EGV-SZ 2000

[Entscheide Nr. 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40]

 

II. Zivil- und Strafgerichte

31

Zivilrecht

 Gemischte Schenkung oder Kaufvertrag mit Nebenabrede. Begrenzte Dauer obligatorischer Verpflichtungen. Kostenverteilung, wenn sich eine Partei in guten Treuen zur Prozessführung veranlasst sah.

Aus dem Sachverhalt:

A. - Am 7. Mai 1960 erwarb die Gemeinde X. die an der Luzernerstrasse in X. gelegene ‹Z.-Liegenschaft›, bestehend aus den Grundstücken Haus Hofstatt und Garten, Garten unter der Landstrasse, Seegarten genannt, eine Schiffshütte und ein Wohnhaus samt Umgelände beim Rölli-Bächlein. Die Verkäuferschaft bestand aus acht Miteigentümern. Als Kaufpreis war ein Betrag von Fr. 175000.– vereinbart worden, also rund ein Drittel unter dem geschätzten Verkehrswert von Fr. 270800.–. Die Grundstücke umfassten die Parzellen Nr. ... und ... mit einem gesamten Flächenausmass von 3949 m2. In Ziffer 8 des Kaufvertrages vereinbarten die Parteien was folgt:

Der Verkauf ist zweckgebunden nach Massgabe folgender Abmachungen zwischen den Parteien:
a)        die Käuferin verpflichtet sich, die Kaufliegenschaften innert 5 Jahren für die Errichtung eines Altersheimes der Gemeinde X. zu verwenden;
b)        alle Bezeichnungen, die an die Landammans Z. erinnern, sollen erhalten bleiben, besonders die Bezeichnung Z.-Heim oder -Haus und die Pflästerung beim Eingang der Liegenschaft (Z.-Wappen).

Am 12. November 1966 eröffnete die Gemeinde X. auf den Kaufliegenschaften das Altersheim Z. Für den notwendigen Umbau des Z.-Hauses waren Kosten von insgesamt Fr. 275000.– veranschlagt worden. Ab 1982 erwog die Gemeinde eine Umnutzung der Liegenschaft Z. in ein Personalhaus für Angestellte des Altersheims sowie die Benutzung eines Teils der Liegenschaft als Minigolfanlage. Eine Einigung mit der ehemaligen Verkäuferschaft über die zukünftige Nutzung der Liegenschaft Z. kam nicht zustande. 1986 wurde vom Verkehrsverein X., der von der Gemeinde X. ein Baurecht von 25 Jahren eingeräumt erhielt, eine Minigolfanlage errichtet. Spätestens ab 1988 wurde das Z.-Haus als Asylantenunterkunft genutzt. Mit diversen Zuschriften wehrte sich der Kläger 1 gegen die Umnutzung und machte geltend, es handle sich um eine vertrags- und auflagewidrige Zweckentfremdung. Es erfolgten langwierige Verhandlungen der Parteien hinsichtlich einer Abänderung der Vertragsbestimmung Ziff. 8, die erfolglos blieben.

B. - Mit Einreichung der Weisung am 17. Oktober 1994 machten die Kläger als damalige Verkäufer bzw. deren Rechtsnachfolger den vorliegenden Prozess beim Bezirksgericht rechtshängig. Sie beantragten in Ziffer 1 ihres Begehrens, dass die Beklagte zu verpflichten sei, die Auflage im besagten Kaufvertrag einzuhalten, soweit sie sich nicht mit der Klägerschaft über eine andere Nutzungsart vereinbare; für die Einhaltung der Auflage sei der Beklagten eine Frist von maximal sechs Monaten seit Rechtskraft des Urteils anzusetzen. In Ziffer 2 beantragten sie die Feststellung, dass die heutigen Nutzungen der Liegenschaft GB Nr. ..., so im Moment als Asylantenheim sowie als Minigolfanlage, nicht der Auflage im Kaufvertrag entspreche. Schliesslich stellten sie in Ziffer 3 ein Eventualbegehren auf Zahlung von Schadenersatz und Genugtuung für die Nichterfüllung der Auflage oder als Abgeltung der Auflage.

Die Beklagte trug auf Abweisung der Klage an, soweit darauf überhaupt einzutreten sei. An der Hauptverhandlung anerkannte die Beklagte die anfänglich bestrittene Aktivlegitimation einzelner Kläger. Bezüglich des klägerischen Schadenersatz- und Genugtuungsbegehrens erhob die Beklagte die Verjährungseinrede.

Aus den Erwägungen:

1. Beim vorliegenden Prozess geht es um die Frage, ob die Beklagte heute noch verpflichtet werden kann, die im Jahre 1960 erworbene Liegenschaft Z. für die Errichtung und den Betrieb eines Altersheimes der Gemeinde X. zu verwenden. Im damaligen Kaufvertrag wurde der Verkauf als ‹zweckgebunden› bezeichnet, und die Beklagte als Käuferin hatte sich ausdrücklich verpflichtet, «die Kaufliegenschaften innert 5 Jahren für die Errichtung eines Altersheimes der Gemeinde X. zu verwenden». Die Beklagte ist unbestrittenermassen nach einer Fristerstreckung durch die Verkäuferschaft ihrer diesbezüglichen Verpflichtung im Jahre 1966 nachgekommen und hat diese bis ca. Mitte der achtziger Jahre erfüllt. Danach stellte sie einen Teil des Umgeländes dem Verkehrsverein X. für die Erstellung und den Betrieb einer Minigolfanlage zur Verfügung und gewährte ihm ein Baurecht auf 25 Jahre. Das Hauptgebäude dient seit Ende der achtziger Jahre als Asylantenunterkunft.

Unstrittig ist, dass die Kläger – als damalige Miteigentümer der Kaufliegenschaften oder als deren Rechtsnachfolger – legitimiert sind, ihre behaupteten Rechte aus dem Kaufvertrag vom 7. Mai 1960 gegen die Beklagte klageweise geltend zu machen. Dazu gehört auch die Vertragsbestimmung gemäss Ziff. 8, da sich die Gemeinde X. als Käuferin der Grundstücke der Verkäuferschaft gegenüber zur Errichtung eines Altersheimes auf der Kaufliegenschaft verpflichtet hatte. Die Aktivlegitimation der Klägerschaft ist deshalb zu bejahen.

2. Das Bezirksgericht qualifizierte das damalige Veräusserungsgeschäft nicht als blossen Kaufvertrag, sondern als gemischte Schenkung, nachdem die Verkäufer der Gemeinde X. unbestrittenermassen einen Preisnachlass von rund einem Drittel des Verkehrswertes gewährt hatten. Für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens ist die Frage der Qualifikation des Rechtsgeschäftes jedoch nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Die Frage der zeitlichen Geltung der beklagtischen Verpflichtung stellt sich gleichermassen, ob nun das Geschäft dogmatisch als Schenkung mit Auflage oder als eigentlicher Kaufvertrag mit der Nebenverpflichtung, die Liegenschaft für die Errichtung (und den Betrieb) eines Altersheimes zu verwenden, angesehen wird. Allerdings sprechen nach Auffassung der Zivilkammer mehr Gründe dafür, das damalige Rechtsgeschäft nicht als gemischte Schenkung, sondern trotz des Preisnachlasses als Kaufvertrag zu qualifizieren. Zwar wurde der Kaufpreis bewusst unter dem wahren Wert des Kaufgegenstandes angesetzt, diese Preisdifferenz sollte der Käuferin aber nicht ‹unentgeltlich› zukommen, was Voraussetzung für die Annahme einer gemischten Schenkung wäre. Die Verpflichtung zur Errichtung des Altersheimes war sozusagen die ‹Gegenleistung› der Preisreduktion. In diesem Sinne wurde von Seiten der Beklagten festgehalten, dass «zufolge Verpflichtungsübernahme zur Errichtung eines Altersheimes durch die Gemeinde X.,» (...) «s.Zt. eine angemessene Reduktion des Kaufpreises auf Fr. 175000.–» erfolgt sei (Bericht und Antrag der Verwaltungskommission der Landammann-Z.-Liegenschaft aus dem Jahre 1966). Die Preisvergünstigung war in diesem Sinne ein Entgegenkommen gegenüber der Gemeinde X., die sich im Gegenzug zur Errichtung eines Altersheimes auf den Kaufliegenschaften verpflichtete. Insofern begründete die Preisdifferenz zum Verkehrswert keine unentgeltliche Zuwendung, woran der Umstand, dass die von der Käuferschaft versprochene Leistung nicht direkt den Verkäufern zugute kam, nichts ändert (Nebenleistungspflichten können auch zugunsten Dritter vereinbart werden: Schönle, Zürcher Kommentar, N 95 zu Art. 184 OR; zum Verhältnis Kaufvertrag/gemischte Schenkung: BGE 102 II 250, 98 II 358; Schönle, a.a.O., N 43 der Vorb. Art. 184–551 OR). Die mit Übernahme des Grundeigentums verbundene Pflicht zur Errichtung und zum Betrieb eines Altersheimes ist deshalb im Folgenden als rechtsgeschäftlich vereinbarte, selbständige und einklagbare Nebenpflicht zum Kaufvertrag anzusehen (Schönle, a.a.O., N 78 und 95 zu Art. 184 OR; Merz, Berner Kommentar, N 260ff. zu Art. 2 ZGB; Kramer, Berner Kommentar, Einleitung vor Art. 1 OR, N 88ff.).

3. Der Vorinstanz ist darin zuzustimmen, wenn sie die Auffassung der Beklagten verwarf, wonach die Parteien an sich nur eine allgemeine öffentliche und soziale, gemeinnützige Zweckbindung beabsichtigt und die Errichtung eines Altersheimes bloss beispielhaft aufgeführt hätten. Die Zweckbestimmung im Kaufvertrag ist klar formuliert und allein aus dem Wortlaut heraus eindeutig und unmissverständlich. Dieser Verpflichtung – Errichtung (und folgerichtig auch Betrieb) eines Altersheimes widerspricht offensichtlich die heutige Nutzung der Kaufliegenschaften als Asylantenunterkunft. Ob auch die Nutzung eines Teils der Kaufliegenschaften als Minigolfanlage mit der Zweckbestimmung im Kaufvertrag zu vereinbaren wäre, kann dahingestellt bleiben, nachdem die Bindungswirkung der Vertragsabrede, wie im Folgenden darzulegen ist, in der Zwischenzeit dahingefallen ist.

a) Sinn und Zweck der Abrede beschränkte die Leistung der Beklagten nicht auf eine einmalige, vorübergehende Leistung, sondern beinhaltete eine Dauerleistung: das Altersheim sollte nicht nur errichtet, sondern als solches auch betrieben werden. Eine zeitliche Beschränkung des Altersheimbetriebes sahen die Parteien ebensowenig vor. Die von der Beklagten im Kaufvertrag übernommene Verpflichtung ist auch von ihrem Zweck her (Betreuung älterer Menschen) auf Dauer ausgerichtet und stellt heute noch eine wichtige soziale Aufgabe einer Gemeinde dar.

b) Obligatorische Verpflichtungen können nicht auf unbegrenzte Dauer vereinbart werden. Die zeitliche Begrenztheit von Vertragspflichten ergibt sich sowohl aus Art. 27 Abs. 2 ZGB, wonach die persönliche und wirtschaftliche Handlungsfreiheit nicht übermässig eingeschränkt werden darf, als auch aus Art. 2 ZGB, wonach das Beharren einer Partei auf einer übermässigen Bindung als zweckwidrige Rechtsausübung und damit als rechtsmissbräuchlich erscheint (BGE 114 II 161 mit zahlreichen Hinweisen). Die zulässige Dauer der Bindung lässt sich nur von Fall zu Fall entscheiden. Auch juristische Personen – und damit Körperschaften des öffentlichen Rechts – können sich darauf berufen. Die zulässige Dauer hängt von der Intensität der Bindung des Verpflichteten und auch vom Gegenstand der Beschränkung ab. Die zulässige Dauer ist bei Verpflichtungen zu wiederkehrenden Leistungen kürzer als etwa beim Verzicht, während einer absehbaren Dauer über eine Sache zu verfügen (BGE a.a.O., S. 162; Honsell/Vogt/Geiser, Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, N 10ff. zu Art. 27 ZGB; zum Ganzen auch eingehend: Bucher, Berner Kommentar, N 334ff., 503ff. zu Art. 27 ZGB).

c) Die von der Beklagten übernommene Verpflichtung beschränkte die Käuferin in ihrer Freiheit als Grundeigentümerin, also in ihrer Freiheit, die Liegenschaften nach ihrem Gutdünken zu nutzen und zu verwenden. Der Beklagten war mit Abschluss des Kaufvertrages und der nachfolgenden Übertragung des Grundeigentums nicht nur eine Einschränkung der Nutzung überbunden (Unterlassungspflicht), sondern ihre vertragliche Pflicht beinhaltete ebenso, die Kaufliegenschaften in bestimmter Weise zu verwenden. Sie versprach gegenüber der Verkäuferschaft eine Verpflichtung zu einem Tun: nämlich, die erworbenen Liegenschaften innert einer bestimmten Zeit für die Errichtung eines Altersheimes der Gemeinde X. zu verwenden.

aa) Rechtsverhältnisse mit dienstbarkeits- oder grundlastrechtlichem Inhalt können auch obligatorisch vereinbart werden (BGE 97 II 401). Durch die Grundlast wird der jeweilige Eigentümer eines Grundstückes zu einer Leistung an einen Berechtigten verpflichtet, für die er ausschliesslich mit einem Grundstück haftet (Art. 782 Abs. 1 ZGB). Unter Vorbehalt der Gült und der öffentlichrechtlichen Grundlasten kann eine Grundlast nur eine Leistung zum Inhalt haben, die sich entweder aus der wirtschaftlichen Natur des belasteten Grundstücks ergibt, oder die für die wirtschaftlichen Bedürfnisse eines berechtigten Grundstückes bestimmt sind (Abs. 3). Der Schuldner kann nach dreissigjährigem Bestand der Grundlast deren Ablösung verlangen, und zwar auch dann, wenn eine längere Dauer oder die Unlösbarkeit verabredet worden ist (Art. 788 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB).

bb) Die Verpflichtung der Gemeinde X., die Kaufliegenschaften für die Errichtung eines Altersheimes zu verwenden, stellt eine grundlastähnliche obligatorische Verpflichtung dar. Diese Leistungsverpflichtung – Errichtung und Betrieb eines Altersheimes – kann nur durch die bestimmungsgemässe Verwendung der Kaufliegenschaften ermöglicht werden. (Honsell/Vogt/Geiser, a.a.O., N 10 zu Art. 782 ZGB; Piotet, SPR V/I, S. 654). Die Gemeinde X. ist in der Nutzung der Kaufliegenschaften nicht nur eingeschränkt, sondern zu einer positiven Leistung verpflichtet, nämlich auf den Grundstücken ein Altersheim zu errichten und zu betreiben. Es besteht nicht nur eine Unterlassungs- oder Duldungspflicht, sondern die geschuldete Leistung beinhaltet – ebenso wie bei der Grundlast – ein Tun. Dass die Leistung nicht wie bei der Grundlast einem bestimmten Berechtigten zugute kommt, sondern einem unbestimmten Kreis von Personen, ändert am grundlastähnlichen Inhalt der Abrede nichts. Die Leistung der Beklagten ist mit den Grundstücken derart gekoppelt, dass sie im Falle einer gewollten dinglichen Sicherung nur durch eine Grundlast hätte begründet werden können.

cc) In BGE 93 II 290ff. ging es um die Lieferungspflicht einer Wasserversorgung, die zu Unrecht nur als Dienstbarkeit und nicht als Grundlast dinglich vereinbart worden war. Das Bundesgericht qualifizierte die Wasserlieferungspflicht der Wasserversorgung als obligatorisches Dauerschuldverhältnis (‹das seit vierzig und mehr Jahren besteht›) und befand, dass dessen Inhalt einer Grundlast entspreche. Neben dem Verweis auf die zeitliche Begrenztheit von obligatorischen Dauerverpflichtungen im Allgemeinen verwies das Bundesgericht im Speziellen darauf, dass «die Wasserlieferungspflicht nicht einmal unbeschränkt wäre, wenn sie durch eine Grundlast begründet worden wäre». Denn: «Eine solche hätte vom Schuldner gemäss Art. 788 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB nach dreissigjährigem Bestand abgelöst werden können. Die Annahme, eine inhaltlich einer Grundlast entsprechende obligatorische Verpflichtung könne auf eine wesentlich längere Zeitspanne aufrecht erhalten werden, ist damit nicht zu vereinbaren (vgl. dazu Liver, Einleitung N. 144)» (S. 301). Das Bundesgericht hielt abschliessend fest, dass auf den Zeitpunkt der erfolgten Kündigung des Schuldners die Pflicht zur Wasserlieferung erloschen war.

dd) Peter Liver hat sich in der einleitenden Kommentierung zu den Dienstbarkeiten eingehend mit obligatorischen Rechten, die inhaltlich Dienstbarkeiten oder Grundlasten entsprechen, auseinander gesetzt (Zürcher Kommentar, Einleitung N 129ff., insb. N 142ff.). Auch Spiro befasst sich in seinem Grundlagenwerk ‹Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen›, Bd. 2, insb. § 461 und 462 mit der Frage der zeitlichen Grenzen von obligatorischen Leistungspflichten mit dinglichem Inhalt. Liver führt zu Recht ins Feld, dass die zwingenden sachenrechtlichen Normen auch für die Beurteilung der Verbindlichkeit rein obligatorischer Bindungen des Eigentümers zu berücksichtigen sind, namentlich bei der Frage der Höchstdauer, für welche sich der Eigentümer zur Einräumung obligatorischer Nutzungsrechte unter Ausschluss der Kündigung an einer Sache gültig verpflichten könne. Die Beurteilung dieser Frage habe in erster Linie unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Persönlichkeit (Art. 27 ZGB) und des Grundsatzes von Treu und Glauben (Art. 2 ZGB) zu erfolgen und führe im Allgemeinen zum Ergebnis, dass die obligatorische Bindung zeitlich begrenzt sei, während die dingliche Beschränkung des Eigentums auf unbegrenzte Zeit bestehen könne und unkündbar sei. Wenn aber die Dauer des beschränkt dinglichen Rechtes um der öffentlichen Ordnung willen begrenzt sei, so seien diese Vorschriften auch zu berücksichtigen bei der Beurteilung der Höchstdauer der inhaltlich entsprechenden obligationenrechtlichen Rechtsverhältnisse. Denn auch diese könnten tatsächlich die genau gleich umfassende Beschränkung der Sachherrschaft des Eigentümers zur Folge haben, welche das Sachenrecht um der öffentlichen Ordnung willen nur für eine begrenzte Zeit zulasse. Liver erwähnt hier einmal die Nutzniessung (auf Lebenszeit bzw. auf hundert Jahre bei juristischen Personen) sowie das selbständige Baurecht (auf hundert Jahre). Im Zusammenhang mit der Grundlast bzw. den obligatorischen Pflichten gleichen Inhalts führt Liver aus (N 144–146):

Enger sind die Schranken der Zeit, für welche sich der Grundeigentümer zu einer Leistung verpflichten kann. Wäre z.B. die Verpflichtung einer Gemeinde als Eigentümerin eines Quellengrundstückes zur Wasserlieferung Gegenstand einer Grundlast, wäre sie nach dreissigjährigem Bestand für den Schuldner ablösbar (Art. 788 Ziff. 2). Hat sie bloss obligatorischen Charakter, sei es, weil die Errichtung eines dinglichen Rechtes nicht beabsichtigt war, sei es, dass das dingliche Recht nicht zustande gekommen ist, weil die Eintragung ungerechtfertigt ist, kann ihre Dauer unmöglich unbegrenzt sein. Einmal kann mit ihr eine übermässige Beschränkung der persönlichen Freiheit des Verpflichteten verbunden sein. Davon abgesehen, würde sie bei unbeschränkter Dauer einen tatsächlichen Zustand zur Folge haben, welchen das Gesetz um der Freiheit des Grundeigentums willen verhindern will, was es mit der Bestimmung über die Ablösbarkeit der Grundlast zum Ausdruck gebracht hat. (....)

Die Verpflichtung zu positiven Leistungen (Arbeitsleistung, Lieferung von Wasser, Elektrizität) ist eine schwerere Einengung in der persönlichen Freiheit als die Überlassung einer Sache zum Gebrauch (Vermietung), weshalb die Kündigung nicht für so lange Zeit ausgeschlossen werden kann wie für diese. Die Ablösbarkeit der Grundlast nach dreissigjährigem Bestand (....) dürfte daher der geeignete Zeitpunkt sein (....).

ee) Den Überlegungen von Spiro und Liver, auf letzteren auch das Bundesgericht im oben angeführten Entscheid verweist, ist zuzustimmen. Eine Beschränkung der zeitlichen Bindung der Beklagten ist in erster Linie im Interesse der Wahrung der Grenze zwischen obligatorischer und dinglicher Rechtstellung zu verneinen (siehe Bucher, a.a.O., N 366 zu Art. 27 ZGB). Gegenüber einzelnen von Liver erwähnten Leistungspflichten (Lieferung von Wasser, Elektrizität) ist vorliegend die im Kaufvertrag von 1960 von der Beklagten übernommene Verpflichtung noch weit einengender. Es geht nicht nur bloss um eine Leistung der Beklagten, die sich ohne weiteres Zutun aus der Nutzung der Kaufliegenschaften ergibt – wie etwa die Lieferung von Bodenprodukten, Holz, Bodenschätzen usw. Das Festhalten an der Vertragsabrede hiesse von der Beklagten die Führung eines Betriebes zu verlangen, der in ihren Augen aufgrund der infrastrukturellen Situation und der aktuellen Altersheimnachfrage betriebswirtschaftlich – wohl zu Recht – als unsinnig zu bezeichnen ist.

d) Das Kernelement des Freiheitsschutzes von Art. 27 Abs. 2 ZGB besteht darin, dass der zu Schützende sich aus der übermässigen Bindung befreien kann. Eine ausdrückliche Kündigung, wie sie der Gesetzgeber etwa für die Ablösung der Grundlast legiferiert hat, ist vorliegend nicht zwingend. Der Vertragsschuldner, der sich im Prozess zu Recht wegen Ablaufs der zeitlichen Bindung gegen die weitere Leistungserfüllung wehrt, ist auch zu hören, wenn keine eigentliche, empfangsbedürftige ‹Kündigung› erfolgt war (im Sinne der Einredemöglichkeit im Prozess; siehe auch Bucher, a.a.O., N 531 zu Art. 27 ZGB). Vorliegend hat sich die Beklagte im Prozess von allem Anfang an darauf berufen, dass sie infolge Zeitablaufs und somit wegen fehlender zeitlicher Bindungswirkung an die Verpflichtung im Kaufvertrag aus dem Jahre 1960 nicht mehr gebunden sei. Auch durch ihr Verhalten ab ca. Mitte der achtziger Jahre hat die Beklagte gegenüber der Klägerschaft klar ihre Auffassung bekundet, an die damalige Vertragsabrede nicht mehr gebunden zu sein.

Aufgrund der obigen Ausführungen von Liver und mit Jenny (in Kommentar Honsell/Vogt/Geiser, N 6 zu Art. 788 ZGB) ist festzuhalten, dass die inhaltlich einer Grundlast entsprechende obligatorische Verpflichtung nicht auf eine Zeitspanne aufrechterhalten werden kann, die wesentlich länger als dreissig Jahre ist. Im heutigen Zeitpunkt nach mehr als vierzig Jahren seit Abschluss des Kaufvertrages ist jedenfalls die Verpflichtung der Beklagten, die Kaufliegenschaften für die Errichtung (und den Betrieb) eines Altersheimes zu verwenden, erloschen. Die Klage mit den entsprechenden Erfüllungs- und Feststellungsbegehren ist deshalb abzuweisen.

4. Die Kläger haben im Berufungsverfahren ihr Eventualbegehren auf Leistung von Schadenersatz oder Genugtuung zu ihren Gunsten fallen gelassen. Mangels Antrag ist deshalb nicht darüber zu entscheiden, ob überhaupt die Voraussetzungen für entsprechende Forderungen gegeben wären und bejahendenfalls in welcher Höhe Ersatz zu sprechen wäre (siehe dazu etwa: Jenny, a.a.O., N 4 zu Art. 789 ZGB mit Hinweisen).

5. Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt (§ 59 Abs. 2 ZPO). Von dieser Regel kann u.a. dann abgewichen werden, wenn die unterliegende Partei sich in guten Treuen zur Prozessführung veranlasst sah (Abs. 3). Jede Partei hat in der Regel den Gegner im gleichen Verhältnis für aussergerichtliche Kosten und Umtriebe, einschliesslich Weisungskosten, zu entschädigen, wie ihr Kosten auferlegt werden (§ 62 Abs. 1 ZPO).

Im vorliegenden Fall rechtfertigt sich, die Kosten beider Instanzen den Parteien je zur Hälfte aufzuerlegen und die Parteikosten wettzuschlagen. Die Gemeinde X. schloss den Altersheimbetrieb bereits anfangs der achtziger Jahre und räumte im Jahre 1986 dem Verkehrsverein X. auf den Kaufliegenschaften sogar ein Baurecht für eine Minigolfanlage ein. Unter diesen Umständen, angesichts des klaren Wortlautes der Vereinbarung, der die Beklagte zur Aufrechterhaltung des Altersheimbetriebes verpflichtete, und aufgrund der Tatsache, dass das Gesetz sich über die maximale Dauer von obligatorischen Verpflichtungen nicht klar äussert, war die Prozessführung der Klägerschaft begründbar. Auch hat es die Beklagte unterlassen, durch eine ausdrückliche Kündigung in klärender Weise für die Kläger transparente Verhältnisse zu schaffen.

(Urteil vom 12. September 2000; KG 188+189/98 ZK).

 

32

Zivilrecht

 Arbeitsvertragsrecht; Zeitpunkt der Zustellung der Kündigung.

Aus dem Sachverhalt:

A. - Die Klägerin arbeitete als kaufmännische Angestellte ab 3. November 1996 bei der Beklagten. Gemäss Anstellungsvertrag waren ein monatliches Gehalt von Fr. 3600.– sowie monatliche Pauschalspesen von Fr. 400.– vereinbart. Ausserdem hatte die Angestellte Anspruch auf ein 13. Monatsgehalt, das jeweils per Ende Juni und Ende Dezember auszubezahlen war. Als Kündigungsfrist vereinbarten die Parteien für das erste Jahr eine Frist von einem Monat, ab dem zweiten Jahr eine Frist von zwei Monaten und ab dem fünften Jahr eine Frist von drei Monaten. Die Klägerin blieb ab ca. Mitte 1997 infolge Krankheit bzw. Spitalaufenthalt verschiedentlich von der Arbeit fern. So war sie ab 18. August bis 31. Oktober 1997 zu 100% durch ihren Arzt krankgeschrieben.

Mit Schreiben vom 30. Oktober 1997 kündigte die Beklagte der Klägerin das Arbeitsverhältnis auf den 30. November 1997 und stellte sie gleichzeitig per sofort von der Arbeit frei. Die Post avisierte der Klägerin diese eingeschriebene Kündigungssendung mittels Abholungseinladung unter Hinweis darauf, dass die Postsendung ab dem 31. Oktober 1997, 10.00 Uhr, bis zum 6. November 1997 bei der Poststelle in D. abgeholt werden könne. Die Klägerin holte dieses Schreiben am 3. November 1997 am Postschalter ihres Wohnortes D. ab. Die Beklagte zahlte der Klägerin den Lohn sowie die Pauschalspesen bis Ende November 1997. Offen blieb der Anteil 13. Monatslohn in der zweiten Jahreshälfte 1997.

B. - Am 19. Februar 1998 erhob M. gegen die C. AG Klage beim Einzelrichter des Bezirkes X. auf Bezahlung von Fr. 10333.– nebst Zins seit 1. Januar 1998. Es wurde geltend gemacht, dass die Kündigung der Klägerin erst am 3. November 1997 zugegangen sei, deshalb ein überjähriges Arbeitsverhältnis vorliege und die Kündigung somit ihre Wirkungen frühestens auf Ende Januar 1998 entfaltet habe. Zudem wurde seitens der Klägerin vorgetragen, dass infolge Überjährigkeit des Arbeitsverhältnisses die Kündigung – während der krankheitsbedingten Abwesenheit der Klägerin ausgesprochen – in die 90-tägige Sperrfrist gemäss Art. 336c Abs. 1 lit. b OR gefallen und deshalb ungültig sei. Die Klägerin forderte die Bezahlung der Löhne für Dezember 1997 und Januar 1998 von je Fr. 4000.– sowie den Anteil des 13. Monatslohnes für die Zeitspanne vom 1. Juli 1997 bis und mit 31. Januar 1998 von Fr. 2333.–.

Die Beklagte ihrerseits hielt am Standpunkt, dass die Kündigung per Ende November 1997 termingerecht ausgesprochen wurde, fest. Sie anerkannte bloss den Anspruch der Klägerin auf den Anteil 13. Monatslohn für die Zeit von Juli bis Ende November 1997 von Fr. 1500.–. Dem stellte sie eine Gegenforderung auf Rückzahlung zuviel bezahlter Spesenentschädigungen für die Zeit der Abwesenheit der Klägerin vom Arbeitsplatz gegenüber. In der Zeit der Krankheit und Freistellung von der Arbeit seien der Klägerin keine Spesen angefallen. Für diese Zeit von mindestens 3.75 Monaten seien deshalb auch keine Spesenentschädigungen geschuldet und sie (die Beklagte) habe Anspruch auf Rückzahlung der irrtümlich geleisteten Spesenzahlungen in der Höhe von Fr. 1500.– (3.75 Monate à Fr. 400.–).

Mit Interventionserklärung vom 29. Januar 1999 machte die Arbeitslosenkasse des Kantons L. geltend, dass sie in Anwendung von Art. 29 AVIG in die strittige Lohnforderung eingetreten sei, da sie der Klägerin vom 1. Dezember 1997 bis 31. Januar 1998 eine Arbeitslosenentschädigung von netto Fr. 4617.35 ausbezahlt habe.

Mit Urteil vom 18. Mai 1999 erkannte der Einzelrichter am Bezirksgericht X. wie folgt:

«1.      In teilweiser Gutheissung der Klage und gestützt auf Art. 29 AVIG wird die Beklagte verpflichtet, der Arbeitslosenkasse des Kantons L. den Betrag von Fr. 1500.– nebst Zins zu 5% seit dem 19.1.1998 zu bezahlen.
2.         Im darüber hinausgehenden Umfang wird die Klage abgewiesen.
3.         Infolge Kostenlosigkeit des Verfahrens (Art. 343 Abs. 3 OR) werden keine Verfahrenskosten erhoben.
4.         Die Klägerin hat die Beklagte mit Fr. 1500.– (inkl. MwSt.) ausserrechtlich zu entschädigen (...).»

Der Einzelrichter erachtete die Kündigung als der Klägerin am 31. Oktober 1997 zugegangen, nachdem die der Klägerin avisierte eingeschriebene Sendung auf dem Postbüro D. am 31. Oktober 1997, morgens um 10.00 Uhr, zur Abholung bereit lag. Infolge Unterjährigkeit des Arbeitsverhältnisses bejahte deshalb der Einzelrichter, dass die Kündigung – in Geltung der einmonatigen Kündigungsfrist – per Ende November 1997 ihre Wirkung entfaltet habe, und er kam zum Schluss, dass keine Kündigung zur Unzeit vorliege, da die Klägerin erstelltermassen im Zeitpunkt der Kündigung mehr als 30 Tage krankheitshalber der Arbeit ferngeblieben sei. Lohnforderungen für die Monate Dezember 1997 sowie Januar 1998 wies der Einzelrichter deshalb als unbegründet ab. Sodann hielt der Richter aufgrund des Beweisergebnisses dafür, dass mit der vereinbarten Spesenpauschale von monatlich Fr. 400.– die der Klägerin während ihrer Arbeitstätigkeit effektiv anfallenden Auslagen ersetzt werden sollten und es sich nicht um einen Lohnbestandteil handeln würde. Der Einzelrichter verwarf jedoch die Rückforderungsmöglichkeit mit der Begründung, dass von einer irrtümlichen Auszahlung der Pauschalspesen nicht die Rede sein könne, da die Beklagte um die krankheitsbedingten Arbeitsabwesenheiten der Klägerin gewusst habe.

Aus den Erwägungen:

1. In Frage steht vorab, auf welchen Zeitpunkt die Kündigung der Beklagten vom 30. Oktober 1997 ihre Wirkung entfaltet hat und damit das Arbeitsverhältnis beendigt wurde. Ging die Kündigung der Klägerin erst am 3. November 1997 ein, so endigte das Arbeitsverhältnis frühestens auf Ende Januar 1998, da es am 3. November 1997 mehr als ein Jahr gedauert hat und die Kündigungsfrist vereinbarungsgemäss bei Überjährigkeit des Arbeitsverhältnisses zwei Monate betrug. Zudem stellte sich dann die Frage, ob die Kündigung gestützt auf Art. 336c Abs. 1 lit. b OR zur Unzeit erfolgte und damit nichtig ist.

a) Die Kündigung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, womit sie ihre Wirkung erst im Zeitpunkt entfaltet, da sie dem Adressaten zugeht. Der Zugang einer Willenserklärung unter Abwesenden setzt voraus, dass die Erklärung in den Machtbereich des Adressaten gelangte und nach der Verkehrssitte die begründete Erwartung bestand, er werde von ihr tatsächlich Kenntnis nehmen (Rehbinder, Berner Kommentar, N 8 zu Art. 335 OR). Erfolgt die Erklärung mittels eingeschriebener Sendung, und wird der Adressat nicht angetroffen, so erfolgt der Zugang nicht schon im Moment, da die Abholungseinladung beim Adressaten in den Briefkasten gelegt wird, sondern erst im Zeitpunkt, ab dem die Sendung auf dem Postbüro abgeholt werden kann. Nicht massgebend ist, ob der Empfänger von der Sendung tatsächlich Kenntnis nimmt oder nicht. Die so verstandene Empfangstheorie gilt nach überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Lehre grundsätzlich bei allen privatrechtlichen Willenserklärungen (Schönenberger/Jäggi, Zürcher Kommentar, N 43 zu Art. 9 OR; Kramer/Schmidlin, Berner Kommentar, N 87 und 88 zu Art. 1 OR, mit zahlreichen Hinweisen; Guhl/Koller/Schnyder/Druey, Das Schweizerische Obligationenrecht, 9. A., § 13, Rz. 44, § 44, Rz. 172; Higi, Zürcher Kommentar, N 41 Vorb. zu Art. 266-266o bezüglich Kündigung von Mietverhältnissen). In BGE 107 II 191 = Praxis 70, Nr. 177, Erw. 2 hat das Bundesgericht in Festhaltung dieser allgemeinen Praxis darauf hingewiesen, dass (im Falle einer eingeschriebenen Sendung mit Abholungseinladung) die Erklärung dann als zugegangen gilt, sobald es dem Empfänger möglich ist, sie auf dem Postbüro entgegenzunehmen, soweit ihm zugemutet werden kann, dies sofort zu tun. Im konkreten Fall jedoch – es ging um die Anzeige einer Mietzinserhöhung gemäss Art. 18 BMM – hat das Bundesgericht seine Praxis, welche in Bezug auf gerichtliche Sendungen entwickelt worden ist, angewendet. Danach gelten Einschreibebriefe, bei denen der Adressat nicht angetroffen worden ist, erst in jenem Zeitpunkt als zugestellt, in welchem sie auf der Post abgeholt werden, spätestens mit Ablauf der siebentägigen Abholungsfrist gemäss Art. 169 Abs. 1 lit. d der Verordnung (1) zum Postverkehrsgesetz vom 1.9.1967 (die ab 1.1.1998 geltende Postverordnung, VPG, SR 738.01, enthält keine Bestimmung über Abhol- und Aufbewahrungsfristen mehr; die den früheren Bestimmungen entsprechende Regelung findet sich nun in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen «Postdienstleistungen», mit der gesetzlichen Grundlage in Art. 11 des Postgesetzes, PG; SR 783.00). Die Abweichung begründete das Bundesgericht damit, dass die Anwendung der Empfangstheorie zu Folgen führen würde, die mit dem vom BMM angestrebten Zweck des Mieterschutzes unvereinbar seien, namentlich würde der Mieter, der die Sendung nicht unverzüglich nach Zustellung der Abholungseinladung abhole bzw. abholen könne, eines Teils der ihm eingeräumten Bedenkfrist für die eventuelle Kündigung und die Bestreitung der Mietzinserhöhung beraubt.

b) Die Kommentatoren zum Arbeitsvertragsrecht sind geteilter Meinung: für die ‹klassische› Empfangstheorie sprechen sich aus: Rehbinder, Berner Kommentar, N 8 zu Art. 335; Staehelin/Vischer, Zürcher Kommentar, N 13 zu Art. 335 und Streiff/von Kaenel, Leitfaden zum Arbeitsvertragsrecht, N 5 zu Art. 335 OR. Dagegen sind die Kommentatoren Brunner/Bühler/Waeber (N 9 zu Art. 335) und Brühwiler (Art. 336 OR, 1971, N III) der Auffassung, dass eine Kündigungserklärung in jenem Zeitpunkt als empfangen gilt, wenn der Empfänger den Brief bei der Post tatsächlich abholt, spätestens bei Ablauf der Abholungsfrist (im Folgenden: eingeschränkte Empfangstheorie).

c) Teilweise besteht in der kantonalen Gerichtspraxis die Tendenz, die vom Bundesgericht im Zusammenhang mit gerichtlichen Sendungen entwickelte eingeschränkte Empfangstheorie auch auf privatrechtliche Willenserklärungen anzuwenden (so BJM 1978, 78f.; SJZ 1988, 327 und GVP 1990, 135 gemäss Hinweis in Guhl/Koller/Schnyder/Druey, a.a.O., § 13, Rz. 44; anders wieder FZR 1998, S. 323). Gründe der Rechtssicherheit und der rechtsgleichen Behandlung waren für die Entscheide dieser Gerichte ausschlaggebend. Sie rechtfertigen nach Auffassung der Zivilkammer jedoch nicht, bei avisierten, eingeschriebenen Sendungen die klassische Empfangstheorie zu verlassen. Dies wäre aber der Fall, wenn auf die tatsächliche Kenntnisnahme der Erklärung (bis zum Ablauf der Abholungsfrist) statt auf das Zugangskriterium abgestellt würde. Nach Schönenberger/Jäggi, a.a.O., N 137 zu Art. 1 OR, besteht der Zugang nämlich darin, dass der Erklärungsträger in den Machtbereich des Empfängers gelangt (...), so dass es nur noch vom üblichen Verhalten des Empfängers und seiner Hilfsperson abhängt, ob der Empfänger den Erklärungsträger wahrnimmt. Nach den üblichen Gepflogenheiten des Verkehrs kann aber erwartet werden, dass Einschreibebriefe nach Kenntnisnahme der Abholungseinladung auf dem Postamt umgehend abgeholt werden. Dies hat das Bundesgericht im erwähnten Entscheid Praxis 70, Nr. 177 klar zum Ausdruck gebracht, indem es den Zugang einer Erklärung bejahte, «sobald es dem Empfänger möglich ist, sie auf dem Postbüro entgegenzunehmen, soweit ihm zugemutet werden kann, dies sofort zu tun». Kramer/Schmidlin, a.a.O., N 88 zu Art. 1 OR ist allerdings zuzustimmen, wenn sie darauf hinweisen, dass nicht unbedingt der Augenblick, wo die Sendung erstmals auf dem Postamt abgeholt werden kann, entscheidend ist, weil die sofortige Abholung am selben Tag nicht unbedingt erwartet werden darf. Sie weisen zu Recht auf den Fall eines berufstätigen Empfängers hin, der in aller Regel nicht in der Lage ist, am Tag des Zugangs der Abholungseinladung die Sendung auf dem Postamt abzuholen.

d) Anders verhält es sich jedoch bei nicht berufstätigen Adressaten oder solchen, die infolge Krankheit nicht am Arbeitsplatz anwesend sind. Hier kann in der Regel erwartet werden, dass der Empfänger die Sendung nach Eintreffen der Abholungseinladung am ersten Tag, an dem die Sendung auf der Post bereit liegt, abholt. Der Zugang der Erklärung wird somit bereits auf den Zeitpunkt bewirkt, zu dem der Brief gemäss Abholungseinladung auf dem Postamt zur Abholung bereit liegt, es sei denn, der Empfänger sei aus wichtigen Gründen verhindert gewesen, die Sendung noch am gleichen Tag abzuholen (siehe BGE 83 III 97). Solche Gründe vermag die Klägerin nicht darzutun. Sie war seit längerer Zeit krankgeschrieben, womit seitens der Beklagten in guten Treuen erwartet werden konnte, dass sie am Tag der Zustellung des Briefes zu Hause anwesend war, zumindest aber die Möglichkeit hatte, nach Eintreffen der Abholungseinladung noch an demselben Tag die Sendung auf der Post abzuholen. Wenn die krankgemeldete Klägerin geltend macht, dass sie an diesem Tag um 8.00 Uhr aus dem Haus ging und den ganzen Tag in der Stadt war, so entlastet sie das gerade nicht.

e) In Übereinstimmung mit der Vorinstanz ist deshalb festzustellen, dass die Kündigung der Klägerin am 31. Oktober 1997 zuging, womit das Arbeitsverhältnis auf Ende November 1997 beendigt wurde. Der Klägerin stehen damit für die Monate Dezember 1997 und Januar 1998 keine Lohnansprüche zu.

2. Die Forderung der Klägerin auf Auszahlung des 13. Monatslohnes für die Zeit von Juli bis Ende November 1997 von brutto Fr. 1500.– ist seitens der Beklagten anerkannt. Diese Forderung der Klägerin will die Beklagte mit einer Gegenforderung in derselben Höhe zur Verrechnung bringen: sie fordert von der Klägerin für 3.75 Monate ausbezahlte Pauschalspesen zurück, da diese infolge krankheitsbedingter Abwesenheit der Klägerin sowie wegen Freistellung im Monat November 1997 nicht geschuldet seien.

Bei den im Arbeitsvertrag vereinbarten Pauschalspesen von Fr. 400.– handelt es sich, nachdem die Klägerin zugestandenermassen diverse, regelmässige Botengänge mit ihrem Privatauto für die Beklagte tätigen musste, grundsätzlich nicht um einen Lohnbestandteil, sondern um Auslagenersatz. Den detaillierten Erwägungen der Vorinstanz auf Seite 8 und 9 des Urteils kann beigepflichtet werden. In Frage steht, ob eine wirksam vereinbarte Spesenpauschale auch während der krankheitsbedingten Arbeitsverhinderung der Klägerin und deren Freistellung vom Arbeitsplatz zu zahlen ist. Im Zweifel ist zwar die Pauschale nur bei tatsächlicher Beschäftigung geschuldet (Rehbinder, a.a.O., N 8 zu Art. 327a OR; Streiff/Kaenel, a.a.O., N 3 zu Art. 327a OR). Die gegenteilige Regelung – sei es ausdrücklich oder durch konkludentes Verhalten vereinbart – ist jedoch ohne weiteres möglich, auch wenn es sich dann rechtlich wieder um einen Lohnbestandteil handelt, sofern die ausgerichtete Spesenpauschale über den effektiven durchschnittlichen Auslagen liegt (Staehelin/Vischer, a.a.O., N 15 zu Art. 327a OR). Im vorliegenden Fall hat die Beklagte der Klägerin vorbehaltlos in ihrer Zeit der krankheitsbedingten Abwesenheit die Spesenpauschale ausbezahlt. Bemerkenswert ist insbesondere, dass die Auszahlung auch für die Monate September und Oktober 1997 in vollem Umfang erfolgte, obwohl der Klägerin infolge ihrer krankheitsbedingten Abwesenheit überhaupt keine Auslagen anfielen. Sogar nach der erfolgten Kündigung zahlte die Beklagte der Klägerin für den Monat November 1997 die Spesenpauschale aus, obgleich die Klägerin von der Arbeit freigestellt war. Das Verhalten der Beklagten, trotz mehrmonatiger Abwesenheit der Klägerin die Spesenpauschale ohne Vorbehalt auszubezahlen, kann nur so gedeutet werden (und die Klägerin konnte dies auch in guten Treuen so verstehen), dass die Pauschalspesenentschädigung vereinbarungsgemäss auch jeweils für die Zeit der Abwesenheit (Krankheit, Ferien usw.) geschuldet ist.

Aber selbst wenn man annehmen würde, dass der Klägerin für die Zeit der Abwesenheit kein Anspruch auf Auszahlung der Spesenpauschale zusteht, ist sie zur Rückzahlung der ausbezahlten Beträge nicht verpflichtet. Diesfalls würden mangels vertraglichem Anspruch auf Auszahlung der Pauschalspesen in der Zeit der Arbeitsverhinderung die Regeln über die ungerechtfertigte Bereicherung zum Zuge kommen. Vorliegend kann nicht angenommen werden, dass die Beklagte die Zahlungen irrtümlich leistete, d.h. in der Vorstellung erbrachte, dass die Schuld bestehe (siehe Rehbinder, a.a.O., N 44 zu Art. 322 OR; Staehelin/Vischer, a.a.O., N 36 zu Art. 322 OR; BJM 1958, 318). Die Beklagte wusste, dass der Klägerin in der Zeit der Arbeitsverhinderung keine Auslagen anfielen, die sie im Sinne einer Pauschalspesenentschädigung zu ersetzen hätte. Die ausgerichteten Zahlungen könnten somit mangels Irrtum über die Leistungspflicht nicht zurückverlangt werden.

3. Der Einzelrichter hat den von der Beklagten geschuldeten Betrag von Fr. 1500.– nicht der Klägerin, sondern gestützt auf die gesetzliche Zessionsbestimmung von Art. 29 AVIG der Arbeitslosenkasse des Kantons L. zugesprochen. Die Arbeitslosenkasse des Kantons L. hielt in ihrer Interventionserklärung vom 29. Januar 1999 fest, dass sie der Klägerin für die Zeit vom 1. Dezember 1997 bis 31. Januar 1998 Arbeitslosenentschädigungen ausgerichtet habe. Die Auszahlungen erfolgten demnach erst für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses per 30. November 1997, wogegen der von der Beklagten geschuldete Betrag einen spätestens am 30. November 1997 fälligen Lohnanteil betrifft. Ein Zessionsfall im Sinne von Art. 29 AVIG liegt demnach nicht vor, und die Beklagte ist verpflichtet, den Betrag von Fr. 1500.– samt Zins der Klägerin zu bezahlen.

(Urteil vom 13. Juni 2000; KG 269/99 ZK).

 

33

Zivilrecht

 Fristlose Entlassung wegen sexueller Belästigung.

Aus den Erwägungen:

Es ist unbestritten und durch die Aussagen des Zeugen X. (...) erstellt, dass der Kläger am 1.3.1999 einer 151/2-jährigen Schnupperlehrtochter an den Busen gegriffen hat. Zu prüfen ist, ob dies einen ausreichenden Grund für eine fristlose Entlassung darstellt.

a) Die Voraussetzung zur fristlosen Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist gemäss Art. 337 Abs. 1 OR das Vorliegen eines wichtigen Grundes. Nach Abs. 2 derselben Bestimmung liegt ein wichtiger Grund immer dann vor, wenn dem Kündigenden nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar ist. Unzumutbarkeit liegt vor, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien endgültig zerstört ist und zwar nach objektiven wie nach subjektiven Gesichtspunkten (Staehelin/ Vischer, Zürcher Kommentar, N 3 zu Art. 337 OR mit Verweisen).

Eine sexuelle Belästigung kann den Arbeitgeber berechtigen, den fehlbaren Arbeitnehmer fristlos zu entlassen. Gemäss Art. 328 Abs. 1 OR hat der Arbeitgeber auf die Gesundheit des Arbeitnehmers gebührend Rücksicht zu nehmen und für die Wahrung der Sittlichkeit zu sorgen. Dazu gehört der Schutz der sexuellen Integrität des Arbeitnehmers. Die fragliche Belästigung wird als unerwünschte sexuelle Annäherung erlebt, erfolgt immer ohne Billigung und unter Verletzung des geschlechtlichen Fühlens und Empfindens der Zielperson und muss nicht unbedingt ein strafbares Verhalten im Sinne des Strafgesetzes darstellen. Damit subjektiv der Tatbestand der sexuellen Belästigung überhaupt erfüllt sein kann, muss sich das Opfer tatsächlich belästigt fühlen. Die Schwere der Belästigung und deren objektive Erfüllung ist nach einem objektiven Massstab zu beurteilen, so wie es ein durchschnittlicher Mensch empfinden muss. Zeitpunkt und Häufigkeit spielen für das Vorliegen einer sexuellen Belästigung keine Rolle (JAR 1999, S. 295f.). Das sexuell belästigende Verhalten muss mit keiner Druckausübung oder Nötigung verbunden sein. Der Täter muss weder das Ziel im Auge haben, das Arbeitsverhältnis zu vergiften oder zu beeinträchtigen noch muss er das Ergebnis voraussehen. Allein Worte, Gesten oder andere Verhaltensweisen genügen für sich, um den Tatbestand zu erfüllen. Nötig ist einzig, dass es sich um einen Angriff auf die Persönlichkeit handelt, welche einen sexuellen Inhalt oder zumindest eine sexuelle Komponente hat. Hinsichtlich des belästigenden Charakters ist auf das Durchschnittsempfinden weiblicher Personen abzustellen. Die subjektive Empfindlichkeit des Opfers darf keine Rolle spielen. Sexuelle Belästigung ist auch möglich zwischen gleichgeordneten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (JAR 1999, S. 183f.).

b) Der Kläger erachtet den Griff an den Busen der Schnupperlehrtochter nicht als schwerwiegenden Eingriff in deren sexuelle Integrität. Er ist der Auffassung, dass es sich einfach um einen einmaligen, dummen «Ausrutscher» gehandelt habe. Es ist nicht entscheidend, wie der Kläger seine Handlungsweise taxiert, sondern abzustellen ist auf das Durchschnittsempfinden weiblicher Personen. Gemäss den Aussagen des Zeugen X. hat sich der Kläger von hinten der Schnupperlehrtochter genähert und ihr an den Busen gegriffen (...). Ein solcher, nicht erwarteter und in keiner Weise provozierter Griff wird objektiv von einer durchschnittlich empfindenden weiblichen Person zweifellos als sexuelle Belästigung empfunden. Dass sich die Schnupperlehrtochter tatsächlich belästigt fühlte, ist aufgrund der Aussagen des Zeugen X. als erstellt anzusehen. Dieser erklärte nämlich, dass die Schnupperlehrtochter erschrocken sei, sich umgedreht und dem Kläger auf die Finger geschlagen habe (...). Unerheblich ist auch, dass es sich um einen einmaligen Vorfall handelte, denn die Häufigkeit spielt für das Vorliegen einer sexuellen Belästigung keine Rolle. Nach richterlicher Auffassung ist die Handlung des Klägers eindeutig als sexuelle Belästigung zu taxieren.

Zu berücksichtigen ist vorliegend, dass die Handlung gegenüber einer erst 151/2-jährigen Schnupperlehrtochter erfolgte, also gegenüber einer minderjährigen Jugendlichen, die eines besonderen Schutzes bedurfte. Die Beklagte durfte aufgrund der ihr obliegenden Fürsorgepflicht nach Art. 328 Abs. 1 OR eine solche Handlung nicht einfach hinnehmen. Sie hat die Pflicht, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor sexuellen Belästigungen und Verletzungen ihrer Persönlichkeit zu schützen. Besonders schützenswert sind Jugendliche, weil sich diese oft nicht zur Wehr setzen können oder sich nicht getrauen, sexuelle Belästigungen oder andere Eingriffe in ihre Persönlichkeit anzuzeigen. Die Beklagte konnte auch nicht einfach davon ausgehen, dass eine Wiederholung ausgeschlossen ist. Gemäss den Aussagen des Zeugen X. hat sich der Kläger für sein Verhalten bei der Schnupperlehrtochter nicht entschuldigt, und andere hinzukommende Arbeitnehmer hätten gelacht  (...). Offenbar nahmen weder der Kläger noch die hinzugekommenen anderen Arbeitnehmer den Vorfall ernst, und bei Tolerierung des Vorfalles durch die Beklagte hätte es leicht zu einer Wiederholung einer solchen Handlung gegenüber einer andern weiblichen Person im Betrieb der Beklagten kommen können. Ein «Wiederholungstäter» hätte nämlich davon ausgehen können, dass für solche Handlungen quasi ein «Freipass» besteht und mit keinen Sanktionen seitens der Beklagten zu rechnen ist. Ein solches Risiko durfte die Beklagte aufgrund der ihr obliegenden Schutzpflichten keinesfalls in Kauf nehmen. Im Wiederholungsfalle wäre die Beklagte allenfalls wegen Verletzung ihrer Sorgfaltspflicht mit schweren Vorwürfen und Schadenersatzforderungen konfrontiert worden. Sie hätte sich gegebenenfalls auch noch strafbar gemacht, wenn sie gegen die sexuelle Belästigung der Schnupperlehrtochter nichts unternommen hätte (vgl. JAR, 1999, S. 297). Die Beklagte hat aufgrund der ihr obliegenden Fürsorgepflicht mit der Entlassung des Klägers richtig gehandelt. Es konnte ihr nicht zugemutet werden, das Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten fortzusetzen, und mithin ist die fristlose Entlassung auch nicht als unangemessene Sanktion anzusehen. Nach richterlicher Auffassung ist die fristlose Entlassung des Klägers zu Recht erfolgt.

(Urteil Einzelrichter Bezirk Schwyz vom 6. November 2000; EB 99/26).

 

34

Zivilrecht

 Vormerkung eines Vorkaufsrechtes; Übergangsrecht.

Aus dem Sachverhalt:

A. Im Mietvertrag zwischen A. und B. vom 8. Juni 1983 wurde ein Vorkaufsrecht mit folgendem Inhalt vereinbart:

«Während der festen Mietdauer sowie den beiden Optionsperioden, sofern der Mieter von den Optionen Gebrauch macht, steht dem Mieter an der Gesamtliegenschaft des Vermieters ein Vorkaufsrecht zu. Dieses Vorkaufsrecht wird auf die gesetzlich höchstzulässige Dauer von 10 Jahren im Grundbuch eingetragen; im Übrigen gilt es als schuldrechtliche Verbindlichkeit. Für die Vormerkung gilt das Gleiche wie bei der Vormerkung des Mietvertrages (einseitige Anmeldung durch den Mieter, Kostentragung).»

Die Vormerkung des vorgenannten Mietvertrages sowie des Vorkaufsrechtes wurde im Grundbuch am 13. Juni 1983 vollzogen.

Mit Nachtrag I zum Mietvertrag zwischen A. und B. vom 10. August 1988 wurde der bestehende Mietvertrag mit allen Rechten und Pflichten von der Einzelfirma B. auf die Firma C. AG übertragen (Art. 1). Darin wurde ausdrücklich festgehalten, dass die feste Mietdauer bis zum 31. Dezember 1999, eine Option für zweimal weitere fünf Jahre Miete sowie das Vorkaufsrecht auf die Liegenschaft gelte (Art. 2). Weiter wurde in Art. 3 des Nachtrags festgehalten, dass die Rechte gemäss Art. 2 zu Gunsten des Mieters im Grundbuch eingetragen sind und auf die neu berechtigte Fa. C. AG übertragen werden.

Nachdem die Mieterin die erste Option  zur Verlängerung des Mietvertrages ausgeübt hatte, wurde auf Antrag der Mieterin der «Mietvertrag z.G. C. AG fest bis 31. Dezember 2004» neu vorgemerkt. Das Vorkaufsrecht wurde unverändert stehen gelassen.

B. - Mit Schreiben vom 13. September 1999 teilte die Beschwerdeführerin (C. AG) dem Grundbuchamt mit, der Anspruch auf Vormerkung des Vorkaufsrechtes bestehe nach wie vor. Dementsprechend sei dieses Vorkaufsrecht sofort wieder im Grundbuch vorzumerken, falls es aus irgendwelchen Gründen gelöscht werden sollte.

Am 21. September 1999 verfügte der Grundbuchverwalter wie folgt:

«1.      Die Vormerkung Ziff. 3 ab GB-Bl. ... Grundbuch X. (Vorkaufsrecht z.G. C. AG, für die Dauer von 10 Jahren ist im Grundbuch zu löschen.
2.         Die Vormerkung eines Vorkaufsrechtes auf GB-Bl. ... z.G. C. AG, wird abgewiesen.
3.         Ein Anzeigetatbestand nach Art. 969 ZGB besteht hinsichtlich GB-Bl. ... nicht.
4.         (Kosten).
5.         (Rechtsmittelbelehrung).
6.         (Zustellung).»

Mit Eingabe vom 21. Oktober 1999 erhebt die C. AG (nachfolgend Beschwerdeführerin) Grundbuchbeschwerde mit folgenden Anträgen:

«1.      Die angefochtene Verfügung sei aufzuheben.
2.        Das zu Gunsten der C. AG bestehende Vorkaufsrecht sei auf dem Grundbuchblatt ... vorzumerken bzw. weiterhin dort als Vormerkung zu belassen.
3.        Die bereits bestehende Vormerkung des Vorkaufsrechts sei nicht zu löschen.
4.        Es sei festzustellen, dass in Bezug auf direkte oder indirekte Kaufsgeschäfte betreffend das Grundstück .... eine Pflicht zur Anzeige an die C.  AG besteht.
5.        Es sei festzustellen, dass der Beschwerde aufschiebende Wirkung zukommt, bzw. es sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu gewähren.
6.        Sämtliche Kosten seien vom Staat zu tragen, welcher die Beschwerdeführerin vollumfänglich zu entschädigen hat.»

In seiner Vernehmlassung vom 3. November 1999 schliesst der Grundbuchverwalter auf Abweisung der Beschwerde.

Mit Stellungnahme vom 30. November 1999 hielt die Beschwerdeführerin an ihren Anträgen fest.

Mit Schreiben vom 4. Januar 2000 teilt das Grundbuchamt der Beschwerdeführerin mit, dass die Liegenschaft mit Vertrag vom 22. Dezember 1999 verkauft worden sei und die Frist nach Art. 681a Abs. 2 ZGB zu laufen beginne.

Aus den Erwägungen:

1. Der Grundbuchbeschwerde kommt von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zu, was namentlich in Art. 24 Abs. 3 GBV für den Fall der Abweisung einer Anmeldung ausdrücklich bestätigt wird. Davon geht auch der Grundbuchverwalter aus. Damit wird Antrag Ziffer 5 gegenstandslos.

2. Gemäss Art. 956 Abs. 2 ZGB können Beschwerden gegen die Amtsführung des Grundbuchverwalters und Anstände bezüglich der eingereichten oder einzureichenden Belege und Erklärungen bei der kantonalen Aufsichtsbehörde erhoben werden, sofern nicht gerichtliche Anfechtung vorgesehen ist. Konkretisiert wird die Norm in Art. 102–104b GBV.

Mit Schreiben vom 13. September 1999 teilte die Beschwerdeführerin dem Grundbuchamt mit, der Anspruch auf Vormerkung des Vorkaufsrechts bestehe nach wie vor. Dementsprechend sei dieses Vorkaufsrecht sofort wieder im Grundbuch vorzumerken, falls es aus irgendwelchen Gründen gelöscht werden sollte. Der Grundbuchverwalter erwog, dass der Vormerkungsschutz des Vorkaufsrechts am 13. Juni 1993 erloschen sei, noch bevor die Revision des Immobiliarsachenrechts in Kraft getreten ist. Die Vormerkung sei daher von Amtes wegen im Grundbuch zu löschen (Art. 976 Abs. 1 ZGB). Ein neuer Rechtsgrund für die neue Eintragung des Vorkaufsrechts liege nicht vor, weshalb das Grundbuchamt die Löschung des Vorkaufsrechts (Ziff. 1) sowie die Abweisung der Vormerkung des Vorkaufsrechts verfügte (Ziff. 2). Der Grundbuchverwalter wies damit einerseits sinngemäss Anmeldung einer Vormerkung ab, anderseits verfügte er die Löschung im Sinne von Art. 976 ZGB. Vor diesem Hintergrund ist die Grundbuchbeschwerde im Sinne von Art. 103 GBV gegeben. Insofern sich die Beschwerdeführerin sinngemäss gegen die Amtsführung des Grundbuchverwalters richtet und dessen Verfügungen anficht, die nicht in einer Abweisung einer Grundbuchanmeldung bestehen, ist die Beschwerde als allgemeine Aufsichtsbeschwerde im Sinne von Art. 104 i.V.m. Art. 102 GBV aufzufassen (vgl. Dieter Zobl, Grundbuchrecht, Zürich 1999, Rz. 575ff. und 582ff.; BGE 117 II 43).

3. Die Beschwerdeführerin macht geltend, im Verhältnis zwischen Grundeigentümer und der Vorkaufsberechtigten seien verschiedene Fragen materiellrechtlich zu klären, die weder in die Kompetenz des Grundbuchverwalters noch in ein grundbuchrechtliches Aufsichtsverfahren gehörten. Insoweit rügt sie ein Überschreiten der Kognitionsbefugnis des Grundbuchverwalters.

Die Beschwerdeführerin führt aus, die Klausel mit dem Vorkaufsrecht sei noch unter altem Recht vereinbart worden. Damals habe die gesetzliche Höchstdauer der Vormerkung 10 statt wie heute 25 Jahre betragen. Dafür habe das Vorkaufsrecht – im Unterschied zur heutigen Regelung – über die Vormerkungsdauer hinaus vereinbart werden können, allerdings nur noch mit obligatorischer Wirkung. Es sei offenkundig, dass die Parteien ein Vorkaufsrecht vereinbaren wollten und vereinbart hätten, das für die ganze Dauer des festen bzw. durch Optionen abgesicherten Vertrages hätte wirksam sein sollen. Unter Berücksichtigung der festen Mietdauer von 15 Jahren und der Optionen von zweimal fünf Jahren entspreche diese Regelung der heutigen Maximaldauer eines Vorkaufsrechts, wie sie in Art. 216a OR festgehalten sei. Nach Treu und Glauben müsse davon ausgegangen werden, dass die Parteien schon damals – wäre dies möglich gewesen – eine Vormerkung von 25 Jahren vereinbart hätten.

a) Gemäss Art. 976 ZGB kann der Belastete die Löschung von Einträgen verlangen, die jede rechtliche Bedeutung verloren haben; der Grundbuchverwalter kann die Löschung auch von Amtes wegen vornehmen (Abs. 1). Entspricht der Grundbuchverwalter dem Begehren, oder nimmt er die Löschung von Amtes wegen vor, so teilt er dies den Beteiligten mit (Abs. 2).

Voraussetzung einer Löschung ist, dass der Eintrag jede rechtliche Bedeutung verloren hat; es handelt sich mithin um Einträge, die keine Grundlage mehr für einen Rechtserwerb bilden können. Der Nachweis der Tatsache, dass der Eintrag jede rechtliche Bedeutung verloren hat, muss sich unzweifelhaft aus dem Eintrag, den Belegen, aus einem anderen öffentlichen Register ergeben. Die Bedeutungslosigkeit ergibt sich aus dem Eintrag, wenn die Frist, für welche das Recht begründet worden ist, abgelaufen ist. So kann etwa eine Baurechtsdienstbarkeit nach Ablauf der Dauer, für welche sie errichtet worden ist, in Anwendung von Art. 976 ZGB gelöscht werden (Jürg Schmid, Schweizerisches Zivilgesetzbuch II, Basel 1998, N 5f. zu Art. 976 ZGB). Die Bedeutungslosigkeit einer Vormerkung ergibt sich ebenfalls aus der Vormerkung, wenn die Vormerkungsdauer abgelaufen ist. Nach Art. 72 Abs. 1 GBV und Art. 76 Abs. 1 GBV sind befristete Vormerkungen nach Ablauf der Vormerkungsdauer von Amtes wegen zu löschen, als Anwendungsfall von Art. 976 ZGB (Jürg Schmid, a.a.O., N 7 zu Art. 976 ZGB).

b) Die besonderen Wirkungen der Vormerkung treten mit der Tatsache der Eintragung ins Hauptbuch ein, zurückbezogen auf den Zeitpunkt der Einschreibung der Anmeldung ins Tagebuch (Deschenaux, Sachenrecht, Schweizerisches Privatrecht, Band V/3, II, S. 705).

Beim Vorkaufsrecht endigte der Schutz, den die Vormerkung verschaffte, nach altem Recht nach zehn Jahren. Dies stellte eine Verwirkungsfrist dar, die nicht verlängert, wohl aber verkürzt werden konnte (Deschenaux, a.a.O., Band V/3, I, S. 367).

Nach Art. 72 Abs. 1 GBV sind die Vormerkungen persönlicher Rechte von Amtes wegen zu löschen, wenn die in der Vormerkung angegebene Zeit abgelaufen ist. Diese Löschungen sind rein deklaratorisch (Deschenaux, a.a.O., Band V/3, I, 371; Schmid, Schweizerisches Zivilgesetzbuch II, N 47 zu Art. 960 ZGB; Homberger, Zürcher Kommentar, Das Sachenrecht, 2. Aufl. 1938, N 26 zu Art. 959). Dabei hat der Grundbuchverwalter allerdings nicht nach Vormerkungen, deren Vormerkungsdauer abgelaufen ist, zu fahnden (Jäggi, Über das vertragliche Vorkaufsrecht, ZBGR 1958, S. 65ff., S. 75).

c) Der Grundbuchführer hat bei Eintragungen im Wesentlichen nur zu prüfen, ob die Formerfordernisse erfüllt sind (Art. 965 Abs. 3 ZGB). Dagegen hat er sich grundsätzlich nicht um den materiellen Bestand des vorgebrachten Rechtsgrundes zu kümmern; ob etwa ein Willensmangel zu einer Anfechtung des Rechtstitels Anlass geben könnte, hat der Grundbuchverwalter nicht zu beurteilen. Immerhin hat er eine Anmeldung abzuweisen, wenn sich diese auf einen offensichtlich nichtigen Rechtstitel stützt (BGE 124 III 343ff., 119 II 17f.).

Der Grundbuchverwalter hat indessen von Amtes wegen tätig zu werden bei der Löschung der Vormerkung eines persönlichen Rechts nach Ablauf der angegebenen Dauer (Art. 72 GBV). Insoweit muss er die Grundlagen für seinen Entscheid selber zusammentragen und prüfen, ob die für diese notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (Deschenaux, a.a.O., Band V/3, I, S. 483). Es kommt ihm daher in Bezug auf einen Entstehungs- oder Untergangsgrund die volle und unbeschränkte Prüfungsbefugnis zu (Deschenaux, a.a.O., Band V/3, I, S. 507).

d) Das Bundesgesetz über die Teilrevision des ZGB (beschränkte dingliche Rechte) und des Obligationenrechts (Verkauf von Grundstücken) vom 4. Oktober 1991, in Kraft getreten am 1. Januar 1994, sieht neu in Art. 216a OR eine Dauer von 25 Jahren für Vorkaufsrechte vor. Durch die Revision wurde die Vormerkungsdauer von 10 auf 25 Jahre verlängert. Damit stimmen nach neuem Recht die Vormerkungsdauer sowie der Bestand des Rechts überein (Paul-Henri Steinauer, La nouvelle réglementation du droit de préemption, ZBGR 73/1992, S. 1ff., S. 8). Das vorgenannte Bundesgesetz enthält keine Übergangsbestimmungen, weshalb gemäss ständiger Praxis somit grundsätzlich die hiefür vorgesehenen Bestimmungen des Schlusstitels des ZGB massgeblich sind (BGE 121 III 100ff. mit weiteren Nachweisen). Nach den allgemeinen intertemporalrechtlichen Grundsätzen, die für den Bereich des Privatrechts in den Art. 1–4 SchlTZGB normiert sind, wird der zeitliche Geltungsbereich der Gesetzesregeln vom Prinzip der Nichtrückwirkung beherrscht. Eine eigentliche oder echte Rückwirkung liegt vor, wenn bei der Anwendung neuen Rechts an ein Ereignis angeknüpft wird, das sich vor dessen Inkrafttreten ereignet hat und das im Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Norm abgeschlossen ist; sie ist verfassungsrechtlich nur ausnahmsweise zulässig. Demgegenüber wird bei der unechten Rückwirkung auf Verhältnisse abgestellt, die zwar unter der Herrschaft des alten Rechts entstanden sind, beim Inkrafttreten des neuen Rechts aber noch andauern (BGE 124 III 271 E. 4e). Art. 2 SchlTZGB kommt in casu ohnehin nicht in Betracht, da die fragliche Neuregelung nicht um der öffentlichen Ordnung oder Sittlichkeit willen aufgestellt wurde. Nicht zur Anwendung gelangen kann auch Art. 3 SchlTZGB, da diese Bestimmung bezweckt, erworbene Rechte, nach Art. 3 SchlTZGB rechtsgeschäftliche Rechtspositionen, bei Rechtsänderungen zu schützen (Markus Vischer, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Schweizerisches Zivilgesetzbuch II, Art. 457–977 ZGB, Art. 1–61 SchlTZGB, N 3 zu Art. 3 SchlTZGB). Mit andern Worten soll nach Art. 3 SchlTZGB das neue Recht grundsätzlich nicht in wohlerworbene Rechte eingreifen; bei solchen erworbenen, selbständigen Rechten – um ein solches handelt es sich beim vertraglichen Vorkaufsrecht – beurteilt sich sein Bestand nach denjenigen Normen, welche im Zeitpunkt der Begründung gegolten haben (BGE 116 II 66 E. 3a, 116 III 125; vgl. auch Denis Piotet, Le droit transitoire de la loi fédérale sur le droit foncier rural et sur la révision partielle du code civil et du code des obligations du 4 octobre 1991, in ZSR 113/1994 I, S. 125ff., S. 143f.).

In Anwendung dieser Regeln geht die Lehre mehrheitlich davon aus, dass Art. 216a OR nicht rückwirken könne auf die vereinbarte Dauer von persönlichen Kaufsrechten, welche am 1. Januar 1994, dem Datum des Inkrafttretens des neuen Rechts existierten (Denis Piotet, a.a.O., S. 143f.; Vito Roberto, Teilrevision des Zivilgesetzbuches und des Obligationenrechts, recht 1993, S. 172ff., S. 175; a.M. Felix Schöbi, Die Revision des Kaufs-, des Vorkaufs- und des Rückkaufsrechts, AJP 1992, S. 567ff., S. 570f.). Das Bundesgericht hat die Frage in BGE 121 III 100ff. offen gelassen. In Anlehnung an die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Rückwirkung gemäss Art. 80 URG (BGE 124 III 266) ist die Rückwirkung neuen Rechts jedenfalls insoweit abzulehnen, als die Vormerkungsdauer von Vorkaufsrechten vor dem Inkrafttreten neuen Rechts bereits abgelaufen war. Wie es sich in Bezug auf Rechte verhält, deren Vormerkungsdauer per 1. Januar 1994 noch nicht abgelaufen war, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

e) Das fragliche Vorkaufsrecht wurde im Mietvertrag vom 8. Juni 1983 begründet und gemäss Wortlaut des Vertrages – auf die gesetzlich zulässige Höchstdauer von 10 Jahren im Grundbuch vorgemerkt; im Übrigen galt es als schuldrechtliche Verbindlichkeit. Der Mietvertrag wurde für eine feste Dauer vom 1. Januar 1985 bis 31. Dezember 1999 abgeschlossen. Danach war eine feste Option zugunsten des Mieters von zweimal fünf Jahren vorgesehen. Somit bestand ein Vormerkungsschutz von zehn Jahren, während das Vorkaufsrecht im Sinne einer schuldrechtlichen Verbindlichkeit insgesamt für 25 Jahre vereinbart wurde.

Die Vormerkung des Vorkaufsrechts wurde am 13. Juni 1983 beim Grundbuch angemeldet und unter gleichem Datum eingetragen. Unter Datum des 10. August 1988 wurde der Mietvertrag auf die Firma C. AG übertragen (Ziffer 1 des Nachtrags zum Mietvertrag vom 10.8.1988). Unter Ziffer 2 wurde ausdrücklich festgehalten, dass darin (Anmerkung: in der Übertragung) enthalten ist: a) die Mietdauer fest bis zum 31. Dezember 1999, b) eine Option für zweimal weitere fünf Jahre Miete ab 31. Dezember 1999 sowie c) das Vorkaufsrecht auf die Liegenschaft. In Ziffer 3 wird festgehalten: «Die Rechte gemäss Art. 2 zu Gunsten des Mieters sind im Grundbuch eingetragen und werden auf die neu berechtigte Fa. C. AG übertragen.» Aufgrund dieser Akten durfte der Grundbuchführer zu Recht schliessen, dass die Vormerkungsdauer abgelaufen ist. Denn die Vormerkung des Vorkaufsrechts wurde am 13. Juni 1983 eingetragen (wörtlich steht im Grundbuch: «Vorkaufsrecht ..., für die Dauer von zehn Jahren») und im Nachtrag vom August 1988 war lediglich festgehalten worden, dass das Vorkaufsrecht weiterhin Bestandteil des übertragenen Mietvertrags darstelle und dieses Recht bereits eingetragen worden sei. Aus dem Wortlaut ergibt sich klar, dass die Rechte eingetragen waren und durch die Vereinbarung vom August 1988 lediglich auf die Beschwerdeführerin übertragen wurden, was aber an der Vormerkungsdauer nichts änderte; namentlich wurde das Recht nicht erneut für zehn Jahre vorgemerkt. Die Beschwerdeführerin kann daher aus diesem Nachtrag zum Mietvertrag in Bezug auf die Dauer des Vormerkungsschutzes nichts zu ihren Gunsten ableiten.

Wesentlich ist indessen und damit entscheidrelevant, dass im Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts per 1. Januar 1994 die Vormerkungsdauer bereits abgelaufen war; die Vormerkung hätte bereits ab 14. Juni 1993 gelöscht werden können. Die Beschwerdeführerin übersieht, dass bei Inkrafttreten des neuen Rechts dem Vorkaufsrecht nicht mehr realobligatorische Wirkung, sondern nur noch obligatorische Wirkung zukam. War aber die Vormerkungsdauer von 10 Jahren noch unter dem Regime des alten Rechts abgelaufen, durfte der Grundbuchführer die Löschung verfügen. Damit handelte es sich so oder anders nicht mehr um eine Vormerkung, die am 1. Januar 1994 noch Bestand gehabt hat. Eine rückwirkende Änderung der Vormerkungsdauer infolge Rechtsänderung würde überdies in unzulässiger Weise in die Vertragsfreiheit der Vertragsparteien eingreifen, steht es den Parteien nach wie vor frei, auch eine kürzere Dauer des Vorkaufsrechts zu vereinbaren oder solche Rechte gar nie vormerken zu lassen (Hess, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht I, Art. 1–529 OR, N 3 zu Art. 216a OR). Ferner steht es ihnen auch jederzeit zu, eine neue Vereinbarung zu treffen (vgl. Denis Piotet, a.a.O., in ZSR 113 / 1994 I, S. 144).

f) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist in den Erwägungen des Grundbuchführers auch keine Überschreitung seiner Kognition zu erblicken, zumal er nach dem Gesagten in Bezug auf Löschungen von Amtes wegen zur vollen Überprüfung verpflichtet ist. In diesem Sinn war der Grundbuchverwalter gehalten, die Frage der Vormerkungsdauer aufzuwerfen und Überlegungen zur neuen Vormerkungsdauer von Vorkaufsrechten anzustellen. Indem er festgestellt hat, dass die Vormerkungsdauer nach altem Recht abgelaufen war und er Art. 216a OR insoweit keine entscheidwesentliche Bedeutung zumass, hat er seine Kognition nicht überschritten. Dispositivziffer 1 der angefochtenen Verfügung ist insoweit nicht zu beanstanden.

Angesichts der dargestellten Sach- und Rechtslage ist auch Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung, worin der Grundbuchverwalter die Vormerkung eines Kaufsrechts abwies, nicht zu beanstanden. Stellt sich die Beschwerdeführerin auf den Standpunkt, nach Inkrafttreten des neuen Rechts sei das vereinbarte Vorkaufsrecht mit heute nur mehr obligatorischer Wirkung in ein solches mit realobligatorischer Wirkung zu konvertieren, hat sie beim vorkaufsbelasteten Eigentümer um eine entsprechende Erklärung bzw. Vereinbarung nachzusuchen, allenfalls den Klageweg zu beschreiten.

4. Die Beschwerdeführerin verlangt mit Rekursantrag Ziffer 4 die Feststellung, dass in Bezug auf direkte oder indirekte Kaufsgeschäfte betreffend das fragliche Grundstück eine Pflicht zur Anzeige an die Beschwerdeführerin bestehe.

Die Anzeigepflicht gegenüber Vorkaufsberechtigten gemäss Art. 969 ZGB besteht nur, soweit solche Rechte im Grundbuch vorgemerkt sind (vgl. Jürg Schmid, a.a.O., N 8 zu Art. 969 ZGB). Ist die Vormerkungsdauer abgelaufen und der Eintrag somit von Amtes wegen zu löschen, entfällt auch eine Anzeigepflicht. Die Beschwerde ist daher auch insoweit abzuweisen.

(Beschluss vom 4. April 2000; KG 488/99 RK 1).

 

35

Zivilprozessrecht

 § 1 Abs. 2 lit. a EGzZGB; über vorsorgliche Massnahmen in Ehesachen wird im summarischen Verfahren entschieden.

Aus den Erwägungen:

Das neue Scheidungsrecht ist am 1. Januar 2000 in Kraft getreten. Auf Scheidungsprozesse, die beim Inkrafttreten des neuen Rechts rechtshängig und von einer kantonalen Instanz zu beurteilen sind, findet gemäss Art. 7b Abs. 1 SchlTZGB das neue Scheidungsrecht Anwendung. Die Regelung des Verfahrens betreffend die Anordnung vorsorglicher Massnahmen nach Art. 137 Abs. 2 ZGB ist Sache des kantonalen Prozessrechts, soweit das Bundesrecht dies nicht regelt (Spühler, Das neue Scheidungsrecht, hrsg. von der Stiftung für die juristische Weiterbildung Zürich, S. 145f.).

a) Die Vorinstanz hält fest, im vorsorglichen Massnahmeverfahren seien die Bestimmungen über das summarische Verfahren analog anzuwenden. Dies habe zur Folge, dass den Parteien an sich, wie unter altem Recht, nur eine Rechtsschrift bzw. nur ein Vortrag zustehe. Auch trete die Säumnis schon mit erstmaligem Verpassen einer Frist ein. Es könne kaum Meinung des Gesetzgebers gewesen sein, dass innerhalb des beschleunigten Verfahrens, welches für das Scheidungsverfahren gelte, ein Massnahmenverfahren durchgeführt werde, für welches ebenfalls die Verfahrensvorschriften des beschleunigten Verfahrens zur Anwendung gelangen sollten. Dies würde zu umständlich sein und den Massnahmenentscheid, welcher ja rasch zu treffen sei, über Gebühr in die Länge ziehen. Der Vorderrichter behandelte deshalb das Massnahmeverfahren verfahrensleitend weiterhin nach den Verfahrensregeln des summarischen Verfahrens unter eigener Prozessnummer. Hinsichtlich des Beweismasses stellt die Vorinstanz ferner fest, es genüge weiterhin Glaubhaftmachung für die anspruchsbegründenden, anspruchshemmenden oder anspruchsverhindernden Tatsachenbehauptungen, weshalb sich der Massnahmerichter mit summarischen, insbesondere sofort verfügbaren Beweisen begnügen könne.

b) Die Klägerin rügt, der Vorderrichter habe fälschlicherweise die Verfahrensregeln des summarischen Verfahrens angewandt. Das Verfahren sei vielmehr nach den Regeln des beschleunigten Verfahrens durchzuführen. Die Vorinstanz habe deshalb zu Unrecht keinen zweiten Parteivortrag angeordnet und relevante Beweisabnahmen verweigert.

c) § 1 Abs. 2 lit. a EGzZGB (SRSZ 210.100) sieht vor:

«Der Einzelrichter entscheidet im beschleunigten Verfahren über:
a)            Ungültigkeits-, Scheidungs-, Trennungs- und Abänderungsklagen sowie gemeinsame Trennungs- und Scheidungsbegehren (Art. 106, 111 bis 117 und 129 ZGB), ferner verfahrensleitend über vorsorgliche Massnahmen (Art. 137 Abs. 2 ZGB).»

Ob der Einzelrichter gemäss dieser Norm Verfahren über vorsorgliche Massnahmen gemäss Art. 137 Abs. 2 ZGB verfahrensleitend im summarischen oder im beschleunigten Verfahren zu entscheiden hat, ist unklar. Die Verfahrensart ist daher auf dem Weg der Gesetzesauslegung zu ermitteln. Auszugehen ist dabei vom Wortlaut der auszulegenden Bestimmung, doch kann dieser nicht allein massgebend sein, namentlich wenn der Text unklar ist oder verschiedene Deutungen zulässt. Vielmehr muss nach der wahren Tragweite des Wortlauts gesucht werden, unter Berücksichtigung der weiteren Auslegungselemente, wie namentlich Entstehungsgeschichte und Zweck der Norm. Wichtig ist auch die Bedeutung, welche der Norm im Kontext zu anderen Bestimmungen zukommt. Das Bundesgericht lässt sich diesbezüglich stets von einem Methodenpluralismus leiten und stellt nur dann allein auf das grammatikalische Element ab, wenn sich daraus zweifellos eine sachlich richtige Lösung ergibt (BGE 125 II 179).

aa) Die Anordnung, wonach der Einzelrichter verfahrensleitend über vorsorgliche Massnahmen zu entscheiden hat, steht im Absatz 2 des § 1 EGzZGB, zusammen mit den übrigen im beschleunigten Verfahren zu behandelnden Geschäften. Dies allein führt jedoch noch nicht zur endgültigen Schlussfolgerung, der Einzelrichter habe auch bei der Beurteilung von Massnahmen nach Art. 137 Abs. 2 ZGB nach den Vorschriften des beschleunigten Verfahrens vorzugehen. Es ist vielmehr ebenfalls zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber dieses Verfahren über vorsorgliche Massnahmen von der Aufzählung «Ungültigkeits-, Scheidungs-, Trennungs- und Abänderungsklagen sowie gemeinsame Trennungs- und Scheidungsbegehren (Art. 106, 111 bis 117 und 129 ZGB)» ausdrücklich mit dem Wort «verfahrensleitend» abtrennt. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass die Verfahren über vorsorgliche Massnahmen im beschleunigten Verfahren zu beurteilen sind, wäre diese Abtrennung nicht notwendig gewesen. Dieser Umstand, d.h. die grammatikalische Auslegung spricht demnach eher dafür, dass im vorsorglichen Massnahmeverfahren gemäss Art. 137 Abs. 2 ZGB eben gerade nicht analog der Ungültigkeits-, Scheidungsklage usw. im beschleunigten Verfahren vorzugehen ist.

bb) Das vorsorgliche Massnahmeverfahren während der Ehescheidung ist möglichst einfach auszugestalten, und dieses ist seinem Wesen nach summarischer Natur. Umfangreiche Beweismassnahmen und -abnahmen müssen unterbleiben. Die Gerichtsinstanz hat in pflichtgemässem Ermessen anhand der rasch greifbaren Beweismittel über die vorsorglichen Massnahmen zu entscheiden. Tatsachenbehauptungen müssen zumindest glaubhaft gemacht werden (Leuenberger, in Praxis Kommentar Scheidungsrecht, hrsg. von Ingeborg Schwenzer, Basel 2000, N 55 zu Art. 137 ZGB; Sutter/Freiburghaus, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, N 24 zu Art. 137 ZGB). Das Verfahren ist weiter laut Leuenberger grundsätzlich kontradiktorisch, d.h., vor dem Erlass sind beide Parteien zu hören und sie müssen sich zu den berücksichtigten Beweismitteln äussern können. Ohne Anhörung der massnahmebelasteten Partei darf indes in Ausnahmefällen bei grosser Dringlichkeit verfügt werden (Leuenberger, a.a.O., N 56 zu Art. 137 ZGB; vgl. auch Walder, Zivilprozessrecht, 4. Aufl., Zürich 1996, § 21, S. 222., N 13; Vogel, Grundriss des Zivilprozessrechts, 5. Aufl., 6. Kap., S. 172, N 79). Diesen Ausführungen entsprechend würde die Durchführung des vorsorglichen Massnahmeverfahrens im beschleunigten Verfahren dem Sinn und Zweck des damit zu erreichenden Ziels entgegenstehen, weshalb es sich auch aus teleologischen Gesichtspunkten ergibt, dass das Verfahren nicht im beschleunigten Verfahren durchzuführen ist.

cc) Die von der Klägerin eingereichten Materialien sprechen im Übrigen ebenfalls nicht für eine Durchführung im beschleunigten Verfahren.

dd) Zusammengefasst ergibt sich, dass gesetzlich nicht normiert wurde, ob Verfahren über vorsorgliche Massnahmen nach Art. 137 Abs. 2 ZGB im summarischen oder im beschleunigten Verfahren zu entscheiden sind. Vielmehr wurde seitens des Gesetzgebers offen gelassen, wie vorzugehen ist. Damit hat der Richter die Verfahrensart zu bestimmen (Art. 1 Abs. 2 ZGB). Dies entspricht im Übrigen dem sonstigen vorsorglichen Massnahmenrecht, wonach der Präsident im Hauptverfahren verfahrensleitend – dieser Begriff ist terminologisch mit dem gebräuchlicheren Ausdruck «prozessleitend» gleichzusetzen (vgl. dazu § 203 Ziff. 4 ZPO) – vorsorgliche Massnahmen treffen kann und diesbezüglich ebenfalls kein Verfahren vorgeschrieben ist (§ 79 GO).

ee) Im Kanton Zürich, an dessen ZPO sich die Schwyzer ZPO eng anlehnt, ist unbestritten, dass im Verfahren um vorsorgliche Massnahmen die Vorschriften des summarischen Verfahrens analog anzuwenden sind (Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl., N 66 zu § 110 ZPO ZH). Trotzdem vertritt Walder unter Bezugnahme auf ZR 77/1978, Nr. 138 grundsätzlich die Ansicht, die Parteien hätten auch im Verfahren betreffend vorsorgliche Massnahmen wegen des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs Anspruch auf je zwei Vorträge und darauf, nach durchgeführtem Beweisverfahren zum Beweisergebnis Stellung zu nehmen (Walder, a.a.O., § 21, S. 222, A 8). Dieser ZR 77/1978, Nr. 138, beruft sich jedoch einzig auf die von Sträuli/Messmer in ihrer 2. Aufl. noch vertretene Auffassung, die indes in der neusten, 3. Auflage von Frank/Sträuli/Messmer umgestossen wird. Die Autoren vertreten heute die Ansicht, den Parteien würde sowohl im schriftlichen als auch im mündlichen Verfahren über vorsorgliche Massnahmen nur ein Vortrag zustehen (Frank/Sträuli/Messmer, a.a.O., 3. Aufl., N 3 zu § 206 ZPO ZH).

ff) Dem Sinn vorsorglicher Massnahmen entsprechend, wonach rasch zu entscheiden ist und Entscheide abänderbar sind, rechtfertigt es sich, im Verfahren über vorsorgliche Massnahmen generell und somit auch im Verfahren gemäss Art. 137 Abs. 2 ZGB die Vorschriften und Grundsätze des summarischen Verfahrens (§ 165ff. ZPO), und eben gerade nicht des beschleunigten Verfahrens, analog anzuwenden.

Nach dem Gesagten ist daher zusammenfassend der Einwand der Klägerin zu verwerfen, die Vorinstanz habe fälschlicherweise nicht im beschleunigten Verfahren entschieden. Ihr Rekurs ist in diesem Punkt abzuweisen, womit auch ihr in diesem Zusammenhang stehende Vorwurf der Verletzung des rechtlichen Gehörs ins Leere geht (...). Dass die Vorinstanz das Verfahren unter separater Prozessnummer führte, ändert an der Sache nichts.

(Beschluss vom 7. Oktober 2000; KG 205/00 RK 1).

 

36

Zivilprozessrecht

 Novenrecht im Verfahren betreffend vorsorgliche Massnahmen Art. 137 ZGB.

Aus den Erwägungen:

a) Auf Scheidungsprozesse, die beim Inkrafttreten des neuen Rechts rechtshängig sind, findet das neue Scheidungsrecht Anwendung (Art. 7b Abs. 1 SchlTZGB).

b) Die Regelung des Verfahrens betreffend die Anordnung vorsorglicher Massnahmen nach Art. 137 ZGB ist Sache des kantonalen Prozessrechts, soweit das Bundesrecht dies nicht regelt (Thomas Sutter-Somm, Neuerungen im Scheidungsverfahren, in Vom alten zum neuen Scheidungsrecht, hrsg. von Heinz Hausheer, S. 217ff., S. 229). Art. 137 ZGB enthält keine Vorschrift zur Anwendbarkeit der Dispositions- oder der Offizialmaxime über die vermögensrechtlichen Belange zwischen den Ehegatten (Thomas Sutter/Dieter Freiburghaus, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, N 19 zu Art. 137 ZGB), weshalb insoweit Raum für ergänzendes kantonales Zivilprozessrecht besteht. Da der kantonale Gesetzgeber insoweit kein neues Recht geschaffen hat, gelten die bisherigen Bestimmungen. Im Massnahmeverfahren genügt sowohl für die anspruchsbegründenden, anspruchshemmenden oder anspruchsverhindernden Tatsachenbehauptungen die Glaubhaftmachung. Ferner ist ein entsprechender Antrag zum Erlass vorsorglicher Massnahmen erforderlich.

c) Art. 138 ZGB regelt das Novenrecht. Nach zutreffender Auffassung betrifft das Novenrecht das Scheidungsverfahren und gilt somit Art. 138 ZGB nur für Noven im Zusammenhang mit den Scheidungsgründen und den vermögensrechtlichen Scheidungsfolgen zwischen den Ehegatten (Sutter/Freiburghaus, a.a.O., N 9 zu Art. 138 ZGB), nicht aber im vorsorglichen Massnahmeverfahren. Diesem kommt vorläufiger Charakter zu, und diese Massnahmen können bei Veränderung der Verhältnisse angepasst resp. abgeändert werden (Art. 137 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 179 ZGB). Für das Rekursverfahren gilt daher weiterhin das Novenrecht gemäss § 210 i.V.m. § 198 und § 104 Ziff. 2–5 ZPO).

(Beschluss vom 8. Februar 2000; KG 339/99 RK 1).

 

37

Zivilprozessrecht

 Zur Praxis der Erstreckung richterlicher Fristen.

Aus den Erwägungen:

2. Der Rekurrent rügt im Wesentlichen, dass die Nichtgewährung der Fristerstreckung über den 3. Mai 1999 hinaus bis zum 7. Juni 1999 einerseits § 125 Abs. 1 GO verletze. Denn die beantragte Fristerstreckung von rund einem Monat liege im Rahmen der Gerichtspraxis des Kantons Schwyz. Vorliegend hätte der Vorderrichter die Frist bis 7. Juni 1999 erstrecken müssen, da der Rekurrent zureichende Gründe, nämlich Arbeitsüberlastung und Ortsabwesenheit, vorgebracht habe; der Richter habe hier keinen Ermessensspielraum. Anderseits habe der Vorderrichter die Nichtgewährung der beantragten Fristerstreckung nicht begründet. Wegen mangelnder Begründung der Nichtbewilligung der Fristerstreckung sei das rechtliche Gehör verletzt worden.

a) Die Erstreckung einer richterlichen Frist wird nur aus zureichenden Gründen bewilligt (§ 125 GO). Zureichende Gründe liegen vor, wenn sie nach den Regeln allgemeiner menschlicher Lebenserfahrung geeignet erscheinen, die rechtzeitige Vornahme der Prozesshandlung zu hindern. Die Verlängerungsgründe sind von der gesuchstellenden Partei glaubhaft zu machen (Hauser/Hauser, GVG, Erläuterungen zum Gerichtsverfassungsgesetz des Kantons Zürich, 1978, S. 734). Primär ist anzustreben, den Prozess möglichst rasch und ökonomisch zu einer gerechten Sachentscheidung zu führen. Deshalb hat sich das Gericht lediglich in begründeten Fällen zur Bewilligung einer Fristverlängerung zu entschliessen. Hat es aber die Berechtigung bzw. Notwendigkeit einer nachgesuchten Fristerstreckung erkannt, dann muss es sie bewilligen und zugleich prüfen, innerhalb welchen Zeitraumes die fristgebundene Partei unter Anlegung eines objektiven Massstabes in der Lage sein wird, die verlangte Prozesshandlung vorzunehmen (Hauser/Hauser, a.a.O., S. 736; Guldener, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 1979, S. 268). Letztmalige Fristerstreckungen haben wirklich als letztmalig zu gelten; eine weitere Erstreckung ist nur ganz ausnahmsweise bei Vorliegen schwerwiegender Gründe gestattet (Hauser/Hauser, a.a.O., S. 736). Letztmals erstreckte Fristen können verlängert werden, wenn neue Verhältnisse eingetreten sind (Hauser/Hauser, a.a.O., S. 737). Es ist zum festen Gerichtsgebrauch geworden, bei Fristerstreckungen den Parteien davon Kenntnis zu geben, dass weiteren Verlängerungen nicht mehr entsprochen werde; bevor dies geschieht, darf eine Partei auf eine weitere Erstreckung hoffen (Hauser/Hauser, a.a.O., S. 737). Wird die Erstreckung einer Frist trotz Vorhandensein zureichender Gründe abgelehnt, so stellt dies eine Gehörsverweigerung dar (Hauser/Hauser, a.a.O., S. 738).

b) Gemäss Schwyzer Zivilprozessordnung und Praxis der Gerichte des Kantons Schwyz wird die Frist zur Leistung von Kostenvorschüssen grundsätzlich nicht erstreckt; der gesuchstellenden Partei wird lediglich eine angemessene Nachfrist angesetzt. Erfolgt die Bezahlung innert dieser Nachfrist nicht, so wird auf die Klage oder das Rechtsmittel nicht eingetreten (vgl. § 72 Abs. 1 ZPO und act. 5).

(Beschluss vom 5. April 2000; KG 297/99 RK 1).

 

38

Zivilprozessrecht

 Bauhandwerkerpfandrecht. Verfahrensfragen.

Aus dem Sachverhalt:

A. Am 12. Juni 1997 bestellte die Firma Z. AG bei der Klägerin eine vom Beklagten ausgesuchte Steinplatte zur Herstellung einer Küchenabdeckung. Die Küchenabdeckung wurde von der Klägerin am 19. September 1997 im Haus des Beklagten montiert. Die in der Folge von der Klägerin an die Bestellerin gerichteten Rechnungen für die Steinplatte und deren Montage wurden nicht beglichen. Über die Firma Z. AG wurde der Konkurs eröffnet.

B. Auf Begehren der Klägerin verfügte der Einzelrichter am 16. Dezember 1997 superprovisorisch die Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts auf dem Grundstück des Beklagten im Umfang der für die Steinplatte und deren Montage fakturierten Summe von insgesamt Fr. 6344.05 nebst Zins zu 6.5% seit 19. September 1997. Gegen diese Verfügung erhob der Beklagte fristgerecht Einsprache, worin er die Sachdarstellung der Klägerin bezüglich der vertraglichen Vereinbarungen mit der Z. AG grundsätzlich anerkannte und das Datum der Montage vom 19. September 1997 bestätigte. Er machte geltend, dass er die Rechnung der Z. AG bezahlt habe. Er erklärte sich «ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und ohne Präjudiz für das weitere Verfahren» bereit, einen Betrag von Fr. 6400.– als Sicherheitsleistung auf ein Sperrkonto der Kantonalbank Schwyz einzuzahlen. Nach erfolgter Hinterlegung der Sicherheitsleistung schrieb der Einzelrichter mit Verfügung vom 19. Dezember 1997 das Verfahren betr. vorläufige Vormerkung eines Bauhandwerkerpfandrechts als erledigt ab und ordnete die Löschung des vorgemerkten Bauhandwerkerpfandrechts an. Der Klägerin setzte er Frist bis 2. Februar 1998 an, «um beim zuständigen Vermittleramt die Forderungsklage anzuheben», mit der Androhung, dass bei Säumnis die Sicherheit dem Beklagten freigegeben werde. Mit Zuschrift vom 17. Februar 1998 teilte die Klägerin der Gerichtsleitung mit, dass sie innert Frist am 26. Januar 1998 beim Vermittleramt S. die Forderungsklage eingereicht habe. Der Zuschrift war das Protokoll des Vermittleramtes S. vom 16. Februar 1998 beigelegt, wonach die konkursite Z. AG, vertreten durch das Konkursamt des Kts. St. Gallen, die Forderung gemäss Forderungseingabe vom 30. Januar 1998 anerkannte. Nachdem die Parteien einem von der Gerichtsleitung vorbereiteten Vergleich nicht zustimmten, hielt der Einzelrichter mit Verfügung vom 3. April 1998 fest, dass die Klägerin innert Frist keine Klage gegen den Beklagten angehoben habe, und er ordnete die Freigabe der Sicherheitsleistung an. Mit Eingabe vom 8. April 1998 (Poststempel: 6.4.1998) ersuchte die Klägerin um Erstreckung der mit Verfügung vom 19. Dezember 1997 auf den 2. Februar 1998 angesetzten Frist und beantragte, dass die Sicherstellung von Fr. 6400.– bestehen bleiben solle. Zur Begründung wurde u.a. darauf hingewiesen, dass ihr auf Anfrage vom 26. Januar 1998 hin vom Gerichtsschreiber am Bezirksgericht erläutert worden sei, die Klage auf Bezahlung der offenen Rechnung sei gegen ihre Schuldnerin, die Z. AG, zu richten. Hierauf ordnete der Einzelrichter am 9. April 1998 die Aufhebung der Verfügung vom 3. April 1998 an und stellte die Frist zur Anhebung der Klage beim zuständigen Vermittleramt gestützt auf § 129 GO wieder her. Innert der bis 29. April 1998 gesetzten Frist leitete die Klägerin beim zuständigen Vermittleramt gegen den Beklagten das Sühneverfahren ein.

C. - Rechtzeitig innert der Weisungsfrist erhob die Klägerin gegen den Beklagten beim Bezirksgericht «Zivilklage» mit den Rechtsbegehren:

«Betr. Bauhandwerkerpfandrecht (ZGB 837, 961, GO 79)
Die Sicherstellung, welche am 18.12.1997 bei der Kantonalbank Schwyz zwecks Löschung der Vormerkung im Grundbuch errichtet wurde, sei bis auf weiteres weiterhin aufrecht zu halten.
Unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten des Beklagten.»

In seiner Klageantwort stellte sich der beanwaltete Beklagte auf den Standpunkt, dass die Gegenpartei mit ihren Rechtsbegehren offenbar «die Erstreckung der Sicherheitsleistung» verlange. Das Rechtsbegehren sei falsch gestellt und die Klage deshalb abzuweisen. Anlässlich der Referentenaudienz verzichteten die Parteien auf Replik und Duplik.

Mit Urteil vom 6. Juli 1999 erkannte das Bezirksgericht wie folgt:

«1.       Der Pfandanspruch der Klägerin im Umfang von Fr. 6344.05 wird definitiv festgestellt, und die vom Beklagten geleistete Sicherstellung von Fr. 6400.– (auf Kto. Schwyzer Kantonalbank) bleibt im Umfang von Fr. 6344.05 bestehen.
Die Sicherstellung wird dem Beklagten im Betrag von Fr. 55.95 freigegeben.»

....

D. Gegen dieses Urteil erhebt der Beklagte am 10. August 1999 rechtzeitig Berufung beim Kantonsgericht und beantragt, der Entscheid des Bezirksgerichtes sei aufzuheben und die Klage sei abzuweisen, unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten der Gegenpartei. Der Beklagte stellt sich in der Berufungsbegründung auf den Standpunkt, dass der Klägerin zu Unrecht die Frist für die Einleitung der ordentlichen Klage wieder hergestellt worden sei. Mit ihrem Rechtsbegehren habe die Klägerin zudem bloss eine Erstreckungsfrist betreffend die Sicherheitsleistung verlangt und weder die Verifizierung ihrer angeblichen Forderung beantragt noch ein Begehren betreffend definitivem Eintrag eines Handwerkerpfandrechtes gestellt. Die Vorinstanz habe der Klägerin in ihrem Urteil somit etwas zuerkannt, was sie gar nicht eingeklagt habe.

Die Klägerin beantragt in ihrer Berufungsantwort die Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils.

In Replik und Duplik halten die Parteien an ihren Anträgen und Standpunkten fest.

Aus den Erwägungen:

1. Die Vorinstanz hat zu Recht festgestellt, dass die Hauptfolge der gestellten Sicherheitsleistung darin besteht, dass das Bauhandwerkerpfandrecht nicht eingetragen werden kann bzw. ein bereits vorgemerktes oder eingetragenes Baupfand im Grundbuch wieder gelöscht werden muss. Die Sicherheitsleistung tritt an die Stelle der provisorischen Eintragung des gesetzlichen Pfandrechts (Art. 839 Abs. 3 ZGB, Art. 22 Abs. 3 GBV). Die Sicherheit stellt ein Surrogat für das Bauhandwerkerpfandrecht dar. Der Streit aber bleibt in der Sache selbst bestehen, und zwar in demjenigen Stadium, in dem er sich vor der Sicherheitsleistung befand. Statt der definitiven Eintragung eines gesetzlichen Pfandrechts mit Feststellung des Betrages der pfandgesicherten Forderung hat der Streit nun zum Gegenstand, ob und bis zu welchem Betrag die geleistete Sicherheit schliesslich haften soll. Dem im Prozess als Kläger auftretenden Unternehmer oder Unterakkordanten obliegt nach wie vor der Nachweis dafür, dass ihm ein Recht zur Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts zustand, dass er alle Voraussetzungen dieses Rechtes erfüllt (Art. 837 Abs. 3 ZGB) und dass er es innert der gesetzlichen Frist von Art. 839 ZGB geltend gemacht hat (Praxis 1984, Nr. 134; Schumacher, Das Bauhandwerkerpfandrecht, 2.A., N 906; Zobl, in ZSR 1982 II, S. 161 in fine).

Die Löschung des provisorisch eingetragenen Bauhandwerkerpfandrechts erfolgte am 19. Dezember 1997, nachdem der Beklagte die Sicherheit gestellt hatte. Demgemäss war der Klägerin Frist zur Erhebung der ordentlichen Klage anzusetzen. In Anwendung von § 182 ZPO war der Klägerin durch die Fristansetzung Gelegenheit zu geben, Existenz und Umfang ihres Anspruches auf Pfandbestellung im ordentlichen Verfahren feststellen zu lassen. Dieser Prozess um die definitive Feststellung des Pfandrechts richtet sich immer gegen den Eigentümer des Grundstücks, für das der Handwerker oder Unternehmer Arbeit oder Arbeit und Material verwendet hat (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB). Dem Unternehmer steht als Beklagter der Grundeigentümer gegenüber, dessen Liegenschaft (ursprünglich) mit dem Bauhandwerkerpfandrecht belastet werden sollte, an dessen Stelle aber die Sicherheitsleitung getreten ist. Ist der Vertragspartner des Unternehmers nicht mit dem Grundeigentümer identisch (wie vorliegend), ist er nicht Prozesspartei. Der Prozess um definitive Feststellung des Pfandrechts ist deshalb auch kein Forderungsprozess: Gegenstand des Prozesses sind nicht die vertraglichen Pflichten zwischen den Werkvertragsparteien, sondern die Frage, ob und in welchem Umfang der Grundeigentümer für die eingebrachte Werkleistung mit seinem Grundstück (oder der gestellten Sicherheitsleistung) haftet. Mit dieser Klage kann die Forderungsklage nur verbunden werden, wenn der Grundeigentümer zugleich auch der Werkpreisschuldner des klagenden Unternehmers ist (Schumacher, a.a.O., N 768 und 783).

2. - Innert der vom Einzelrichter im vorsorglichen Eintragungsverfahren gestellten Frist bis 2. Februar 1998 unterliess es die Klägerin, den ordentlichen Prozess betreffend die definitive Feststellung des Pfandrechts gegen den Beklagten einzuleiten. Dagegen hat sie – offenkundig irregeleitet durch die falsche Fristansetzung des Einzelrichters zur Anhebung der «Forderungsklage» – gegen ihre Werkpreisschuldnerin, die Z. AG in Konkurs, den Forderungsprozess eingeleitet. Am 8. April 1998 stellte sie ein «Erstreckungsgesuch» (recte: ein Wiederherstellungsgesuch) bezüglich der auf den 2. Februar 1998 angesetzten Frist. Diesem Gesuch gab der Einzelrichter im Rahmen des Summarverfahrens statt.

a) Über Fristansetzung und Klageeinleitung ins ordentliche Verfahren nach Leistung einer Sicherheit stellt das Bundesrecht keine Regeln auf (vgl. Art. 839 Abs. 3 ZGB). Es gilt kantonales Prozessrecht (AGVE 1978, S. 47). In Anwendung von § 182 ZPO wird dem Kläger, wenn nach dem Erlass vorsorglicher Massnahmen eine gerichtliche Erledigung des Rechtsstreites erforderlich ist, Frist zur Einleitung des ordentlichen Prozesses angesetzt, unter der Androhung, dass sonst die Massnahme dahinfalle. Diese richterliche Frist kann vom Richter erstreckt und wiederhergestellt werden (§ 122 und § 129 GO; Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, N 91 zu § 215; Hauser/Hauser, Erläuterungen zum Gerichtsverfassungsgesetz des Kts. Zürich, S. 761/762; Schumacher, a.a.O., N 760 mit zahlreichen weiteren Hinweisen).

b) Sachlich zuständig zur Behandlung eines Wiederherstellungsgesuchs ist diejenige Instanz, welche über die nachzuholende Prozesshandlung zu befinden hätte, wenn die Frist nicht versäumt wäre (Hauser/Hauser, a.a.O., S. 779). Das ordentliche Gericht – und nicht der Massnahmerichter – ist zuständig, im Rahmen der Prüfung der Prozessvoraussetzungen zu entscheiden, ob die vom Einzelrichter gesetzte Frist zur Klageeinleitung rechtzeitig gewahrt wurde (§ 97 ZPO; Frank/Sträuli/Messmer, a.a.O., N 11 zu § 108). Diese von Amtes wegen vorzunehmende Prüfung umfasst auch die Frage der fristgerechten Einleitung des Prozesses, wenn der Kläger angehalten wurde, die Klage nicht direkt beim Gericht, sondern  beim zuständigen Vermittleramt anzuheben. Dieselbe Instanz – also das ordentliche Gericht und nicht der Massnahmerichter – ist deshalb bei einer Fristversäumnis zur Behandlung des Wiederherstellungsgesuches kompetent (ZR 1986, Nr. 25). Gegen diese Zuständigkeit spricht nicht der Umstand, dass ein Wiederherstellungsbegehren häufig ein schnelles Eingreifen verlangt (wegen der Gefahr eines definitiven Rechtsverlustes, wie hier der möglichen Freigabe der Sicherheitsleistung). In einem solchen Fall ist der prozessleitende Richter befugt, bis zum Entscheid über das Wiederherstellungsgesuch durch das Kollegialgericht die erforderlichen sichernden Anordnungen zu treffen – wie beispielsweise die vorläufige Sperrung der Sicherheitsleistung.

c) Vorliegend war demnach nicht der Einzelrichter im Rahmen des von der Klägerin eingeleiteten summarischen Eintragungsverfahrens, sondern das Bezirksgericht zur Behandlung des Wiederherstellungsgesuches zuständig.

3. Die Klägerin verlangte in ihrem Rechtsbegehren, die geleistete Sicherstellung «sei bis auf weiteres weiterhin aufrechtzuerhalten». Demgegenüber erkannte das Bezirksgericht, dass der Pfandanspruch der Klägerin im Umfang von Fr. 6344.05 definitiv festgestellt werde und in diesem Betrag die geleistete Sicherstellung bestehen bleibe. Der Beklagte rügt, dass die Vorinstanz der Klägerin damit etwas zugesprochen habe, was diese gar nicht verlangt habe. Das Bezirksgericht stellte in diesem Zusammenhang fest, dass die Klägerin gemäss ihrem Rechtsbegehren die Aufrechterhaltung der vom Beklagten hinterlegten Sicherheitsleistung verlange. Zwar stelle sie nicht explizit das Begehren in dem Sinne, dass festzustellen sei, dass ihre Forderung im Umfang der Sicherstellung zu Recht bestehe; indessen könne ihrem Antrag im Zusammenhang mit der Klagebegründung klar entnommen werden, dass sie um definitive Feststellung ihres Pfandanspruchs ersuche.

a) Die Dispositionsmaxime bedeutet, dass die Parteien befugt sind, über den Streitgegenstand zu bestimmen. Das Gericht ist an die Anträge der Prozessbeteiligten gebunden. So bestimmt § 50 Abs. 2 ZPO: Das Gericht darf einer Partei nicht mehr oder anderes zusprechen, als sie selbst verlangt, und nicht weniger, als der Gegner anerkannt hat. Daraus folgt auch der Grundsatz, dass das Rechtsbegehren so zu formulieren ist, dass es bei gänzlicher Gutheissung der Klage ohne Ergänzung und Verdeutlichung zum Spruch des Gerichtes (Dispositiv des Urteils) erhoben werden kann. Grundsätzlich ist demnach das klägerische Verlangen im Rechtsbegehren genau festzulegen. Das erfordert auch der Grundsatz des rechtlichen Gehörs: der Beklagte muss genau wissen, wogegen er sich zu verteidigen hat (Guldener, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. A., S. 193; Walder, Zivilprozessrecht, 4.A., § 16, Rz. 2). Auf der anderen Seite ist zu beachten, dass das Rechtsbegehren nach seinem Sinngehalt und nach dem Grundsatz von Treu und Glauben auszulegen ist und dass die richterliche Fragepflicht im Sinne von § 51 ZPO auch Rechtsbegehren umfasst, die unklar, unvollständig oder unbestimmt sind.

b) Ob die Parteien das im Prozess erstrebte Sachziel erreichen, hängt bei der klagenden Partei in erster Linie von ihren Rechtsbegehren ab. Dies setzt eine rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes voraus, die insbesondere bei Laien fehlen kann. Vogel, Grundriss des Zivilprozessrechts, 5. A., N 33 zu Kapitel 6, spricht in diesem Zusammenhang von der Aufklärungspflicht des Richters und verweist in diesem Zusammenhang auf Art. 3 der Bundeszivilprozessordnung, wonach dem Richter u.a. die Pflicht auferlegt ist, «die Parteien auf unzulängliche Rechtsbegehren aufmerksam zu machen». Auch wenn § 51 ZPO nicht explizit von «unzulänglichen Rechtsbegehren» spricht, ist in der Praxis anerkannt, dass ungenügende «Vorbringen» auch Rechtsbegehren umfassen. In diesem Sinne hat die richterliche Fragepflicht nach § 51 ZPO zwei Komponenten: zum einen die Mithilfe des Richters zur Sammlung der erheblichen Tatsachen (als Ausnahme zur Verhandlungsmaxime); zum andern die Aufklärung über unzulängliche Rechtsbegehren, damit die Partei sie im Rahmen zulässiger Klageänderung verdeutlichen resp. abändern kann (§§ 56 und 96 Ziff. 1 ZPO). Das heisst indessen nicht, dass das Gericht den Parteien die Verantwortung für Antragstellung und rechtzeitiges Vorbringen abnehmen soll, weil damit die Grundsätze der Verhandlungs- und Dispositionsmaxime ausgehöhlt und eine auf Zeitgewinn abzielende trölerhafte Prozessführung prämiert würde. Die richterliche Fragepflicht ist durch den Willen der befragten Partei begrenzt und kann nicht so weit gehen, dass das Gericht die Parteien auf den für die Urteilsfällung wesentlichen Sachverhalt hinzuweisen hätte. In der Regel genügt, wenn es der Partei – sei es durch Befragung, etwa an der Referentenaudienz oder durch Fristansetzung zur Nachbesserung – Gelegenheit gibt, unzulängliche Rechtsbegehren zu korrigieren und die Sachverhaltsdarstellung zu ergänzen (siehe auch § 95 Abs. 3 ZPO). Wie weit der Richter bei der richterlichen Fragepflicht gehen muss und umgekehrt gehen darf, hängt von den Umständen des einzelnen Falles ab. Es ist dem Richter ein gewisses Ermessen einzuräumen, weil er sich in dieser Frage im Spannungsfeld zwischen der Verhandlungs- und Dispositionsmaxime einerseits und der Feststellung der materiellen Wahrheit anderseits befindet. Eine zu weit gehende Auffassung der richterlichen Fragepflicht birgt zweifellos die Gefahr der Bevorzugung einer Partei gegenüber der anderen Partei in sich (zum Ganzen: Frank/Sträuli/Messmer, a.a.O., N 2ff. zu § 55; Walder, a.a.O., § 17 N 16; Leuch/Marbach/Kellerhals, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, N 2.b zu Art. 89 und N 3.a zu Art. 157).

c) Das klägerische Rechtsbegehren war offenkundig unzulänglich. Die Klägerin verlangte bloss die Aufrechterhaltung der vom Beklagten gestellten Sicherheitsleistung. Auch in Berücksichtigung der Klagebegründung kann dem Antrag nicht entnommen werden, dass die Klägerin um definitive Feststellung ihres Pfandanspruches ersucht. Das Rechtsbegehren konnte so, wie es gestellt war, nicht zum Urteilsdispositiv erhoben werden. Es ist jedoch ohne weiteres nachvollziehbar – dies etwa im Unterschied zu einer einfachen Forderungsklage, dass die Klägerin als juristischer Laie Schwierigkeiten hatte, im Prozess betreffend die definitive Feststellung der Pfandhaft und deren Umfangs das korrekte Rechtsbegehren zu stellen. Dass es ihr in diesem Prozess letztlich aber nur darum ging, sich für ihre Forderung aus der gestellten Sicherheitsleistung bezahlt zu machen, ist ohne weiteres klar. Die Vorinstanz durfte es deshalb nicht einfach beim unzulänglichen Rechtsbegehren bewenden lassen, sondern war infolge der richterlichen Fragepflicht gehalten, auf die Verbesserung des Rechtsbegehrens hinzuwirken. Unter den gegebenen Umständen hätte die Gerichtsleitung zudem die richterliche Frage- bzw. Aufklärungspflicht nicht überdehnt, wenn der Klägerin ein korrekt formuliertes Rechtsbegehren zur Genehmigung unterbreitet worden wäre. Ein solches Vorgehen wäre im vorliegenden Fall umso mehr angezeigt gewesen, da dieser Prozess gewissermassen die Fortsetzung des provisorischen Eintragungsverfahrens bezüglich eines Bauhandwerkerpfandrechts darstellt und es somit nur um die Feststellung der Existenz und des Umfangs des klägerischen Anspruchs auf Pfandbestellung gehen konnte und um nichts anderes; oder anders gesagt, dass es nur um die Frage gehen kann, ob und bis zu welchem Betrag die hinterlegte Sicherheit des Beklagten für die Unternehmerforderung haftet.

d) Die Vorinstanz ist mit ihrem Vorgehen zum einen der richterlichen Fragepflicht nicht nachgekommen, zum andern hat sie auch den Gehörsanspruch des Beklagten missachtet, wenn sie die klägerischen Rechtsbegehren sozusagen erst mit der Urteilsfällung «richtigstellte». Die beklagte Partei muss genau wissen, wogegen sie sich zu «verteidigen» hat, und es muss ihr die Möglichkeit eingeräumt werden, die endgültig formulierten Rechtsbegehren, die ohne Ergänzung und Verdeutlichung zum Urteilsdispositiv erhoben werden können, zu kennen und dazu Stellung zu nehmen. In Anbetracht der Umstände konnte sich der Beklagte in guten Treuen auf die Kritik am ungenügenden Rechtsbegehren beschränken und war nicht gehalten, Einwendungen gegen die definitive Feststellung der Pfandhaft vorzubringen. Dazu kommt, dass der Beklagte in seiner Klageantwort das klägerische Rechtsbegehren nicht in gleicher Weise interpretierte, wie es nachträglich das Bezirksgericht im Urteilserkenntnis tat. Das Vorgehen des Bezirksgerichtes verletzt unter diesem Aspekt betrachtet klarerweise den Gehörsanspruch des Beklagten.

4. Der Gehörsanspruch ist formeller Natur. Er führt unabhängig vom Nachweis eines materiellen Interesses zur Aufhebung des angefochtenen Entscheides. Eine Heilung der Verfahrensmängel vor Kantonsgericht kommt nicht in Betracht, weil das Bezirksgericht seiner richterlichen Fragepflicht nicht nachgekommen ist, dadurch das rechtliche Gehör des Beklagten beschnitten hat und vorab auch die Frage der Wiederherstellung der Klagefrist, zu deren Beurteilung es und nicht der Einzelrichter im Summarverfahren zuständig ist, ungeprüft liess. Zwar kann nicht in Frage kommen, die einzelrichterliche Verfügung vom 8. April 1998 betreffend die Fristwiederherstellung aufzuheben, da diese in einem anderen Verfahren erfolgte und zudem unangefochten blieb. Die Frage der Wiederherstellung der Klagefrist ist im Rahmen der Prüfung der Prozessvoraussetzungen zu beurteilen. Hält das Bezirksgericht dafür, dass die Fristwiederherstellung zu Unrecht erfolgt ist, ist auf die Klage mangels Vorliegens einer Prozessvoraussetzung (gehörige Einleitung des Prozesses) nicht einzutreten und die Freigabe der Sicherheitsleistung zugunsten des Beklagten anzuordnen (Frank/Sträuli/Messmer, a.a.O., N 11 und 22 zu § 108). Ist das Gericht prima facie der Auffassung, die Voraussetzungen für die Wiederherstellung der Klagefrist seien gegeben, hat es das Verfahren ohne formelle Verfügung über diese Frage fortzusetzen. Der Klägerin ist Frist zur Verbesserung ihres Klageantrages anzusetzen, wobei es Sache der Gerichtsleitung ist, ihr bei der Abfassung des Rechtsbegehrens behilflich zu sein bzw. ihr einen entsprechenden Vorschlag – zum Beispiel im Rahmen einer Referentenaudienz – zu unterbreiten. Nach Vorliegen des korrigierten Rechtsbegehrens und einer eventuellen Ergänzung der Klagebegründung ist dem Beklagten Gelegenheit zu geben, sich zur Frage der Fristwiederherstellung, zu den korrigierten Rechtsbegehren und in der Sache selbst in einer Rechtsschrift (oder einem mündlichen Vortrag) zu äussern.

Dem Beklagten kann, wie gesagt, nicht vorgehalten werden, er hätte sich nicht auf die Rüge betr. ungenügender Rechtsbegehren oder der Verletzung der Dispositionsmaxime beschränken dürfen, sondern auch in der Sache zur Frage der Voraussetzungen und des Umfangs der Pfandhaft Stellung nehmen müssen. Der durch das angefochtene Urteil belastete Beklagte hat Anspruch darauf, sich nach Vorliegen korrigierter Rechtsbegehren, die zum Dispositiv des Urteils erhoben werden können, zu äussern (Guldener, a.a.O., S. 166, Anm. 17). Diesem Anspruch kann nur durch Rückweisung der Sache an die Vorinstanz und entsprechender Verfahrensergänzung Rechnung getragen werden. Eine Heilung im kantonsgerichtlichen Verfahren würde den Rechtsweg in unzulässiger Weise auf eine einzige Instanz beschränken, nachdem aufgrund des gegebenen Streitwertes von unter Fr. 8000.– die vorliegende Prozesssache nicht mit Berufung an das Bundesgericht weitergezogen werden kann. Dies ist ein weiterer Grund dafür, dass das beschriebene weitere Vorgehen nicht als formalistisch erscheint, sondern im Hinblick auf die Wahrung der Rechte beider Parteien zwingend notwendig ist.

5. Weder die Klägerin noch der Beklagte haben die Umstände zu verantworten, die zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Rückweisung zur Verfahrensergänzung und Neubeurteilung führen. Die Kosten des Berufungsverfahrens können deshalb weder dem appellierenden Beklagten noch der Klägerin auferlegt werden. Kosten, die durch einen offensichtlichen Fehlentscheid eines Gerichtes entstanden sind, trägt diese Gerichtskasse (§ 145 Abs. 2 GO). Die mehrfache Verletzung von Verfahrensvorschriften durch das Bezirksgericht rechtfertigt die Kostenauflage zu Lasten der betreffenden Gerichtskasse.

Mit Aufhebung des Urteils ist auch die Kostenfestsetzung sowie die Kosten- und Entschädigungsregelung gemäss Dispositiv-Ziffern 2–5 aufzuheben. Das Bezirksgericht wird mit der neuen Entscheidung neu die Kosten festzusetzen und die Kosten- und Entschädigungsfolge zu regeln haben.

Eine Entschädigung zu Gunsten des Beklagten und zulasten der Klägerin kann im Berufungsverfahren nicht zugesprochen werden. Zum einen ist der Beklagte mit seinem Antrag auf Klageabweisung nicht durchgedrungen, und zum andern hat die Verfahrensfehler nicht die Klägerin zu verantworten. Ebenfalls kommt mangels gesetzlicher Grundlage nicht in Betracht, dass dem Bezirksgericht die Aufwendungen der Parteien vor Kantonsgericht aufzuerlegen sind.

(Beschluss vom 9. Mai 2000; KG 370/99 ZK).

 

39

Schuldbetreibungs- und Konkursrecht

 Gläubigerstellung des Kantons für direkte Bundessteuer?

Aus den Erwägungen:

a) In dogmatischer Hinsicht gilt es einmal die Frage der Betreibungslegitimität von der im Rechtsöffnungsverfahren zu prüfenden Frage der Identität zwischen Gläubiger und dem aus dem Rechtsöffnungstitel Berechtigten zu unterscheiden. Auch wenn das Gesetz die Betreibungsparteien als Gläubiger und Schuldner bezeichnet, ist der Gläubiger derjenige, der behauptet, gegenüber einer Person, die er als Schuldner bezeichnet, Gläubiger zu sein. Die Betreibung kann aber ohne jeden Nachweis der materiellen Berechtigung durchgeführt werden, sofern sich der Betriebene nicht widersetzt (dazu Amonn/Gasser, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechtes, 6. Aufl., Bern 1997, § 8, Rz. 2). Solange sich der Schuldner gegen die Zwangsvollstreckung mithin nicht zur Wehr setzt, genügt die blosse Behauptung, Gläubiger zu sein, als Ausweis der Verfahrenslegitimation. Mit dem Rechtsvorschlag zwingt der Schuldner den Gläubiger jedoch dazu, den Richter anzurufen und seine in Betreibung gesetzte Forderung in materiellrechtlicher Hinsicht bzw. betreffend ihrer Vollstreckbarkeit überprüfen zu lassen, wobei der Umfang der richterlichen Prüfung vom eingereichten Rechtstitel abhängig ist (definitive oder provisorische Rechtsöffnung). Bei der Prüfung der Frage, ob ein für die Rechtsöffnung genügender Titel vorliegt, hat nun der Richter die materielle Frage zu prüfen, ob die im Titel als Berechtigter ausgewiesene Person mit derjenigen, welche die Betreibung angehoben hat, identisch ist.

b) Die direkte Bundessteuer wird nach Art. 41ter Abs. 5 lit. b aBV für Rechnung des Bundes von den Kantonen erhoben (Art. 128 Abs. 4 nBV). Entsprechend bestimmen Art. 2 und Art. 104ff. bzw. 160ff. DBG (Gesetz über die direkte Bundessteuer), dass die direkte Bundessteuer von den Kantonen unter Aufsicht des Bundes veranlagt und bezogen wird (vgl. zum früheren Recht Art. 2 und 65ff. BdBSt). Nach Art. 102 Abs. 1 DBG wird die Aufsicht des Bundes über die Steuererhebung (Art. 2 DBG) vom Eidgenössischen Finanzdepartement ausgeübt (vgl. auch Art. 65 BdBSt). Die unmittelbare Aufsicht obliegt nach Art. 102 Abs. 2 DBG der Eidgenössischen Steuerverwaltung (zum Ganzen BGE 121 II 481). Wird die direkte Bundessteuer von den Kantonen auf Rechnung des Bundes erhoben, ist mithin die Schweizerische Eidgenossenschaft Gläubigerin der Steuerforderung und nicht der jeweilige mit der Erhebung (Veranlagung und Bezug) der Steuer betraute Kanton. Daran ändert nichts, dass der Kanton in Abrechnung mit dem Bund 30% der eingegangenen Steuerbeträge zurückbehalten kann (Art. 196 Abs. 1 DBG). Abgesehen davon, dass ein Teil dieser drei Zehntel für den interkantonalen Finanzausgleich verwendet werden, haben die Kantone nämlich dafür die Kosten, die ihnen infolge der Durchführung der direkten Bundessteuern entstehen, zu tragen (Art. 198 DBG). Die Abteilung Direkte Bundessteuer des Kantonalen Steueramtes hat entsprechend mit dem Bund abzurechnen (§ 6 Ziff. 16 DBG Kant. VO). Gläubigerin ist mithin die Schweizerische Eidgenossenschaft, vertreten durch die jeweilige mit der Durchführung der Veranlagung bzw. dem Steuerbezug betraute kantonale Behörde und nicht der Kanton.

c) Dass die Kantone die Steuern veranlagen und beziehen (Art. 2 DBG), hat immer noch den einfachen Grund, dass die Kantone bereits für die Erhebung der Staats- und Gemeindesteuern vom Einkommen und Vermögen der natürlichen und juristischen Personen einen ausgebauten Verwaltungsapparat unterhalten müssen (so schon Masshardt, Wehrsteuerkommentar, Zürich 1980, S. 17). Auch wenn aufgrund der besonderen Bezugsorganisation bei den direkten Bundessteuern die mit dem Steuerbezug betrauten kantonalen Behörden auch zur Anhebung der Schuldbetreibung verpflichtet sind, wenn das Bezugsverfahren erfolglos geblieben ist (Blumenstein/Locher, System des Steuerrechts, 5.A., Bern 1995, S. 449, 451), haben sie nach den gesetzlichen Vorgaben des Bundes und den Weisungen der Eidgenössischen Steuerverwaltung (Art. 102 Abs. 2 DBG; Agner/Jung/Steinmann, Kommentar zum DBG, Zürich 1995, S. 374ff.) Verwaltungsaufgaben auszuführen, die ihnen vom Bund zugewiesen sind und versehen nicht originäre, kantonseigene Verwaltungsaufgaben (Gygi, Einführung in das Verwaltungsrecht, Bern 1986, S. 47). Der Umstand, dass der Bund die Kantone die direkten Bundessteuern veranlagen und beziehen lässt, bewirkt nicht, dass der jeweilige Kanton in die Forderungsrechte bezüglich dieser Steuer eintritt, auch wenn die Veranlagungsverfügung ein Entscheid einer kantonalen Behörde gestützt auf Bundesrecht ist, der im Übrigen gestützt auf Art. 165 Abs. 3 DBG einem vollstreckbaren Urteil gleichgestellt ist.

Es ist auch nicht so, dass der Kanton für den Bund quasi als «Bezugsgläubiger» prozessstandschaftsbefugt wäre. Die Verwendung der Steuererträge wird im Bundesrecht abschliessend geregelt, weshalb keine Rede davon sein kann, dass die Kantone über diese derart verfügen könnten, dass dem Bund das Verfügungsrecht entzogen wäre. Die zuständige kantonale Behörde hat für den Bund die Steuer einzukassieren und mit dem Bund abzurechnen. Dass gemäss dem Gesetz über die direkte Bundessteuer dem Kanton eingeräumt wird, in eigenem Namen die Gläubigerrechte des Bundes geltend zu machen, behauptet denn auch der Beschwerdeführer nicht, will er doch eine solche Kompetenz in Analogie zu Art. 260 SchKG ableiten. Dass der Vorderrichter eine solche Prozesstandschaft in Analogie zu Art. 260 SchKG nicht angenommen hat, ist aber weder eine Verletzung klaren materiellen Rechts noch willkürlich, zumal sich der Kanton im Rechtsöffnungsgesuch mit keinem Wort auf diese Art und Weise zu legitimieren suchte. Für die Annahme, der Kanton habe sich, analog zu einem Gläubiger, der sich nach Art. 260 Abs. 1 SchKG Rechtsansprüche der Konkursmasse, auf deren Geltendmachung die Gesamtheit der Gläubiger verzichtet hat, das Recht, prozessieren zu können,  abtreten lassen, bietet im Übrigen die geschilderte Übertragung der Veranlagung und des Bezuges der direkten Bundessteuer an kantonale Behörden keinen Anlass.

d) Die Abteilung direkte Bundessteuer des Kantonalen Steueramtes hat nicht selber, in ihrem Namen, anstelle des steuerberechtigten Gemeinwesens irrtümlich die Betreibung eingeleitet, sondern im Namen des Kantons eine Steuerforderung betrieben, obwohl dieser nicht deren Gläubiger ist. Es geht vorliegend aber, um auf die oben gemachte Unterscheidung (vgl. lit. a) zurückzukommen, nicht um die sich im Zusammenhang mit der Betreibungslegitimität stellende, formelle Frage der Heilbarkeit einer nicht eindeutigen Parteibezeichnung im Zahlungsbefehl, wie etwa in Fällen, wo irrtümlich ein Verwaltungszweig anstelle der parteifähigen politischen Gemeinde als Gläubiger auftritt oder eine Zweigniederlassung (BGE 120 III 11) anstelle der Gesellschaft, der Rechtspersönlichkeit zukommt, sondern eben um den Nachweis der Identität zwischen dem Betreibenden und dem aus dem Titel Berechtigten. Für die Beurteilung dieser für die Erteilung der Rechtsöffnung in materieller Hinsicht vorausgesetzten Identität ist aber die Praxis, dass es nichts schade, wenn die zum Bezug ermächtigte Verwaltungsabteilung, ja sogar das der Bezugsstelle übergeordnete Gemeinwesen (BlSchKG 1978, S. 45) in der Stellung des Gläubigers im Betreibungsverfahren auftritt (vgl. Staehelin, a.a.O., Art. 80, Rz. 132 mit Hinweisen allerdings unter der Überschrift «Die drei Identitäten», wobei es im zitierten BGE 98 III 26 um einen Beschwerdefall betr. der Gläubigerbezeichnung im Zahlungsbefehl ging, im Weiteren im BGE 90 III 12 sowohl im als Rechtsöffnungstitel geltend gemachten Kostenentscheid als auch im Zahlungsbefehl der Gläubiger deckungsgleich fehlerhaft bezeichnet und in den angegebenen kantonalen Fällen die Frage der unpräzisen Parteibezeichnung erwogen wurde), nicht erheblich. Im vorliegenden Fall ist mithin nicht zu beurteilen, ob allenfalls ausgehend von einer nicht eindeutigen Gläubigerbezeichnung im Zahlungsbefehl Heilbarkeit dieses Mangels oder Nichtigkeit der Betreibung anzunehmen ist, je nach dem, ob dem Schuldner berechtigte Zweifel hinsichtlich des wahren Gläubigers kommen könnten oder nicht, sondern, ob sich die Berechtigung des Kantons als Betreibender aufzutreten, aus den als Rechtsöffnungstitel eingereichten Urkunden ergibt oder nicht. Die ins Recht gelegten Urkunden erbringen den Nachweis eines dem Kanton zustehenden Rechtsöffnungstitels nicht. Sie könnten allenfalls die Vollstreckbarkeit der 1993/94 veranlagten direkten Bundessteuern gegenüber dem Betriebenen ausweisen (vgl. dazu unten E. 5), nicht aber die Berechtigung des Kantons, diese Steuerforderung als Gläubiger einzuverlangen. Ein solcher Ausweis ist auch unter Einbezug des gesamten Zusammenhanges, insbesondere der Bestimmungen des Gesetzes über die direkte Bundessteuer, nicht klar zu erkennen. Es ist im Fall des Bezugs der direkten Bundessteuer auch nicht klar, ob der Kanton das mit dem Bezug der Bundessteuer betraute, der kantonalen Stelle übergeordnete Gemeinwesen ist (oben lit. c). Die Abweisung des Rechtsöffnungsbegehrens mit der Begründung, dass keine Identität des im Zahlungsbefehl aufgeführten Gläubigers mit dem aus dem Rechtsöffnungstitel Berechtigten vorliege, verletzt deshalb weder klares materielles Recht, noch ist sie willkürlich.

(Beschluss vom 9. Februar 2000; KG 577/99 RK 2).

 

40      [siehe auch http://www.avsz.ch/existenzminimum.pdf]

Schuldbetreibungs- und Konkursrecht

 Erlass von Richtlinien für die Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums nach Art. 93 SchKG

1. Mit Beschluss vom 22.12.1993 hat das Kantonsgericht letztmals neue Richtlinien für die Berechnung des Notbedarfes erlassen. Die Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz beantragt, ab 1.3.2001 neue Richtlinien in Kraft zu setzen, basierend auf einem Indexstand von 100,6 Punkten per Ende Oktober 2000 (Basis Mai 2000 = 100). Eine Änderung der Ansätze ist vorgesehen bei einer Überschreitung eines Indexstandes von 110 Punkten.

2. a) Betreffend des monatlichen Grundbetrages schlägt die Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz folgendes vor:

« Für Nahrung, Kleidung und Wäsche einschliesslich deren Instandhaltung, Körper- und Gesundheitspflege, Unterhalt der Wohnungseinrichtung, Kulturelles sowie Auslagen für Beleuchtung, Kochstrom und/oder Gas ist in der Regel vom monatlichen Einkommen des Schuldners folgender Grundbetrag als unumgänglich notwendig im Sinne von Art. 93 SchKG von der Pfändung ausgeschlossen:
1.         für einen alleinstehenden Schuldner Fr. 1100.–
2.         für einen alleinerziehenden Schuldner mit Unterstützungspflichten Fr. 1250.–
3.         für ein Ehepaar oder zwei andere, eine dauernde Hausgemeinschaft bildende erwachsene Personen Fr. 1550.–
4.         Unterhalt der Kinder
            für jedes Kind im Alter bis zu 6 Jahren Fr. 250.– 
            von 6–12 Jahren Fr. 350.–
            über 12 Jahre Fr. 500.–»

b) Diesen Vorschlägen kann nur teilweise gefolgt werden.

Die Position «3. für ein Ehepaar oder zwei andere, eine dauernde Hausgemeinschaft bildende erwachsene Personen Fr. 1550.–» hält einer näheren Überprüfung nicht Stand.

Es ist zwar bekannt, dass zwei im selben Haushalt lebende Personen etwas günstiger leben als ein Alleinstehender. Es widerspricht aber jeder Lebenserfahrung, anzunehmen, eine Person, welche in Hausgemeinschaft wohne, brauche für ihren Grundbetrag Fr. 325.– pro Monat weniger als eine alleinstehende Person. Der Grundbetrag umfasst vor allem Nahrung und Kleidung, sodass das Sparpotential für ein Ehepaar in diesem Bereich naturgemäss gering ist. Zuzugeben ist, dass im Bereich Beleuchtung, Strom/Gas, Putzmittel usw. gewisse Einsparungen möglich sind, die nach Ansicht des Gerichtes aber Fr. 100.– pro Person und Monat nicht überschreiten.

Deshalb wird der monatliche Grundbetrag für ein Ehepaar oder zwei andere, eine dauernde Hausgemeinschaft bildende erwachsene Personen auf Fr. 1900.– festgesetzt.

Die übrigen Vorschläge für den monatlichen Grundbetrag können genehmigt werden.

3. Die Ziffern II–VIII der Vorschläge der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz geben zu keinen Bemerkungen Anlass und werden genehmigt. Vorbehalten bleibt stets das pflichtgemässe Ermessen von Betreibungsbeamten und Aufsichtsbehörde im Einzelfall; –

b e s c h l o s s e n :

Auf den 1.3.2001 werden folgende Richtlinien für die Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums in Kraft gesetzt:

Monatlicher Grundbetrag

Für Nahrung, Kleidung und Wäsche einschliesslich deren Instandhaltung, Körper- und Gesundheitspflege, Unterhalt der Wohnungseinrichtung, Kulturelles sowie Auslagen für Beleuchtung, Kochstrom und/oder Gas ist in der Regel vom monatlichen Einkommen des Schuldners folgender Grundbetrag als unumgänglich notwendig im Sinne von Art. 93 SchKG von der Pfändung ausgeschlossen:

1.         für einen alleinstehenden Schuldner Fr. 1100.–

2.         für einen alleinerziehenden Schuldner mit Unterstützungspflichten Fr. 1250.–

3.         für ein Ehepaar oder zwei andere, eine dauernde Hausgemeinschaft

            bildende erwachsene Personen Fr. 1900.–

4.         Unterhalt der Kinder

            für jedes Kind im Alter bis zu 6 Jahren Fr. 250.– 

            von 6–12 Jahren Fr. 350.–

            über 12 Jahre Fr. 500.–.

(Beschluss vom 9. Januar 2001; KG 1/01 RK 2).