamt zulässig, sie bewegen sich im Rahmen des Grundgeschäftes (Voranschlag), und sie verstossen weder gegen Grundsätze des Finanzhaushaltsgesetzes noch werden gebundene Ausgaben herausgestrichen. Solches wird denn auch in der Beschwerde nicht geltend gemacht.

b) Was den formalen Ablauf anbetrifft, so ergibt sich aus der Pflicht der Exekutive, die Geschäfte vorzubereiten, Anträge zu stellen und die Bürger mindestens 10 Tage vor der Versammlung zu informieren und mit Versammlungsunterlagen zu bedienen bzw. diese öffentlich zugänglich zu machen (vgl. §§ 18, 19 GOG und § 29 FBGG), dass die Exekutive geplant, informativ und unter Einhaltung der gesetzlichen Fristen vorzugehen hat und die Bürgerschaft nicht überrumpeln darf. Demgegenüber steht der Bürgerschaft, welche im kommunalen Versammlungssystem die Funktion der parlamentarischen Legislative wahrnimmt, innerhalb von gewissen Schranken ein Improvisationsspielraum zu. Insbesondere hat der Bürger, der einen Abänderungsantrag stellen will, nicht die vorgängige Informationspflicht zu beachten. Hingegen darf selbstverständlich auch der Bürger vorgängig über von ihm geplante Abänderungsanträge informieren. Aus der Gegenüberstellung der §§ 18, 19 GOG und § 29 FBGG einerseits und § 26 GOG anderseits ist zu folgern, dass die Exekutive zu agieren und ihre Anträge mit der Einladung zur Versammlung zu stellen hat, während das Antragsinstrumentarium gemäss § 26 GOG dem seine parlamentarischen Rechte wahrnehmenden Bürger zusteht.

c) Der Sinn der frühzeitigen Zustellung der Geschäfte der Gemeindeversammlung an den Bürger, insbesondere auch in bezug auf den Voranschlag, besteht insbesondere darin, dass sich jeder Bürger Klarheit über die Tragweite des Geschäftes machen kann, dass er die Unterlagen studieren und entscheiden kann, ob er an der Versammlung teilnehmen soll, ob er Auskunft über Budgetposten verlangen und allenfalls Abänderungsanträge stellen will und ob er der Vorlage zustimmen soll (VGE 613/4/88 v. 28.2.1989, E. 4, S. 9, Prot. 193; 672/92 v. 27.5.93 E. 2b). Die behördliche Vorbereitungs-, Orientierungs- und Informationspflicht ist ein Instrumentarium, welches wichtige Rahmenbedingungen für qualitativ gute und durchdachte Gemeindeversammlungsbeschlüsse setzt. Von daher und in Beachtung der aufgezeigten gesetzlichen Vorgaben ist es nicht unbedenklich, wenn die Exekutive nach Versand der Unterlagen und unter Unterschreitung der Frist nach § 18 Abs. 2 GOG Abänderungen an ihren eigenen Anträgen vornimmt. Vorliegend kann indessen von einer Kassation des Bezirksgemeindebeschlusses und der Anordnung, nach Zustellung des bereinigten Voranschlags nochmals eine Budgetgemeinde abzuhalten, aus den nachfolgenden Gründen abgesehen werden:

aa) Der Bezirksrat sah sich nicht aufgrund einer unsorgfältigen Vorbereitung des Voranschlags zu den nachträglichen Abänderungsanträgen veranlasst. Vielmehr sah er sich hiezu durch den Regierungsrat, welcher gestützt auf § 15 des Finanzausgleichsgesetzes (FAG, nGS I/137), in Verbindung mit § 5 FBGG die Zustimmung zu den im bezirksrätlichen Voranschlagsentwurf vorgesehenen Leistungen des Finanzausgleichs seine Zustimmung verweigerte, gezwungen. Nachdem von seiten der Verfahrensbeteiligten die Rechtmässigkeit des regierungsrätlichen Vorgehens nicht in Frage gestellt worden ist und auch an der Bezirksgemeindeversammlung diesbezüglich keine kritischen Einwendungen vorgebracht wurden, ist davon auszugehen, dass die Bezirksgemeinde insofern praktisch keinen Entscheidungsspielraum mehr hatte, als der Aufwand, unabhängig darum, ob nun die Stimmbürger frühzeitig um die Abänderungsanträge wussten oder nicht, um den besagten Betrag von Fr. 1.3 Mio., was rund 2% des geplanten Gesamtaufwandes entspricht, reduziert werden musste. Ein Handlungsspielraum bestand höchstens noch in der Auswahl der zu streichenden oder zu kürzenden Budgetpositionen, wobei auch diesbezüglich der Handlungsspielraum, angesichts der grossmehrheitlich gebundenen Ausgaben, recht eng war.

bb) Bezirksrätliche Abänderungsanträge, die auf die Streichung oder Reduktion von Aufwandpositionen zielen, sind weniger problematisch als dies bezirksrätliche Anträge für zusätzliche oder erhöhte Aufwandpositionen wären, da damit in der Regel die Finanzhaushaltsgrundsätze nicht verletzt werden. Hinzu kommt, dass ein Voranschlagskredit gemäss § 35 Abs. 1 FBGG die Behörde ermächtigt, nicht aber unter allen Umständen und in allen Fällen verpflichtet, den entsprechenden Betrag auszugeben.

cc) Von Bedeutung ist auch, dass sich der Bezirksrat bemühte, die Bezirksbürger noch vor der Versammlung über die anstehenden Kürzungsanträge zu informieren. Die Chronologie der Ereignisse ist folgende:

• 29.10.97: Schreiben Vorsteher Finanzdepartement, worin erklärt wird, der Regierungsrat beabsichtige, die Zusicherung von Leistungen des Finanzausgleichs um Fr. 1.3 Mio. zu kürzen und 7 Kürzungspositionen der Laufenden Rechnung mit einer Aufwandreduktion von total Fr. 1316800.– aufgeführt werden.

• 4.11.97: Aussprache zwischen einer Delegation des Bezirksrates und des Finanzdepartementes, an welcher die Kürzungsvorschläge bereinigt wurden mit einer Reduktion der Finanzausgleichsleistung um Fr. 1302500.–.

• 6.11.97: Sitzung des Bezirksrates ab 16.00 Uhr, worin die Abänderungen zum bezirksrätlichen Vorschlag erhoben wurden.

• 7.11.97: Information des Bezirksammanns in der Lokalpresse (Frontseite Einsiedler Anzeiger, der im Bezirk Einsiedeln eine Haushaltsabdeckung von 85% erreicht) und im Regionalfernsehsender ERY-Text (dort ab ca. Donnerstag nachmittag 6.11.97) ausgestrahlt, dass auf Geheiss des Regierungsrates Fr. 1.3 Mio. zu streichen seien und der Bezirksrat hiezu Anträge unterbreiten werde, die sich vornehmlich auf Sanierungsprojekte bezögen. In der gleichen Zeitungsausgabe auf der letzten Seite, für welche der Redaktionsschluss wegen der Aktualität des Themas hinausgeschoben wurde, erfolgte dann eine detaillierte Auflistung der beantragten Streichungen.

• Vor Versammlungsbeginn erhielten alle Versammlungsteilnehmer ein gedrucktes Zusatzblatt zum Voranschlag, wobei ebenfalls die Änderungen zusammengestellt wurden.

In der Folge liess der Bezirksammann über jeden der Abänderungsanträge in Beachtung von § 26 Abs. 4 GOG einzeln abstimmen, wobei alle Kürzungsanträge oppositionslos Zustimmung fanden. Mit diesem Vorgehen wurde Gewähr geboten, dass die Stimmbürger nicht völlig unvorbereitet mit diesen Änderungen konfrontiert wurden.

dd) Aus dem Antrag der Rechnungsprüfungskommission (gedruckte Botschaft S. 4) ist ersichtlich, dass diese ihren Genehmigungsantrag zum Voranschlag nur stellte «unter Vorbehalt der schriftlichen Zustimmung des Regierungsrates». Mithin wurden die Bezirksbürger auch von daher nicht völlig unvorbereitet mit den Kürzungen, die infolge der in Aussicht gestellten Nichtgenehmigung erforderlich wurden, konfrontiert.

ee) Schliesslich zeigt auch der Tenor der Ausführungen des Beschwerdeführers, dass er sich lediglich grundsätzlich daran stört, dass diese Änderungen nicht rechtzeitig, in der gemäss § 18 Abs. 2 GOG vorgesehenen Frist, den Bürgern bekannt gemacht wurden. Inhaltlich geht er mit den Kürzungen vorbehaltlos einig, führt er doch wörtlich aus «vom sachlich- vernünftigen und richtigen Korrektur-Antrag des Regierungsrates wussten die meisten Bürger, ausser einigen aus einer unbeachtlichen Notiz des Einsiedler Anzeigers vom 7. Dezember (recte: November) (Versammlungstag) nichts». Er macht denn auch nicht geltend, dass bei einer Verschiebung der Gemeindeversammlung das Abstimmungsergebnis zu diesen Kürzungsanträgen anders ausgefallen wäre, oder dass anstelle der beschlossenen Kürzungen andere beschlossen worden wären, und er schlägt auch nicht andere Kürzungspositionen vor.

d) Aufgrund dieser Argumente und Fakten führen die bezirksrätlichen Abänderungsanträge, obwohl der formale Ablauf in zeitlicher Hinsicht nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprochen hat, im vorliegenden Fall nicht zur Kassation des Bezirksgemeindebeschlusses, weshalb die Beschwerde abzuweisen ist. Indessen wird der Bezirksrat eingeladen, in Zusammenarbeit mit dem Finanzdepartement Vorkehrungen zu treffen, damit die Erarbeitung des Voranschlags inskünftig so terminiert werden kann, dass erst nach Vorliegen der Zusicherung des Regierungsrates betreffend die Finanzausgleichsbeiträge oder nach einer Vorprüfung durch das Departement, die Einberufung der Bezirksgemeindeversammlung und der Versand des Voranschlages an die Haushaltungen erfolgt. Das Verwaltungsgericht übersieht dabei die organisatorischen Probleme dieser Anregung nicht, zumal gemäss den §§ 15 und 16 des Finanzausgleichsgesetzes mehr oder weniger gleichzeitig eine grössere Anzahl von Voranschlägen beim Departement zur Prüfung ansteht. Es sollten indessen die in bezug auf die Genehmigung «kritischen» Voranschläge durch geeignete Kriterien herausgefiltert und zeitlich prioritär erledigt werden können.

(VGE 886/97 vom 21. November 1997).

 

11

Gemeinderecht

– Abstimmungsprozedur bei einer Gemeindeversammlung; § 26 GOG.

Aus dem Sachverhalt:

Bei der Behandlung des Voranschlages 1997 an der Gemeindeversammlung erläuterte zunächst der Säckelmeister den Standpunkt des Gemeinderates, welcher auf einer Erhöhung des Steuerfusses basiert. In der Folge stellte X. den Antrag auf Beibehaltung des bisherigen Steuerfusses. Z. stellte sich ebenfalls gegen die vom Gemeinderat beantragte Steuererhöhung und beantragte, das Budget sei zurückzuweisen und der Gemeinderat sei zu beauftragen, ein neues Budget vorzulegen. Der Gemeindepräsident stellte zunächst den Antrag «X» dem Antrag «Z» gegenüber und liess darüber abstimmen. Dem obsiegenden Antrag «X» (Beibehaltung des Steuerfusses) stellte er den Antrag des Gemeinderates (auf Erhöhung des Steuerfusses) gegenüber. In der Schlussabstimmung obsiegte der Antrag «X». Eine gegen diese Abstimmungsprozedur erhobene Beschwerde wurde vom Verwaltungsgericht insoweit gutgeheissen, als der von der Gemeindeversammlung beschlossene Voranschlag 1997 und Steuerfuss 1997 aufgehoben wurden.

Aus den Erwägungen:

2. a) Die Festsetzung des jährlichen Voranschlages sowie der Gemeindesteuern gehören gemäss § 88 lit. f Kantonsverfassung (KV, nGS I-1) zu den wichtigsten Kompetenzen der Gemeindeversammlung (vgl. auch § 7 Abs. 1 lit. e GOG und Karl Appert, Die Volksbeschlüsse in den Gemeinden des Kantons Schwyz, S. 83). Nach § 16 Abs. 1 GOG und § 27 Abs. 1 des kantonalen Gesetzes über den Finanzhaushalt der Bezirke und Gemeinden (FHG, nGS I-70) ist der Voranschlag eines Kalenderjahres bis spätestens Mitte Dezember des vorangehenden Kalenderjahres zu beschliessen. Liegt zu Beginn des Budgetjahres kein genehmigter Voranschlag vor, dürfen vorläufig nur die für die Verwaltungstätigkeit unerlässlichen Ausgaben vorgenommen werden (§ 27 Abs. 2 FHG).

b) Nach § 26 Abs. 1 GOG erläutert der Gemeindepräsident den Stimmberechtigten den Abstimmungsvorgang. Bei der Abstimmung haben Anträge auf Rückweisung, Verschiebung oder Trennung des Geschäftes den Vorrang. Wird die Rückweisung oder Verschiebung beschlossen, so geht das Geschäft an den Gemeinderat zurück (§ 26 Abs. 2 GOG). In allen andern Fällen wird ein Sachentscheid getroffen (§ 26 Abs. 3 GOG). Dabei wird zuerst über Eintreten oder Nichteintreten abgestimmt. Anschliessend wird über die Abänderungsanträge entschieden. Abänderungsanträge, die sich gegenseitig ausschliessen, sind einander gegenüberzustellen. Zum Schluss wird über die bereinigten Hauptanträge abgestimmt (§ 26 Abs. 4 GOG).

3. a) Wichtigstes und die ganze Praxis zur Stimmrechtsbeschwerde beherrschendes Prinzip ist der in § 54 Abs. 1 WAG normierte Grundsatz, wonach kein Ergebnis einer Wahl oder Abstimmung anerkannt werden darf, das den Willen der Urnengänger nicht zuverlässig und unverfälscht wiedergibt (vgl. VGE 812+623/96 vom 19.9.1996, Erw. 5 mit Hinweis auf W. Kälin, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. A., S. 97 mit Hinweisen). § 54 WAG gilt ausdrücklich auch für Abstimmungen, die in den Gemeinden offen durchgeführt werden (vgl. § 1 Abs. 2 WAG).

b) Mit dem Antrag auf Rückweisung wird der Gemeinderat verpflichtet, ein Geschäft einer nochmaligen Prüfung zu unterziehen (vgl. VGE 566+567+568/96 vom 21. Juni 1996, Erw. 6; VGE 607/76 vom 25. Febr. 1977, Erw. 4, Prot. S. 37 unten). Solche Anträge können aus formellen Gründen (z.B. mangelhafte Vorbereitung oder Information) oder aus materiellen Gründen (andere Gestaltung, weniger aufwendige Lösung usw.) gestellt werden (vgl. Fritz Huwyler, Das Gemeindeorganisationsgesetz, Referat vom 9. Nov. 1977, S. 33 unten).

Was die Reihenfolge der Abstimmungsgegenstände anbelangt, normiert § 26 GOG unmissverständlich, dass zuerst die formellen Anträge (Ordnungsanträge) auf Rückweisung, Verschiebung und Trennung eines Geschäftes (in dieser Reihenfolge) Vorrang haben. Erst danach ist über materielle Anträge abzustimmen, wobei die Abänderungsanträge den Vorrang haben und sich gegenseitig ausschliessende Abänderungsanträge zuerst einander gegenüberzustellen sind; der so obsiegende Abänderungsantrag ist dem gemeinderätlichen entgegenzustellen (vgl. Fritz Huwyler, a.a.O., S. 36f. mit Hinweisen auf § 26 GOG).

c) In der vorliegenden Beschwerde wird zu Recht vorgebracht, dass nach Massgabe von § 26 Abs. 2 GOG zuerst (allein) über den formellen Antrag auf Rückweisung abzustimmen gewesen wäre (und zwar ohne dass diesem Rückweisungsantrag ein materieller Antrag auf Festsetzung des Steuerfusses auf [...] Einheiten hätte gegenübergestellt werden dürfen). Mit der vorliegenden Abstimmungsprozedur, welche klarerweise gegen § 26 Abs. 2 GOG verstiess, wurde auch der auf § 54 WAG abgestützte Anspruch auf eine unverfälschte Willenskundgabe verletzt. Denn diejenigen Stimmbürger, welche sowohl den Voranschlag vom Gemeinderat überarbeiten lassen als auch den bisherigen Steuerfuss beibehalten wollten, mussten sich in der vorliegenden Abstimmungsprozedur entscheiden, ob sie dem Antrag «Z» auf Rückweisung des Budgets an den Gemeinderat oder dem Antrag «X» auf Beibehaltung des Steuerfusses zustimmen wollten. Anderseits stellte sich für diejenigen Stimmbürger, welche für den vom Gemeinderat präsentierten Voranschlag mit Erhöhung des Steuerfusses waren, die Frage, wie sie sich in der vorliegenden Abstimmungsprozedur verhalten sollten: Sollten sie zunächst zur Bekämpfung des Antrages «X» dem Antrag «Z» zustimmen, um dann in der Anschlussabstimmung gegen den Antrag «Z» und für den gemeinderätlichen Antrag zu votieren, oder sollten sie umgekehrt zur Bekämpfung des Antrages «Z» zunächst dem Antrag «X» zustimmen, um dann anschliessend wieder gegen den Antrag «X» und für den gemeinderätlichen Antrag zu stimmen? Zusammenfassend ist festzuhalten, dass mit der vorliegenden, gegen § 26 Abs. 2 GOG verstossenden Abstimmungsprozedur zur Festsetzung der Voranschlages 1997 sowie des Steuerfusses der Grundsatz der freien und unverfälschten Willensäusserung der Stimmbürger verletzt wurde.

In diesem Zusammenhang wird in der Beschwerde (...) zu Recht darauf hingewiesen, dass dann, wenn über den Rückweisungsantrag «Z» (richtigerweise) vorab gesondert abgestimmt, und falls dieser Antrag angenommen worden wäre, eine Abstimmung über den Antrag «X» auf Beibehaltung des Steuerfusses an dieser Gemeindeversammlung entfallen wäre. (...).

(VGE 650/96 vom 17. Januar 1997).

 

12

Arbeitsvergebung

– § 16 Abs. 1 und 2 SubmV. Vergabekriterien. Direkte Anwendung der materiellen Vorschriften des seit 1. Juli 1996 geltenden Bundesgesetzes über den Binnenmarkt (BGBM).

Aus den Erwägungen:

2. a) Eine Arbeitsvergabe erfolgt an den Bewerber mit dem günstigsten Angebot. Als günstigstes Angebot gilt dasjenige, das unter Berücksichtigung insbesondere der fachgerechten und rechtzeitigen Ausführung der Arbeit den tiefsten Preis aufweist. Das niedrigste Angebot ist somit nicht immer das günstigste (§§ 16 Abs. 1 SubmV). Bei annähernd gleich günstigen Angeboten sind gemäss § 16 Abs. 2 SubmV folgende Kriterien zu berücksichtigen:

• Wohnsitz oder Geschäftsniederlassung im Kanton;

• Abwechslung unter den Bewerbern;

• Beschäftigung von einheimischen Arbeitskräften und Verwendung einheimischer Baustoffe und Erzeugnisse;

• umweltschonende Ausführung der Arbeit oder der Lieferung.

b) Unbestritten ist, dass die drei erstrangierten Angebote annähernd gleich günstig im Sinne von § 16 Abs. 2 SubmV und der dazu entwickelten Rechtsprechung sind (RRB Nr. 93 vom 20.1.1991, VGE 586/86 v. 30.10.86, Erw. 3a; Peter Galli, Die Submission der öffentlichen Hand im Bauwesen, 1993). Von der vergebenden Behörde werden auch die qualitativen Voraussetzungen der Beschwerdeführerin nicht in Frage gestellt (...). Es gelangen deshalb die sekundären Vergebungskriterien gemäss
§ 16 Abs. 2 SubmV zur Anwendung.

c) Der Regierungsrat begründet den Vergabeentscheid im RRB Nr. 658 vom 22. April 1997 wie folgt:

• Das Kriterium der Abwechslung unter den Bewerbern kommt nicht zur Anwendung, da bisher keine Aufträge aufgrund der Submissionsverordnung vergeben wurden.

• Die Kriterien gemäss § 16 Abs. 2 lit. a) und c) SubmV (Wohnsitz oder Geschäftsniederlassung im Kanton Schwyz; Beschäftigung von einheimischen Arbeitskräften und Verwendung einheimischer Baustoffe und Erzeugnisse) kommen nicht zur Anwendung, da zwei Bewerber ihren Wohnsitz nicht im Kanton haben.

• Aus dem Kriterium der umweltschonenden Ausführung der Arbeit lassen sich ebenfalls keine Vorteile zugunsten eines Bewerbers ableiten.

• Die bei der Vergabe berücksichtigte Beschwerdegegnerin ist dem Tiefbauamt vertraut. Sie hat Erfahrung mit (...). Die Bedingungen des Pflichtenheftes sind erfüllt. Die fachliche Qualität überzeugt, die Kapazität ist nachgewiesen, und die Termineinhaltung ist garantiert.

d) Die Beschwerdeführerin rügt, dass die Vergabe an die Beschwerdegegnerin einzig «aus dem Grund des ‹Heimatschutzes› erfolgt» sei. Auch sie hätte grosse Erfahrung (...). Die ihr bisher übertragenen Arbeiten habe sie jeweils einwandfrei und termingerecht durchgeführt. Auch unter dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes bestünden keine Nachteile. Es sei vorgesehen, während der Zeit der (...)arbeiten eine Wohnung zu mieten. Im Bewerbungsschreiben habe man ausdrücklich eine persönliche Besprechung gewünscht. Dieses Angebot habe die Vorinstanz aber nicht angenommen.

e) Nicht zu beanstanden ist die vorinstanzliche Begründung, aus dem Kriterium der umweltschonenden Ausführung der Arbeit (§ 16 Abs. 2 lit. d SubmV) liessen sich keine Vorteile zugunsten eines Bewerbers ableiten. Dieses Kriterium darf nicht dazu dienen, einheimische Arbeiter zu bevorzugen (EGV-SZ 1995, S. 146).

f) Missverständlich ist hingegen die Argumentation, nach § 16 Abs. 3 SubmV kämen die Buchstaben a und c von § 16 Abs. 2 (Wohnsitz oder Geschäftsniederlassung im Kanton; Beschäftigung einheimischer Arbeitskräfte) nicht zur Anwendung, da zwei Bewerber ihren Wohnsitz nicht im Kanton hätten. Der Grund, weshalb sie gestützt auf Abs. 3 von § 16 SubmV lit. a und c des Absatzes 2 nicht anwendbar sind, ist nicht der fehlende Wohnsitz im Kanton Schwyz, sondern das Vorhandensein von entsprechenden Gegenrechtsvereinbarungen. Im vorliegenden Fall liegt eine Gegenrechtsvereinbarung mit dem Kanton Aargau (ABl 1994, S. 1511), nicht aber mit dem Kanton Graubünden vor. Gegenüber der im Kanton Aargau ansässigen Beschwerdeführerin können mithin die Sekundärkriterien § 16 Abs. 2 lit. a und c SubmV zunächst allein schon wegen der Gegenrechtsvereinbarung mit dem Kanton Aargau nicht zum Nachteil gereichen.

Aber auch das seit 1. Juli 1996 gültige Bundesgesetz über den Binnenmarkt (BGBM, AS 1996, S. 1738) verbietet eine Schlechterstellung auswärtiger Submittenten. Dieses Gesetz gewährleistet, dass Personen mit Niederlassung oder Sitz in der Schweiz für die Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit auf dem gesamten Gebiet der Schweiz freien und gleichberechtigten Zugang zum Markt haben (Art. 1 Abs. 1 BGBM). Jede Person hat das Recht, Waren, Dienstleistungen und Arbeitsleistungen auf dem gesamten Gebiet der Schweiz anzubieten, soweit die Ausübung der betreffenden Erwerbstätigkeit im Kanton oder in der Gemeinde ihrer Niederlassung oder ihres Sitzes zulässig ist (Art. 2 Abs. 1 BGBM). Für ortsfremde Anbieterinnen und Anbieter darf der freie Zugang zum Markt nur dann nach Massgabe der Vorschriften des Bestimmungsortes eingeschränkt werden, wenn diese Beschränkungen gleichermassen auch für ortsansässsige Personen gelten, zur Wahrung überwiegender öffentlicher Interessen unerlässlich und verhältnismässig sind (Art. 3 Abs. 1 BGBM). Vorliegend ist offenkundig keine Markteinschränkung begründet. Zu erwähnen bleibt in diesem Zusammenhang, dass die den Kantonen und Gemeinden sowie anderen Trägern öffentlicher Aufgaben eingeräumte Übergangsfrist zwecks Anpassung der Vorschriften nur die organisatorischen Vorkehren betrifft; die materiellen Regeln sind direkt anwendbar (Art. 11 Abs. 1 BGBM; Cottier/Wagner, Das neue Bundesgesetz über den Binnenmarkt [BGBM], Übersicht und kurzer Kommentar, in AJP 1995, S. 1590; Gadola, Rechtsschutz und andere Formen der Überwachung der Vorschriften über das öffentliche Beschaffungswesen, in AJP 1996, S. 977; RRB Nr. 1625 vom 24. September 1996).

g) Die Anwendung des verbleibenden Sekundärkriteriums der Abwechslung wird von der Vorinstanz mit fraglicher Argumentation abgelehnt. Der Umstand, dass bisher keine Aufträge aufgrund der Submissionsverordnung vergeben wurden, steht der Anwendung dieses Sekundärkriteriums grundsätzlich nicht im Wege. Insbesondere wenn fälschlicherweise oder aufgrund einer bisher zu largen Praxis das Submissionsrecht nicht angewandt wurde, besteht keine sachliche Rechtfertigung, die für das Gemeinwesen bis anhin ausgeführten Aufträge überhaupt nicht in die Gewichtung miteinzubeziehen. Andernfalls würde der allenfalls rechtswidrig bevorzugte Bewerber nachträglich nochmals bevorteilt. Grundsätzlich gleich vorzugehen ist auch, soweit gestützt auf das Submissionsrecht kein Wettbewerb durchgeführt werden musste (§ 4 SubmV). Ob die Beschwerdegegner in der Vergangenheit aufgrund einer rechtswidrigen oder zu largen Rechtsanwendung oder in rechtlich zulässiger Weise ohne Submission in den Genuss von (kantonalen) Arbeitsvergaben gelangten, ergibt sich aus den vorliegenden Akten nicht, ist jedoch bei der vorzunehmenden Gewichtung der Sekundärkriterien von Relevanz. (...). Zu berücksichtigen ist im übrigen, dass grundsätzlich nur die vom Kanton zu leistenden Arbeitsentschädigungen relevant sind. Sollte sich beim neuerlichen Abwägen der Sekundärkriterien eine Patt-Situation einstellen, kann die Vorinstanz nach ihrem Ermessen entscheiden. In teilweiser Gutheissung der Beschwerde ist deshalb der angefochtene Regierungsratsbeschluss aufzuheben, und die Akten sind zur ergänzenden Sachverhaltsabklärung und Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

(VGE 1019/97 vom 13. Juni 1997).

 

13

Strassenverkehrsrecht

– Führerausweisentzug nach Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG; Abänderung der vorinstanzlichen Entzugsskala bei Geschwindigkeitsüberschreitungen innerorts.
– Entzugsdauer; Reduktionsgrund der beruflichen Angewiesenheit auf den Führerausweis.

Aus dem Sachverhalt:

Der Fahrzeuglenker X. geriet mit seinem Personenwagen in eine Radarkontrolle der Polizei. Es wurde bei einer zulässigen Innerortshöchstgeschwindigkeit von 50 km/h eine Geschwindigkeit von 83 km/h gemessen, so dass X. nach Abzug der technisch bedingten Sicherheitsmarge von 5 km/h die bei günstigen Bedingungen zulässige Höchstgeschwindigkeit in einem rechtlich relevanten Masse von 28 km/h überschritten hatte. Bei der Geschwindigkeitsüberschreitung regnete es, die Fahrbahn war nass. Die Vorinstanz entzog X. in Anwendung von Art. 16 Abs. 3 lit. a und 17 SVG den Führerausweis für die Dauer von 2 Monaten. Das Verwaltungsgericht wies eine dagegen erhobene Beschwerde ab.

Aus den Erwägungen:

4. Der Beschwerdeführer führt aus, den Vorwurf der schweren Verkehrsgefährdung müsse er zurückweisen. Er irrt. Die Gefahrenlage innerorts unterscheidet sich wesentlich von der auf der Autobahn. Die Zahl der vom Lenker zu verarbeitenden Reize ist innerorts grösser als ausserorts und auf der Autobahn, was eine gesteigerte Aufmerksamkeit erfordert. Zudem sind innerorts viele schwache Verkehrsteilnehmer vorhanden (Fussgänger, Velofahrer), die – vor allem Kinder und ältere Menschen – einem besonderen Risiko ausgesetzt sind. Darüber hinaus besteht eine erhöhte Gefahr von Seitenkollisionen. Welch schwerwiegende Folgen Geschwindigkeitsexzesse innerorts, wo Fahrzeug-Fussgänger-Kollisionen häufig sind, haben können, zeigen physikalische Berechnungen. Fährt ein Auto mit einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von 80 km/h statt mit einer solchen von 50 km/h, hat es dort, wo es bei einer Vollbremsung mit 50 km/h stillstehen würde, immer noch eine solche von 74.3 km/h. Bei einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von 78 km/h liegt dieser Wert bei rund 71 km/h. Ab einer Kollisionsgeschwindigkeit von 20 km/h (Fussgänger/Auto) sind beim Fussgänger Becken- und Beinbrüche, ab einer solchen von 45 km/h tödliche Verletzungen sehr wahrscheinlich (BGE 123 II 40/41 mit Hinweis auf einen Bericht von Prof. Dr. F. Walz). In Anbetracht dieser hohen Gefahrenlage hat das Bundesgericht entschieden, dass bei Geschwindigkeitsexzessen innerorts eine grobe Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG bzw. eine schwere Verkehrsgefährdung im Sinne von Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG immer anzunehmen ist, wenn der Lenker die Innerortshöchstgeschwindigkeit um 25 km/h oder mehr überschritten hat (BGE 123 II 40/41; 123 II 113). Demzufolge hat die Vorinstanz die angefochtene Verfügung zu Recht auf Art. 16 Abs. 3 Bst. a SVG abgestützt.

5. a) Die Dauer des Entzugs ist nach den gesamten Umständen festzusetzen, wobei die gesetzliche Mindestentzugsdauer von einem Monat nicht unterschritten werden darf (Art. 17 Abs. 1 lit. a SVG). Diese gesetzliche Regelung wird in Art. 33 Abs. 2 der Verordnung über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr (VZV, SR 741.51) noch dahingehend konkretisiert, dass sich die Dauer des Warnungsentzugs vor allem nach der Schwere des Verschuldens, dem Leumund als Motorfahrzeugführer sowie nach der beruflichen Notwendigkeit, ein Motorfahrzeug zu führen, richtet. Diese in Art. 33 Abs. 2 VZV aufgeführten Umstände sind nicht abschliessend (vgl. auch Richtlinien der Interkant. Kommission für den Strassenverkehr über die Administrativmassnahmen im Strassenverkehr, Ausgabe 1993, Ziff. 3.3.4.2).

b) Die Rechtsprechung und die Verwaltungspraxis gehen beim Vorliegen eines obligatorischen Entzugsgrundes gemäss Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG von einer Entzugsdauer von drei Monaten aus. Je nach den weiteren Umständen ist die Entzugsdauer, ausgehend von diesen drei Monaten, allenfalls zu erhöhen oder zu senken (VGE 531/95 E. 6; 549/84 E. 3; 551/83 E. 5; 642/82 E. 5 u.a.; AGVE 1981, S. 468 E. 2b; Richtlinien über Administrativmassnahmen des Verkehrsamtes Schwyz vom Oktober 1996, Ziff. 1.3).

Das Bundesgericht hat mit Urteil vom 7. Februar 1997 betont, auch für den Fahrzeugführer, der im Sinne von Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG den Verkehr in schwerer Weise gefährde, betrage die Mindestentzugsdauer des Führerausweises einen Monat. Eine kantonale Praxis, nach der in solchen Fällen der Führerausweis in der Regel für mindestens drei Monate zu entziehen sei, verstosse gegen Bundesrecht (BGE 123 II 63). Im konkreten Fall beurteilte das Bundesgericht die angeordnete Entzugsdauer von 3 Monaten allerdings als im Rahmen des kantonalen Ermessens.

Bei Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit innerorts um 25 bis 34 km/h sehen die vorinstanzlichen Richtlinien (Ausgabe März 1997) eine Normalentzugsdauer von drei Monaten vor, während bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 20 bis 24 km/h eine blosse Verwarnung als Ausgangspunkt verfügt wird und lediglich bei erschwerenden Umständen (z.B. Signalisation der Höchstgeschwindigkeit von 30 oder 40 km/h, schlechte Strassen- Sicht- oder Verkehrsverhältnisse usw.) wird gemäss diesen Richtlinien auch bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von weniger als 25 km/h statt einer Verwarnung ein Entzug angeordnet. Wie das Verwaltungsgericht in bezug auf diese Richtlinien bei Normalentzugsdauer bei Geschwindigkeitsüberschreitungen auf Autobahnen bereits entschieden hat (VGE 839/97 vom 22. August 1997 i.S. W.), erscheint diese Praxis im Lichte der vorzitierten Bundesgerichtspraxis als problematisch. Zwar hält das Verwaltungsgericht nach wie vor dafür, dass die minimale Entzugsdauer bei Fällen, die unter Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG fallen, angesichts der Verschuldens- und Gefährdungshöhe, die zu dieser Subsumtion führen, in der Regel unangemessen zu tief ist. Dies muss schon deshalb gelten, weil auch im mittelschweren Fall (Art. 16 Abs. 1 Satz 1 SVG) in aller Regel ein Entzug von mindestens einem Monat auszusprechen ist (BGE 123 II 109 und 111). Wer aber durch grobe Verletzung einer wichtigen Verkehrsvorschrift sich rücksichtslos oder sonstwie schwerwiegend regelwidrig verhält, soll auf der Massnahmeebene nicht gleich sanktioniert werden wie derjenige, dessen SVG-Widrigkeit zwar als erheblich verkehrsgefährdend, nicht aber als schwer (namentlich was die subjektive Seite anbetrifft), zu werten ist (VGE 839/97 v. 22.8.97, E. 2d). Nachdem das Bundesgericht bei fixen Geschwindigkeitsüberschreitungen (vgl. Erwägung 2b vorstehend) eine Subsumtion unter Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG vorschreibt, führt die Anwendung der Regelentzugsdauer von 3 Monaten bei Entzügen nach Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG dazu, dass die Entzugsdauer bei Geschwindigkeitsüberschreitungen nicht kontinuierlich, sondern sprunghaft ansteigt. So führt hier, wollte man den Richtlinien folgen, der Sprung von einer blossen Verwarnung bei einer Überschreitung um 24 km/h direkt zu einem Entzug von 3 Monaten bei einer Überschreitung um 25 km/h. Dieser Sprung lässt sich unter dem Aspekt der Verhältnismässigkeit und Rechtsgleichheit nicht begründen. Das Verwaltungsgericht erachtet vielmehr folgende Skala bei Innerortsgeschwindigkeitsüberschreitungen (Signalisationen von generell 50 km/h oder 60 km/h) als Ausgangsbasis für angemessen:

– 20–24 km/h 1 Monat Entzug nach Art. 16 Abs. 2 SVG (analog bei der Überschreitung von 31 bis 34 km/h auf Autobahnen)

– 25–29 km/h 2 Monate Entzug gestützt auf Art. 16 Abs. 3 Bst. a SVG

– 30–34 km/h 3 Monate Entzug

– 35–40 km/h 4 Monate Entzug

– 41–45 km/h 5 Monate Entzug (usw.)

c) Erschwerend fällt vorliegend in Betracht, dass der Geschwindigkeitsexzess bei schlechten Verhältnissen (Regen, nasse Strasse) und zu einer Tageszeit (07.56 Uhr) begangen wurde, zu der mit Fussgängern und Velofahrern in besonderem Masse zu rechnen ist.

d) Als Massnahmemilderungsgründe weist der Beschwerdeführer auf seinen unbescholtenen automobilistischen Leumund und seine Massnahmenempfindlichkeit hin. Der Beschwerdeführer ist seit dem (...) 1985 im Besitze des Führerausweises. Er ist in der ADMAS-Registratur nicht verzeichnet, weshalb von einem unbescholtenen automobilistischen Leumund auszugehen ist.

Hinsichtlich der beruflichen Angewiesenheit auf den Führerausweis ergibt sich aus den Akten, dass der Beschwerdeführer als ...verkäufer (...) arbeitet. Gemäss Bestätigung der Arbeitgeberin arbeitete er im Bereich Verkauf, Beratung und Support, wobei er einen Grossteil der Arbeitszeit im Aussendienst eingesetzt sei. Ohne Führerausweis könne er seine Funktion nicht vollumfänglich ausüben (...).

Das Verwaltungsgericht hat beim Reduktionsgrund der «beruflichen Angewiesenheit» in konstanter Praxis differenziert zwischen absoluter beruflicher Angewiesenheit auf den Führerausweis (z.B. Taxifahrer, Berufschauffeure, gewisse Kategorien von Monteuren), die ohne Ausweis den bisherigen Beruf schlechterdings nicht ausüben können und relativer beruflicher Angewiesenheit auf den Führerausweis. Relative berufliche Angewiesenheit liegt vor, wenn die Berufsausübung ohne Führerausweis erheblich erschwert wird, indem beispielsweise die Arbeitsleistung (Effizienz) deutlich sinkt. Beispiele hiefür sind etwa Aussendienstmitarbeiter, Handwerker, Ingenieure, Architekten, Bauführer usw. Bei absoluter beruflicher Angewiesenheit auf den Führerausweis ist eine grössere, bei relativer beruflicher Angewiesenheit eine geringere Reduktion bei der Entzugsdauer vorzunehmen (VGE 655/96 vom 18.7.96 i.S. S.; 617/96 v. 22.11.96, E. 3d; 659/96 v. 24.3.1997, E. 2e und andere, vgl. auch vorinstanzliche Richtlinien, Ziff. 6.2).

Das Bundesgericht hat unlängst bestätigt, dass die berufliche Angewiesenheit nicht bloss bei Berufschauffeuren anzuerkennen ist, sondern, dass die Übergänge fliessend sind und es weitere Betroffene gibt, bei denen berufsbedingt eine erhöhte Massnahmeempfindlichkeit besteht (NZZ v. 27.2.1997, BGE 6A 103/1996 v. 24.1.1997). Auch vorliegend ist – wie auch die Arbeitgeberin sinngemäss vermerkt – nicht eine absolute, sondern lediglich eine relative Angewiesenheit auf den Führerausweis gegeben. Der Beschwerdeführer kann auch ohne Führerausweis, wenn auch erschwert, seiner Arbeit nachgehen.

In Berücksichtigung all dieser Umstände erscheint hier eine Entzugsdauer von 2 Monaten als angemessen. Ausgehend von zwei Monaten rechtfertigt sich einerseits eine Erhöhung auf drei Monate infolge der erschwerenden Umstände, während anderseits die relative berufliche Angewiesenheit auf den Führerausweis und der automobilistische Leumund eine Reduktion um 1/3 gestatten, weshalb die verfügte Entzugsdauer von zwei Monaten zu bestätigen ist.

(VGE 859/97 vom 26. September 1997).

 

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Kausalabgaben

– Kehrichtgebühren; intertemporale Regelung bei Anwendung des als verfassungswidrig erkannten Rechts.

Aus den Erwägungen:

4. a) Vom Beschwerdeführer nicht gerügt wird der Umstand, wonach das kommunale Reglement die betragsmässige Festsetzung der Kehrichtgebühren für die einzelnen Benützerkategorien (Wohnungen, Gewerbe usw.) an die Gemeindeexekutive delegiert. Im Entscheid VGE 421/96 vom 24. Febr. 1997 bemängelte das Verwaltungsgericht im Zusammenhang mit Abwassergebühren sinngemäss, dass eine Blankodelegation an die Gemeindeexekutive, welche dem Gemeinderat freie Hand zur Festlegung des Gebührenansatzes belasse namentlich hinsichtlich der Frage, in welchem Ausmass die einzelnen Benützerkategorien zur Finanzierung herangezogen werden sollen, der Rechtsprechung des Bundesgerichtes widerspreche (vgl. zit.VGE 421/96 vom 24. Febr. 1997, Erw. 2d mit Hinweisen, insbesondere auf BGE 120 Ia, S. 267f., Erw. 2b). Als Ergebnis dieses Entscheides VGE 421/96 vom 24. Febr. 1997 wurde der betreffende Gemeinderat angewiesen, sein Kanalisationsreglement hinsichtlich der Bemessung der entsprechenden Abgaben umgehend anzupassen (so dass der betragsmässige Ansatz für die Gebührenbemessung sowie eine allfällige Anpassungsklausel, wie sie beispielsweise in Art. 22 Abs. 8 des Kanalisationsreglementes der Gemeinde Schwyz enthalten ist, inskünftig im kommunalen Erlass enthalten ist).

b) Wird nach dem Gesagten im Abgaberecht, welches den Kanalisationsbereich betrifft, nach Massgabe der dargelegten Praxisänderung eine Delegationsnorm an die Gemeindeexekutive zur Festlegung der betragsmässigen Gebührenhöhe für einzelne Benützerkategorien nicht mehr toleriert, haben konsequenterweise die gleichen Anforderungen auch zu gelten, wenn es anstelle von Kanalisationsgebühren um Kehrichtgebühren geht.

In aller Regel besteht die Rechtsfolge einer akzessorischen Normenkontrolle darin, dass der als normwidrig erkannten Bestimmung die Anwendung im konkreten Fall versagt wird. Lehre und Rechtsprechung anerkennen indessen, dass die mit der Kompetenz zur akzessorischen Normenkontrolle verbundene Pflicht, als verfassungswidrig erkanntes Recht im Einzelfall nicht anzuwenden, bei Vorliegen besonderer Gründe Ausnahmen in dem Sinn erleiden kann, dass mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit dem Beschwerdeführer nicht unmittelbar geholfen, jedoch der Gesetzgeber zur Schaffung einer verfassungskonformen Lösung angehalten werden soll (vgl. ZBl 2/1997, S. 92, mit Hinweisen, u.a. auf BGE 112 Ia, S. 311ff.; Walter Kälin, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. A., S. 403; Peter Hänni, Grenzen richterlicher Möglichkeiten bei der Durchsetzung von Gleichheitsansprüchen gemäss Art. 4 BV, ZSR 1988, I, S. 593ff.).

Die dargelegte Rechtsprechung zu den Rechtsfolgen einer gerichtlich festgestellten Normwidrigkeit bezieht sich ausschliesslich auf jene akzessorische Normenkontrolle, die in einem Anfechtungsverfahren, das heisst im Anschluss an eine ergangene Verfügung, ausgeübt wird. Zu dieser Rechtsprechung gehört denn auch der Grundsatz, dass die festgestellte Normwidrigkeit keinen Grund bildet, im Zeitpunkt des betreffenden Entscheids bereits in Rechtskraft erwachsene Verfügungen in Revision zu ziehen; ein solcher Entscheid kann sich nur auf Rechtsverhältnisse auswirken, die im Zeitpunkt der Entscheideröffnung noch nicht durch eine rechtskräftige Verfügung (z.B. Veranlagungsverfügung) festgelegt worden sind. Um bei periodischen Massenverfügungen eine zeitlich klare Abgrenzung für die Anwendung des als verfassungswidrig erkannten Rechts zu schaffen, rechtfertigt sich allenfalls eine – vom Gericht unmittelbar angeordnete oder dem Gesetzgeber überlassene – intertemporale Regelung. In diesem Sinn hat beispielsweise das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich im Interesse der rechtsgleichen Behandlung aller Abgabepflichtigen und praktikablen Abwicklung es als zulässig gewürdigt, dass eine bestimmte Ersatzabgabe (Feuerwehrersatzabgabe) generell erstmals im Abgabejahr 1990 nicht mehr erhoben wurde, obwohl das diese Rechtsänderung auslösende Urteil eine Ersatzabgabe für das Jahr 1989 betraf (vgl. ZBl 2/1997, S. 93f.).

c) Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob in Anlehnung an die dargelegte Rechtsprechung hier, wo es um die Erhebung von Abgaben mit mangelhafter gesetzlicher Grundlage hinsichtlich der Abgabenhöhe geht, ebenfalls eine intertemporale Regelung gerechtfertigt ist. Dies ist aus den folgenden Gründen zu bejahen. Die Kausalabgabe ist Abgeltung für eine dem Abgabepflichtigen erbrachte staatliche Leistung oder Abgeltung für einen dem Abgabepflichtigen eingeräumten Vorteil seitens des Staates. Die Beziehung zwischen Abgabepflichtigem und Staat besteht in einem Austauschverhältnis. Leistung und Gegenleistung sind einander spezifisch zurechenbar (vgl. Widmer, Das Legalitätsprinzip im Abgaberecht, Zürich 1988, S. 40; Vallender, Grundzüge des Kausalabgabenrechts, S. 32ff.). Die Kehrichtgebühr stellt eine sogenannte Benützungsgebühr dar. Sie ist nicht nur Entgelt für eine dem Bürger zukommende Sonderleistung des Gemeinwesens (d.h. die ordnungsgemässe Kehrichtbeseitigung), sondern steht ebenso für die Möglichkeit, diese öffentliche Einrichtung jederzeit bzw. im Rahmen des kommunalen Entsorgungskonzeptes (mit bestimmten Sammeltouren, Sammelstellen für bestimmte Stoffe wie Glas, Metall usw.) benützen zu können (vgl. Rhinow/Krähenmann, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband 1990, Nr. 110, S. 340 unten mit Hinweisen auf PVG 1979, Nr. 20 und ZBl 1979, S. 303f.). Wollte man der Auffassung folgen, dass die betreffenden kommunalen Kehrichtgebühren mit mangelhafter gesetzlicher Grundlage hinsichtlich der Gebührenhöhe per sofort, ohne intertemporale Regelung, keine Anwendung mehr finden dürfen, resultierte der unbefriedigende Zustand, dass das Gemeinwesen zwar weiterhin und ununterbrochen eine ordnungsgemässe Kehrichtbeseitigung anbieten müsste, indessen die damit korrespondierende Gegenleistung ausfallen würde (bis die entsprechende Reglementsbestimmung angepasst wäre). Eine solche Lösung, bei welcher für die Benützung einer wichtigen öffentlichen Einrichtung aufgrund einer Praxisänderung, welche hinsichtlich der Gebührenhöhe eine Blankodelegation an die Gemeindeexekutive nicht mehr zulässt, mindestens vorübergehend keine Gegenleistung erhoben werden könnte, wäre im Ergebnis unbillig. Zusammenfassend ist dem kommunalen Gesetzgeber Gelegenheit zu geben, für die inskünftigen Kehrichtgebühren (und mithin pro futuro) eine hinreichende, die strengere Rechtsprechung berücksichtigende gesetzliche Grundlage zu schaffen. Nachdem das erste Trimester des Jahres 1997 praktisch abgelaufen ist und die Änderung des kommunalen Kehrichtreglementes eine gewisse Zeit beansprucht, erachtet das Gericht eine intertemporale Regelung, welche die Gegenleistung für die im öffentlichen Interesse stehende Kehrichtbeseitigung bis und mit 1997 nach Massgabe der bisherigen Reglementsbestimmung bemisst, als gerechtfertigt. In diesem Sinne wird die Gemeinde (...) ihr Kehrichtreglement umgehend (bis 1998) so anzupassen haben, dass der betragsmässige Gebührenansatz für die einzelnen Benützerkategorien grundsätzlich im kommunalen Erlass enthalten ist (wobei für allfällige Veränderungen eine Anpassungsklausel zulässig und wohl auch sinnvoll ist, welche es der Exekutive unter gewissen Voraussetzungen erlaubt, den Gebührenansatz mit entsprechender Publikation im Amtsblatt anzupassen, vgl. als Beispiel Art. 22 Abs. 8 des Kanalisationsreglementes der Gemeinde Schwyz). Die Frage, ob im Rahmen dieser vom Gemeinderat in die Wege zu leitenden Teilrevision des Kehrichtreglementes auch eine verursachergerechtere Bemessung der Kehrichtgebühren eingeführt werden soll, ist – wie bereits vorne erwähnt – vom kommunalen oder allenfalls kantonalen Gesetzgeber zu entscheiden. (...).

(VGE 426/96 vom 28. April 1997).

 

15

Kausalabgaben

– Kanalisationsanschlussgebühren: bisherige, ungenügende gesetzliche Grundlage kann in casu nicht als intertemporale Regelung herangezogen werden (Unterschied zu VGE 426/96 vom 28. April 1997, siehe EGV-SZ 1997, Nr. 14).

Aus den Erwägungen:

1. (In casu keine genügende gesetzliche Grundlage im Gemeindereglement für Erhebung und Bemessung von Anschlussgebühren.)

2. Bei dieser Rechtslage stellt sich die Frage, welche Rechtsfolge aus der Erkenntnis, dass im zu beurteilenden Fall eine rechtswidrige Norm angewendet wurde, zu ziehen ist. In aller Regel besteht die Rechtsfolge einer akzessorischen Normenkontrolle darin, dass der als normwidrig erkannten Bestimmung die Anwendung im konkreten Fall versagt wird. Das Verwaltungsgericht hat indessen mit Hinweis auf einen Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich (ZBl 1996, S. 88ff.) in VGE 426/96 vom 28. April 1997 festgehalten, dass sich bei periodischen Massenverfügungen allenfalls eine – vom Gericht unmittelbar angeordnete oder dem Gesetzgeber überlassene – intertemporale Regelung rechtfertige, um eine zeitlich klare Abgrenzung für die Anwendung des als verfassungswidrig erkannten Rechts zu schaffen. Im konkreten Fall wurde entschieden, dass die geltende Ordnung im Sinne einer Übergangsregelung angewendet werden könne, innerhalb einer bestimmten Frist (...) die gesetzliche Grundlage aber so anzupassen sei, dass der betragsmässige Gebührenansatz im kommunalen Erlass enthalten sei. (...).

Im vorliegenden Fall geht es – anders als im zitierten Entscheid – nicht um den Erlass einer periodischen Massenverfügung, sondern um die Anschlussgebühr, welche jährlich nur von einer sehr begrenzten Anzahl von Pflichtigen entrichtet werden muss; es geht auch nicht um eine betragsmässig geringe Benützungsgebühr, sondern um eine für den Pflichtigen erheblich ins Gewicht fallende Anschlussgebühr in Höhe von mehreren zehntausend Franken. Der mit der verfügten Gebühr bewilligte Anschluss an die Kanalisation bezieht sich auf Bauten, welche noch nicht errichtet und kaum vor 1998 bezugsbereit sein werden. Unter Berücksichtigung dieser Tatsachen ist es vorliegend nicht gerechtfertigt, die bezüglich der Gebührenhöhe normwidrige kommunale Gebührenordnung im Sinne einer Übergangsregelung zur Anwendung zu bringen. Andererseits kann die festgestellte Normwidrigkeit – auch nach Auffassung des Beschwerdeführers – nicht zu einer Befreiung von der Pflicht zur Leistung einer Anschlussgebühr führen. Es rechtfertigt sich deshalb im Sinne des Eventualantrages Ziff. 3 des Beschwerdeführers und des Eventualantrages Ziff. 2 der Vorinstanz, die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Sache an den Gemeinderat zurückzuweisen, damit dieser nach Anpassung des Kanalisationsreglements im Sinne der oben dargelegten Rechtsprechung die Anschlussgebühr neu verfügen kann. Der Beschwerdeführer hat bereits eine Anzahlung in Höhe von Fr. (...). bezahlt. Da eine Anschlussgebühr unzweifelhaft geschuldet ist und der geleistete Betrag in Berücksichtigung des Bauvolumens nicht als offensichtlich missbräuchlich hoch bezeichnet werden kann, kann die Vorinstanz diesen Betrag vorerst als Anzahlung behalten.

(...).

(VGE 705/97 vom 27. Juni 1997).

 

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Kausalabgaben

– Militärpflichtersatz: Befreiung von der Ersatzpflicht wegen erheblicher körperlicher Behinderung.
– Nichtanwendung einer Verordnungsbestimmung, welche dem Gesetz widerspricht.

Aus dem Sachverhalt:

X. erlitt bei Forstarbeiten einen Unfall (Amputation des rechten Unterschenkels). Er ist für die Fortbewegung dauernd auf eine Prothese angewiesen. Er ist erwerbstätig und bezieht weder eine SUVA- noch eine IV-Rente. Mit Veranlagungsverfügung vom 15. April 1996 wurde er verpflichtet, für das Ersatzjahr 1995 einen Militärpflichtersatz von Fr. (...) zu bezahlen. Eine dagegen erhobene Einsprache wurde von der kantonalen Militärpflichtersatzverwaltung abgewiesen. Die von X. erhobene Beschwerde (mit dem Begehren um vollständige Befreiung vom Militärpflichtersatz ab 1995) wurde vom Verwaltungsgericht mit Entscheid vom 27. September 1996 gutgeheissen. Eine von der Eidgenössischen Steuerverwaltung erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde wurde vom Schweizerischen Bundesgericht mit Urteil vom 27. Februar 1998 abgewiesen.

Aus den Erwägungen (des Verwaltungsgerichtsentscheides 336/96):

2. Nach Art. 4 Abs. 1 MPEG in der seit dem 1. Jan. 1995 geltenden Fassung ist von der Ersatzpflicht befreit, wer im Ersatzjahr u.a.

• wegen erheblicher körperlicher oder geistiger Behinderung ein taxpflichtiges Einkommen erzielt, das nach nochmaligem Abzug von Versicherungsleistungen gemäss Art. 12 Abs. 1 Bst. c sowie von behinderungsbedingten Lebenshaltungskosten sein betreibungsrechtliches Existenzminimum um nicht mehr als 100 Prozent übersteigt (Bst. a);

• wegen einer erheblichen Behinderung als dienstuntauglich gilt sowie eine Rente oder eine Hilflosenentschädigung der Eidg. Invalidenversicherung oder der Unfallversicherung bezieht (Bst. abis);

• wegen einer erheblichen Behinderung als dienstuntauglich gilt und keine Hilflosenentschädigung bezieht, aber dennoch eine der zwei mindestens erforderlichen Voraussetzungen für eine Hilflosenentschädigung erfüllt (Bst. ater).

Nach Art. 1 Abs. 1 der Verordnung über den Militärpflichtersatz vom 30. Aug. 1995 (MPEV, SR 661.1, publ. in AS 1995, IV, S. 4324ff.) gilt eine Behinderung als erheblich im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Bst. a des Gesetzes, wenn sie den für die Ausrichtung einer Rente der Eidg.Invalidenversicherung massgebenden Mindestgrad an Invalidität aufweist. Für die Ersatzbefreiung nach Art. 4 Abs. 1 Bst. abis des Gesetzes beim Bezug von Renten oder Hilflosenentschädigungen der obligatorischen Unfallversicherung ist der gleiche Mindestgrad an Invalidität oder Hilflosigkeit vorausgesetzt, wie er bei der Eidg. Invalidenversicherung für die Ausrichtung einer Rente oder Hilflosenentschädigung massgebend ist (vgl. Art. 1 Abs. 2 MPEV). Die Abklärung der Ersatzbefreiung bei Dienstuntauglichen nach Art. 4 Abs. 1 Bst. ater des Gesetzes erfolgt nach den Verwaltungsweisungen der Eidg. Invalidenversicherung für die Ausrichtung von Hilflosenentschädigungen durch die kant. IV-Stellen.

3. a) Im konkreten Fall ist unbestritten, dass die invaliditätsbedingte Erwerbseinbusse des Beschwerdeführers rund 18% beträgt (...). Erreicht somit der Beschwerdeführer die in der Invalidenversicherung massgebende Schwelle eines Invaliditätsgrades von mindestens 40% nicht, gilt nach Massgabe von Art. 1 Abs. 1 MPEV die Behinderung nicht als erheblich. (= Standpunkt der Eidg. Steuerverwaltung/Vorinstanz)

b) In der Beschwerdeschrift wird dagegen geltend gemacht, die Verordnungsbestimmung von Art. 1 Abs. 1 MPEV sei gesetzeswidrig. Personen mit einem IV-Grad von 40% hätten auf jeden Fall Anspruch auf IV-Rentenleistungen. Sie seien deshalb unabhängig von ihren Einkommensverhältnissen allein aufgrund der Tatsache ihres Rentenbezuges bereits aufgrund von Art. 4 Abs. 1 Bst. abis MPEG von der Ersatzpflicht befreit. Wenn aber Personen mit einem IV-Grad von 40% ohnehin von der Ersatzpflicht befreit seien, gäbe die Bestimmung von Art. 4 Abs. 1 Bst. a MPEG gar keinen Sinn mehr, wenn darunter wirklich nur Personen mit einem IV-Grad von mindestens 40% fallen würden. Schon rein von der gesetzlichen Logik her müssten mit der Bestimmung von Art. 4 Abs. 1 Bst. a MPEG auch Personen erfasst werden, die einen IV-Grad von weniger als 40% aufweisen (vgl. Beschwerdeschrift, S. 2, Ziff. 3a).

Die bundesrätliche Interpretation des Begriffs der «erheblichen Behinderung» widerspreche schliesslich der gesetzgeberischen Absicht, im Zusammenhang mit der Revision vom 17.6.1994 die Befreiungstatbestände für behinderte Menschen deutlich auszuweiten (vgl. Beschwerdeschrift, S. 2, Ziff. 3b).

c) Nach Art. 4 Abs. 1 Bst. a MPEG in der bisherigen Fassung war von der Ersatzpflicht befreit, wer im Ersatzjahr wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen unfähig war, den für sich und seine Familie notwendigen Lebensunterhalt zu erwerben, und kein hinreichendes Vermögen besass (vgl. Peter Walti, Der schweiz. Militärpflichtersatz, S. 86). Nach altem Recht wurde ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Gebrechen und der (für den Lebensaufwand) unzureichenden Einkommenssituation vorausgesetzt. Mit anderen Worten wurde der Pflichtige nach altem Recht deshalb befreit, weil er wegen der Behinderung nur ein unzureichendes Einkommen erzielen konnte, welches (nach Abzug von gebrechlichkeitsbedingten Versicherungsleistungen und von zusätzlichen Lebenshaltungskosten infolge der Behinderung) den Betrag des betreibungsrechtlichen Existenzminimums nicht um mehr als 50% überstieg (vgl. Peter Walti, a.a.O., S. 86 i.V.m. BBl 1993, II, Nr. 25, S. 733).

Eine Standesinitiative des Kantons Jura vom 19. Sept. 1990 verlangte die Abschaffung des Militärpflichtersatzes für körperlich und geistig behinderte Personen. In der Botschaft zur Revision des BG über den Militärpflichtersatz vom 12. Mai 1993 wurde u.a. ausgeführt:

«Die geltende Ordnung stellt zu Recht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Behinderten als Massstab für die Ersatzbefreiung in den Mittelpunkt. Mit diesem Vorgehen wird nicht zuletzt erreicht, dass auch Behinderte, die nicht in den Genuss einer Invalidenrente kommen (z.B. nach bezahlter Umschulung), befreit werden können. Dies wäre aber nicht mehr der Fall, wenn man auf die Invalidenrente abstellen würde. Man würde dem Anliegen auch nicht Rechnung tragen, wenn man die Ersatzbefreiung einzig vom Kriterium ‹Bezug einer Rente oder Hilflosenentschädigung der Invalidenversicherung oder einer Unfallversicherung› abhängig machen würde. Zum einen käme dies gegenüber heute einem Rückschritt gleich, zum andern würde es wohl kaum verstanden, dass ein Bezüger einer Teilrente mit zusätzlichen überdurchschnittlichen Erwerbseinkünften gleich behandelt würde wie derjenige Behinderte, der nur über Renteneinkünfte verfügt und bereits heute zu Recht von der Ersatzpflicht befreit wird.

(...) Nicht zu einer Besserstellung führt ferner auch der Vorschlag der Behindertenorganisationen, einerseits für die Ersatzbefreiung auf die Ausrichtung einer Invalidenrente oder Hilflosenentschädigung abzustellen und anderseits eine Liste derjenigen Gebrechen zu erstellen, welche trotz fehlender Rente oder Hilflosenentschädigung für den Militärpflichtersatz als erhebliche Behinderung gelten. Wie bereits erwähnt, bildet die Gewährung einer Rente keinen gangbaren Weg (...).

Hingegen schlagen wir vor, dem Anliegen durch eine noch grosszügigere Berechnung entgegenzukommen. Wird die Befreiung heute gewährt, wenn die Einkünfte (nach Abzug von gebrechlichkeitsbedingten Versicherungsleistungen und von zusätzlichen Lebenshaltungskosten infolge der Behinderung) den Betrag des betreibungsrechtlichen Existenzminimums nicht um mehr als 50 Prozent übersteigen, so soll diese Limite auf 100 Prozent angehoben werden. (...)

Im weitern schlagen wir zusätzlich vor, dass für diejenigen Behinderten, die trotz der heraufgesetzten Limite ersatzpflichtig bleiben, die Ersatzabgabe um die Hälfte herabgesetzt wird.»

(...)

(vgl. BBl 1993, II, Nr. 25, S. 731ff., v.a. S. 732/733)

Der dieser Botschaft angefügte Gesetzesentwurf wies in Art. 4 Abs. 1 Bst. a folgende Regelung auf:

«Von der Ersatzpflicht ist befreit, wer im Ersatzjahr:

a) wegen schwerer körperlicher oder geistiger Behinderung ein taxpflichtiges Einkommen (Art. 11 und 12) erzielt, das nach zusätzlichem Abzug von Versicherungsleistungen nach Art. 12 Abs. 1 Bst. c sowie von behinderungsbedingten Lebenshaltungskosten sein betreibungsrechtliches Existenzminimum nicht um mehr als 100 Prozent übersteigt;»

(vgl. BBl 1993, S. 747)

d) Am 7. Okt. 1993 beriet der Ständerat die Botschaft und den Gesetzesentwurf vom 12. Mai 1993. Berichterstatter der vorberatenden Kommission war Ständerat (SR) Loretan, welcher in der Eintretensdebatte u.a. ausführte, dass Art. 4, welcher die Befreiungsgründe umschreibe, eine der zentralen Bestimmungen im geltenden wie im teilrevidierten Gesetz darstelle (vgl. Amtliches Bulletin der BV, Ständerat 1993, 7. Okt. 1993, S. 776, linke Spalte oben). Bei der Detailberatung von Art. 4 führte SR Loretan u.a. aus:

« Gestützt auf die bereits erwähnten und erstaunlicherweise einhellig überwiesenen Vorstösse – Standesinitiative Jura sowie Vorstösse verschiedener Mitglieder der Räte – beantragt nunmehr der Bundesrat wesentliche Erleichterungen: die Ausdehnung der Befreiung vom Militärpflichtersatz in quantitativer Hinsicht zugunsten von körperlich oder geistig behinderten Personen. (...). In nicht wortgetreuer Befolgung dieser Vorstösse ist der Bundesrat der Ansicht, dass die Ersatzabgabe nach wie vor zu entrichten habe, wer sich in guten wirtschaftlichen Verhältnissen befindet. Der Bundesrat geht dabei von der geltenden Ordnung aus und stützt sich in seinem Revisionsvorschlag, wie im geltenden Recht, nach wie vor auf das Kriterium der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Behinderten als Massstab für die Befreiung von der Ersatzabgabe.

Das vom Bundesrat vorgeschlagene und von den Kantonen im Vernehmlassungsverfahren weitgehend unterstützte quantitative Entgegenkommen besteht im wesentlichen in einer grosszügigeren Berechnungsformel. (...)

Im übrigen wird in Artikel 4 Abs. 1 Buchstabe a eine textliche Verbesserung, eine bessere Verständlichkeit erzielt. Die neue Formulierung – gemäss Bundesrat «wegen schwerer körperlicher oder geistiger Behinderung», gemäss Kommission ‹wegen erheblicher körperlicher oder geistiger Behinderung› – stellt keine materielle Änderung gegenüber dem heute geltenden Text und damit keine Praxisänderung in der Beurteilung der Behinderung dar.

Die Kommissionsmehrheit will nun einen Schritt weiter gehen als der Bundesrat, indem sie neu in Absatz 1 Buchstabe a1 den Befreiungsgrund der erheblichen Behinderung einführt, welche zur Dienstuntauglichkeit führt und gleichzeitig eine Rente oder eine Hilflosenentschädigung der IV oder der Unfallversicherung nach sich zieht. Dies ist eine qualitative Verbesserung. Es wird ein neues Kriterium für die Befreiung von der Ersatzpflicht eingeführt, das über die blosse quantitative Ermässigung hinausgeht. Das ist ein klarer Kurswechsel, wie er von den Behindertenverbänden gefordert wird, weil nunmehr für die Gruppe von Behinderten, die eine Rente beziehen, das Kriterium der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entfällt. Die Befreiung erfolgt allein aus Gründen der Gerechtigkeit, ohne dass sozialpolitische oder materielle Kriterien in Betracht gezogen werden. (...)»

(vgl. Amtliches Bulletin, SR, a.a.O., S. 777f.)

Ein weiteres Modell wurde im Rahmen der Detailberatung von SR Plattner präsentiert, welcher den Kreis der Ersatzpflichtbefreiten noch ausdehnen wollte, indem Personen, die wegen einer erheblichen Behinderung als dienstuntauglich erklärt werden, indessen aber keine Rente irgendwelcher Art erhalten (z.B. Gehörlose), gestützt auf eine Auflistung von Gebrechen unabhängig von ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen von der Ersatzpflicht befreit werden sollen. Dabei stellte sich SR Plattner vor:

«dass die Aufnahme in die Liste durch den Bundesrat ab einer unteren Grenze zu erfolgen hätte, also z.B. ab 30prozentigen Integritätsschäden nach dieser Skala (...)»

(vgl. Amtliches Bulletin, SR, a.a.O., S. 780, linke Spalte unten)

Zur Debatte standen somit der Standpunkt der Kommissionsminderheit, die den bundesrätlichen Vorschlag unterstützte, der Vorschlag der Kommissionsmehrheit, welche eine Erweiterung der Ersatzbefreiung (losgelöst von der wirtschaftlichen Situation des Rentenbezügers) beabsichtigte, sowie der noch weitergehende (Befreiungs)Vorschlag von SR Plattner («Ersatzbefreiung von Behinderten ohne Rente gemäss Gebrechensliste»). Bei den Abstimmungen obsiegte der Vorschlag der Kommissionsmehrheit. Dieser Beschluss des Ständerates und der bundesrätliche Standpunkt wurde in der Debatte des Nationalrates vom 3. März 1994 wie folgt zusammengefasst:

« (...) Damit geht der Bundesrat weiterhin von ökonomischen Kriterien für die Befreiung von der Ersatzabgabe aus. Er erfüllt die Anliegen der Standesinitiative Jura und der Behinderten nicht. Verlangt wird dort nämlich ein Systemwechsel. Die Behinderung an sich soll Grund für die Befreiung von der Ersatzabgabe sein, nicht etwa die prekäre ökonomische Situation.

Der Ständerat hat nun durch Hinzufügung von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a1 diesen Systemwechsel vorgenommen. Gemäss Ständerat sollen die Behinderten grundsätzlich von der Ersatzabgabe befreit sein, wenn sie eine Rente bzw. eine Hilflosenentschädigung der IV oder der Unfallversicherung erhalten, und zwar soll diese Befreiung unabhängig von der ökonomischen Situation erfolgen.»

(vgl. Amtliches Bulletin, Nationalrat, 1994, S. 130, linke Spalte oben: Nationalrat Heinz Allenspach, als Sprecher der FDP-Fraktion)

Die Mehrheit der vorberatenden Kommission des Nationalrates beantragte hinsichtlich Art. 4 Abs. 1 Buchstabe a1 Zustimmung zur Fassung des Ständerates (vgl. Amtliches Bulletin, a.a.O., S. 128, rechte Spalte oben). Die Kommissionsminderheit schlug folgende Ausdehnung der Ersatzbefreiung vor:

«a 2. als dienstuntauglich gilt wegen einer erheblichen Behinderung, welche nicht zu einem Rentenanspruch führt. Der Bundesrat erstellt eine Liste derjenigen Gebrechen, welche eine solche Behinderung verursachen;»

(vgl. Amtl. Bulletin, a.a.O., S. 131, linke Spalte unten)

Nationalrätin Christine Goll, Sprecherin der Kommissionsminderheit, begründete diese Erweiterung u.a. wie folgt:

« (...) Eine Behinderung ist nicht nur dann ‹erheblich›, wenn sie zu finanziellen Einschränkungen führt! Diese einseitige Betrachtungsweise wollen wir dadurch erweitern, dass wir die Behinderung als Kriterium für die Befreiung ansehen. Wir schlagen Ihnen deshalb in Artikel 4 Abs. 1 Buchstabe a2 vor, das auch von der Ersatzpflicht zu befreien ist, wenn die ‹erhebliche Behinderung› zu keinem Rentenanspruch führt. (...)»

(vgl. Amtl. Bulletin, a.a.O,. S. 131, rechte Spalte unten)

Nationalrat Marc Suter beantragte hingegen, folgende Ausdehnung der Ersatzbefreiung vorzunehmen:

«a 2. wegen einer erheblichen Behinderung als dienstuntauglich gilt und keine Hilflosenentschädigung bezieht, aber dennoch eine der zwei mindestens erforderlichen Voraussetzungen für eine Hilflosenentschädigung erfüllt.»

(vgl. Amtl. Bulletin, a.a.O., S. 131, linke Spalte unten)

Er begründete seinen Vorschlag u.a. folgendermassen:

«Für uns Behinderte geht es hier um eine Frage der Gerechtigkeit, und zwar für alle, die wegen einer erheblichen Behinderung keinen Militärdienst leisten können. Es ist ja so, dass das Militär uns nicht will (...).

Für uns Behinderte ist die Anknüpfung die Behinderung selber, nicht das Kriterium der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. (...)

Während der Bundesrat die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als Gerechtigkeitskriterium in den Vordergrund schiebt, hat nun der Ständerat eine andere Gewichtung vorgenommen. Er hat sich an der Behinderung selber orientiert. Das ist richtig, und wir begrüssen dies. Wenn Sie den Text lesen, dann sehen Sie, dass all jene, die einerseits eine IV-Rente oder andererseits eine Hilflosenentschädigung erhalten, direkt befreit sind, ohne Weiterungen, ohne Steuererklärung, ohne Abklärungen. Mein Antrag will einzig dieses Prinzip ergänzen.

Frau Goll hat es bereits gesagt: Die Minderheit will dies auch. Es geht um eine Abrundung dieses – wenn man will – Systemwechsels, der vom Ständerat beschlossen worden ist. Die Stossrichtung ist dieselbe, der Weg, den ich vorschlage, ist etwas anders als derjenige der Minderheit, aber im Endeffekt, wenn es um die Betroffenen geht, unterscheiden wir uns nicht stark. (...)

Die Hilflosen sind nun wirklich diejenigen, die absolut schwerstbehindert sind. Meine Lösung bedeutet keinen Systemwechsel; es ist nur eine Abrundung, eine notwendige Erweiterung, die all jenen gerecht werden soll, die wegen einer schweren Behinderung keinen Militärdienst leisten können, aber auch wegen der strengen Anforderung bei der Hilflosenentschädigung keine Hilflosenentschädigung beziehen, weil sie nicht in zwei dieser Lebensbereiche völlig hilflos sind, sondern nur in einem.

Die Vorteile dieser Lösung gegenüber einer Liste sehe ich im folgenden: Wir haben eine klare Abgrenzung, gestützt auf einen Rechtsbegriff, der im Invalidenversicherungsgesetz und im Unfallversicherungsgesetz identisch verankert ist, der in den Ausführungsverordnungen umschrieben wird (...), und der (...) durch das Eidgenössische Versicherungsgericht in all seinen Verästelungen, in all seiner Vielgestaltigkeit – um das geht es nämlich bei der Behinderung; es gibt sehr viele qualitative und quantitative Unterschiede –, definiert wurde.»

(...)

(vgl. Amtl. Bulletin, a.a.O., S. 132)

In den anschliessenden Abstimmungen übernahm der Nationalrat die ständerätliche Fassung von Art. 4 Abs. 1 Buchstabe a1. Den Antrag der Minderheit («Liste der Gebrechen») lehnte er ab, dem Antrag von NR Suter stimmte er hingegen zu.

Zu dieser Differenz nahm der Ständerat in seiner Sitzung vom 30. Mai 1994 wie folgt Stellung:

«Der Nationalrat hat als Zweitrat in der Frühjahrssession 1994 den ‹Genfer Beschlüssen› des Ständerates vom 7. Oktober 1993 weitgehend zugestimmt und damit auch dem in Artikel 4 von unserem Rat beschlossenen sogenannten Quantensprung, der besagt: Für die Gruppe der Behinderten, die eine Rente oder eine Hilflosenentschädigung beziehen, entfällt neuerdings das Kriterium der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.(...)

Der Nationalrat hat in Artikel 4 die erste Differenz geschaffen, indem er in Absatz 1 – Stichwort ‹Befreiung von der Ersatzpflicht› –, ausgehend vom seinerzeitigen abgelehnten Antrag Plattner, der eine zusätzliche Gebrechensliste für weitere Befreiungen forderte, für einen neuen Buchstaben a2 votiert hat. Er kam zu einer neuen Formulierung, welche auf die Erstellung einer Gebrechensliste verzichtet.

Die nationalrätliche Version sieht nunmehr die Befreiung für Personen mit erheblicher Behinderung, jedoch ohne Anrecht auf eine Hilflosenentschädigung vor, die aber dennoch eine der zwei mindestens erforderlichen Voraussetzungen für eine Hilflosenentschädigung erfüllen. Diese Ausdehnung oder ‹Abrundung›, wie es der Antragsteller, Nationalrat Suter, nannte, fügt sich ins Konzept des Ständerates ein.

Dieses Konzept, welches von demjenigen der bundesrätlichen Botschaft sowohl in quantitativer als vor allem auch in qualitativer Hinsicht abweicht, befreit denjenigen vom Militärpflichtersatz, der wegen einer erheblichen Behinderung als dienstuntauglich gilt und eine Rente oder eine Hilflosenentschädigung der Eidgenössischen Invalidenversicherung oder der Unfallversicherung bezieht.

Das sagt Buchstabe a1 in Artikel 4 Abs. 1. Neu kommt nun nach der Fassung des Nationalrates die Befreiung ohne das Vorliegen der Voraussetzung der Hilflosenentschädigung hinzu, sofern eben ein einzelnes Kriterium für die Hilflosigkeit gemäss Invalidenversicherungsgesetz erfüllt ist. (...)»

(vgl. Amtl. Bulletin, SR, vom 30. Mai 1994, S. 386: SR Willy Loretan, welcher als Berichterstatter der vorberatenden Kommission die Zustimmung zum Beschluss des Nationalrates beantragte.)

In der Folge stimmte der Ständerat ohne weitere Diskussion dem entsprechenden Beschluss des Nationalrates zu.

e) Eine Auswertung dieser parlamentarischen Beratungen führt zu folgenden Schlussfolgerungen. Der Gesetzgeber hat mit der vorliegenden Teilrevision eindeutig eine Erweiterung der Ersatzbefreiung von behinderten Personen vorgenommen, indem das vom Bundesrat favorisierte Kriterium «ausschliessliches Abstellen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (von behinderten Personen)» ergänzt wurde. Diese Ergänzung betrifft zwei Kategorien von behinderten Personen, welche direkt (ohne Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit) vom Militärpflichtersatz befreit werden. Dieser Verzicht auf die Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit behinderter Personen, welche diesen beiden Kategorien angehören, wurde in den Gesetzesmaterialien mehrfach als Systemwechsel bezeichnet. Mit diesem Systemwechsel wollte der Gesetzgeber zusammenfassend,

• dass dienstuntaugliche Behinderte, welche eine Rente oder eine Hilflosenentschädigung der Eidg. Invalidenversicherung oder der Unfallversicherung beziehen, generell (zum vornherein, ungeachtet der wirtschaftlichen Situation) von der Ersatzpflicht befreit sind (Bst. abis);

• dass zusätzlich dienstuntaugliche Behinderte, welche zwar keine Hilflosenentschädigung beziehen, aber dennoch eine der zwei mindestens erforderlichen Voraussetzungen für eine Hilflosenentschädigung erfüllen, ebenfalls generell (ungeachtet der wirtschaftlichen Situation) von der Ersatzpflicht befreit sind (Bst. ater);

• und dass schliesslich dienstuntaugliche Behinderte (auch wenn sie weder eine Rente oder Hilflosenentschädigung der IV/UV beziehen, noch eine Voraussetzung für eine Hilflosenentschädigung erfüllen) dann von der Ersatzpflicht befreit werden, wenn deren wirtschaftliche Verhältnisse die in Art. 4 Abs. 1 Bst. a MPEG geregelte Schwelle nicht übersteigen («Ersatzbefreiung infolge beschränkter wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit»).

Aufgrund dieser ratio legis geht es nicht an, in Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (MPEV) die Anwendung des zuletzt erwähnten Befreiungsgrundes («Ersatzbefreiung infolge beschränkter wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Bst. a MPEG») auf den dienstuntauglichen Behinderten zu beschränken, der «den für die Ausrichtung einer Rente der Eidgenössischen Invalidenversicherung massgebenden Mindestgrad an Invalidität aufweist». Denn ein solcher Behinderter (welcher einen Mindestinvaliditätsgrad von 40% aufweist), hat immer auch Anspruch auf eine IV-Rente, weshalb er ohnehin nach Art. 4 Abs. 1 Bst. abis MPEG von der Ersatzpflicht befreit ist. Die vom Bundesrat in der Art. 1 Abs. 1 der Verordnung gemachte Anknüpfung an eine Mindestinvalidität von 40% findet keine Stütze im Gesetz. Aber auch in den dargelegten Gesetzmaterialien wurde nirgends auf eine solche Verknüpfung hingewiesen, dergestalt, dass nur dann auf das Kriterium der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abzustellen sei, wenn eine Mindestinvalidität von 40% vorliege. Im Gegenteil führte der Bundesrat in der Botschaft vom 12. Mai 1993 noch u.a. aus:

«Die geltende Ordnung stellt zu Recht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Behinderten als Massstab für die Ersatzbefreiung in den Mittelpunkt. Mit diesem Vorgehen wird nicht zuletzt erreicht, dass auch Behinderte, die nicht in den Genuss einer Invalidenrente kommen (z.B. nach bezahlter Umschulung), befreit werden können. (...)»

(vgl. BBl 1993, Bd. II, S. 732 unten)

Der Bundesrat wollte mit seinem Revisionsvorschlag an diesem Kriterium («ausschliessliches Abstellen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit») festhalten und lediglich eine grosszügigere Berechnung vorsehen. In der parlamentarischen Debatte ging es – wie oben ausgeführt – eindeutig nicht darum, dieses Kriterium restriktiver zu fassen, sondern darum, welche zusätzlichen Ersatzbefreiungsgründe hinzukommen sollten.

Wenn aber die früher geltende Regelung nicht auf eine Mindestinvalidität, sondern auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit abstellte (bzw. darauf, dass der Pflichtige aufgrund der Behinderung nur ein für seinen Lebensaufwand unzureichendes Einkommen erzielen konnte), und es in der Teilrevision (betreffend Ersatzbefreiung für Behinderte) einzig um eine Besserstellung der Behinderten (und nie um eine Verschärfung) ging, dann erweist sich eine Verordnungsbestimmung, welche neu den Befreiungsgrund der beschränkten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit deutlich enger (als die bisherige Regelung) fasst und ihn nur noch dann zur Anwendung zulassen will, wenn (neu) eine Mindestinvalidität von 40% vorliegt, als klar gesetzeswidrig.

Aus diesen Gründen ist im Einklang mit dem Beschwerdeführer festzuhalten, dass die Bestimmung von Art. 4 Abs. 1 Bst. a MPEG keinen Sinn mehr gäbe, wenn darunter wirklich nur noch Personen mit einem Invaliditätsgrad von mindestens 40% fallen würden. (...).

Überdies läuft die Ausgestaltung von Art. 1 Abs. 1 MPEV bzw. die Argumentation der Eidg. Steuerverwaltung sinngemäss darauf hinaus, dass die bisher aus sozialpolitischen Gründen gewährte Ersatzbefreiung faktisch eliminiert wird, wie anhand des folgenden Beispiels erläutert wird:

Der Pflichtige A verdiente als Gesunder monatlich Fr. 4000.–; nach einem Unfall, welche eine Ausmusterung aus der Armee zur Folge hatte, kann er bei Verwertung der verbliebenen Erwerbsfähigkeit noch ein Einkommen von monatlich Fr. 3000.– erzielen; der Invaliditätsgrad beträgt somit 25%.

Der Pflichtige B verdiente als Gesunder monatlich Fr. 9000.–; nach einem Unfall wurde er ebenfalls aus der Armee ausgemustert; B kann trotz seiner Behinderung noch ein Einkommen von Fr. 5000.– erzielen; sein Invaliditätsgrad beträgt 44.4%, weshalb er Anspruch auf eine IV-Viertelsrente hat.

Nach der sinngemässen Argumentation der Eidg. Steuerverwaltung wäre B (mit einem Einkommen von Fr. 5000.– zuzüglich einer IV-Viertelsrente) vom Militärpflichtersatz befreit (weil B IV-Rentenbezüger ist und eine Mindestinvalidität von 40% aufweist), derweil A, welcher nurmehr ein Einkommen von Fr. 3000.– erzielen kann (als deutlich weniger als B) zum vornherein nicht vom Militärpflichtersatz befreit werden dürfte, weil A einen unter 40% liegenden IV-Grad aufweist (wobei nach Meinung der Eidg. Steuerverwaltung nicht geprüft werden dürfte, ob A die in Art. 4 Abs. 1 Bst. a MPEG enthaltene Schwelle erreicht). Eine solche unbefriedigende Lösung (B mit einem Einkommen von Fr. 5000.– und einer IV-Viertelsrente vom Militärpflichtersatz befreit - A mit einem Einkommen von Fr. 3000.– ohne IV-Rente vom Militärpflichtersatz nicht befreit) wurde vom Gesetzgeber offenkundig nicht beabsichtigt. Dies gilt erst recht, wenn berücksichtigt wird, dass nach altem Recht grundsätzlich nur A vom Militärpflichtersatz befreit worden wäre, da nur A – nicht aber B – unter den nach altem Recht zu ermittelten Schwellenwert gefallen wäre. Im übrigen wurde bereits betont, dass mit der Gesetzesänderung nicht das auf der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit basierende Kriterium aufgegeben oder eingeschränkt werden sollte, sondern vielmehr zum einen dieses Kriterium der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit grosszügiger berechnet werden sollte, und zum andern zusätzliche Befreiungsgründe hinzugefügt wurden.

f) Aus all diesen Gründen findet Art. 1 Abs. 1 MPEV hier keine Anwendung, weil diese Verordnungsbestimmung dem Gesetz bzw. dem dargelegten Willen des Gesetzgebers widerspricht. (...)

4. Der Beschwerdeführer beruft sich im konkreten Fall auf eine Ersatzbefreiung nach Art. 4 Abs. 1 Bst. a MPEG und darauf, dass gemäss den Integritätstabellen der Unfallversicherung (UVV, Anhang 3) beim Verlust eines Beines eine 40%ige Beeinträchtigung der Integrität vorliege. Zusammen mit einer 18%igen Invalidität im Erwerbsbereich führe dies zu einer Behinderung, die kaum noch als «unerheblich» bezeichnet werden könne (vgl. Beschwerdeschrift, S. 1f.). Diesen Ausführungen des Beschwerdeführers ist vollumfänglich beizupflichten, zumal aus den Akten keine Anhaltspunkte zu entnehmen sind, welche auf eine geringfügigere Behinderung schliessen lassen. Die Verordnungsbestimmung von Art. 1 Abs. 1 MPEV kommt nach dem Gesagten nicht zur Anwendung. Eine fallbezogene Berechnung des Grenzbetrages im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Bst. a MPEG wurde hingegen noch nicht durchgeführt. Von daher ist in Gutheissung der Beschwerde die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese prüfen kann, ob das Einkommen des Beschwerdeführers den betreffenden Grenzbetrag unterschreitet oder nicht.

VGE 336/96 vom 27. September 1996).

Das Schweizerische Bundesgericht hat mit Urteil 2A.521/1996 vom 27. Februar 1998 eine Beschwerde der Eidgenössischen Steuerverwaltung abgewiesen.

 

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Arbeitslosenversicherung

– Einstellung in der Anspruchsberechtigung bei Versäumnis eines Beratungsgesprächs.

Aus den Erwägungen:

1. a) Die Versicherte hat auf Weisung des zuständigen Arbeitsamtes u.a. an Besprechungen oder Orientierungsveranstaltungen teilzunehmen und die Unterlagen für die Beurteilung ihrer Vermittlungsfähigkeit oder der Zumutbarkeit einer Arbeit zu liefern (vgl. Art. 17 Abs. 3 lit. b und c des Bundesgesetzes über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und Insolvenzentschädigung, AVIG). Nach der Anmeldung müssen sich die Versicherten entsprechend den Anordnungen des Kantons mindestens zweimal pro Monat persönlich zu einem Beratungs- und Kontrollgespräch bei der zuständigen Amtsstelle melden. Dabei wird die Vermittlungsfähigkeit überprüft. Eines der Gespräche kann nur zur Erfassung der Kontrolldaten dienen (vgl. Art. 21 Abs. 1 der Verordnung über die obligatorische Arbeitslosenentschädigung und die Insolvenzentschädigung, AVIV). Die Termine für die Beratungs- und Kontrollgespräche werden für jeden Versicherten einzeln festgelegt. Sie werden während der üblichen Arbeitszeit geführt. Die Erfassung der Kontrolldaten erfolgt in den letzten zehn Tagen des Monats (vgl. Art. 21 Abs. 2 AVIV).

b) Die Versicherte ist in der Anspruchsberechtigung einzustellen, wenn sie u.a. die Kontrollvorschriften oder die Weisungen des Arbeitsamtes nicht befolgt, namentlich eine ihr zugewiesene zumutbare Arbeit nicht annimmt, oder einen Kurs, zu dessen Besuch sie angewiesen worden ist, ohne entschuldbaren Grund nicht antritt oder abbricht (vgl. Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG).

2. a) Im konkreten Fall ist unbestritten und aktenmässig erstellt,

• dass die Versicherte am 4. Febr. 1997 schriftlich aufgefordert wurde, am 17. März 1997 (14.30 Uhr) an einem Beratungsgespräch im RAV Lachen teilzunehmen,

• dass die Versicherte diesen Termin versäumt hat (bzw. sich vorgängig weder abgemeldet noch entschuldigt hat),

• dass sie nachträglich keine Hinderungsgründe (Krankheit, Unfall usw.) vorgebracht hat,

• und dass zusammenfassend die Voraussetzungen für eine Einstellung in der Anspruchsberechtigung erfüllt sind (weshalb die Versicherte denn auch lediglich eine Reduktion der Einstelltage beantragt).

b) Die Dauer der Einstellung bemisst sich nach dem Grad des Verschuldens (vgl. Art. 30 Abs. 3 Satz 3 AVIG). Die Einstellung dauert bei leichtem Verschulden 1–15 Tage, bei mittelschwerem Verschulden 16–30 Tage und bei schwerem Verschulden 31–60 Tage (Art. 45 Abs. 2 AVIV).

Die Vorinstanz ging von einem leichten Verschulden der Beschwerdeführerin aus und verfügte eine Einstellung für die Dauer von 10 Tagen. Diese Einstufung deckt sich mit folgender Weisung des BIGA:

«Am 1. Januar 1997 ist die zweite Etappe der Revision des AVIG in Kraft getreten. Somit fallen die Stempelkontrollen im bisherigen Sinne weg. Vielmehr werden neu i.d.R. nur noch je ein Beratungs- und Kontrollgespräch pro Monat durchgeführt. Demzufolge kann die bisherige Regelung bei unentschuldigtem Versäumnis einer Stempelkontrolle nicht mehr angewandt werden. Eine neue Regelung drängt sich auf:

Gemäss Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG ist ein Versicherter in der Anspruchsberechtigung einzustellen, wenn er die Kontrollvorschriften oder die Weisungen des Arbeitsamtes nicht befolgt. Diese Vorschrift impliziert nicht nur Beratungs-, sondern auch Kontrollgespräche (vgl. Art. 30a Abs. 1 AVIG). Unentschuldigtes Fernbleiben an einem Beratungs- oder Kontrollgespräch werten wir als leichtes Verschulden. Geht man von zwei Gesprächen pro Monat aus, erachten wir eine Einstellung von 10 Tagen (pro unentschuldigte Absenz) für angebracht.

Diese Lösung ist die einzige gangbare, einerseits, weil sie sich auf Gesetz und Verordnung abstützen lässt, andererseits, weil so eine einheitliche Einstelldauer bei Versäumnis ausgesprochen werden kann, unabhängig vom konkreten zeitlichen Abstand zwischen den einzelnen Gesprächen.»

(vgl. ALV-Praxis 97/1, Blatt 10, Fettdruck nicht im Original)

Das Gericht pflichtet diesen Ausführungen insofern bei, als es sich aus Gründen einer einheitlichen Praxis (koordinierte Einstelldauer bei Versäumnis eines Beratungsgesprächs) rechtfertigt, bei unentschuldigtem Fernbleiben an einem Beratungs- oder Kontrollgespräch grundsätzlich von einem leichten Verschulden bzw. von einer Einstellung von 10 Tagen pro unentschuldigte Absenz auszugehen. Allerdings ist dieser Ansatz von 10 Einstelltagen als Ausgangspunkt zu werten. Je nach den konkreten Verhältnissen des zu beurteilenden Falles ist es angebracht, diesen Ansatz von 10 Einstelltagen nach unten oder nach oben zu korrigieren. So wird beispielsweise im Wiederholungsfall ein höherer Ansatz unumgänglich sein. (...)

(VGE 381/97 vom 17. September 1997).

 

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Arbeitslosenversicherung

– Kurzarbeit: Die Frist für die Geltendmachung des Entschädigungsanspruches hat den Charakter einer Verwirkungsfrist, deren Nichtwahrung das Erlöschen des Anspruchs zur Folge hat.
– Ausführungen zur Fristwiederherstellung.

Aus den Erwägungen:

1. a) Der Arbeitgeber hat gemäss Art. 38 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung (AVIG, SR 837) den Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung seiner Arbeitnehmer innert dreier Monate nach Ablauf jeder Abrechnungsperiode gesamthaft für den Betrieb bei der von ihm bezeichneten Kasse geltend zu machen.

Die Frist für die Geltendmachung des Entschädigungsanspruches beginnt mit dem ersten Tag nach der Abrechnungsperiode (vgl. Art. 61 AVIV). Als Abrechnungsperiode gilt grundsätzlich ein Zeitraum von einem Monat (vgl. Art. 32 Abs. 5 Satzteil 1 i.V.m. Art. 53 Abs. 1 AVIV). Entschädigungen, die der Arbeitgeber nicht fristgerecht (Art. 38 Abs. 1 AVIG) geltend macht, werden ihm nicht vergütet (vgl. Art. 39 Abs. 3 AVIG).

b) Bei der erwähnten 3-Monats-Frist für die Geltendmachung des Anspruches (vgl. Art. 38 Abs. 1 AVIG) handelt es sich um eine gesetzliche Frist. Sie kann grundsätzlich weder von der Verwaltung noch von einem Richter erstreckt werden. Diese 3-Monats-Frist hat den Charakter einer Verwirkungsfrist, deren Nichtwahrung das Erlöschen des Anspruchs zur Folge hat (vgl. den unmissverständlichen Wortlaut von Art. 39 Abs. 3 AVIG; ARV 1993/94, Nr. 4, E. 1b, S. 30; BGE 114 V 123, E. 3a mit Hinweisen). Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber nach ungenutztem Ablauf dieser Frist das ihm grundsätzlich zustehende Recht auf Geltendmachung für die betreffende Abrechnungsperiode verliert, gleichgültig, ob eigentlich ein Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung entstanden ist oder nicht. Dieses Ergebnis («Verwirkungsfrist») wird auch durch die Gesetzesmaterialien untermauert (vgl. die Botschaft zum AVIG, BBl 1980, III, S. 600: «Der Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung ist vom Arbeitgeber innert dreier Monaten nach der betreffenden Abrechnungsperiode geltend zu machen, damit die Verhältnisse rechtzeitig überprüft werden und die Kassen selbst gegenüber dem Ausgleichsfonds abrechnen können. Verpasst er diese Frist, so hat er den Verlust selbst zu tragen» (Hervorhebung nicht im Original); vgl. auch VGE 83/91 v. 18.12.91, Prot. 722; 98/96 v. 2.10.96, E.1; 112/96 v. 13.11.96).

c) Als Verwirkungsfrist kann die Frist von Art. 38 Abs. 1 AVIG – vorbehältlich einer Wiederherstellung – weder gehemmt noch unterbrochen werden. Sie ist nur gewahrt, wenn die Kurzarbeitsentschädigung in der durch Art. 38 Abs. 3 AVIG vorgeschriebenen Form innert drei Monaten nach Ende einer Abrechnungsperiode geltend gemacht wurde (ARV 1993/94, Nr. 4, S. 31e 1b; ARV 1988, Nr. 17, S. 128, E. 3; BGE 114 V 124 E. 3b; 113 V 69 E. 1c).

d) Hinsichtlich der Regeln über die Wiederherstellung einer Frist sind im Bereich der Arbeitslosenversicherung Art. 35 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG, SR 173.110) und Art. 24 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021) analog anzuwenden (vgl. BGE 108 V 109; Rhinow/Krähenmann, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband 1990, Nr. 91, B.IV. b). Gemäss Art. 35 OG kann Wiederherstellung gegen die Folgen der Versäumnis einer Frist nur dann erteilt werden, wenn der Gesuchsteller oder sein Vertreter durch ein unverschuldetes Hindernis abgehalten worden ist, innert der Frist zu handeln, und binnen zehn Tagen nach Wegfall des Hindernisses unter Angabe desselben die Wiederherstellung verlangt und die versäumte Rechtshandlung nachholt (vgl. auch den ähnlichen Wortlaut von Art. 24 VwVG).

2. a) Der Anspruch für die Kurzarbeitsentschädigung für den Monat Januar 1996 hätte somit spätestens bis Ende April 1996, jener für den Monat Februar 1996 spätestens bis Ende Mai 1996 geltend gemacht werden müssen. Es ist erstellt und wird vom Beschwerdeführer auch ausdrücklich anerkannt, dass er den Anspruch für die beiden erwähnten Monate erst mit der Einreichung von Unterlagen gemäss Art. 38 Abs. 3 AVIG am 10. Juni 1996 geltend machte. Somit ist der Anspruch verwirkt, es sei denn, die versäumte Frist könne wiederhergestellt werden, was nachfolgend zu prüfen ist.

(...)

d) (...) Die Praxis des Bundesgerichts zur Fristwiederherstellung ist äusserst restriktiv (Geiser/Münch, Prozessieren vor Bundesgericht, Ziff. 1.71). Jedes Verschulden einer Partei oder ihres Vertreters schliesst die Wiederherstellung a priori aus, unabhängig, ob es sich dabei um ein grobes oder nur leichtes Verschulden handelt. Demnach ist die Wiederherstellung nur in Fällen klarer Schuldlosigkeit zu gewähren (A. Gadola, Das verwaltungsinterne Beschwerdeverfahren, S. 101; Pra 1988, Nr. 152, S. 541). Als objektive Wiederherstellungsgründe sind beispielsweise eine Naturkatastrophe, ein Unfall oder eine plötzliche schwere Krankheit, Militärdienst oder Katastropheneinsatz zu nennen, nicht aber Arbeitsüberlastung oder Ferienabwesenheit. Es können auch Hinderungsgründe subjektiver, psychischer Art eine Wiederherstellung rechtfertigen, so etwa ein die Fristversäumnis bewirkender Irrtum, in den der Betroffene, ohne selbst dafür verantwortlich zu sein, durch ein Verhalten der Behörde versetzt wurde (Gadola, a.a.O., S. 102 mit Hinweisen). Aber auch in diesen Fällen ist ein strenger Massstab anzuwenden. Wiederherstellung ist auch in solchen Fällen nur bei klarer Schuldlosigkeit des Beschwerdeführers und seiner Vertreterin zu gewähren (PR 1988, Nr. 152, S. 541). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Wenn der Beschwerdeführer bzw. seine Vertreterin – wie dies vorliegend der Fall war – infolge einer unzutreffenden Rechtsauffassung nicht fristgerecht den Anspruch geltend machte, trägt er das Risiko der Fehlinterpretation. Dies gilt um so mehr, als der Beschwerdeführer bzw. seine Vertreterin bei der Durchsicht der Formulare, Merkblätter und des Entscheids vom 17.1.1996 wiederholt auf den deutlichen Hinweis stossen mussten, dass sie innert längstens drei Monaten nach Beendigung jeder Abrechnungsperiode den Entschädigungsanspruch geltend machen mussten. Da eine falsche behördliche Auskunft unwahrscheinlich ist, jedenfalls aber nicht mit der im Sozialversicherungsrecht geltenden überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt ist, kann keine Fristwiederherstellung gewährt werden (AGVE 1989, Nr. 45). Die Beschwerde muss deshalb abgewiesen werden.

(VGE 235/96 vom 26. Februar 1997).

 

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Arbeitslosenversicherung

– Kurzarbeit: kein Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung, solange der von Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmer einer AG im Handelsregister als Verwaltungsratsmitglied dieser AG eingetragen ist.

Aus den Erwägungen:

2. a) Laut Art. 31 Abs. 1 AVIG haben Arbeitnehmer, deren normale Arbeitszeit verkürzt oder deren Arbeit ganz eingestellt ist, Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung, wenn sie bestimmte, in lit. a–d näher umschriebene Voraussetzungen erfüllen. Keinen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung haben gemäss Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG u.a. Personen, die in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter, als finanziell am Betrieb Beteiligte oder als Mitglieder eines obersten betrieblichen Entscheidungsgremiums die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmen oder massgeblich beeinflussen können sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten. Nach der Rechtsprechung (BGE 113 V 74) ist der Ausschluss der in Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG genannten Personen vom Entschädigungsanspruch absolut zu verstehen. Wie in BGE 120 V 523, Erw. 1 unter Bezugnahme auf Gerhards, Kommentar zum AVIG, Bd. I, N. 43 zu Art. 31, dargelegt wurde, steht hinter dieser Regelung der Gedanke der Verhütung von Missbräuchen (Selbstausstellung von für die Kurzarbeitsentschädigung notwendigen Bescheinigungen, Gefälligkeitsbescheinigungen, Unkontrollierbarkeit des tatsächlichen Arbeitsausfalls, Mitbestimmung oder Mitverantwortung bei der Einführung von Kurzarbeit u.ä., vor allem bei Arbeitnehmern mit Gesellschafts- oder sonstiger Kapitalbeteiligung in Leitungsfunktion des Betriebes). Nach der Rechtsprechung muss bei Arbeitnehmern, bei denen sich aufgrund ihrer Mitwirkung im Betrieb die Frage stellt, ob sie einem obersten betrieblichen Entscheidungsgremium angehören, und ob sie in dieser Eigenschaft massgeblich Einfluss auf die Unternehmensentscheidungen nehmen können, jeweils geprüft werden, welche Entscheidungsbefugnisse ihnen aufgrund der internen betrieblichen Struktur zukommen. Es ist nicht zulässig, Angestellte in leitenden Funktionen allein deswegen generell vom Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung auszuschliessen, weil sie für einen Betrieb zeichnungsberechtigt und im Handelsregister eingetragen sind (vgl. BGE 120 V, S. 525f., Erw. 3b). Amtet ein Arbeitnehmer dagegen als Verwaltungsrat, so ist eine massgebliche Entscheidungsbefugnis im Sinne von Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG ex lege gegeben. Denn es gehört nach dem Obligationenrecht (Art. 716–716b) begriffsnotwendigerweise zum Wesen eines Verwaltungsrates, dass er auf die Entscheidfindung der Aktiengesellschaft massgeblichen Einfluss hat, und sei es auch bloss in Form der Oberleitung oder der Oberaufsicht über die mit der Geschäftsführung betrauten Personen (Art. 716a Abs. 1 Ziff. 1 und 5 OR). Handelt es sich somit um einen mitarbeitenden Verwaltungsrat, so greift der persönliche Ausschlussgrund des Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG ohne weiteres Platz, und es bedarf diesfalls keiner weiteren Abklärungen im Sinne von BGE 120 V, S. 525f., Erw. 3b (vgl. BGE 122 V, S. 272f., Erw. 3 mit Hinweisen auf unveröffentlichte Urteile A. SA vom 13. Febr. 1995 und C. vom 28. Okt. 1994).

b) In einem Urteil vom 26. März 1997 i.Sa. B. (C 102/96) hat das Eidg. Versicherungsgericht (EVG) präzisiert, dass das oberste betriebliche Entscheidungsgremium im Sinne von Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG im häufig betroffenen Fall der AG nicht mit dem formell bestellten Verwaltungsrat (Art. 641 Ziff. 9 OR) gleichzusetzen ist. Würde Gegenteiliges gelten, hätte sich die Beurteilung in bezug auf die in BGE 120 V, S. 521 angesprochenen Vizedirektoren weit einfacher gestaltet und wäre insbesondere nicht jedesmal aufgrund der internen betrieblichen Struktur nach den konkreten Entscheidungsbefugnissen zu fragen (BGE 122 V, S. 272; 120 V, S. 526). Nur so lasse sich im übrigen erklären, dass das EVG die Zugehörigkeit zum fraglichen Gremium auch im Falle eines bloss kollektiv-zeichnungsberechtigten Generaldirektors bejahte, der nicht zugleich dem Verwaltungsrat angehört hatte (unveröffentlichtes Urteil C. vom 28. Okt. 1994, C 125/94). Demnach ergebe sich zunächst, dass mit der Zugehörigkeit zum Verwaltungsrat zwar ohne weiteres diejenige zum obersten betrieblichen Entscheidungsgremium einhergeht, letztere aber jene nicht zwingend voraussetzt. Diese Sichtweise der Rechtsprechung habe den Gesetzeswortlaut insofern für sich, als darin gerade nicht von Verwaltungsrat (Art. 707 OR) oder Verwaltung (Art. 894 OR) die Rede sei, sondern der funktionelle Begriff des obersten betrieblichen Entscheidungsgremiums verwendet werde (vgl. zit. EVGE C 102/96 vom 26. März 1997, Erw. 5b).

c) Im vorerwähnten Präjudiz führte das EVG weiter aus, bereits der Gesetzeswortlaut mache deutlich, dass Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG nicht abschliessend an der formellen Organstellung anknüpft, sondern – wie im Falle der finanziellen Beteiligung (vgl. Gerhards, Kommentar zum AVIG, Bd. 1, N. 40 zu Art. 31) – vor allem an der faktischen Möglichkeit zur Einflussnahme. Diese werde zwar bei einem Verwaltungsrat begriffsnotwendig vorausgesetzt (BGE 122 V 273 oben), bei leitenden Angestellten auf tieferen Ebenen der Organisation jedoch häufig durch entsprechende Umschreibung des Aufgaben- und Kompetenzbereichs eingeschränkt. Wo dabei im Einzelfall die Grenze zwischen dem obersten betrieblichen Entscheidungsgremium und den unteren Führungsebenen verläuft, lasse sich anhand formaler Kriterien alleine nicht beurteilen. Zusammenfassend hielt das EVG fest, dass das Mass der Entscheidungsbefugnis nicht abschliessend nach formalen Kriterien, sondern anhand der konkreten Gegebenheiten zu ermitteln ist. Demnach gelangt – wie in anderem Zusammenhang (vgl. BGE 122 III 227, Erw. 4b mit Hinweisen) auch im Rahmen von Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG ein materieller Organbegriff zum Tragen. Dies bedeutet, dass wegen ihres massgeblichen Einflusses auf die Unternehmensentscheidungen auch solche Angestellte vom Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung ausgeschlossen werden können, die formell nicht zeichnungsberechtigt sind und nicht im Handelsregister eingetragen sind. Nur unter Einbezug solcher Verhältnisse, wie sie namentlich in kleineren Betrieben mit wenig ausgeprägten Organisationsstrukturen anzutreffen sein dürften, besteht Gewähr dafür, dass der bewusst auf die Missbrauchsbekämpfung angelegte Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG seinen Zweck auch erfüllt (vgl. EVGE C 102/96 vom 26. März 1997, Erw. 5d).

3. a) Die beschwerdeführende AG beschäftigt zwei Arbeitnehmer (...). Die erstmals am 6. Febr. 1997 angemeldete Kurzarbeit für den Zeitraum ab 17. Febr. 1997 betrifft einzig den Angestellten (...), welcher seit der Gründung der AG im Jahre (...) als Präsident des Verwaltungsrates fungierte (...).

In der Beschwerde 377/97 beruft sich die AG darauf, dass der betroffene Angestellte (...) mit Schreiben vom 25. Nov. 1996 per 31. Dez. 1996 aus dem Verwaltungsrat zurückgetreten sei. (...)

b) Allerdings wurde der vorerwähnte Austritt aus dem Verwaltungsrat der AG erst am (...) 1997 dem Handelsregister gemeldet und am (...) 1997 im SHAB publiziert (...). War somit der Angestellte (...) bis zum (...) 1997 im Handelsregister als Verwaltungsratspräsident mit Einzelunterschrift eingetragen und formell weiterhin dem obersten Entscheidungsgremium angehörend, und bleibt im Normalfall die Löschung des Handelsregister-Eintrages für die Haftbarkeit gegenüber Dritten massgebend (vgl. Homburger, im Zürcher Kommentar zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch,
V. Band Obligationenrecht, Teilband V 5b, Rz. 250 zu Art. 711 OR), ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz hinsichtlich der am 6. Febr. 1997 sowie am 18. April 1997 von der Beschwerdeführerin eingereichten Voranmeldungen von Kurzarbeit den betreffenden Arbeitnehmer unter Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG subsumiert und diesbezüglich einen Anspruch auf Kurzarbeit verneint hat. Dafür spricht zudem die Rechtsprechung in ähnlichen Fällen. Im Entscheid VGE 361/97 vom 27. Aug. 1997 hat das Verwaltungsgericht in einem Fall, in welchem der Anspruch auf Insolvenzentschädigung umstritten war, auf den Einwand des Beschwerdeführers, wonach er die betreffende Firma vor Konkurseröffnung längst verlassen habe, auf den Handelsregistereintrag abgestellt mit der Begründung:

«Da die geltend gemachte Änderung in der Vertretungs- oder Zeichnungsberechtigung somit lediglich intern begrenzt wurde, konnte sie aufgrund des öffentlichen Glaubens des Handelsregisters gegenüber gutgläubigen Dritten keine Wirkung entfalten (vgl. Art. 718a Abs. 2 ZGB; P.Böckli, Schweiz. Aktienrecht, N 1582 mit Hinweisen).»

(vgl. VGE 361/97 vom 27. Aug. 1997, Erw. 2b)

Analog ist auch im konkreten Fall massgebend, dass der betreffende Arbeitnehmer, für welchen am 6. Febr. 1997 sowie am 18. April 1997 Kurzarbeit vorangemeldet wurde, damals bei diesen Voranmeldungen im Handelsregister noch als Verwaltungsratspräsident der AG eingetragen war. (...)

(VGE 377 + 405/97 vom 17. September 1997).